Die Gutenacht-Geschichten

  • Die Gutenacht-Geschichten


    Vorwort


    Die Gutenacht-Geschichten sind eine Geschichtensammlung, die vom inworld-Autor Georg von Gutenacht [gesprochen: Guten-acht] geschrieben wurden, und in insgesamt 314 Bänden zusammengefasst und vom Liro-Verlag veröffentlicht wurden. Zum ersten Mal wurden die Werke beim Sechsundsechzigsten Speedbasteln erwähnt, sowohl dort, als auch im Chat wurde der Wunsch nach mehr der Geschichten, insbesondere des vollständigen Werkes "Elotran" bekundet. Daher beschloss ich, den Beitrag aus dem Speedbasteln zu vervollständigen, sowie eine kleine Auswahl der Gutenacht-Geschichten hier zu veröffentlichen.


    Edit: Feedback zu den Texten ist gern gesehen. Ihr könnt es gleich hier in den Thread schreiben, aufgrund des Inhaltsverzeichnisses sollte es dennoch übersichtlich bleiben.


    Inhaltsverzeichnis

  • Elotran


    Von Kindheitstagen waren sie vereint gewesen, hatten gespielt, gelacht, geweint. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander, kannten einander besser als ihre Eltern, Tutoren, Mentoren. Elotran und Sinaria waren unzertrennbar eins, wirkten wie eine Person. Wurde Elotran geschlagen, ging Sinaria dazwischen. Wurde sie beleidigt, kümmerte sich Elotran um den Schuldigen.


    Wann immer Sinaria sich einsam fühlte, oder Angst hatte, fing sie an zu singen: „Elotran, oh, Elotran, so komm doch zu mir!“ Elotran hörte es jedes Mal, wenn sie es sang, und war dann gleich bei ihr. Vor langer Zeit hatte er ihr versprochen, sie niemals alleine zu lassen, und immer da zu sein, wenn sie seine Hilfe brauchte.


    Meist verbrachten sie ihre Zeit im Wald, an einem Ort, den nur sie kannten, zwischen den Mauerresten einer alten Burg. Jeden Tag gingen sie zur Ruine, und spielten verschiedene Szenarien. Sie erkundeten die Höhlen, deren Zugänge in der Ruine lagen, blieben oft tagelang draußen. Der Wald gab ihnen Speis und Trank, die Ruine gab ihnen ein Dach.


    Doch wie die beiden aufwuchsen, verging auch ihre Zeit. Die Gelegenheiten, sich zu treffen, in den Wald zu gehen, zu spielen, wurden rar wie die nomadischen Vögel im Winter. Elotran musste in die Lehre gehen, denn seinem alten Vater blieben nicht mehr viele Jahre der Arbeit. Sinaria wurde einem Tutor unterstellt, der ihr das vornehmliche Benehmen einer Dame beibrachte, auf dass sie bereit sein sollte, in den Adel zu heiraten.


    Doch wollten sie nicht getrennt aufwachsen, sie wollten beisammen sein, wie in den frühen Tagen. So trafen sie sich heimlich, entschwanden ihren Tutoren, als diese nicht auf sie achteten, und spielten weiter in der alten Burg. Doch es war nicht mehr das selbe. Sie konnten nicht mehr „Belagerung“ spielen, oder „Turnier“, oder die Entdeckungsreisen machen. Sie hatten sich geändert, und sie wussten das. Sie waren erwachsen. Sie konnten nicht mehr zurück in die Kindheit, in die Sorgenlosigkeit, die ihnen die Zeit gab, tagelang im Wald zu spielen, und ihren Eltern Besorgnis zu bereiten. Es war vorbei.


    So gingen sie nun ihren Beschäftigungen nach, ihren Tutorien, und erlernten die Handwerke der Erwachsenen. Mit den Jahren, die verstrichen, wurde Elotran ein Meister seines Faches, und begann zu arbeiten. Sein Vater konnte in den Ruhestand gehen, in dem Wissen, dass sein Sohn nun für ihn sorgen konnte. Sinaria hatte ihre Ausbildung ebenfalls abgeschlossen, und sollte nun mit einem Adeligen verlobt werden. In dem Wissen und der Furcht, dass diese Verbindung die beiden für immer trennen würde, beschlossen Elotran und Sinaria, wegzulaufen. Elotran beherrschte sein Handwerk gut, er würde für sie beide sorgen können. So kam es, dass sie bei Nacht und Nebel aus ihrem Dorf verschwanden.


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    Woche um Woche, Monat um Monat verging, bis sie in einem fernen Land Zuflucht fanden. Elotran baute ein Haus, in dem sie lebten, und verkaufte seine Werkstücke, um Nahrung zu kaufen. Ihr Leben schien perfekt zu sein. Doch eines Tages änderte sich alles. Räuber kamen in ihr Dorf geritten, raubten, töteten, verbrannten. Sie kamen alle drei Tage wieder, bis das Dorf sie an die Ruine erinnerte, in der sie einst gespielt hatten.


    Elotran und Sinaria flohen in die Berge, um nicht unter den Räubern zu leiden, denn sie raubten auch die Freiheit. Sie ließen alles zurück – das Haus, die Werkstücke, die Freunde – und mussten ihr Leben von nun an in einer Höhle verbringen, sich von Käfern und Madern ernähren, und wieder in Angst vor ihren Verfolgern leben.


    Eines Tages, als Elotran auf der Jagd war, entdeckte er Sucher. Es waren Räuber, die nach Flüchtigen suchten. Eilig lief er zu Sinaria, um ihr von den Suchern zu erzählen. Entsetzt schrie sie auf. „Was sollen wir tun? Wo sollen wir hin?“ Vergeblich versuchte Elotran, sie zu beruhigen. „Ich werde Verbündete suchen, die uns helfen! Vielleicht leben von unseren Freunden welche, die uns helfen können! Bleib hier, in Sicherheit, bis ich zurückkehre! Niemand kennt die Höhle. Sie ist unser Geheimnis, wie die Burg daheim!“ Er wendete, doch Sinarias Stimme hielt ihn vom Gehen. „Elotran, lass mich nicht alleine! Bitte! Ich habe Angst!“


    Die Tränen auf ihrem Gesicht konnte er nicht ertragen, so nahm er sie mit. Doch war sie langsamer als er auf ihrem steilen Weg. „Elotran! Elotran! Warte auf mich! Elotran!“ Als er sich zu ihr drehte, stellte er mit Schrecken fest, dass die Sucher sie verfolgten. Zu langsam war Sinaria jedoch, um zu entfliehen. „Sinaria! Sie kommen! Versteck dich hier, zwischen den Sträuchern! Sie dürfen dich nicht finden!“ „Lass mich nicht allein, Elotran! Ich habe Angst!“ „Ich kann sie nicht allein besiegen, ich muss Hilfe holen! Bleib hier, sie werden dich nicht finden!“ Während er wegrannte, sie allein ließ, musste er ihre leidende Stimme ertragen: „Elotran, dein Versprechen! Du hast es mir versprochen! Lass mich nicht allein! Elotran!“


    Mit feuchtem Gesicht erreichte er einen Unterschlupf, eine alte Berghütte, in derer er die letzten Männer des Dorfes fand. „Bitte, ihr müsst mir helfen! Sie kommen! Sinaria ist in Gefahr!“ Zehn an der Zahl waren sie, die Elotran zu der Stelle begleiteten, an der er Sinaria zurückgelassen hatte. Doch als sie ankamen, war niemand zu sehen.


    Elotran durchsuchte die Sträucher, bis er schließlich Sinaria auf dem Boden liegend fand, die Hände auf dem Bauch, das Kleid an dieser Stelle rot. „Elotran … es tut so weh! Du hast es mir versprochen … warum … warum bist du gegangen…“ Zu sprechen viel es ihr schwer, doch versuchte sie es. „Elotran …“ Er kniete sich zu ihr, entsetzt darüber, was geschehen war. Tränen traten erneut in seine Augen. „Sinaria! Was … was ist passiert?“ „Die Räuber … gefunden…“ Langsam fielen ihre Augen zu. „Elotran…“ „Nein, Sinaria!“ Er hob sie an, doch floss das Lebenswasser aus ihrem Rücken empor. „Sinaria!“ „El..otr..an… nicht … gessen … dich…“ Ihre Glieder wurden müde, und ihr letzter Atem verließ sie. „NEEEIIN!!


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    Mit aller Gewalt versuchten die Männer, ihn von Sinaria wegzuziehen, doch hatten sie keinen Erfolg dabei. Mehrere Tage vergingen, bis Elotran schwach genug war, um keinen Widerstand mehr zu leisten. Braun, wie er nun war, legten sie ihn auf ein Bett, auf dem er drei Tage lang schlief. Die Männer kannten ihn, so war ihnen aufgefallen, wie stark er sich geändert hatte. Elotran war nicht mehr derselbe, er würde vielleicht nie mehr der fröhliche Handwerker sein, den sie einst kannten.


    Sie pflegten ihn dennoch, denn sie schätzten seine Arbeit der Vergangenheit. Mit der Zeit wurde er aktiver, arbeitete mit, und so konnten sie Sinaria gemeinsam beisetzen. Schließlich beschlossen sie, weiterzuziehen. Überall, wo sie hinkamen, waren die Räuber gewesen, und wen sie nicht geraubt hatten, hatten sie getötet. Nur wenige Lebende fanden sie in den Dörfern. Schließlich fanden sie einen jungen Mann in Elotrans Alter. Sein Name war Lirion. Lirion hatte ein ähnliches Schicksal wie Elotran, und so wurden die beiden schnell Freunde.


    Sie fanden viele Gemeinsamkeiten, und beschlossen, ihren Weg abseits der Gruppe weiterzuführen. So zogen sie gemeinsam durch das Land, ließen sich für Tagesarbeiten bezahlen, und lebten einfach für den nächsten Tag. Während Lirion offen über seine Vergangenheit sprach, blieb Elotran verschlossen. Trotz der Geheimnisse, die Elotran Lirion gegenüber hatte, wuchs die Freundschaft immer weiter.


    Eines Tages kam ein verhüllter Mann auf sie zu, um ihnen einen außergewöhnlichen Auftrag zu geben. „Geht in die Sümpfe des Ostens, und sucht nach der Festung, die einst mein war. Findet dort eine Kiste, die meinen größten Schatz enthält. Öffnet sie nicht, überbringt sie nur mir. Wenn ihr dies tut, erhält jeder von euch ein Artefakt aus der Kiste.“ Danach verschwand der Fremde in der Nacht. Von der legendären Sumpfburg hatten sie bereits gehört, doch war es schwer zu glauben, dass ein solches Prachtwerk tatsächlich in einem Sumpf gebaut werden konnte. Doch nahmen sie den Auftrag dennoch an, schließlich waren sie neugierig, was denn in der Kiste sei.


    Mehrere Tage durchwanderten sie Wiesen und Wälder, Berge und Täler, Gewässer und Wüsten, bis sie besagten Sumpf erreichten. Hier angekommen, bekam Lirion ein ungutes Gefühl. „Elotran, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee war, hierher zu kommen. Ich habe gehört, dass hier Moxhs hausen.“ Das war in der Tat keine gute Nachricht. Moxhs fanden immer den wunden Punkt, den wollte Elotran nicht preisgeben.


    Trotz der Vorahnungen gingen sie durch den Nebel in den Sumpf, um die Burg zu suchen. Sie verloren einander schnell, und bald lief Elotran mit nassen Füßen durch den abendlichen Nebel. Hier und da hörte er einen zerbrechenden Zweig, fühlte den kühlen Wind auf seiner Haut, das Wasser in seinen Schuhen. Dann ging alles schnell – die Wärme verschwand, das Licht, die Zuversichtlichkeit. Er war allein.


    Die Dunkelheit umwob ihn wie das feingesponnene Netz der Seidenspinne. Kein Vorne, kein Hinten, kein Links, kein Rechts. Oben und Unten waren gleich, wie auch Innen und Außen. Wohin er auch rannte, es gab keinen Ausweg – er war gefangen. Gefangen in seinen Ängsten, seinen Albträumen, in seiner letzten Nacht.


    Am steinernen Boden raschelte das Laub, das langsam auf ihn zukroch. Eine kalte Brise streifte seine Wange, und das beklemmende Gefühl, beobachtet zu werden, nahm zu. Sein Atem beschleunigte sich, als er Schritte hörte, und er begann wieder zu laufen. Hinter ihm ertönte der Klang einer leisen, lieblichen Stimme: „Elotran! Elotran! Warte auf mich! Elotran!“ Er konnte es nicht mehr ertragen, er wollte es nicht. Nein, sie war tot, sie konnte ihn nicht rufen! Es war der Moxh, er verfolgte ihn! Er wollte ihn finden, für immer einfangen, behalten.


    Doch Elotran wollte nicht. Die Schritte kamen näher. Die Stimme fing an zu singen. „Elotran, oh Elotran, so komm doch zu mir! Elotran, oh Elotran, so komm doch zu mir …“ Dieses Lied! Dieses Lied hatte sie immer gesungen, wenn sie bei ihm sein wollte! Und er hat zugelassen, dass sie starb! Er konnte nicht mehr weitermachen! Nicht so! Nicht mit der Schuld!


    Zögernd blieb er stehen und drehte sich zu dem Moxh um. „Dann komm doch! Hol mich! Ich habe es nicht anders verdient! Ich hätte sie nicht alleine lassen sollen, ich weiß! Sie wäre heute noch am Leben, wenn ich bei ihr geblieben wäre!“ Der Moxh blieb wenige Schritte vor Elotran stehen. Seine Gestalt zeigte Sinaria. Tränen traten in Elotrans Augen. „Ich … ich hätte nicht gehen sollen! Du warst nicht sicher. Ich hätte dich nicht allein lassen sollen … bitte … vergibt mir!“ Sinaria streckte ihre Hand aus, und berührte Elotrans Stirn. Langsam wurde wieder alles schwarz, und er stürzte zu Boden.


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    Als Elotran aufwachte, blickte er ins Angesicht seines Begleiters Lirion. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er. „Als ich dich im Nebel verlor, hatte ich mir Sorgen gemacht!“ Elotran schaute sich um. Er war am Rand des Sumpfes, da, wo der Nebel sich verdichtet hatte, bevor es dunkel geworden war. „Ja“, meinte er. „Alles in Ordnung.“ Und in der Tat, das war es.


    Als die beiden nach Wochen noch keinen Stein gesehen hatten, beschlossen sie, ein letztes Mal ihr Lager im Sumpf aufzuschlagen. Wenn sie die Burg jetzt nicht fanden, würden sie aufgeben. Am Lagerfeuer konnte Lirion es nicht lassen, eine Frage zu stellen, die ihn seit dem Vorfall im Nebel plagte. „Elotran, ich weiß, du sprichst nicht gerne darüber, doch muss ich dich jetzt fragen: Was hast du im Nebel gesehen? Was war es, das der Moxh dir zeigte? Was liegt in deiner Vergangenheit?“


    Elotran zögerte, doch konnte er seinem Freund die Wahrheit nicht vorenthalten. So erzählte er ihm alles. Wie er mit Sinaria aufgewachsen war, im Wald bei der Ruine gespielt hatte, wie sie durch die Tutorien getrennt wurden, und der endgültigen Trennung entflohen waren, von ihrem neuen Zuhause, den Räubern, wie er sein Versprechen, sie niemals allein zu lassen, brach, um Hilfe zu holen, und wie er sie sterben sehen musste, weil er nicht bei ihr geblieben war. Lirion hörte aufmerksam zu, nickte ab und zu, und bedankte sich schließlich für Elotrans Ehrlichkeit.


    „Das ist wahrlich schlimmer als mein Schicksal. Habt ihr denn nie daran gedacht, in eure Heimat zurückzukehren, eure Eltern wiederzusehen? Eure Freunde?“ „Nein, das haben wir nicht. Die Angst, voneinander getrennt zu leben, und für unsere Flucht bestraft zu werden, war zu groß.“ „Ich verstehe. Aber im Sumpf, was da geschehen ist … glaubst du, es war deine Schwester, die dir vergeben hat? Dass sie durch den Moxh gesprochen hat? Dass du sie noch einmal sehen konntest?“ Elotran dachte kurz nach. „Ja, ich glaube schon.“

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