Limyaael's Fantasy Rants übersetzt

  • Verstehe ich da was falsch, aber für mich bedeutet Othering, jemand anders zu "other" zu erklären, der eigentlich gar nicht anders ist. Auf unserer Welt gibt es nunmal nur eine Art Menschen und alle Versuche der Wissenschaft, da etwas anderes zu beweisen, sind gescheitert, insbesondere auf intelektuell/emotionalem Gebiet (Der Durchschnittsmassai ist halt schon größer als der Durchschnitts Khoi/San).

    Aber viele Fantasy-Welten spielen ja gerade mit dem Konzept, dass es wirklich fundamental unterschiedliche intelligente "Arten" gibt (egal ob das jetzt Arten nach dem biologischen Begriff sind).

    Ich finde die Diskussion gerade ein bisschen strange.

    Erstmal: Hi Shay :klatsch:

    Aber ausserdem:

    Darum habe ich im letzten Kommentar Skelch und LittleOwlbear ein bisschen anders angesprochen:

    Quote from Gwen

    Im ursprünglichen Kommentar, auf den ich da reagiert habe, war die Nuance noch nicht vorhanden, dass wir z.B. nicht-weinende Menschen und nicht-weinende Elfen haben könnten

    Okay das Zitat ist vielleicht verwirrend.

    Aber der Punkt ist, ich bin relativ sicher, dass zumindest Skelch I. eben nicht denkt, dass fundamental unterschiedliche Arten and und für sich das Problem sind, sondern das ihn nervt, wenn die Menschen einer Welt seltsamerweise alle auf dieselbe Art trauern (also z.B. alle Menschen weinen und zeigen ihre Trauer und Betroffenheit so, wie es in Westeuropa Standard ist) und dann gibt es ein Haufen Aliens, die exotisch und anders trauern. Und der Punkt, den Skelch I. damit macht ist, dass in so einer Welt (sagen wir vorsichtshalber: manchmal und nicht immer) die Seltsamkeit der Aliens das Signal sendet, dass echte Menschen, die anders sind, auch irgendwie keine Menschen sind.

    Wie gesagt, sowas ist schwer zu pauschalisieren. Ich vermute, je höher der Anspruch einer Welt ist, uns zu vorbildlichen Leuten zu machen, die über ihre inneren Vorurteile sehr gründlich nachdenken, weil sie eben Weltentexte lesen, desto berechtigter wird Skelch I.'s Kritik.

    Denn es gibt Welten, die uns quasi alles vorkauen. Ich meine das nicht beleidigend, ich meine nur, manche Welten (oder Geschichten) geben sich viel Mühe, uns thematisch Ideen zu liefern, damit wir über irgendwelche Sachen auf der Erde besser informiert werden oder zumindest ein Gedankenanstoss passiert, sich mit einem Thema eher zu befassen. Eine "vorgekaute Welt" ist also nicht eine, wo wir vollkommen als Kinder behandelt werden, sondern bloss eine, wo der Autor(⚧️) den Anspruch hat, sein Publikum (anhand der Welt, anhand des erfundenen Inhalts und nicht z.B. des Stils) in eine vorbildliche Richtung zu entwickeln. In solchen Welten und Kunstprojekten entsteht dann eben dieser Effekt des "vorkauens", weil der Autor(⚧️) eben bewusst bestimmte Inhalte meiden muss, um die Kritik an etwas zu üben.


    Das wirkt vielleicht wie ein Nischenproblem, ist aber dadurch, dass zum Beispiel die Fantasy so leicht lesbar sein soll, dass sie richtig massenfähig ist, ein Problem. Denn massenfähig heisst, dass eine Welt durch Inhalte auffallen muss, entweder weil die Welt innovativ ist oder weil irgendein anderes reizvolles Projekt darin passieren kann. Aber eine Welt darf (aus sicht von Hollywood und anderen Traum-Fabriken, auch Buchverlagen) eben gleichzeitig nicht zu viel Anstoss erregen.

    Wir sehen die Relevanz dieses Problems in den letzten 5 Jahren mit Dungeons & Dragons. Durch Covid ist D&D wirklich massenfähig geworden und Podcasts wie Critical Role erfreuen sich grosser Beliebtheit. Gleichzeitig will D&D (und das ist auch gut so) nicht bloss massenfähig sein, sondern eben inklusiv. Wo sie wahrscheinlich sowieso keine Alternative haben, weil "die Massen" in westlichen Ländern für ein Hobby das nicht ausgrenzt sind -- Leute die dagegen sind, sind eine seltsame Minderheit (ich meine hier seltsam in einem schlechten Sinn ;D).

    Zum einen entsteht dadurch ein positiver Effekt, zum Beispiel heissen Orks und Elfen in D&D nicht mehr Rassen, sondern "ancestry" (Abstammungen?) und selbst wenn andere Leute weiter Rasse benutzen oder Abstamung als Begriff doof finden, halte ich es für couragiert, wenn ein derart grosses Produkt wie D&D derart eingebackene Terminologe durch etwas neues ersetzt. Finde ich cool.

    Zum anderen entsteht dadurch aber ein Effekt, wo sich das Produkt immer weiter von dem entfernt, was es irgendwann mal war. Das ist mal gut, mal schlecht. Das erste D&D in den 70ern war quasi survival horror, wo eine Gruppe mit seltsamen Objekten wie Handspiegeln an der Lanze bewaffnet durch unheimliche Gänge kriecht, um nicht vom Basilisken oder der Medusa in Stein verwandelt zu werden. Das neueste D&D in den 20ern ist da nicht wiederzuerkennen: wir basteln Charaktere basierend auf einem graphisch aufwendigen Buch mit Illustrationen, die unsere Figuren wie Models vom Laufsteg aussehen lassen (also auch in stylischer Mode und mit einem Schmunzeln, das vermuten lässt, dass Helden(⚧️) im neuesten D&D kein traumatisches Leben haben) und zumindest in Critical Role, Dimension 20 und anderen besonders beliebten Podcasts bewegen sich diese Figuren dann durch eine Welt, in der Reibungspunkte mit der Gesellschaft nur noch als "lehrreiches Augenblick" existieren. Patriarchat oder Rassismus funktioniert also nach den Regeln von Bridgerton (der Serie). Wohlgemerkt, ich finde es voll in Ordnung, diese Art von Kunst zu machen -- ist doch cool. Macht doch Spass. Mir geht es nur darum, was bei dem Prozess verloren geht, also wie unser Verhältnis zur Vergangenheit aussieht, wenn quasi jedes historische Problem sich dadurch lösen lässt, dass Figuren in der Welt sich gegen das Problem aussprechen, sodass sich das Problem immer in kontrollierbaren Grenzen hält.


    Und in diesem Kontext hat Skelch I. halt einfach recht, denke ich. Wenn eine Welt wie das derzeitige D&D Zwerge hat, aber zwergenwüchsige Menschen nicht, dann entsteht dadurch der (eben von Peter Dinklage kritisierte) Effekt, dass Zwergenwüchsige irgendwie keine Menschen sind. Und bei Medien, die leicht zu konsumieren sind und wo sich jedes Problem in kontrollierbaren Grenzen hält, wo Leute "binge-watching" betreiben oder wo die Lektüre liegestuhltauglich ist... da ist das Publikum eben auf Durchzug, da denkt niemand weiter nach, welche Vorurteile gerade verinnerlicht werden, es sei denn die haben sich bewusst antrainiert, die fasche Normalität zu entlarven.


    Aber wie gesagt, wenn Skelch I. diesen Kommentar nicht gemacht hätte, dann sähe die Sache anders aus.


    Ich fühle mich hier nicht bei dem "wir" mitgemeint, sondern eher bei den anderen Leuten

    :knuddel: Hey Vinni :D


    Ich hoffe du hast dich an der Bemerkung nicht zu sehr gestossen. Ich bin seit Jahren nicht im Forum und weiss nicht so genau, wer hier eigentlich noch bastelt und schreibt und wie das aussieht. Ich erinnere mich noch ans Hans' sehr absichtlich un-progressive Welt, müsste aber nachsehen, ob er noch im Forum bastelt. Ich weiss, dass Logan hier noch weilt, weiss aber nicht, was er gerade bastelt. Es hatte seit einer Weile niemand auf LittleOwlbear kritisch geantwortet, also ging ich davon aus, dass es im Forum vielleicht ein Wir-Gefühl gibt, wo es so gemacht werden muss und nicht anders.


    Dass es da fragwürdig ist, einfach nur Geschichten erzählen zu wollen, Abenteuergeschichten, ohne jedesmal philosophisch alle Hintergründe darzulegen... das finde ich schon eine sehr schwierige Bewertung.

    Eben deshalb wollte ich mich nicht auf eine Lösung festlegen, denn Abenteuergeschichten ohne philosophische Perfektion sind auch ein Alternativbeispiel. Wir können durchaus erwarten, dass Leserschaften(⚧️) mündig sind und müssen denen nicht immer alles vollkommen verdaulich vorsetzen.

    Indiens erfolgreichster Blockbuster aller Zeiten heisst RRR, ist eine reine Abenteuergeschichte, die leider auch von indischen Rechtsradikalen und Rechtsextremen missbraucht werden kann, aber der Film ist absolut sehenswert, definitiv interessant und ich finde es vollkommen ok, dass der Film so ist wie er ist. Es kann ja jemand anders von diesem Meisterwerk lernen und einen besseren und progressiveren Film oder einen nachdenklicheren Film machen. Spricht nichts dagegen. (Schaut euch definitiv RRR an, wenn ihr Abenteuerfilme oder Western oder sowas mögt -- nur vorsicht, in einer Szene wird jemand ausgepeitscht :peitsch: aber der Film ist zwar nicht Bollywood, aber aus Indien, also ist ausgerechnet das eine geniale Musical-Nummer).


    Ich esse manchmal Rohkostsalat und manchmal Schokolade. So kann man es beim Medienkonsum ja auch halten. Schokolade hat absolut seine Berechtigung und niemand kann NUR Rohkostsalat essen.

    Außerdem gibt es sogar Zwischendinge ...

    Veria :wink:

    Wie? Rohkostsalat aus Schokolade?? :fluecht:

  • Mit der generellen Interpretation meiner Aussage hast du Recht, aber der Zweck ist weniger, Leser*innen zu erziehen, sondern mehr sicherzustellen, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt.

    So hatte ich dich auch verstanden, aber ich formuliere das nochmal um, damit ich ein Missverständnis vermeide:

    Ich wollte darauf hinaus, dass deine Kritik am besten zugeschnitten auf Welten ist, die inhaltlich sehr inklusiv zu sein versuchen. Wenn eine Welt, die inklusiv zu sein vorgibt, in Wahrheit z.B. Neurodivergenz als unmenschlich darstellt, dann schiesst so eine Welt an ihren Zielen vorbei.

    Aber nicht jede Welt (nicht mal jede Welt, die nicht ausgrenzen will!) setzt sich den Anspruch, von allen Dingen, von denen sich jemand vielleicht ausgeschlossen fühlt, Abstand zu nehmen, um sich absolut sicher zu sein, dass niemand sich ausgeschlossen fühlt. Wir Weltenbastler⚧️ schätzen das bestimmt individuell unterschiedlich ein und beurteilen sowohl ihre eigenen als auch andere Welten nach verschiedenen Messlatten / Standards. Es gibt kein Einheits-Register, von dem wir eindeutig wissen "dieses Weltelement ist Othering & nie in Ordnung". Und wenn jemand so ein Register schüfe, wäre es vermutlich alles andere als objektiv. Und aus Vorsichtsgründen würde es uns vielleicht in unseren Projekten recht einschränken? Ich kann mir das jedenfalls gut vorstellen. Mit anderen Worten, es gibt zwar einige (sehr viele?) Dinge, auf die wir uns einigen können, aber die Grenzen zwischen "in Ordnung" und "nicht in Ordnung" verschwimmen irgendwann und irgendwo.


    Und ich zumindest finde das dieses Ziel, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt auch nur teilweise angemessen ist. Einerseits will ich definitiv, dass Weltenbasteln und Fandom offen ist für alle. Ich finde es auch prima, wenn Leute Welten basteln, wo multikulturelle Regionen wie das Mittelmeer oder die Seidenstrasse existieren oder wo Leute "unrealistisch" sind und Dungeons für Rollstuhl bauen (vielleicht sitzt der Schurke⚧️ im Rollstuhl?). Und so weiter. Aber es gibt denke ich auch Regeln des Umgangs, von denen sich manche ausgegrenzt fühlen werden. Nicht jede Welt muss Unterdrückung so kleinreden, dass sie sich durch einmaligen Widerspruch in Luft auflöst (um ehrlich zu sein, mag ich sowas gar nicht, aber ich will's auch niemandem schlechtreden). Keine Welt sollte Bioessentialismus oder Othering vermeiden, es sei denn das ist das Bastelziel. Wie gesagt, du musst Leuten, die bioessentialistisch basteln, ja nicht zu ihrer tollen Welt gratulieren. Aber ich glaube es war Vinni, die vorhin gesagt hat, dass sie sich quasi mit den "anderen Leuten", also den Leuten die so basteln, identifiziert. Und ich finde, solche Projekte sollten wir nicht als moralisch abscheulich darstellen...sondern eben als Projekte, die sich nicht solche Ziele setzen. Wenn alle Welten so wären und Leute reflexhaft herabsehen würden auf Leute, die kritisch mit Othering umgehen, dann würde ich mich durchaus zu Wort melden. Denn auf die Weise werden Leute den Eindruck haben, sie werden hier ausgeschlossen, weil das Hobby die Praxis des Othering zur Essenz des Weltenbastelns zählt. Aber wenn es offen ist, wie du bastelst und die Leute dich nicht ablehnen, nur weil du einen Fuchs gefressen hast an irgendeiner Idee, die fremdartige Elfen erfordert und sich nicht sonderlich auf Menschen konzentriert, dann ist diese Offenheit doch gut für die offene Diskussion, für die Entwicklung von Ideen (auch von Gegen-Ideen) und für eine breite Vielfalt an Welten.

    Das Thema ist vermutlich gerade deshalb schwierig, weil wir uns immer vorstellen können, dass Neulinge aus einem ganz anderen Umfeld kommen als wir, einen Blick auf eine Abenteuer-Welt werfen, sich mit dem Othering nicht so ganz wohlfühlen und dann sagen, "Nee, habt ihr mal euren Spass, aber für mich ist das nichts." Und egal wie wenig wir ausgrenzen wollen, solche Leute verlieren wir dann. Aber der Punkt ist, dass ich das (in Grenzen) absolut riskieren würde. Wir können nicht auf jede Eventualität eingehen und unsere Inklusivität maximieren. Die Community besteht nicht einfach nur aus einem etablierten Milieu "normativ akzeptierter Menschen", wo Randgruppen und Kleingeistige mitmachen wollen und wir entweder die Randgruppen oder die Kleingeistigen ausschliessen, je nachdem wieviel Othering (und anderes) in unseren Welten vorkommen oder nicht. Es gibt viele Wege und Mittel, den Randgruppen klar zu machen das sie hier erwünscht sind und den Kleingeistigen eine Vorbildfunktion (ein Pfad weg von der Kleingeistigkeit) zu liefern, was sie entweder akzeptieren oder eben nicht. Das Weltenbasteln straffen Regeln zu unterwerfen scheint mir dabei das allerletzte und am wenigsten Wünschenswerte Mittel zu sein, um sowas zu erreichen. Wir machen dieses Hobby zum Spass. Wenn nur noch die allerwenigsten Spass haben, weil die meisten eben sehr simple Welten wollten, dann gibt es irgendwann keine Community mehr, die sich an Aussenseiter⚧️ richten könnte! Dann können wir auch keine neuen, inklusiveren Communities bauen, wenn sich dabei alle gegenseitig auf die Füsse treten -- ergo, es gibt dann keine Communities mehr für diese Form der Kreativität.


    Wenn das zu katastrophisierend klingt, versuch ich es anders: nicht jede Welt ist fokussiert darauf, uns immer ein komplett ehrliches, differenziertes Bild der Wirklichkeit und unserer Mitmenschen zu vermitteln. Wenn wir diese Differenzierung von jeder Welt erwarten, dann basteln die Leute nirgendwo im Internet, wo diese Differenzierung erwartet wird, in grösseren Communities, weil diese Differenzierung herzustellen eine intellektuelle Leistung ist und noch grössere intellektuelle Leistungen erfordert, um es unterhaltsam zu machen. Dann gibt es nur noch winzige oder (aus finanziellen Gründen und weil kleine Communities im Netz einfach keine Aufmerksamkeit bekommen) keine Weltenbastel-Communities mehr.

  • Hm, katastrophierend...


    Mein Eindruck ist, hier werden viele Worte über ein Problem geschrieben, das wir aktuell nicht haben, jedenfalls nicht dort, wo tatsächlich gebastelt wird, und nicht abstrakt diskutiert. Überwiegend ist denk ich klar, dass jede Welt ihre eigene Logik haben darf, und diese nur indirekt die Person dahinter widerspiegelt. Die Art und Weise, wie sie das tut, ist für mich einer der reizvollsten Aspekte des Weltenbastelns, und natürlich dann der Community, in der ich diese Menschen auch kennenlernen darf. :)


    Oh, und ... ich bastel eigentlich nicht nur zum Spaß. :pfeif: Spaß und Albernheit gehört dazu, ernsthaftes Herangehen an ein Problem, das mich emotional beschäftigt, aber genauso. Oft geht es mir um persönliches Wachstum und (seltener) auch um künstlerischen Ausdruck. Ich persönlich mag es nicht, wenn scharf zwischen Hobby und Arbeit getrennt wird, denn für mich war Kreativität immer auch Arbeit, allemal großteils unbezahlt. (Ich hab diesen Sommer zum ersten Mal echtes Geld damit verdient, wenn auch nur für ein paar Tassen Kaffee. :D ) Mein "Hobby", wenn ich schon dieses Wort separat verwende, ist Youtube-Videos gucken.^^

  • Ich meinte, dass ich mich eher den Leuten zugehörig fühle, die klassische Geschichten in eher klassischen Welten schreiben, als denen, die unter Inklusionsgesichtspunkten und mit pädagogischen Verbesserungsbemühungen andere Welten be- und abwerten (Stichwort: wir mögen die nicht).


    Wie Jundurg sagt:

    Quote

    dass jede Welt ihre eigene Logik haben darf, und diese nur indirekt die Person dahinter widerspiegelt


    Natürlich gibt es Grenzen, bei rechtem, nationalistischen, homophoben, sexistischen... Zeug, das gar nicht geht, aber eine generelle Einstufung von "guten" Randgruppen und "schlechtem" Mainstream finde ich doch arg überzogen. Ich fände es auch langweilig, wenn alle nur das selbe machen und sich in den selben Grenzen mit den selben Schwerpunkten bewegen.


    Abgesehen davon glaube ich, dass die Weltenbastler allgemein ein ziemlich diverser und bunter Haufen sind und schon von daher einen recht weiten Horizont haben und sich um ein breites Bild bemühen :)

  • Das Weltenbasteln straffen Regeln zu unterwerfen scheint mir dabei das allerletzte und am wenigsten Wünschenswerte Mittel zu sein, um sowas zu erreichen.

    Ich behaupte, im Umgang mit Menschen kann es keine straffen Regeln geben. Ich hab zwei Kinder, die drei Jahre auseinander sind. Beide genau gleich zu behandeln ist ungerecht, aber dem Jüngeren alles strikt nur exakt 3 Jahre nach dem anderen zu erlauben, ist auch ungerecht. Es hängt immer von der konkreten Situation ab. Und natürlich macht man da mal Fehler. Viel wichtiger als vordergründige Regeln "Mach dies und lasse jenes" ist die innere Haltung. Wenn ich in jedem Menschen einen Mitmenschen sehe, den ich in seinen Eigenarten respektiere und annehme, dann liege ich zwar mal daneben, aber im Großen und Ganzen wird es passen.
    Und das gleiche gilt fürs Weltenbasteln. Karl May mag nach strikter Auslegung der "Regeln" heute ziemlich rassistisch gewesen sein. Aber seine Haltung war das genaue Gegenteil, und wenn er sich für die Darlegung seiner Gedanken einer rassistischen Sprache bediente, weil das halt damals so war, dann darf man ihn in meinen Augen dafür nicht verteufeln, sondern muss ihn im Gegenteil sogar loben.


    Und außerdem kann man eine "schlechte" Welt auch dafür nutzen, um zu zeigen, dass man genau das für schlecht hält, z.B. wenn der Sympathieträger sich bemüht, die Zustände zu ändern.

  • Ich hatte ja selbst nie einen großen Bezug zu Elfen, Orks und Zwergen und hatte auch nie das Bedürfnis, die in meiner Welt zu haben, habe aber auch kein Problem damit, die in verschiedenen Ausprägungen in anderen Welten zu sehen. Man sollte bei diesen Diskussionen auch nicht vergessen, dass Orks (oder bösartige Aliens) heute vielleicht kritisch gesehen werden, weil der Eindruck entsteht, dass sie andere Menschengruppen repräsentieren, aber dass sie schon einmal ein Entwicklungsschritt weg von Geschichten waren, in denen wirklich noch andere Menschengruppen als die Antagonisten gesehen wurden, die ohne Zögern vernichtet werden durften.

    Daneben interpretiere ich Orks, zumindest bei Tolkien, auch eher als eine Metapher für die Brutalität, die im Krieg bei manchen Menschen zum Vorschein kommt. Die Versuche in späteren Werken, Orks etwas differenzierter darzustellen, führen dann davon weg und wecken damit womöglich erst die Assoziation mit realen Menschengruppen.


    Mir geht es persönlich so, dass ich aus moralischer Sicht (jeweils ausschließlich auf den Buchinhalt selbst bezogen) die traditionellen Wertvorstellungen bei Narnia und Harry Potter wesentlich weniger ablehne als den moralischen Nihilismus und das Zelebrieren von Folter und Vergewaltigung bei Werken wie Game of Thrones. Natürlich sind wir da in vielen Punkten heute eigentlich weiter, aber mir fallen auf Anhieb zumindest im Fantasy-Bereich recht wenige Beispiele ein, wo progressive Werte tatsächlich schlüssig in den Weltenbau eingewoben wurden.

    Was Gleichberechtigung von Männern und Frauen angeht, finde ich die Abhorsen-Bücher von Garth Nix sehr gelungen. Und sie haben auch ein sehr cooles Magiesystem. :)


    Bei meiner eigenen Bastlerei bin ich von Versuchen, alle möglichen Interessengruppen zufriedenzustellen, abgekommen, weil das sowieso unmöglich ist. Ich versuche, bekannte problematische Klischees zu vermeiden und wenn ich ein neues kennenelerne, schauch ich nach, ob sich das irgendwo habe, und sonst bastle ich, was ich will. Und zumindest die Punkte "rechts" und "nationalistisch" kann man wohl bei manchen meiner Völkerschaften durchaus abhaken und "sexistisch" und "homophob" kommt gelegentlich auch vor, aber eben nicht überall als normalisierter Status Quo.

  • Ich meinte, dass ich mich eher den Leuten zugehörig fühle, die klassische Geschichten in eher klassischen Welten schreiben, als denen, die unter Inklusionsgesichtspunkten und mit pädagogischen Verbesserungsbemühungen andere Welten be- und abwerten (Stichwort: wir mögen die nicht).

    Oh, absolut. Da sitzen du und ich im selben Boot.

    aber eine generelle Einstufung von "guten" Randgruppen und "schlechtem" Mainstream finde ich doch arg überzogen.

    Ich denke der Mainstream ist einfach oft Objekt der Kritik, weil eine Parallele wahrgenommen wird zwischen existierenden Verhältnissen und existierenden Medien. Wenn der Alltag in Deutschland irgendwie (beispielsweise) von Sexismus bestimmt ist, sollten wir dann annehmen, dass Medien das nur am Rande reflektieren?

    Aus meiner Sicht ist sowas manchmal richtig gedacht und manchmal falsch. Amerikanische Medien lieben die Polizei und Amerika hat ein Problem mit Polizeigewalt. Ich sehe einen Zusammenhang. Medien sind sehr divers und YouTube ist voll mit Hass von einer "Randgruppe", die diversity nicht ausstehen kann. Wo kommt dieser Hass auf Vielfalt her und wo kommen ihre Ideen her. Definitiv nicht vom jetzigen Mainstream der gegenwärtigen Massenmedien-Landschaft.


    Ich behaupte, im Umgang mit Menschen kann es keine straffen Regeln geben.

    Oh, das ist ein komplexes Thema. Ich meine, wir befolgen viele straffe Regeln im Alltag: auf dem Friedhof, in der Bibliothek wo du leise sein musst, im Strassenverkehr zur eigenen Sicherheit, usw. Also es kann diese Regeln geben.

    Aber ich denke, du hast trotzdem Recht. Was die Leute vom Ruhigsein in der Bibliothek halten und wie sie zuhause darüber reden oder was die Leute von den Regeln auf dem Friedhof halten ist uns ja vollkommen egal, solange sie die Regeln befolgen. Aber wie die Leute über eine bessere, altruistischere und gerechtere Gesellschaft denken kann uns nicht egal sein, ergo muss es Raum zum Atmen geben, damit die Leute ihren Senf dazugeben können. Um einen typischen Begriff zu benutzen: Pluralismus. Wir müssen pluralistisch sein und eine Vielfalt an Perspektiven zulassen, auch an ungewollten Perspektiven, weil straffe Regeln dagegen einfach nach hinten losgehen. Wer "harte Kante" gegen Mainstream-Ideen zeigen will, ohne das auf allgemein verständliche Art rechtfertigen zu können, kommt halt rüber als Machtmensch.

    Daneben interpretiere ich Orks, zumindest bei Tolkien, auch eher als eine Metapher für die Brutalität, die im Krieg bei manchen Menschen zum Vorschein kommt.

    Das ist glaube ich sogar von Tolkien explizit beabsichtigt.

    Der Tolkien-Forscher Tom Shippey sieht in Tolkien's Orks eine Referenz auf die Ideen über Gut und Böse, die sich in den Schriften des römisch-christlichen Autors Boethius finden: die Orks teilen die moralischen Vorstellungen ihrer Feinde und tun bewusst die Dinge, die verwerflich sind, weil sie so handeln wollen. Also quasi wie Trump, lol. ;D

    Natürlich sind wir da in vielen Punkten heute eigentlich weiter, aber mir fallen auf Anhieb zumindest im Fantasy-Bereich recht wenige Beispiele ein, wo progressive Werte tatsächlich schlüssig in den Weltenbau eingewoben wurden.

    Hm, kommt bestimmt darauf an, an welche Werte du denkst und was du unter schlüssig verstehst oder unter progressive Werte.

    Aus meiner Sicht ist Fantasy immer schon (in Teilen) progressiv gewesen. Lukian's Reisen waren eine Persiflage auf Religion, Margareth Cavendish's Blazing World ist in seiner blossen Existenz ein Argument, dass Frauen an Wissenschaft teilhaben sollten, Mary Shelley's Frankenstein beschäftigt sich mit der Menschlichkeit sogenannter "Monster" und der Zauberer von Oz ist eine Buchreihe geschrieben von einem Feministen, in der schwule und transgeschlechtliche Figuren als Selbstverständlichkeit auftauchen und heroische Haltungen einnehmen. Tolkien's Herr der Ringe hat die Idee einer Solidarität im Namen der Freiheit normalisiert (und beschäftigt sich subtil mit anarchistischen Konzepten), Thomas Covenant the Unbeliever beschäftigt sich (nicht unbedingt gut gelungen, aber der Autor hat's versucht) mit der Verantwortung für Vergewaltigung. Game of Thrones baut eine ganze ungerechte Welt auf, wo Figuren die Ungerechtigkeit nicht hinnehmen, sondern sie bekämpfen und z.B. die ganze Charakterentwicklung von Daenerys im 1. Buch darin besteht, zu begreifen, dass Freiheit als Universalismus weniger Leid mit sich bringt als nur ihre eigene Freiheit oder die Freiheit anderer Leute in genau ihrer Situation.

    Ich meine sogar Warcraft zeigt uns anhand von Prinz Arthas, wie eine Person anhand hehrer Ideale nach und nach zum (wahrhaft seelenlosen) Schurken werden kann, dass also das Üben von Macht mit grosser Verantwortung verbunden ist und das die Randgruppen, deren Leben Arthas nach und nach opfert, wichtig sind und das ihr Leben wert hat.

    Mir fallen im Bereich Fantasy wenige Beispiele ein, wo progressive Werte nicht erfolgreich im Weltenbau zu finden sind!


    Aber wie gesagt, das liegt alles an den Definitionen. :)

  • Amanita

    Quote

    Und zumindest die Punkte "rechts" und "nationalistisch" kann man wohl bei manchen meiner Völkerschaften durchaus abhaken und "sexistisch" und "homophob" kommt gelegentlich auch vor, aber eben nicht überall als normalisierter Status Quo

    Sowas meinte ich gar nicht, ich meinte Welten, die sowas verherrlichen und die Welt als Werbe- und Propagandamittel nutzen... aber da kenn ich zum Glück keine

  • Pfff, ich fühl mir gerade ein wenig ans Bein gepinkelt (nein, nicht wirklich, keine Sorge :lol: ).


    Mit genau diesen Stereotypen der "guten" und "bösen" Völker hatte ich in meiner alten Welt bewußt gebrochen. Die unschuldigen Halblinge haben als Wirtschaftsmagnate im Hintergrund die Fäden gezogen, die Meisterschmiede der Zwerge haben insgeheim ihre Arbeit an die TATSÄCHLICHEN Meisterschmiede der Orks outgesourcet, die von Helden gerne ausgerotteten Goblins waren eigentlich friedliebende indigene Völker, die Dunkelelfen waren nach einer mißlungenen Auflehnung gegen die faschistische Königin der Waldelfen aus dem Wald verbannt worden und die Menschen waren einfach nur allgegenwärtig, weil sie sich halt wie die Karnickel vermehrt haben.


    Letztendlich gab es kein Gut und Böse, nur dumme Vorurteile und jede Menge Individuen, die irgendwie halbwegs gut durchs Leben kommen wollten. Es lebe der Sklavenaufstand von [Stadt-an-deren-Namen-ich-mich-nicht-mehr-erinner], die goblinische Gleichberechtigungsbewegung, die dunkelelfisch-zwergische Allianz wider Faschismus und Genozid kultureller Minderheiten!


    2017 war das eine klischeehafte, uninspirierte Welt - heute wäre es offenbar das Ideal ...? :lol:



    Davon abgesehen würde ich aber gerne mal für die Mary Sue in die Bresche springen. Entgegen den Behauptungen hier ist diese nämlich KEIN Phänomen der 2010er, sondern seit den 1970ern als Stereotyp in der Fanfic Szene bekannt. Und über sie zu reden ist auch glücklicherweise nicht in den 2010ern ausgestorben, weil das Konzept auch heute noch stark in der Literatur vertreten ist. Gefühlt sogar deutlich stärker als früher, als sie eben mehr ein Phänomen bei Fanfics und bei abgelehnten Verlagsbewerbungen war.


    Das einzige, das (zumindest außerhalb der Manosphere) zum Glück auf der Strecke geblieben ist, ist die Unart, jeden weiblichen Charakter automatisch als Mary Sue abzustempeln.


    Über das Klischee weiter zu reden, ist aber wichtig. Auch heute noch greifen Autoren (jeglichen Geschlechtes) gerne zur Mary Sue, entweder um eigene Machtphantasien auszuleben, oder um sich über "seht ihr, ich schreibe über eine starke Frau" zu profilieren. Beide erkennen dabei nicht, daß sich ein "starker Charakter" aber durch das Überwinden von Schwächen auszeichnet.


    Und Mary Sue ist auch kein Problem, das sich auf weibliche Figuren beschränkt (es gibt zwar die Bezeichnung Gary Stu, aber der ursprüngliche Begriff ist eigentlich geschlechtsunabhängig). Auch bei männlichen Charakteren sind die Machtphantasien ohne jegliche Charakterentwicklung auch heute noch ein Problem. Und daß solche Charaktere dann im Buch von allen Leuten angehimmelt werden, obwohl sie sich teils wie die größten Arschlöcher aufführen, sendet dann noch gleich ein doppelt problematisches Signal an den Leser.

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • Amanita

    Quote

    Und zumindest die Punkte "rechts" und "nationalistisch" kann man wohl bei manchen meiner Völkerschaften durchaus abhaken und "sexistisch" und "homophob" kommt gelegentlich auch vor, aber eben nicht überall als normalisierter Status Quo

    Sowas meinte ich gar nicht, ich meinte Welten, die sowas verherrlichen und die Welt als Werbe- und Propagandamittel nutzen... aber da kenn ich zum Glück keine

    Leider wird das heute oft fehlinterpretiert - viele Leute geben sich keine Mühe mehr, Werke differenziert zu lesen. Wenn du da einen homophoben Charakter oder ein faschistisches Volk in deiner Geschichte hast und nicht AUSDRÜCKLICH dreimal pro Seite erwähnst, wie böse und falsch das ist, wird dir das direkt als Verherrlichung unterstellt.


    Klar kann es auf der anderen Seite auch ein Problem sein, wenn solche Charaktere/Völker/Handlungen nicht entsprechend als problematisch beleuchtet werden. Aber EIGENTLICH sollte man den Lesern zumuten können, daß sie das auch etwas subtiler aus dem Kontext herauslesen können. Funktioniert halt leider heute nicht mehr so wirklich ... :autsch:

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • Mit genau diesen Stereotypen der "guten" und "bösen" Völker hatte ich in meiner alten Welt bewußt gebrochen. Die unschuldigen Halblinge haben als Wirtschaftsmagnate im Hintergrund die Fäden gezogen, die Meisterschmiede der Zwerge haben insgeheim ihre Arbeit an die TATSÄCHLICHEN Meisterschmiede der Orks outgesourcet, die von Helden gerne ausgerotteten Goblins waren eigentlich friedliebende indigene Völker, die Dunkelelfen waren nach einer mißlungenen Auflehnung gegen die faschistische Königin der Waldelfen aus dem Wald verbannt worden und die Menschen waren einfach nur allgegenwärtig, weil sie sich halt wie die Karnickel vermehrt haben.


    Letztendlich gab es kein Gut und Böse, nur dumme Vorurteile und jede Menge Individuen, die irgendwie halbwegs gut durchs Leben kommen wollten. Es lebe der Sklavenaufstand von [Stadt-an-deren-Namen-ich-mich-nicht-mehr-erinner], die goblinische Gleichberechtigungsbewegung, die dunkelelfisch-zwergische Allianz wider Faschismus und Genozid kultureller Minderheiten!


    2017 war das eine klischeehafte, uninspirierte Welt - heute wäre es offenbar das Ideal ...? :lol:

    Erstmal hallo PBard -- ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht? Jedenfalls hi.


    Hm, ich würde sagen Klischeehaftigkeit und Inspirationslosigkeit sind ein anderes Paar Schuhe als Othering / Diskriminierung. Ich glaube auch nicht, dass sich seit 2017 sonderlich viel verändert hat -- die Leute hatten auch im Jahr 2017 das Ideal, diskriminierende Elemente zu hinterfragen, gerade darum wurden viele dieser anti-stereotypen Stereotypen ja zum uninspirierten Klischee!

    Davon abgesehen würde ich aber gerne mal für die Mary Sue in die Bresche springen. Entgegen den Behauptungen hier ist diese nämlich KEIN Phänomen der 2010er, sondern seit den 1970ern als Stereotyp in der Fanfic Szene bekannt. Und über sie zu reden ist auch glücklicherweise nicht in den 2010ern ausgestorben, weil das Konzept auch heute noch stark in der Literatur vertreten ist. Gefühlt sogar deutlich stärker als früher, als sie eben mehr ein Phänomen bei Fanfics und bei abgelehnten Verlagsbewerbungen war.

    Wenn Leute von einer Mary Sue reden nervt mich das in erster Linie deshalb, weil eine Mary Sue daran festgemacht wird, wieviel Machtfantasie in einem Charakter zum Vorschein kommt. Wenn dann ein Charakter tatsächlich schlecht geschrieben ist (Rey Skywalker) dann versteht niemand die Kritik, wenn die Kritik als "anti-Machtfantasie" daherkommt, weil Luke Skywalker bereits den Todesstern zerbombt hat und das auch eine Machtfantasie war.

    Über das Klischee weiter zu reden, ist aber wichtig. Auch heute noch greifen Autoren (jeglichen Geschlechtes) gerne zur Mary Sue, entweder um eigene Machtphantasien auszuleben, oder um sich über "seht ihr, ich schreibe über eine starke Frau" zu profilieren. Beide erkennen dabei nicht, daß sich ein "starker Charakter" aber durch das Überwinden von Schwächen auszeichnet.

    Wie gesagt, die meisten Leute erkennen eine Mary Sue nicht daran, ob sie an Schwächen arbeitet oder nicht, sondern daran, dass sie besonders machtvolle Dinge erreicht. Und für Geschichten wo Charaktere keine Schwächen haben, die sie überwinden könnten haben wir in schreibtechnischen Kreisen bereits eine mehr als ausreichende Bezeichnung: es fehlt der Konflikt.


    Leider wird das heute oft fehlinterpretiert - viele Leute geben sich keine Mühe mehr, Werke differenziert zu lesen. Wenn du da einen homophoben Charakter oder ein faschistisches Volk in deiner Geschichte hast und nicht AUSDRÜCKLICH dreimal pro Seite erwähnst, wie böse und falsch das ist, wird dir das direkt als Verherrlichung unterstellt.

    Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Autor John Green 10 Jahre lang immer wieder von Leuten im Internet attackiert wurde, weil einer seiner Protagonisten beim Anblick von zwei grossen schwarzen Typen die Strassenseite wechselt. Sprich, der Autor wird mit der Figur gleichgesetzt und dann 10 Jahre lang pausenlos verbal niedergemacht, weil sich die Figur inakzeptabel verhalten hat. Ich finde Rassismus schlimm und ich kann verstehen, wenn Leute nicht in einem Roman von einer rassistischen Figur lesen wollen. Aber jemandem ein Jahrzehnt lang Vorhaltungen zu machen, nur weil nicht explizit auf der Seite erwähnt wurde, wie böse und falsch das ist, ist halt heftig. Das sind 10 Jahre, die man auch produktiver (und progressiver) verbringen kann. ;)

  • Das ist eine sensible Problematik, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Ich glaube beispielsweise nicht, dass Figuren wie Tuvok oder Arondir die Lösung sind bei "racial bias" in (älteren) Fantasy- und Science-Fiction-Welten. Ich meine, wie sinnvoll ist es in der weltinternen Logik von Star Trek und Tolkiens Legendarium, dass es bei Vulkaniern bzw. Elben die gleichen "Rassen"-Unterschiede geben soll wie bei realweltlichen Menschen? Es stellt sich auch das grundlegende Problem, dass wir nur eine intelligente, kulturschaffende Spezies kennen, und von daher bei der Erfindung fiktiver solcher Lebensformen von uns aus extrapolieren müssen, so dass irgendwelche Elben, Aliens oder was auch immer fast zwangsläufig "Menschen + X - Y" sind und wahrscheinlich irgendwelchen kulturellen Stereotypen, neurodiversen Menschentypen oder dergleichen entsprechen. So nimmt es dann auch kein Wunder, dass beispielsweise Tolkien Rassismus vorgeworfen wurde, was die Macher von Die Ringe der Macht zum Anlass nahmen, um Arondir zu erfinden - über den (wie über die ganze Serie) sich die Leute in Tolkien-Fan-Foren wahrscheinlich fröhlich die Mäuler zerreißen. (Ich habe aber diese Serie noch nicht gesehen, kann sie also nicht wirklich beurteilen.)

  • Erstmal hallo PBard -- ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht? Jedenfalls hi.

    Hiya! Also, ich hab einiges von dir gelesen, aber bisher hatten wir wohl noch nicht direkt miteinander zu tun ... :wink:

    Hm, ich würde sagen Klischeehaftigkeit und Inspirationslosigkeit sind ein anderes Paar Schuhe als Othering / Diskriminierung. Ich glaube auch nicht, dass sich seit 2017 sonderlich viel verändert hat -- die Leute hatten auch im Jahr 2017 das Ideal, diskriminierende Elemente zu hinterfragen, gerade darum wurden viele dieser anti-stereotypen Stereotypen ja zum uninspirierten Klischee!

    Jein, in dem von dir zitierten Text ja eben nicht. Da geht es darum, daß man das Klischee der bösen Völker nicht mehr nutzen "darf", weil angeblich böses Othering.


    Und ich würde durchaus sagen, daß sich seither einiges geändert hat. Ich stand da mit meinen Gedankenexperimenten noch relativ alleine da. Aufgebrochene Völker-Klischees waren da hauptsächlich in humoristischer Literatur zu finden. Als massentaugliche, halbwegs ernste Hintergrundwelt würde mir ad hoc nur Tamriel/Nirn/Aurbis einfallen.


    (Zudem war die Welt ja schon jahrelang in Bearbeitung, also ist nicht erst 2017 entstanden. Da ist viel Zeit und viel Herzblut reingeflossen. Und da steckte deutlich mehr Arbeit dahinter, als einfach nur die Klischees auf den Kopf zu stellen. Wie gesagt, selbst die Realität hinter der Fassade wurde nochmals aufgebrochen, weil es am Ende "den Ork" gar nicht gibt, sondern nur Individuen, die sich ihrem Umfeld anpassen - oder auch nicht.)


    Genau das ist ja auch das Problem, das ich mit dieser pauschalisierten Aussage habe, was gemacht werden "darf" und was nicht. Denn direkt davor wurde das genaue Gegenteil gefordert. Letztendlich gilt sowieso: Damned if you do, damned if you don't.


    Alles ist in irgendeiner Form schon mal dagewesen, und wenn man versucht, alle Bastler/Autoren zu einem festgelegten Umgang mit Themen zu zwingen, dann macht es das nur schlimmer. Ich hab den Fehler gemacht, mich auf meine Weise mit der Thematik auseinander zu setzen, und als Resultat hab ich reingewürgt bekommen, wie einfallslos das doch wäre. Damit ist für mich ein viertel Jahrhundert Bastelei im Popo gewesen und mir eins meiner liebsten Hobbies weggebrochen.


    Böse Orks sind okay. Gute Orks sind okay. Menschlich differenzierte Orks sind okay. Mit dem Holzhammer auf alles draufschlagen, das nicht zu 100% dem eigenen Ideal entspricht, ist nicht okay.

    Wenn Leute von einer Mary Sue reden nervt mich das in erster Linie deshalb, weil eine Mary Sue daran festgemacht wird, wieviel Machtfantasie in einem Charakter zum Vorschein kommt. Wenn dann ein Charakter tatsächlich schlecht geschrieben ist (Rey Skywalker) dann versteht niemand die Kritik, wenn die Kritik als "anti-Machtfantasie" daherkommt, weil Luke Skywalker bereits den Todesstern zerbombt hat und das auch eine Machtfantasie war.


    [...]


    Wie gesagt, die meisten Leute erkennen eine Mary Sue nicht daran, ob sie an Schwächen arbeitet oder nicht, sondern daran, dass sie besonders machtvolle Dinge erreicht. Und für Geschichten wo Charaktere keine Schwächen haben, die sie überwinden könnten haben wir in schreibtechnischen Kreisen bereits eine mehr als ausreichende Bezeichnung: es fehlt der Konflikt.

    Wenn Leute einen seit nunmehr 50 Jahren etablierten Begriff falsch verstehen (oder in vielen Fällen bewußt falsch nutzen), dann ist aber nicht der Begriff das Problem, sondern die Leute. Und da stimm ich dir wie gesagt zu, streckenweise wurde ja alles als Mary Sue tituliert, das auch nur ansatzweise Brüste hatte und nicht nur hübsch danebenstand, wenn "die Männer" sich um das Problem gekümmert haben.


    Wie gesagt, in Fanfic Kreisen ist Mary Sue ein wichtiger Begriff, der mit "es fehlt der Konflikt" eben nicht abgedeckt ist. Einmal davon abgesehen, daß Mary Sue in zwei Worten ein ganzes Konzept beschreibt, um das man sonst erst einmal über mehrere Absätze herumreden müßte - dieselben Leute, die den Begriff falsch verstehen (wollen), werden ohnehin auf "es fehlt der Konflikt" mit "aber es gibt doch ganz viele Kampfszenen" antworten.


    Jede Machtphantasie als Mary Sue zu bezeichnen, ist übrigens ein doppelt falscher Umkehrschluß. Selbst wenn jede Mary Sue eine Machtphantasie wäre (was nicht unbedingt sein muß - wie gesagt, oftmals spielt auch ein falsch verstandenes Konzept von "starke Frau" mit rein), hieße das noch lange nicht, daß jede Machtphantasie eine Mary Sue ist. Wer Luke als Mary Sue bezeichnet, der hat den Begriff einfach nicht verstanden (oder handelt bewußt täuschend).


    Heck, genaugenommen ist nicht einmal Rey eine reine Mary Sue. Sie hat Schwächen und Zweifel, die sie überwinden muß, dieser Part ist nur extrem schlecht umgesetzt. Sie ist nicht mächtiger als alle anderen Jedi es waren, ihre Entwicklung geht nur VIEL zu rasch vonstatten (und widerspricht dem Konzept der Machtnutzung als Ergebnis einer hochdisziplinierten, langjährigen Ausbildung, in der es mehr um die Kontrolle des eigenen Geistes geht als um intuitive Magieanwendung). Und sie ist nicht dieses selbstgefällige, besserwisserische Arschloch, das trotzdem von allen bedingungslos angehimmelt wird.


    Sie geht stark in Richtung Mary Sue, aber sie krankt mehr noch an vielen anderen Stellen, beginnend damit, daß sie jenseits der Kylo-Szenen einfach nur sterbenslangweilig und flach ist.


    Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Autor John Green 10 Jahre lang immer wieder von Leuten im Internet attackiert wurde, weil einer seiner Protagonisten beim Anblick von zwei grossen schwarzen Typen die Strassenseite wechselt. Sprich, der Autor wird mit der Figur gleichgesetzt und dann 10 Jahre lang pausenlos verbal niedergemacht, weil sich die Figur inakzeptabel verhalten hat. Ich finde Rassismus schlimm und ich kann verstehen, wenn Leute nicht in einem Roman von einer rassistischen Figur lesen wollen. Aber jemandem ein Jahrzehnt lang Vorhaltungen zu machen, nur weil nicht explizit auf der Seite erwähnt wurde, wie böse und falsch das ist, ist halt heftig. Das sind 10 Jahre, die man auch produktiver (und progressiver) verbringen kann. ;)

    Das hab ich gar nicht mitbekommen - mir ist er bislang immer eher von der "Gegenseite" bekannt, da wohl seine Bücher immer mal wieder auf republikanischen Bann-Listen landen, weil sie Jugendliche mit pöhsen, sexuellen Themen verderben.


    Aber jah, diese ständige Gleichsetzung von Autor und Figuren in seinem Buch ist einfach nur absurd.


    (Ich hab auch einen pöhsen Sith als Avatar und hab gerne Geschichten aus seiner Perspektive geschrieben - seltsamerweise hatte ich bislang aber noch keine Ambitionen, im RL Konkurrenten mit einem Lichtschwert aus dem Weg zu räumen ... :engel: )

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • Das ist eine sensible Problematik, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Ich glaube beispielsweise nicht, dass Figuren wie Tuvok oder Arondir die Lösung sind bei "racial bias" in (älteren) Fantasy- und Science-Fiction-Welten. Ich meine, wie sinnvoll ist es in der weltinternen Logik von Star Trek und Tolkiens Legendarium, dass es bei Vulkaniern bzw. Elben die gleichen "Rassen"-Unterschiede geben soll wie bei realweltlichen Menschen?

    Bin mir nicht sicher, wieso die weltinterne Logik nichts gegen Mr. Spock hat aber doch etwas gegen Tuvok. Was ist denn an der weltinternen Logik von Star Trek, dass es sinnvoll macht, dass es bei Vulkaniern Leonard Nimoy gibt?

    Das gleiche gilt in Mittelerde: widerspricht die weltinterne Logik von Mittelerde der Existenz von Arondir? Widerspricht die weltinterne Logik von Mittelerde nicht der Existenz von finnischen und walisischen Einflüssen in Sindarin und Quenya? (Wenn Mittelerde laut Tolkien die Vergangenheit der Welt ist und das Dritte Zeitalter vor der Existenz von Finnisch und Walisisch stattfindet, wie können diese Sprachen dann die Elben beeinflussen, ohne das Mittelerde auf einmal walisische Zeitreisen einführt? Was machen arabische und jüdische Einflüsse in der Zwergensprache mit Worten wie "Khazad-dum"?

    Jein, in dem von dir zitierten Text ja eben nicht. Da geht es darum, daß man das Klischee der bösen Völker nicht mehr nutzen "darf", weil angeblich böses Othering.

    Ich bin da sehr vorsichtig, weil LittleOwlbear nicht explizit irgendwas von Klischees gesagt hat. Ich will niemandem Wörter in den Mund stecken.

    Wenn Leute einen seit nunmehr 50 Jahren etablierten Begriff falsch verstehen (oder in vielen Fällen bewußt falsch nutzen), dann ist aber nicht der Begriff das Problem, sondern die Leute. Und da stimm ich dir wie gesagt zu, streckenweise wurde ja alles als Mary Sue tituliert, das auch nur ansatzweise Brüste hatte und nicht nur hübsch danebenstand, wenn "die Männer" sich um das Problem gekümmert haben.


    Wie gesagt, in Fanfic Kreisen ist Mary Sue ein wichtiger Begriff, der mit "es fehlt der Konflikt" eben nicht abgedeckt ist. Einmal davon abgesehen, daß Mary Sue in zwei Worten ein ganzes Konzept beschreibt, um das man sonst erst einmal über mehrere Absätze herumreden müßte - dieselben Leute, die den Begriff falsch verstehen (wollen), werden ohnehin auf "es fehlt der Konflikt" mit "aber es gibt doch ganz viele Kampfszenen" antworten.


    Jede Machtphantasie als Mary Sue zu bezeichnen, ist übrigens ein doppelt falscher Umkehrschluß. Selbst wenn jede Mary Sue eine Machtphantasie wäre (was nicht unbedingt sein muß - wie gesagt, oftmals spielt auch ein falsch verstandenes Konzept von "starke Frau" mit rein), hieße das noch lange nicht, daß jede Machtphantasie eine Mary Sue ist. Wer Luke als Mary Sue bezeichnet, der hat den Begriff einfach nicht verstanden (oder handelt bewußt täuschend).


    Heck, genaugenommen ist nicht einmal Rey eine reine Mary Sue. Sie hat Schwächen und Zweifel, die sie überwinden muß, dieser Part ist nur extrem schlecht umgesetzt. Sie ist nicht mächtiger als alle anderen Jedi es waren, ihre Entwicklung geht nur VIEL zu rasch vonstatten (und widerspricht dem Konzept der Machtnutzung als Ergebnis einer hochdisziplinierten, langjährigen Ausbildung, in der es mehr um die Kontrolle des eigenen Geistes geht als um intuitive Magieanwendung). Und sie ist nicht dieses selbstgefällige, besserwisserische Arschloch, das trotzdem von allen bedingungslos angehimmelt wird.


    Sie geht stark in Richtung Mary Sue, aber sie krankt mehr noch an vielen anderen Stellen, beginnend damit, daß sie jenseits der Kylo-Szenen einfach nur sterbenslangweilig und flach ist.

    Hm, ich würde da zumindest ein bisschen Distanz empfehlen. Mary Sue ist ein Begriff aus der Fanfic-Szene, nicht aus akademischen Kreisen und wird sehr unterschiedlich verwendet. Ich bin dem Begriff schon viele Jahre lang ganz oft begegnet und dennoch ist mir deine (recht ausgefeilte) Definition bislang noch nicht untergekommen, also vermute ich, dass deine Definition zwar ganz gut, aber nicht sonderlich verbreitet ist.


    Und ich finde durchaus, dass, solange wir klarstellen, dass eine konkrete Figur quasi konfliktfrei durch die Welt läuft und ihre Erfolge erreicht, ohne sie zu erarbeiten (also in diesem Sinn "without earning it") dann ist doch ziemlich klar, wieso die Figur nicht besonders interessant ist und quasi nur Wunscherfüllung oder Statussymbol darstellt.


    "Die Figur verdient sich ihre Erfolge nicht" ist definitiv länger als "Mary Sue", aber viel eindeutiger. Und wer "Konflikt" im Sinn der Konfliktforschung oder der Tagesschau interpretiert und nicht im Sinne von Storytelling, der benutzt eben nicht einen Begriff, so wie er in akademischen Kreisen korrekt verwendet wird. Das wird die Akademiker⚧️ und Leute die von ihnen lernen wohl eher nicht dazu bewegen, ihr Vokabular zu ändern. :weissnicht:


    Und Rey ist seltsam (und nicht besonders gut) geschrieben. Der "Force Awakens" Film gibt ihr (und Kylo) immense Macht (viel wirkungsvoller als in vorherigen Filmen), aber sie ist als Charakter quasi Tabula Rasa. Sie will sich der Resistenz anschliessen, aber wir erfahren nicht warum. Also ist die Filmerfahrung, dass wir einer Figur folgen, die ein unklares Ziel hat und deren Meinung zu ihren sich entfaltenden Ultra-Kräften wir nicht gezeigt bekommen. Wir schauen also einer Figur dabei zu, unglaublich heftige "Magie" zu haben, aber wir verstehen so wenig über diese Figur, dass wie sie die Macht einsetzen wird und was das für sie bedeuten würde nichts ist, was der Film hergibt. Mit anderen Worten, sie hat ultrakrasse Fähigkeiten und quasi kein Innenleben -- naja, sie hat ein Innenleben (sie hat sogar eine sich entwickelnde "Tochter"-"Vater" Beziehung mit Han Solo) aber dieses Innenleben ist total abgekapselt von ihren eigenen Zielen und Fertigkeiten.

    Der Grund, weshalb ich gerade diesen Mangel an (passender) Charaktermotivation und fehlendem Konflikt mit ihrer Force (in einem Film namens "The Force Awakens") für das eigentliche Problem ihrer Charakterisierung halte ist, dass sich diese akademischen Konzepte meistens am ehesten bewähren, wenn die Leute eine Geschichte verbessern wollen. Ob Rey's Entwicklung rasch vonstatten geht ist eigentlich nebensächlich, weil sich Leute in ihre Psyche hineinversetzen (wir fragen uns unbewusst, was Charaktere wollen um zu verstehen, wohin sie den Plot treiben werden) und die Entwicklungsdauer der Machtfähigkeit eher ein Lore-Problem für gut informierte Star Wars Nerds darstellt, kein generelles Problem auch neuer Leute im Publikum, die keine Ahnung haben, wie lange Jedi in der Macht trainiert werden.:)


    Eine Definition der Mary Sue als das "selbstgefällige, besserwisserische Arschloch, das trotzdem von allen bedingungslos angehimmelt wird" ist definitiv nicht von schlechten Eltern, aber ich glaube nicht, dass die Autoren⚧️ von "Mary Sues" denken "oh ja, ist bastele mir jetzt ein selbstgefälliges, besserwisserisches Arschloch". Wenn wir Mary Sues so definieren, reden wir an den Leuten vorbei, die solche Charaktere schreiben. Und die wollen eben kein besserwisserisches Arschloch schreiben, sondern in deren Welten existieren Eigen-Ideale, Selbstverherrlichungsfantasien und diese Figuren werden bedingungslos angehimmelt weil das IRL nicht so oft passiert und sie sind "besserwisserisch" weil sie in der weltinternen Logik Recht haben und die Lösung bzw. der Erlöser⚧️sind und diese Logik existiert auch im Abenteuerroman, wird aber hier komplett auf die absolute Spitze getrieben. Im Abenteuerroman legen die Leute meist wert darauf, dass ihre Charaktere ordentlich leiden. In bestimmten Fanfictions legen die Autoren⚧️ eher wert darauf, dass die Charaktere recht haben und auch gewinnen. Die wollten gar kein Arschloch schreiben, es kommt nur beim Leser⚧️ so rüber! Wie gesagt, ich halte es da sinnvoller, zu beschreiben, was guter Konflikt in einer Story bewirken kann (was guter Konflikt eigentlich ist) und das Charakterentwicklung nicht ernstgenommen wird, wenn es keine prägenden Lebensereignisse (z.B. einen Leidensweg) gibt. Weil "dein Charakter ist ein Arschloch" wird wahrscheinlich nicht gut ankommen, wenn mein Charakter eine Version von mir selbst ist. Da geht die Kritik zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus. Oder die Kritik bringt den Autor⚧️ in die Selbstkrise, wo wir doch eigentlich die Geschichte anders geschrieben sehen wollten und gar keine Kritik an der Person des Autors⚧️ geleistet haben.


    Sie geht stark in Richtung Mary Sue, aber sie krankt mehr noch an vielen anderen Stellen, beginnend damit, daß sie jenseits der Kylo-Szenen einfach nur sterbenslangweilig und flach ist.

    Sie ist eine Figur, die in einem Film eine Beziehungs-Arc mit Han Solo hat und in einem anderen Film eine Beziehungs-Arc mit Kylo Ren. Eine Charakter-Arc für sich selbst hat sie gar nicht und es gibt auch keine Publikums-Arc, wo wir ihren Charakter auf einmal in einem ganz anderen Licht sehen (nein, dass sie sich als Macht-Nutzerin und als Kind plotrelevanter Eltern herausstellt, das sind einfach nur im Laufe der Filme dahingestellte Tatsachen, dass ist keine Entwickung, die einen Bogen spannt (also eine Arc spannt)).

  • Meiner Meinung nach hat das Konzept der Mary Sue vor allem im Fanfiction-Bereich seine Berechtigung und davon abgeleitet dann auch überall dort, wo der Mode nachgegangen wird, ältere Werke ohne Beteiligung weiterzuspinnen. Bei Fanfictions wird damit nämlich eine Figur bezeichnet, die sowohl durch ihre Fähigkeiten als auch durch ihre sozialen Interaktionen die etablierten Regeln des Settings sprengt. Das führt dann dazu, dass so keine gute Geschichte mehr erzählt werden kann, weil die Mary Sue keine Herausforderungen hat und gleichzeitig die Leistungen und Fähigkeiten der etablierten Figuren entwertet werden.

    Das alles ergibt innerhalb eines Originalsettings aber keinen Sinn, denn das ist ja zumindest in manchen Untergenres von vorenherein so aufgebaut, dass die Hauptfigur etwas Besonderes ist und auch im Vergleich zu anderen über besondere Fähigkeiten verfügt. Natürlich darf das wieder nicht so ausgeprägt sein, dass sie sich keinen Herausforderungen mehr stellen muss, aber das ist dann halbwegs geübten Schaffenden im Normalfall auch klar.

    In der Realität wird der Begriff hier aber leider ziemlich gerne benutzt, um mächtige weibliche Figuren zu diskreditieren, meist aus Gründen, die bei männlichen Figuren niemanden stören würden. Wenn James Bond immer neue coole Gerätschaften und Fähigkeiten aus dem Hut zaubert, um den Tag zu retten, macht das den Reiz aus, wenn eine weibliche Figur etwas Ähnliches tut, ist es unrealistisch...


    Und noch zum Thema: Wie viel sagen Welten über ihre Erschaffer aus? Ich stimme euch vollkommen zu, dass es falsch ist, Autoren mit ihren Figuren gleichzusetzen, denn es ist ja gerade Reiz des Schreibens, sich in Leute hineinzuversetzen, die ganz anders sind als man selbst. Wenn man sich die Welt an sich anschaut, denke ich aber schon, dass diese etwas über ihren Bastler aussagt, auch wenn das nur darin bestehen kann, dass man sich an das anpasst, was innerhalb eines bestimmten Genres als "normal" gilt. Hier gehe ich aber schon davon aus, dass der eine oder andere die "historische Korrektheit" als Vorwand nimmt, um die seiner Meinung nach normalen Vorstellungen von Geschlechterollen umsetzen zu können, ohne dafür groß kritisiert zu werden und bei anderen Themen vermutich auch, dass die Welten und das, was darin als Gut und Böse betrachtet wird, von den Meinungen der Bastler beeinflusst sind.

    Ich bin hier grundsätzlich gegen Zensur, finde aber auch, dass man das Recht hat, Werke zu kritisieren, in denen solche Strukturen deutlich werden. Kritik bedeutet für mich aber Argumente, in denen erklärt wird, warum man etwas nicht so gelungen oder problematisch findet und nicht Beleidigungen und Drohungen gegen die Person und auch nicht Versuche, der Person beruflich zu schaden. Dass sich letzteres durch Social Media so stark verbreitet hat, halte ich für eines der großen Probleme unserer Zeit. Auch wenn das häufig bestritten wird, sehe ich darin auch tatsächlich eine relevante Einschränkung der Meinungsfreiheit, obwohl es nicht direkt vom Staat ausgeht und in den klassischen Definitionen nicht enthalten ist, weil dieses Thema noch gar nicht relevant, war als diese entstanden sind.
    Zum Schluss wollte ich noch anmerken, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, dass es möglich wäre, eine "AfD-Propaganda-Welt" zu basteln, ohne dass das direkt auffallen würde, wenn man die Punkte innerhalb eines fantastischen Settings entsprechend verfremdet und die in diesem Umfeld gängige Interpretation der Realität als gegeben zugrundelegt. Trotzdem könnte diese Art Welt subtil ihre Wirkung entfalten.

  • Ich finde ja immer, eine klassische Mary Sue in der Literatur ist Old Shatterhand. :lol:


    Kann alles, weiß alles, sieht gut aus, alle mögen ihn, außer die Bösewichte, die ihn verabscheuen - und ist das idealisierte Wunschbild, das der Autor von sich selbst hat und mit allen Vorzügen ausstattet.

  • Nein, meine Welten sagen nichts über mich aus, und jeder der mir einen Strick daraus drehen will, daß darin nicht alle Hand in Hand über Blumenwiesen tanzen und dabei Regenbogenwölkchen ausfurzen, der kann mich gepflegt am Allerwertesten küssen. Und wer glaubt, mich "kritisieren" zu müssen, weil Figuren in meinen Geschichten nicht erleuchtet zur Welt gekommen sind, sondern Schwächen und falsche Wertvorstellungen aufweisen, kann sich seine Überheblichkeit sonst wohin stecken.


    Was soll der Mist, man muß nicht mit Gewalt jeden Funken Kreativität schon im Keim ersticken, nur um der Welt zu demonstrieren, wie viel moderner man doch ist als dieser popelige Bastler/Autor/sonstiger Künstler mit seiner verderbten AfD-Propaganda Welt.


    Alter Schwede, ich hab meinen Titel als "Linke Bazille" mein Leben lang mit Stolz getragen, aber langsam hab ich echt die Schnauze voll. Statt gegen wirklich gefährliche Ideologien und Texte vorzugehen, unterstellt ihr lieber harmlosen (Hobby-)Künstlern, sie würden Othering betreiben und Sexismus normalisieren. Herrschaftszeiten, ich kämpf seit Wochen in nem Schriftstellerforum gegen die Manosphere-Horde und versuch aufzuzeigen, warum mancher Tropus Sexismus im RL fördern kann und deshalb nur mit Bedacht benutzt werden sollte - aber hier reicht das mal wieder nicht, hier muß man wieder heiliger als heilig sein und darf sich nicht einen Schritt aus der vorgefertigten Zone herausbewegen.


    Ja, mag schon sein, daß jeder das "Recht" hat, andere zu "kritisieren" und jeden Text fünfmal durchzukauen, bis man endlich etwas gefunden hat, das man als Anzeichen für eine sexistische/rassistische/ableistische/queerfeindliche Haltung des Schreibers anprangern kann. Man kann's aber auch sein lassen und einfach mal drauf vertrauen, daß ein Künstler kein Neonazi mit faschistischer Agenda ist, nur weil einem ein Werk nicht eine 100% perfekte Welt ohne diese Probleme vorgaukelt.

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich durch meinen Beitrag so persönlich angesprochen fühlst, PBard. Ich hatte dabei überhaupt keine Welten aus dem Forum vor Augen, sondern publizierte und habe mich auch in keinster Weise auf dich bezogen. Ich kenne deine Welt bis jetzt auch gar nicht, habe also keine Ahnung, ob die in die Kategorie fällt, die ich meine.

    Quote

    warum mancher Tropus Sexismus im RL fördern kann und deshalb nur mit Bedacht benutzt werden sollte - aber hier reicht das mal wieder nicht, hier muß man wieder heiliger als heilig sein und darf sich nicht einen Schritt aus der vorgefertigten Zone herausbewegen.

    Der erste Punkt gehört genau zu dem, was ich mit dem Kritisieren meine. Wie du dann von meinem Beitrag auf den zweiten Teil kommst, ist mir ein Rätsel. Du legst mir hier eine Position in den Mund, die ich in keinster Weise vertrete.

    Ich vertrete aber tatsächlich die Meinung, dass sich die bewussten und unbewussten Überzeugungen in den Welten widerspiegeln und halte das auch für unvermeidbar. Wenn sich dabei aber Muster auftauchen, die man immer wieder findet, halte ich es auch für interessant und sinnvoll darüber zu diskutieren. Ein Beispiel dafür ist eben, dass immer wieder postuliert wird, es sei unmöglich, Welten mit interessanten Konflikten zu erfinden, in denen Frauen nicht als Gebrauchsgegenstände betrachtet werden.


    Ich wehre mich aber vehement gegen die Unterstellung, dass ich anderen vorschreiben will, nur perfekte Welten ohne Konflikte zu beschreiben, die irgendwelchen engen Regeln folgen. Das trifft auf meine eigene auch in keinster Weise zu und ist auch nicht mein Ziel. Wie ich oben geschrieben habe, lehne ich Zensur entschieden ab. Trotzdem nehme ich mir das Recht heraus, es auch anzusprechen, wenn ich Punkte problematisch finde. Ob der Rezipient dann diese Punkte hinterfragt, schlüssig erklärt, warum sie so sind oder einfach sagt, dass er das in seiner Welt so haben möchte, ist dann seine Entscheidung.

    Zumindest hier im Forum gibt es aber auch noch die Option, genauer zu spezifizieren, welche Form von Feedback man möchte oder eben nicht.

  • Das ist eine sensible Problematik, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Ich glaube beispielsweise nicht, dass Figuren wie Tuvok oder Arondir die Lösung sind bei "racial bias" in (älteren) Fantasy- und Science-Fiction-Welten. Ich meine, wie sinnvoll ist es in der weltinternen Logik von Star Trek und Tolkiens Legendarium, dass es bei Vulkaniern bzw. Elben die gleichen "Rassen"-Unterschiede geben soll wie bei realweltlichen Menschen?

    Bin mir nicht sicher, wieso die weltinterne Logik nichts gegen Mr. Spock hat aber doch etwas gegen Tuvok. Was ist denn an der weltinternen Logik von Star Trek, dass es sinnvoll macht, dass es bei Vulkaniern Leonard Nimoy gibt?

    Das gleiche gilt in Mittelerde: widerspricht die weltinterne Logik von Mittelerde der Existenz von Arondir? Widerspricht die weltinterne Logik von Mittelerde nicht der Existenz von finnischen und walisischen Einflüssen in Sindarin und Quenya? (Wenn Mittelerde laut Tolkien die Vergangenheit der Welt ist und das Dritte Zeitalter vor der Existenz von Finnisch und Walisisch stattfindet, wie können diese Sprachen dann die Elben beeinflussen, ohne das Mittelerde auf einmal walisische Zeitreisen einführt? Was machen arabische und jüdische Einflüsse in der Zwergensprache mit Worten wie "Khazad-dum"?


    Du hast schon Recht. Man kann natürlich die Existenz derart menschenähnlicher Außerirdischer, die sich sogar mit Menschen kreuzen können, hinterfragen - das ist nun wirklich extrem unwahrscheinlich, aber die Macher von Star Trek haben dann auch eine Erklärung dafür geliefert: eine Spezies von "Ur-Humanoiden" (ich weiß jetzt nicht mehr, wie sie heißen), die vor etlichen Millionen Jahren eine Art "genetische Saat" gelegt haben, die die verschiedenen planetaren Biosphären dazu brachte, Humanoide hervorzubringen. Und warum sollte bei Vulkaniern die Pigmentierung nicht in ähnlicher Weise wie bei Menschen von der Sonneneinstrahlung und damit von der geographischen Breite abhängen? Insofern ist es kein großer Sprung von Spock zu Tuvok.


    Ähnliches gilt auch für Tolkiens Elben. Wir wissen so wenig über die Avari, dass da fast alles möglich ist. Es ist sowieso schon die Frage, ob solche Wesen realistisch sind - meiner Meinung nach eher nicht. Du erwähnst die Einflüsse realweltlicher Sprachen auf die Elben- und Zwergensprachen, die laut Tolkien viele Jahrtausende früher gesprochen wurden, das ist ähnlich fragwürdig wie die humanoiden Aliens in Star Trek.

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