Dann greife ich auch mal eine von Logans Bastelfragen auf - welche Musikgenres gibt es in Ngia... halt, nicht so schnell. Bevor wir von Genres sprechen können, müssen wir ganz weit zurückgehen.^^
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Vorbedingungen:
Orks: Erinnerung und kulturelles Gedächtnis funktioniert bei Orks anders als bei den anderen Sapienten. D.h. musikalische Gestalten (ich gehe mal von "Melodie" noch weg) können kulturübergreifend als Atome aufgefasst werden, ähnlich wie die Schriftzeichen (die erst spät tatsächlich Schrift werden, und schon lange vorher als Sprach-Atome existieren). Verschriftlichung der Musik passiert dementsprechend spät; wenn sie aber passiert, wird die Atomhaftigkeit der Gestalten noch präsenter. Melodien (jetzt wirklich) können um ein Vielfaches kürzer notiert werden; wenige Zeichen zusammen reichen schon. Die Möglichkeit, Atome direkt als Schriftzeichen vor sich zu haben, führt schnell dazu, sie neu zu kombinieren.
Ein und das selbe Schriftzeichen klingt je nach Kultur anders, dazu kommt, dass in vielen Kulturen Personen unterschiedlicher Stimmlage und unterschiedlichen Geschlechts das selbe Zeichen unterschiedlich singen. Aus der Notwendigkeit, Unterschiede zu kommunizieren, entstehen Hilfssymbole, die schließlich auch ein Wegkommen von dieser "Musikglyphenschrift" führen - allerdings ist hier das Schlüsselwort "Notwendigkeit", denn es ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen sich irgendjemand darum kümmert, diese Variationen überhaupt festzuhalten. Vielleicht sind es wandernde Musiker*innen, aus unterschiedlichen Regionen, die miteinander musizieren wollen, die als erste das Bedürfnis haben, sich darüber zu verständigen.
Nicht-Orks lernen die jeweilige kulturelle Interpretation der Zeichen lange Zeit schlicht auswendig, ehe andere Notationsformen aus dem Rest der Welt einfließen.
Sind Musik-Atome grundsätzlich an Stimme gekoppelt? Nicht zwangsläufig, in der Praxis ist ein Stimmapparat aber in der Lage, jedes Zeichen irgendwie wiederzugeben, sei es Perkussion oder gehaltener Ton.
Lied - Kombination von Sprache und musikalischer Gestalt gibt es natürlich schon sehr früh; kommen sich sprachliche und musikalische Gestalt-Atome aber nicht in die Quere? Eher haben sie sich zusammen entwickelt und trennen sich erst allmählich voneinander, je expliziter eine Kultur sie macht - spätestens bei der Verschriftlichung wird klar, dass bestimmte Muster zusammengehören - aber gerade das erlaubt es, sie zu trennen und umzukombinieren. Wenn ein bestimmtes Konzept/Wort immer auf eine gewisse Weise gesungen wurde, ist eine Abkehr davon ziemlich schockierend und kann dementsprechend für einen dramatischen Effekt genutzt werden.
Abschließend - in dieser frühen Phase ist die Musik ausschließlich einstimmig, maximal noch durch einen Bordun-Ton begleitet, oder als "chaotische Mehrstimmigkeit", wenn zwei Aktor*innen eines Schauspiels sich ins Wort fallen - das ist aber dann eben ein Chaos-Moment.
Menschen: das Äquivalent zu den orkischen Gestalt-Atomen bei den Menschen sind die Götter; in frühen Kulturen wird eine bestimmte Art zu singen, oder eine bestimmte Skala, oft zu einer Gottheit zugeordnet, und ebenso wie andere Zuordnungen sind diese weltweit zumindest ähnlich.
Der stärkste Faktor auf die menschliche Musikentwicklung ist aber natürlich die Metallmagie; mit den Anbruch deren Erforschung und dem Bekanntwerden der magischen Eigenschaften bestimmter Intervalle entwickelt sich ebenso eine Musiktheorie oder eher Musikkosmologie, vergleichbar mit den Pythagoräern der griechischen Antike, nur viel weitreichender, weil die Technologie von militärischem Interesse ist; statt aus kultischen Gründen Erkenntnisse geheimzuhalten, kann es auch militärisches Interesse sein!
Nichtsdestotrotz ist Magie nicht alles; und die Musiktheorie macht sich bald auch wieder unabhängig von der Metalltheorie. Theorien von Konsonanz entwickeln sich - je niedriger die Primfaktoren, desto konsonanter, wie bei uns auch - das Vorhandensein von recht komplexen Verhältnissen in der Magie heißt aber, dass im Unterschied zur europäischen Entwicklung die hohen Primzahlen nicht einfach weggeschmissen werden können. Daher wird versucht, Skalen zu entwickeln, die auch solche komplexeren Intervalle beinhalten.
Der größte Einfluss hingegen ist jedoch, dass Harmonie überhaupt ein Thema ist in der Musik - die Entwicklung geht weg von der Einstimmigkeit, hin zu gehaltenen Akkorden, die z.B. direkt einer metallmagischen Anwendung und einer religiös-kultischen Bedeutung entsprechen. Wie sich das im Einzelnen weiterentwickelt, ist nun wieder stark kulturabhängig.
Mislirni: Die Entwicklung ist viel freier als bei den Menschen und Orks, deren Musik sich bereits prähistorisch an metaphyische Konzepte bindet. Es wäre nun bastelsymmetrisch schön, den Mislirni das zuzuweisen, was bei den anderen erstmal abgeht, allerdings auch ein bisschen arg simplistisch. Ein wenig kann so eine Abgrenzung dadurch entstehen, dass Mislirni-Kulturen immer in Kontakt mit ihren Nicht-Mislirni-Nachbarn stehen; teilweise werden also Konzepte von dort übernommen, teilweise aber eben bewusst etwas anderes gemacht.
So würden etwa die komplexen Formanten eines Glockentons die Musiktheoretiker*innen bei den Menschen vollkommen überfordern; diese streben ja eher nach klaren Tönen - somit können Mislirni sich im Bereich des Timbres ein wenig mehr austoben.
Einen Zusammenhang mit Magie gibt es auch, allerdings nur schwach; beim Weben gewisser Zauber wird gesungen, und da gibt es Regeln darüber, was gesungen werden darf. Allerdings basieren diese auf Tradition und es lässt sich aus heutiger Sicht kein Zusammenhang mit magischer Wirkung feststellen, auch wenn Esoteriker*innen das gerne so hätten. Vielmehr dienen Lieder hier als Mnemotechnik, um die komplexen Muster leichter merken zu können. Und das gilt natürlich nicht nur für Magie, sondern für alle möglichen Kulturtechniken.
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Rhythmus, Militär und Tanz:
Militärmusik in einem 2er-Takt - der Anzahl der Beine entsprechend - gibt es auch in Ngiana; verstanden wird dieses kulturelle Symbol überall dort, wo es zentral organisierte Heere gab. Datelianische Heere verwendeten überdies - es ist historisch nicht so ganz geklärt, warum - einen Militärischen 3er-Takt, um die Schüsse ihrer Metallmagier*innen zu koordinieren. Tanzmusik in Durgiana wurde sehr lange als Gegenstück dazu verstanden und vermied daher den 3er-Takt und den Marsch, es sei denn natürlich, es handelt sich um Tanzmusik des Militärs, etwa in Soldatenlagern.
Sowohl in Datelia als auch in orkischen Kulturen ist die 6 im Zählsystem als eine Grundbasis etabliert, dementsprechend gilt ein 6er- oder 12er-Schema als logische Norm. Natürlich ist ein 6er-Takt notorisch doppeldeutig, da er sowohl als 2+2+2 als auch 3+3 aufgefasst werden kann. In Datelia sind das aber genau die mit Militär assoziierten Metren, daher entwickelt sich dort 5er- und 7er-Metrum als weiterer Standard, "Supernorm und Subnorm" sozusagen.
In Durgiana entwickelt sich dieses System über Jahrhunderte weiter und dominiert die Folklore über einen weiten Teil des Kontinents; in der Kunstmusik entwickelt sich aus der Vermeidung eines regelmäßigen 2er- oder 3er-Schemas allmählich eine Polymetrik, die mehrere Schemata aus der Folklore kombiniert.
Es gibt dadurch 2 Schienen, auf der die Entwicklung der Mehrstimmigkeit erfolgt; einerseits ein reines Ansingen eines einzigen statischen Klangs, der ein bestimmtes Frequenzverhältnis abbildet - assoziiert entweder magisch oder religiös - und auf der anderen Seite die Polymetrik, für die der Zusammenklang zunächst rein ein Betonungsproblem darstellt. Höhere Primzahlen -> dissonanter -> betonter als ein Organisationsprinzip; das umgekehrte, ein dynamisches Betonen von Konsonanzen, gibt es jedoch auch - klar, dass sich diese beiden Ansätze diametral unterscheiden; letzterer setzt sich in der Kunstmusik im Norden nicht durch.
Die frühe Mehrstimmigkeit entwickelt sich im Kontext der höfischen Musik als primär polymetrisch, und im Kontext der Tempelmusik als primär statisch-harmonisch; beide Formen beeinflussen sich natürlich stets gegenseitig. Die Komplexität der höfischen Musik wird zunächst einerseits dadurch motiviert, sich vom Pöbel abzugrenzen, andererseits als Abgrenzung vom Klerus. Tempelmusik als eine Musik von Gleichgestellten entwickelt eine statische Form der Polyphonie, in die bald polymetrische Ideen einfließen, auch wenn allzu rhythmische Musik in manchen Kulten als zu weltlich empfunden wird.
Nunja, um das nicht noch weiter auszubreiten - all diese Einflüsse fließen zusammen und es entsteht in Durgiana eine Form der Mehrstimmigkeit, die dem barocken Europa doch recht ähnlich ist, wenn sie sich auch in Details unterscheiden mag. Die Oper entwickelt sich, und damit eine Abkehr von der Polyphonie, Orchester entwickeln sich - und damit ist es Elben möglich, Symphonien zu schreiben.
Die einzelnen musikalischen Formen unterscheiden sich von den irdischen - es gibt sicherlich keine Sonatenhauptsatzform - aber es gibt klare Äquivalente dazu, das Prinzip "wir geben dem Publikum ein Schema, das sie erwarten sollen, und führen sie dann eine halbe Stunde an der Nase herum" gehört fix dazu.
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In Cisgiana ist die Kultur orkisch dominiert. Es gibt kein Bedürfnis, durch die Auswahl der Taktart symbolisch ein Thema vorzugeben ("das ist militärisch/das ist feierlich"), da die musikalischen Atome vielfach bereits diese Rolle übernehmen. Durch deren Vorhandensein ist es einfacher, narrativ zu komponieren, und das wiederum bedingt, dass es vielfach nicht notwendig ist, sich an strikte Schemata zu halten.
Metrische Schemata entwickeln sich dennoch, eben weil sich die Lied-Elemente daran stoßen, und die Reibung der beiden Elemente ist gerade das spannende - die zahlensymbolisch wichtige 6 steht zentral - sowie eben deren prime Nachbarn 5 und 7. Keineswegs erfolgt die Entwicklung der Musik im Süden unbeeinflusst von der des Nordens / der Menschen; die polymetrische Musik findet auch im Süden Anklang, allerdings nicht melodietragend.
Angesichts dessen, dass es buchstäblich weltweit kanonische Melodie-Bausteine gibt, ist es denke ich ganz passend, dass sich eine Cantus-Firmus-Technik entwickeln könnte - wohl auch im religiösen Kontext bzw. unter Gleichgestellten - d.h. eine feste, traditionell überlieferte Melodie wird durch andere, deutlich schnellere Stimmen umgarnt - und die sind dann sicherlich auch von der Polymetrik des Nordens beeinflusst, allerdings zunächst sicherlich eher von der traditionellen, zahlenmystisch begründeten.
Da es kein Interesse gibt, der religiös/magische Harmonielehre des Nordens zu folgen, ist Konsonanz/Dissonanz ein untergeordneter Parameter, für die musikalische Logik weniger wichtig als Tonhöhe, Wort(betonung) oder Lautstärke. Dissonanz wird zu Timbre.
Ein weiteres Element, das sich im Süden findet, im Norden aber kaum, ist Glissando - das liegt daran, dass sehr viele der Gestalt-Atome dieses bereits beinhalten. Es gibt sogar Melodien, bei denen es keinen einzigen ausgehaltenen Ton gibt, sondern nur Schlenker.
Das hat Auswirkungen darauf, was für Musikinstrumente gebraucht werden - her mit den Posaunen, bleibt uns fern mit den Hörnern! Aber die Instrumente muss ich mir eh separat ansehen.
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Musikinstrumente
Hier kann ich weniger ins Detail gehen. In meiner Vorstellung sieht ein Orchester in der Neuzeit in Durgiana ähnlich aus wie ein europäisches Orchester, weil ich mit der Ähnlichkeit spielen möchte. Andererseits stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen sich ein Orchesterapparat bzw. ein fest organisiertes großes Ensemble über entwickelt. Ich weiß nicht, ob die Aussage zutrifft, aber im Studium fiel mal der Satz, dass sich so ein Ensemble auf der Erde genau 2x unabhängig voneinander entwickelt hat, nämlich das europäische Orchester und das indonesische Gamelan. Ich vermute, dass der entscheidende Faktor hier die Anzahl der Leute ist, die fix als Spezialist*innen für ihr Instrument angestellt werden konnten, und natürlich die Idee, dass Masse überhaupt was taugt, im Gegensatz zur individuellen Interpretation, dem musikalischen Ausdruck einer Einzelperson (damit bei Orchestermusik interpretiert werden kann, ist eine Dirigent*in notwendig...)
Naja. Was ich glaub ich nicht im einzelnen durchdenken will, ist, wo sich jedes einzelne Instrument entwickelt hat. Saiteninstrumente sind sehr datelianisch, da sich an Saiten wunderbar Frequenzverhältnisse sichtbar machen lassen; Streichinstrumente werden in einer Kultur, die auf Harmonie setzt, so gebaut, dass sie einen möglichst reinen Ton haben (wenig Timbre-Rauschen-Chaos).
Blechblasinstrumente haben die Naturtonreihe fest eingebaut, und sind daher recht ideal für die datelianische Musik. Ventilinstrumente sind auch sehr naheliegend, da es notwendig ist, zwischen Naturtonreihen zu wechseln, um komplexere Zahlenverhältnisse abzubilden.
Anstatt sich an einem 12er-Raster (bzw. Primzahlen 3 und 5) zu orientieren, dürfte es auch Ventile geben, die einen Ton um 8/7 oder 13/12 tiefer machen.
Rohrblattinstrumente ... ich kann mir vorstellen, dass die zunächst eher mit Mislirni oder Orks assoziiert werden. Das macht Datelia mal ausnahmsweise etwas ungriechischer.^^
Flöten und Trommeln gibt es überall. Gongs und Glocken sind bei den Menschen erstmal unüblich - dafür sehr beliebt bei den Mislirni, nehme ich an. (Das führt dazu, dass Tempel/Kirchen bei den Menschen wohl keine Glockentürme haben, huh... aber definitiv Orgeln...? Mundharmonikas dürften auch extrem praktisch für Tempelmusik sein)
Im Süden gibt es posaunenartige Instrumente, die komplexe (d.h. dissonante) Mixturen spielen ... ich weiß gerade nicht, wie das am besten funktioniert; entweder sind es mehrere Rohre parallel, oder es ist einfach weird geformt. Theoretisch lassen sich Instrumente sogar militärisch gegen Metallmagier*innen einsetzen, die einen eher musikalischen Zugang zur Magie haben (und sich daher Töne vorstellen) - QUÄÄÄK ah verdammt, jetzt hab ich meinen Ton verloren.^^
Irgendwem will ich Noise-Musik andrehen. Ich glaube, am besten passt mir das bei den Mislirni. Die entwickeln also bereits früh eine sehr geräuschhafte Musik, die aus Kratzen und Wispern besteht, auf halben Weg zwischen ASMR und Kompositionen von Helmut Lachenmann. Musik, die voll in Klang, Timbre und Geräusch reingeht. Mit Metall langsam über einen Gong kratzen. Große Waldteufel oder Intonarumori. Mislirni würden nie so einen breiten Begriff wie "Perkussion" verwenden, weil Geräusche eben keine Addition zu einem bestehenden Gebilde sind, sondern die Hauptsache.
Wasser-Instrumente gehören auch dazu - auch einfach nur Wasser, das von einem Behälter in einen anderen fließt, oder Brunnen. Das ganze bietet sich irgendwie auch an, Grundstock für eine Ensembletradition zu sein, also sage ich mal, dass höfische Musik von Silimsam ein fixes Ensemble aus definierten Wasserinstrumenten, Reibeinstrumenten und Wisperstimmen hat...
Diese Ideen sind aber nicht nur auf die Mislirni beschränkt, sondern es gibt sie auch bei den Orks im Süden. (Gut, ich hab noch nichtmal gebastelt, wo und wie Mislirni im Süden leben, das heißt, da tappe ich im Dunkeln, aber es gibt ja bestimmt gegenseitige Beeinflussung). Im Norden klauen die Menschen gelegentlich mal ein Instrument der Mislirni in ihr Orchester, aber als Special Effect, im Hintergrund.