[Spiegelstadt] Sammel- & Bastelthread

  • Hintergrundrauschen | Inhaltsverzeichnis

    Spiegelstadt
    Anno 1802, betrachte den Anfang:


    Sie schreibt. Und die Tage werden länger. Sie, weiß, dass der Weg gebrannt ist. Sie schreibt, um nicht gänzlich zu verschwinden. Um hier zu bleiben. Sie schreibt, um zu verstehen. Aber sie weiß, dass sie fortgehen muss. Sie sieht, wie das Buch sich füllt. Sie weiß, dass es bindet. Es bewahrt. Auf den Dächern tanzt der Regen. Und am Himmel hängen schwere, graue Wolken. Sie weiß, dass sie ersticken wird. Sie kennt die Dunkelheit schon. Sie weiß, dass sie weiterschreiben muss.

    Sie hält sich wach. Sie spürt den schwarzen Nachthimmel, der sich wie ein bleiernes Tuch über alles legen will. Sie weiß, was geschehen wird. Sie will gehen, aber sie hält sich fest. Sie ist noch hier. Sie sieht, dass die Zeiger der Uhr stillstehen. Sie ahnt, dass es fast zu spät sein mag. Der prasselnde Regen wird eindringlicher und vermengt sich zu einem unheilvollen Dröhnen, das ihr unter die Haut fährt. Bald ist es soweit. Sie kennt die Wahrheit.


    Sie bewahrt die Finsternis. Sie kann die Bürde kaum noch tragen. Sie fühlt sich am Abgrund. Sie geht keinen weiteren Schritt. Sie steht zu nah am Rand. Sie ist nicht waghalsig. Sie kann den Boden nicht erkennen, nur die Bodenlosigkeit. Sie fühlt sich am Abgrund, so nah. Sie bangt und fürchtet sich. Sie weiß nicht, wann sie fällt. Sie schreibt. Immer weiter. Zwischen ihren Zeilen erschafft sie eine Welt. Einen sicheren Ort, der sie bewahren wird. Ein Refugium. – Dann springt sie.

  • Über die Spiegelstadt


    Anima Hollow ist ein beschaulich bizarres Städtchen irgendwo zwischen den Zeilen der schönen, neuen Welt. Eine liebenswürdige Stadtgemeinde, in welcher der angebrochene Tag sich im Fundus spiegelt, die bleiche Mondscheibe sich abends über die Dächer erhebt und seltsame Botschaften durch die Luft vibrieren, während alle bei einer heißen Tasse Tee im Gasthaus Zur Goldenen Katze das frisch gedruckte Wochenblatt aufschlagen. Die Straßen dieser Stadt sind ein Spiegel, ihre Wege ein Irrgarten, ihre Grenzen eine Bordsteinkante.


    Die Geschichte der Spiegelstadt reicht weit zurück. Sie gleicht dem verwinkelten Bau eines sehr gewissenhaften Maulwurfs und lässt sich nur schwer in eine logische Reihenfolge bringen. Erwähnenswert ist, dass die Spiegelstadt nicht immer das ist, was sie vorgibt zu sein. Sie ist sogar viel mehr als das. Was wir wissen dürfen, erfahren wir bei der alten Nanda oder im örtlichen Gasthaus Zur Goldenen Katze. Ringförmig umgeben von ihren weitgehend unbewohnten Außenbezirken, mutet die Spiegelstadt an, wie viele andere Städte auch:


    Hin und wieder regnet es, die ein oder andere Baustelle versperrt einem morgens den Weg, die neuen Schlagzeilen elektrisieren die aufwendig angelegte Frisur und die Wandergasse hat mal wieder eine ungeplante Zeitreise verursacht und sämtliche Passanten verschwinden lassen.


  • Über das Kubrakel der Spiegelstädter


    Das Orakeln hat in der Spiegelstadt eine lange Tradition, wird jedoch selten in der Öffentlichkeit praktiziert, da es von einigen als Kinderei oder Aberglaube verspottet wird. Seltsam daran ist, dass sich bei nahezu jedem Spiegelstädter mindestens ein, wenn nicht mehrere, Spielwürfel finden. Die Annahme, es handele sich um reines Spielzeug, täuscht. Das erkennt man schon daran, dass es sich bei einigen Würfeln um sehr wertige und liebevoll hergestellte Unikate handelt. Für das Kubrakel werden vorrangig Würfel mit sechs Seiten verwendet. Es sind jedoch auch andere Würfeltypen möglich. Die Orakelsysteme unterscheiden sich ebenfalls in ihrer Komplexität. Dabei kann lediglich ein einzelner Würfel verwendet werden oder es werden mehrere Würfel miteinander kombiniert.


    Das traditionelle Kubrakel kommt mit einem einzigen Spielwürfel aus. Es existieren sechs mögliche Antworten auf die gestellte Frage. Zu einer gefallenen Antwort kann erneut eine Frage gestellt werden, sodass die Komplexität der Antwort vertieft wird. Das Orakel wird oft in Entscheidungsfragen und Dilemmata verwendet, findet aber auch in scheinbaren Belanglosigkeiten Gebrauch. In alten Grimoires finden sich neben der Orakelpraxis auch magische Praktiken und Rituale, wobei die Wurfmagie, als Form der Volksmagie, beim Eintreten erwünschter Ereignisse unterstützend wirken soll.



    Aus dem Grimoire eines Spiegelstädters:


  • Nanda über den Sammler


    Die alte Nanda erzählte mir bei einer hervorragenden Tasse Tee allerlei Kurioses über den Sammler. Ein verbotenes Märchen ranke sich um jenes Geschöpf und auch einige, schreckliche Kinderreime. Er, der Sammler, sei gefährlich und nicht bloß ein Kinderschreck. Nicht umsonst sei das Märchen verboten. Er sei eine bedauernswerte Kreatur, schemenhaft und ein unruhiger Geist, der bei Nacht und Nebel als einsamer Kaufmann durch die Gassen und Straßen der Spiegelstadt zieht. Er hätte allerlei anzubieten: Kurioses, Obskures, Duftendes und Wohlschmeckendes. Doch wehe, man lässt sich auf einen Handel mit ihm ein.


    Es heißt: Wer mit dem Sammler handelt, verkaufe sich am Ende selbst. Er sei auf der Suche nach einer Ruhestätte, nach einem Ort, der ihn ganz in sich aufnehmen will. Er bewahre die Seelen derjenigen in seinem Bauchladen auf, die mit ihm Geschäfte machen. Er sei nicht menschlich, sondern etwas gänzlich anderes. Ein Dämon vielleicht oder eine Hexe, die Menschen frisst. Er sei so unscheinbar in seinem Auftreten und in seiner friedvollen Erscheinung. Man begutachte jedoch seinen hinkenden Tritt und sein schief gewachsenes, linkes Bein, das annehmen lässt, es sei ein verdeckter Pferdefuß.


    Die alte Nanda schauderte beim Erzählen und ich tat es ebenso. Der Sammler sei stets unter uns, bemüht darum, nicht besonders aufzufallen. Er lege Spuren aus Süßem und Salzigem, denen die Kinder eilig und willig folgen. Er locke sie. Ganz und gar verheißungsvoll und ein verschlagener Kaufmann sei er. Manchmal verschwinden Kinder und sie kehren nicht wieder zurück. Des Nachts verkrieche er sich in den Schatten der Gassen und Häuserwinkel. Im bleichen Schein des Mondes wandele er von Haus zu Haus, stets auf der Suche. Des Tages mische er sich unter die Leute, unscheinbar und mit wechselnder Gestalt. Manche reden, er sei der Teufel selbst. Ein Flaschengeist, ein Relikt oder ein magisches Artefakt.


    Er sei vielleicht das Ergebnis einer reinen Absicht, die im Schein des Mondes verwildert ist.
    Er sei der Sammler der Seelen, die keine Heimat finden.

  • Aus einem verbotenen Buch


    Es heißt, hinter dem Spiegel - was auch immer das bedeutet - lebe dasjenige Geschöpf, aus dessen Feder die Spiegelstadt einst geflossen ist. Wir nennen sie die Architektin. Sie sei uralt, jedoch nicht sterblich. Sie existiere nur jenseits der Spiegelstadt. Manche sagen, sie schreibt noch immer. Nur sie kenne alle verborgenen Winkel unserer schillernden Stadt und wisse um ihre dunklen Geheimnisse. Was aus ihrer Feder fließt, werde wahrhaftig. Jene Tinte ist es, die sich mit dem Papier vereint und in dessen Furchen und Rillen eindringt und das Bild der Spiegelstadt lebendig werden lässt. Sie sei weder gut noch böse.


    Sie sei die Schreiberin des Schicksals selbst.

  • Die Fünfraumstube der alten Nanda


    Von außen wirkte die Unterkunft klein, schmal, gedrängt zwischen den angrenzenden Häusern, deren Überhänge bedrohlich die gepflasterte Gasse verdunkelten. Die Unterkunft hatte fünf Etagen, womöglich weil sie insgesamt eher turmartig als weitflächig anmutete. Seltsamerweise wirkte die Stube von innen wesentlich geräumiger und größer als von außen je anzunehmen war. Nanda sagt, es sei bloß eine optische Täuschung. Die Enge der spiegelstädter Gassen lasse jede Architektur gestaucht und geschmälert wirken. Die eigentliche Größe verzerre sich angesichts der schattigen Nischen und Dachüberhänge.


    Die Stube wirkte urig, heimelig mit ihren dunklen Wandvertäfelungen und schweren Fenstervorhängen. Die Holzdielen waren mit aufwendig geknüpften Teppichen bedeckt, die wie gewobene Straßen durch die Unterkunft wanderten und sich über die Treppenstufen bis in alle fünf Etagen hinausstreckten. Die große Dachgaube im fünften Stock glich einem ausladenden Wintergarten, der einen Blick über die bergabwärts siedelnde Kannengasse bot. Die mit Patina und Moss bedeckten Pfannen der bizarren Dächerlandschaft verrieten, dass die Kannengasse einen der ältesten Bezirke der Spiegelstadt darstellte. Die alte Nanda lebte hier schon seit geraumer Zeit und schätzte die wärmende Stille im Gaubenzimmer ihrer Stube.


    Die Wände waren mit deckenhohen Regalen und Schubladenschränken bekleidet, in welchen sich allerlei verbotene Bücher und Artefakte befanden. Nanda kannte die Geschichte zu jedem einzelnen dieser merkwürdigen Gegenstände. Sie hatte ein Talent dafür, die Dinge lebendig werden zu lassen, wenn sie über sie sprach. Manchmal entstand der Eindruck, dass es sich nicht bloß um ein Gefühl handelte. Nanda war bekannt für ihre geheimnisvolle und manchmal schrullige Art und Weise. Manche sagen, sie sei eine Hexe. Andere meinen, sie sei das Kind der Architektin selbst und die Bewahrerin der spiegelstädter Memoiren.


    Für mich war sie einfach Nanda.

  • Über den Fundus


    Der Fundus fließt seit geraumer Zeit durch die Spiegelstadt. Er sei kein gewöhnlicher Fluss. Er sei etwas gänzlich anderes. Des Nachts spiegelt er die bleiche Mondsichel auf seiner finsteren Oberfläche. Er hätte zahlreiche Ausläufer, die sich unterhalb der Spiegelstadt befänden. Dort unten schürfe der Fundus nach Mineralien, Erzen und allerlei nahrhaften Gesteinen. Seine Ausläufer hätten über die Jahrhunderte ein komplexes Netz aus Röhren und Durchgängen geschaffen, das einem Labyrinth gleiche: Die Unterstadt.


    Die beißenden Ausdünstungen des Fundus unter Tage seien kaum zu ertragen. Dort in der Unterstadt sei er geradezu bissig, sagt man. Einige behaupten, der Fundus sei eine dämonische Kreatur ohne Körper und Form. Für die meisten war er einfach nur ein Fluss, der sich an sonnigen Tagen heiter durch die Spiegelstadt schlängelte und bei Zeiten auch kleine Gondeln und Boote auf seiner Oberfläche transportierte.

  • Über die Faulenden Felder


    Über die abgetretenen Feldwege, immer entlang der faulenden Felder, gelangt man in den letzten Außenbezirk der Spiegelstadt. Hier angrenzend liegt ein verdorbener Ort: Die Hinterstadt. Sie sei nur noch eine Ansammlung verlassener und leerstehender Gebäude, trauriger Architektur und verwilderter Straßen. Sie sei eine Ruine. Ein Schatten, geworfen von der Spiegelstadt selbst.


    Und dieser Schatten, nun, er hätte ein Eigenleben entfaltet. Auf den faulenden Feldern sei etwas gesät worden, das vor sehr langer Zeit verdarb. Und diese fauligen Dämpfe, sie seien wie untote Gespenster, die jenseits der Feldwege ihr Unwesen treiben. Diese verdorbene Präsenz, sie sei hungrig. Sie sei niemals wirklich satt.

  • Über die Wandergasse


    Die alte Nanda wusste eine ganze Menge über die berühmt berüchtigte Wandergasseund das angrenzende Wandereck. Die Wandergasse sei das Ergebnis eines irrsinnigen Kartographen, dessen Orientierung in hohem Alter merklich nachgelassen habe. Er fertigte mehrere Karten der Wandergasse an und veränderte dabei jedes Mal einige Details, ohne es selbst zu bemerken.


    Die Folgen seines Werks seien nicht ungefährlich. Die Wandergasse ändere immer wieder ihre örtliche Lage, mal sei sie hier zu finden, mal dort. So kann es passieren, dass man sich plötzlich in der Wandergasse wiederfindet und daraufhin am anderen Ende der Spiegelstadt. Das Betreten der Wandergasse sei nicht gerade förderlich für die räumliche Orientierung und sollte unbedingt verhindert werden. Zudem nehme es merklichen Einfluss auf die Linearität der Zeit.


    Manchmal sei die Wandergasse für Tage oder gar Wochen nicht wieder aufgetaucht. Sie sei zwischenzeitlich abgewandert, aber bisher immer wieder zurückgekehrt. Sie bewege sich nach dem Prinzip eines launischen Umherstreifens, das niemand vorhersagen oder erklären kann. Sie sei eine Gegend, die man schleunigst wieder verlassen sollte, solange dies noch möglich ist. Bisweilen sei die Wandergasse zickig und lege ein gerissenes Verhalten an den Tag. Auch lasse sie Türen, Mauern, Zäune, Durchgänge und sogar Toiletten und Betten verschwinden, um die Bewohner zu verärgern. Sogar ganze Häuser seien schon verschwunden.

  • Einkaufen und Einkehren in der Spiegelstadt


    Der gewiefte Spiegelstädter erwirbt seine Besitztümer und Güter für den alltäglichen Gebrauch in der Spiegelstraße am Marktplatz. Hier reihen sich urige Lädchen an edle Geschäfte, die alles anbieten, vertreiben und herstellen, was das Herz begehrt. Die unverwechselbare Spiegelstraße sei die älteste Gegend in der Spiegelstadt und mache den Stadtkern zu einem besonderen Ort, an dem Einkaufen und Einkehren Hand in Hand gehen.


    Wenn es abends zu dämmern beginnt, lege sich ein besonders zauberhafter, warmer Schein über die Spiegelstraße. Es seien nicht nur die Glühwürmchen, sondern auch die schummrig schimmernden Lampions, die das Stadtleben abends in ein wundersames Meer aus Lichtern und Laternen verwandeln. Gerade bei Vollmond sei die abendliche Atmosphäre noch elektrisierender. Dann, wenn sich der sanfte Schein der bleichen Himmelsscheibe mit dem warmgelben Pulsieren der Spiegelstadt verbindet, entstehe ein wahrlich magisches Knistern, das die Luft bis zum Morgengrauen erfüllt.

  • Die Kicherbrücke über den Fundus


    Über die Kicherbrücke erzählt man sich einiges in der Spiegelstadt. Im nördlichen Bezirk der Spiegelstadt führt sie in einer kurzen, direkten Verbindung über den Fundus hinweg. Sie sei die Übergangspforte zu den faulenden Feldern und damit verhext. Die Kicherbrücke sei wie der Schleier zwischen zwei Welten, die der Fundus mit seinem Lauf voneinander abgrenze. Man will ein geheimnisvolles Kichern vernommen haben, wenn Leute das Gebälk der Brücke betreten haben. Die unheimlichen Töne seien nicht auf das alte, marode Holz zurückzuführen. Sie seien viel mehr das hämische Gelächter des Fundus selbst.


    Auffällig ist, dass die Vegetation im nahen Umkreis der Kicherbrücke abgestorben ist. Einige behaupten, die Brücke sei ein magisches Artefakt, das vor langer Zeit und zum Schutz erschaffen wurde. Manchmal, wenn die Dämmerung einsetzt und keine Sterne am wolkenverhangenen Himmelszelt zu sehen sind, will man die schauderhaften Töne der Kicherbrücke bis in die südlichen Bezirke der Spiegelstadt vernehmen. Der Wind trage sie dorthin, wenn er in klammen Herbst- und Winternächten scharf zu heulen beginnt.

  • Die Außenbezirke der Spiegelstadt


    Alte spiegelstädter Karten offenbaren allerlei Kurioses über die geheimnisvollen Außenbezirke der Stadt. Sie seien verfluchte Lande, verhext und verwildert. Nach Hinterstadt gelange man daher schon lange nicht mehr. Ein verbotenes Buch will im Detail über die Außenbezirke berichtet haben, wenngleich sein Verfasser* niemals aufgefunden wurde. Eine historische Kartographie der Spiegelstadt, aus dem Besitz der alten Nanda stammend, benennt und beschreibt die Außenbezirke wie folgt:



    Osten – Ruinen der Wächter: Domäne des Schwarms
    Wo sich ein Schwarm gefiederter Geschöpfe kreisend um die alten Türme auf den Schneiden des Windes bewegt. Er sei der Geist alter Wissender und Weiser, der zurückgekehrt ist, um zu bewahren, was die Ruinen verbergen.


    Süden – Steinige Heide: Domäne der Staubteufel
    Wo sich die Staubteufel über das verbackene Land bewegen und quälend durch die Schwelbrände der gleißenden Mittagssonne rauschen. Sie seien der Zorn der Alten, der Salamander, die einst das Feuer geboren haben.


    Westen – Delta des Fundus: Domäne des Kraken
    Wo sich der Fundus tausendfach verzweigt und sein schwarzes Blut in den fruchtbaren Boden speist. Er trage das Antlitz eines riesigen Kraken, des Alten, der einst aus dem Wasser stieg und zu Tinte zerfloss.


    Norden – Faulende Felder: Domäne der Ackermuhmen
    Wo eine faulige Präsenz gespenstisch über die Ebenen hinkt und die Seelen der Ackermuhmen nährt. Sie seien die ersten unter den Hexen gewesen, die einzig wahren, die den Vorhang geschlossen halten. Sie selbst wandeln in beiden Welten.



    * Er sei am Rande der Wandergasse untergekommen. Bekannt sei, dass er das seufzende Haus bewohnt habe. Er sei ein Phantom. Womöglich verschluckt und unwiederbringlich absorbiert von den Hauswänden, Ziegeln und klappernden Treppenstufen dieser vermaledeiten Gasse; verspeist von den tief führenden, unterkellerten Räumen des seufzenden Hauses, dessen steinernes Rückgrat sich immer weiter in die Tiefe windet.


    Betrachte die Aufschrift:

  • Über Menaden


    Sie seien längst in die Spiegelstadt zurückgekehrt. Sie seien im Grunde unsichtbar. Winzig klein. Aber nicht zu unterschätzen. Sie seien überall, im Grunde. Ihr wisst schon, so durchsetzend, wie irgendwie möglich. Niemand wisse, woher sie ursprünglich kommen. Sie seien wohl nicht von hier. Außerweltlich, gewissermaßen. Außerordentlich, außerhalb, außergewöhnlich außergalaktisch. Menaden seien vielleicht eine der ältesten Lebensformen. Jedoch nicht kohlenstoffbasiert. Im Grunde sei es so, dass wir alle von ihnen besetzt sind. Jedoch unbemerkt. Sie seien nicht unbedingt bösartig. Eher auf der Suche. Aber ohne Sinn und Verstand. Das leise Klackern, Puckern und Tockern, das vom Inneren der Schädeldecke herrührt, dies und kein anderes Geräusch sei das Werk der Menaden.

  • Ursa Major

    Changed the title of the thread from “[Spiegelstadt] Außenbezirke” to “[Spiegelstadt] Menaden”.
  • Lauschende Leitung


    Eine Reihe merkwürdiger Ereignisse trage sich mit zunehmender Häufigkeit in den spiegelstädter Telefonzellen zu, die sich in den Seitengassen der zentralen Spiegelstraße niedergelassen haben. Die Ereignisse seien erst vor wenigen Tagen eindeutig registriert worden. Es trage sich stets ähnlich zu: Dem Hörer entringe sich ein merkwürdiges Knistern, das auf eine aktive Leitung hinweise, obwohl keine Nummer gewählt wurde und niemand den Hörer zuvor auf ein Klingeln hin abgenommen hatte. Etwas auf der anderen Seite der Telefonleitung belausche wohl das rege Treiben in der Spiegelstraße. Oder schlimmeres. Wer oder was auch immer durch den Hörer lauscht, es sei sicherlich nichts Wohlwollendes. In den spiegelstädter Zeitungen und Radiodurchsagen habe sich der Ernst der Lage bereits Ausdruck verliehen. Es bestünde Handlungsbedarf. Es wird angeraten, sich von jeglichen Telefonzellen fernzuhalten. Nur für den Fall, dass...

  • Ursa Major

    Changed the title of the thread from “[Spiegelstadt] Menaden” to “[Spiegelstadt] Erdwerfer”.
  • Über die Erdwerfer


    Nur selten bekäme man sie zu Gesicht. Eigentlich nie. Oder niemals nie. Spiegelstädter Urgesteine kennen sie noch unter ihrer ursprünglichen Bezeichnung „Erdwerfer“. Sie seien Wesen der Tiefe und Bändiger der Erde. Sie seien nahezu blind und doch unglaublich sensibel für jegliches Ungleichgewicht, das ihren Lebensraum bedroht. Ihre unterirdischen Bauten gleichen verzweigten Labyrinthen, deren Wege und Irrwege nur immer tiefer führen. Ungleich tiefer. Erdwerfer seien mehr als unterirdische Wühler und Krabbler. Sie seien der Puls der Erde selbst. Ihr Wandern, ihr Wühlen, ihr Umwälzen lasse den Boden lebendig werden, auf dem unsere prächtige Stadt einst gebaut wurde. Ihr Erdauswurf, der riesige Hügel bilden kann, sei ein Hinweis, eine Botschaft. Sie trüge zutage, was lange verborgen lag.

  • Über die Rücker Farm


    Südlich der Spiegelstadt läge die alte Farm der Gebrüder Rücker. Dort, wo der Boden allmählich trockener wird und Staub in dürren Säulen aufwirbelt, lägen ihre Grenzzäune. Etwas trage sich dort zu. Wo sich diffuse Lichter durch das Kornfeld bewegen und die Mühle stetig weitermahlt, entringe sich ein tiefes Grollen dem Brunnenschacht, der einst Wasser führte. Dieser Schacht, der sich tiefer schraubt als angenommen, verberge etwas. Vielleicht ein schlafendes Gespenst, das den Gebrüdern Rücker entstieg. Vielleicht etwas anderes. Etwas vibriere auf diesem verlassenen Stück Land. Telegrafen funktionieren hier nicht. Etwas störe die ausgehenden Informationssignale. Aber es sei gänzlich unsichtbar, nicht greifbar, nicht wahrnehmbar.

  • Ursa Major

    Changed the title of the thread from “[Spiegelstadt] Erdwerfer” to “[Spiegelstadt] Schaufenster”.
  • Über die Vorstadt


    Eine jede Kreatur, die die Schwelle des hiesigen Stadttores überwinden will, um in den Genuss des spiegelstädter Lebens zu kommen, wird zuvor die beschauliche Vorstadt durchqueren. Die Vorstadt sei lediglich eine spießbürgerliche Ansammlung gleichartiger Gebäude und sich wiederholender Bauten unauffälliger Kleinfamilien. Die Vorstadt habe nichts Aufregendes an sich und gleiche bloß einer Auslagerung all dessen, was gewöhnlich ist. Und auch die Geschehnisse sind alles andere als außergewöhnlich: Die Post ist da und in der Gleichmüterstr. 42 ist schon wieder der Strom ausgefallen. Horcht auf, wenn ich euch sage, dass die Vorstadt an geistiger Konformität kaum zu übertreffen ist. Sie sei der Grund für den hellen Wahnsinn, der sich in die Gassen unserer prächtigen Stadt einschleiche.


    Und trotz aller Einförmigkeit ist etwas Seltsames in den Winkeln der Vorstadt zu beobachten: Jede Straße, jedes weiß lackierte Zäunchen, jedes idyllische Häuschen, jedes spiegelblank polierte Fensterchen, jedes verzierte Türchen – alles gleicht hier dem jeweils anderen in solch einem ausgeprägtem Maße, dass eine Unterscheidung so gut wie unmöglich zu bewerkstelligen ist. Hier ist alles gleichartig und selbstähnlich. So selbstähnlich, dass selbst die eigene Erscheinung in den Straßen der Vorstadt dazu neige, sich ungefragt zu duplizieren, wodurch es zu komplizierten zeitlichen Überlagerungen käme. Ja, ich bin beinahe dabei euch zu warnen. Sie sei merkwürdig, diese Vorstadt. In ihren unscheinbaren Vorstadthäusern wiederhole sich nicht nur die Einrichtung, der Kaffee am morgen und das Bier am Abend. In ihrer selbstähnlichen Struktur potenziere sie alle erdenklichen jemals gewesenen, seienden und werdenden Versionen ein und derselben Kreatur.


    Die Frage, die sich stelle, sei sicherlich klar: Wer wirst du geworden sein, wenn die Vorstadt von dir durchquert wurde? Oder warst du bereits gewesen, wer du werden wirst? Ich neige nicht zur Übertreibung, wenn ich sage, dass das Leben in der Vorstadt eine jede Kreatur früher oder später auf sich selbst treffen lässt. In irgendeiner Art und Weise. Eher früher als später. Vielleicht schon jetzt gleich. Ich rege zum Nachdenken an: Wer spricht hier eigentlich zu dir?

  • Oh ja, inspiriert bin ich wie immer durch Kafka und "DAS HAUS" (House of Leaves) von Danielewski.


    Zusätzlich hat mich diesmal der Trailer von "Vivarium" sehr inspiriert. Habe den Film noch nicht geschaut, werde das aber sehr bald tun. ;D


    Edit: Den Film muss man definitiv gesehen haben! :o

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