[Ich dachte mir,: Warum kein Vorentscheid auf der Träne?]
Der tosende Applaus im Mittelstetter Opernhaus verebbte langsam und die Moderatorin stellte die beschwichtigenden Gesten ein. Rabara Uglitaler hatte an diesem ehrwürdigen nicht mit einem solch wilden Beifallssturm gerechnet. Über ihren kurzen Anfall von Lampenfieber lächelnd holte sie kurz Luft, um nur etwas zu spät mit heiserer Stimme einzusetzen: "Wahsinn, wie ihr abgeht! Wahnsinn! Willkommen zum ersten Tränenweiten Vorentscheid zum Liederwettstreit!" Kurz hob wieder Jubel an. Und eine Stimme aus dem Nichts erklärte den Hintergrund des Wettbewerbs, während die Uglitaler in ihrem viel zu engen Glitzerkleid versuchte, es den plötzlich erscheinenden Pantomimen gleich zu tun und das Gesagte zu Illustrieren. Am Ende nahm einer der Pantomime eine Maske ab, und das Gesicht des Comoderators Bast Mittsag erschien. Zufrieden stellte Rabara Uglital fest, dass er dem Publikum unbekannt zu sein schien, als sie ihn eher routiniert als begeistert vorstellte. Sie musste ihn ertragen. "Um allfällige Peinlichkeiten auszubügeln", hatte es geheißen. Völlig sinnlos. Wo sollten die herkommen? Wer Rabara Uglitaler engagierte, bekam elgant-spritzige Unterhaltung.
Jetzt hatte sie wegen des Idioten den Faden verloren. Als Mittsag einspringen wollte, konnte sie gerade noch "Meine Lieben ... " herausbringen. "Meine lieben, ich weiß, ich weiß, es gibt Grund zu Jubeln, aber wenn ihr jubelt, kann keiner singen. Dabei haben wir so tolle Gruppen. Als erstes kommen die Elfen-Boys mit ihren Rollenden Steinen.", leitete sie zur ersten Gruppenvorstellung über.
Das Lied der Steine
"Die fabelhaften Elfen-Boys, dass sind drei Elfenbuben, zarte 200 Jahre jung aus versteckten Baumdörfern im Waldland. Von klein auf wissen sie die Natur zu schätzen und daher kennen sie sich auch bestens mit Steinen aus. Und wie sie mit ihren Steinen umgehen, was für Melodien sie ihnen entlocken, dass schaffen unsere Straßenmusiker* mit ihren Klangsteinen garantiert nicht."
Für Rabara Uglitaler war das eine Steilvorlage. Sie schob Mittsag zur Seite. Die erste Ansage würde sie vollenden. Der Glanz von Elfen färbte ab, war eine Grundregel des Showgeschäfts.
"Sehen und Hören sie nun, wie wundervoll und elegant, wie zart verzaubernd die Elfen-Boys ihre Steine zum klingen bringen. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich da selbst zum Fan werde. Meine Damen und Herren, die Elfen-Boys mit dem Lied der Steine!"
Zufrieden sah sie das fassungslose Gesicht Mittsags, als sie von der Bühne schwebte, während der Vorhang sich hob und Bühnennebel zu quellen begann.
Zwischen dem Nebel standen drei Klangbretter. Doch zum Erstaunen der Zuschauer sahen die wie kleine Bergwiesen aus, auf denen Steine verteilt waren. Jedes Brett hatte eine Einbuchtung, wohl, damit die Künstler mehr mit ihren Armen erreichen konnten. Plötzlich erschienen drei junge Elfen in der grün-braunen Kleidung von Waldläufern über der Bühne und liefen über unsichtbare und doch glitzernde Brücken zu ihren Plätzen. Im Orchestergraben ertönte die Begleitmusik zum Auftritt, gezierte Fanfarenklänge in die Trommeln und Seiteninstrumente wie Donner und Bergwind fuhren. Bevor sie zu spielen begannen, wirkten die Elfen Sterne, die um sie aufstiegen und dann blendend hell wurden. Als sie verblassten, trugen die Elben plötzlich hautenge, goldbestickte weiße Roben und hielten Hämmer und dünne Stangen in den Händen. Ihr Haar, blond, rot und weiß, hing lang herab, künstlich gehalten von Diademen.
Kaum war genug Zeit, das Bild zu erfassen, als das Spiel der Elfen begann, während die Töne des Orchesters verklangen.
Die Elfen stießen nun mit den Stangen Steine an, während sie mit Hämmern darauf schlugen. Ein melodisches, aber traurig-klagendes Maunzen erklang. Je nachdem, welcher Stein wie malträtiert wurde, entstanden unterschiedliche Töne, die sich zu einer bisweilen dreistimmigen fröhlichen Melodie mischten, die in seltsamem Kontrast zu den klagenden Stimmen der Steine stand.
Zunächst lauschte das Publikum gebannt der ungewöhnlichen Aufführung. Doch dann bemerkten es die ersten. Die Steine schienen Münder zu haben und sie hatten mehrere kleine Arme, die eng an den Körper gelegt, nicht auffielen. Augen waren auf die Entfernung nicht zu erkennen.**
Verzweifelt versuchten die Steine, den Schlägen und Stößen zu entkommen, doch waren die Steine mit je einem Arm an die Klangbretter gefesselt. Für einige Beobachter sah es sogar so aus, als ob sie versuchten, ihre Form zu ändern. Von hinteren Reihen kaum mit dem Opernglas zu erspähen, verbreitete sich die Erkenntnis, was am Raunen im Publikum gut zu verfolgen war. Erste Buhrufe setzten ein und bald flogen Gegenstände wie Schuhe auf die Bühne. Als erste Zuschauer die Bühne ersteigen wollten, wurde die nach dem letzten Opernskandal vorbereitete magische Schutzwand ausgelöst, was die Empörung verstärkte.
Ungerührt brachten die Elfen das Lied der Steine zuende. Unter den Buhrufen des Publikums setzte dann das Orchester ein und wieder warfen die Elfen magische Sterne. Aber bevor sie in die Höhe stiegen, wirkten sie unsichtbare Schutzschilde, an denen vom Publikum geworfene Gegenstände abprallten, da mit Einsetzen des Orchesters die Schutzwand zusammenbrach***. Hinter dem Tumult fiel die Musik nicht auf.
Während der Vorhang zufiel, wuchsen die Uglitaler und Mitsag auf der Vorbühne aus dem dann verschwindenden Nebel. Rufe wie "Das findest du gut? Dann sicher auch das!" oder "Tierquälerin!" ertönten. Mehrfach von Gegenständen getroffen floh Uglitaler von der Bühne.
Die Show musste weitergehen. Wenigstens hatte die Zwerge für die Dauer des Elfenauftritts den Saal verlassen und nahmen jetzt unter Applaus wieder ihre Plätze ein. Beruhigend hob Bast Mittsag, die Gelegenheit ergreifend die Hände, um zu versuchen, den nächsten Beitrag anzukündigen, während Bühnenarbeiter geworfene Schuhe routiniert wieder ins Publikum reichten.****
[Forstsetzung folgt.]
* Nachdem von klingenden Steinen in den Bergen zu hören war, entstanden Steininstrumente, schiefe Ebenen, auf denen verschiedene Steine und Kugeln gegen klingende Scheiben gerollt werden konnten und so Melodien entstanden. Nach ersten Erfolgen entstanden kompliziertere Bretter, auf denen die Steine raffiniert durch kluges Rollen mehrere Scheiben, Bretter, Trommelfelle und dergleichen Klangelemente mehr aktivierten. Die Bretter standen schließlich weniger steil und eine gewisse Ähnlichkeit zum Billard ließ sich nicht leugnen. Die Steine, nun oftmals Kugeln, wurden dabei von Steinkindern in Kostümen aus einem Auffanggraben aufgesammelt und in Behälter neben den Musikern gefüllt, so dass längere Stücke möglich waren.
** Echte Rollende Steine leben im zentralen Gebirge. Sie nutzen ihre Ärmchen, bergan zu "rollen" und um beim Herabrollen zu steuern. So erreichen sie ihre Futterpflanzen, zu denen ein Großteil der Gräser und Kräuter des Gebirges gehören. Auch Insekten werden nicht verschmäht. Aufgrund der Härte und Gestalt ihrer durchaus empfindlichen Außenhaut werden sie Steine genannt. Ihre Stimmen nutzen sie zur Balz, für Warnungen und andere einfache Mitteilungen. In kleinem Rahmen können sie ihre Form tatsächlich verändern, wodurch sie Stürze besser überleben. Sie haben mehrere kleine Augen, die sie in die Haut zurückziehen können.
*** Schließlich fand sich im Publikum einer Stadt wie Mittelstett auch immer der eine oder andere Magier.
**** Die Mittelstetter Oper ist Kummer gewöhnt.
Edit: Wie ich sehe, ist das mein 1000er Beitrag im Forum. Das kommt davon, wenn man nicht aufpasst. Eigentlich wollte ich dazu etwas Schöneres schreiben. Nun, ich werde mir trotzdem morgen Abend ein Glas Wein darauf gönnen.