Universum 2b: Fischige Nacht

  • Der letzte Abschnitt hat ja schon ein paar Rätsel gelöst. So auch dieser.


    Zwölfter Abschnitt: Kaioru


    Kaioru Memm zog die weißen Handschuhe an. Fertig war sein Kostüm. Ein Weißhai. Wenn auch ein recht anthropomorpher. Er warf noch einen Blick in den Spiegel und überzeugte sich, dass seine Maske richtig saß. Ja, perfekt.

    Viele Leute trugen Masken, weil man sie in der Fischigen Nacht eben trug, weil es Spaß machte, sich zu verkleiden oder weil sie jemandem Angst machen wollten.

    Kaioru trug eine Maske, weil er nicht belästigt werden wollte.

    Nicht von Suiana, die nur nervös versuchen würde, ein normales Gespräch zu führen. Nicht von Dionea, die die Gelegenheit wahrnehmen und sich an ihn ranmachen würde. Nicht von Aujilei, die ihn bitten würde, sich um ihre Mutter zu kümmern.

    Und vor allem nicht von Leuten, die wussten, warum er trotz seiner herausragenden Schulnoten heute nur ein Klempner war.

    Kaiorus Haus war eins der kleinsten und wahrscheinlich das am schlichtesten eingerichtete in der ganzen Straße. Nicht, dass die anderen Leute hier alle reich waren, aber sie hatten zu irgendeinem Zeitpunkt das Geld gehabt, um eins der großen Eigenheime im Niansring zu kaufen. Sei es aus eigenem Einkommen, einem Erbe oder einer wirklich schmutzigen Scheidung.

    Kaioru hingegen hatte nie eine solche Summe übrig gehabt. Er war in die Gegend gezogen, weil er ein Auge auf etwas haben und von etwas anderem wegkommen wollte. Aber in dieser Nacht kam auch der Rest der Stadt in den Niansring und letzteres wurde schwer. Das Haus nicht zu verlassen kam auch nicht infrage, denn das musste er für ersteres, ganz besonders in dieser Nacht.

    Also trug er eine Maske.


    Die Maske funktionierte ziemlich gut. Kaioru hatte auf der Straße schon einen alten Bekannten erkannt, der aber ihn nicht.

    Jetzt aber wollte er jemanden sehen, der ihn erkennen sollte.

    Er blieb an der Tür stehen und klingelte.

    Nur Sekunden später öffnete Garibati, der in einem Taucheranzug steckte. Hinter ihm war das Wohnzimmer mit Gebilden aus großen Bausteinen gefüllt und Aylette, noch ohne Kostüm, stand nicht weit von ihrem Mann und trat nun zu ihm.

    „Hallo“, grüßte Kaioru und nahm seine Maske ab.

    „Papa!“, rief Lekiu und tauchte hinter einer Bausteinwand auf.

    Aylette zeigte sich überrascht.

    „Kaioru! Ich dachte, du hast heute Abend keine Zeit. Deshalb ist Lekiu ja nicht bei dir.“

    „Habe ich auch nicht“, erklärte Kaioru. Er musste auch in dieser Nacht die Augen offen halten und in dieser speziellen Nacht konnte er dabei auf kein Kind aufpassen. „Ich wollte nur kurz mal nach dem Rechten sehen, dann muss ich auch schon wieder los. Hallo Kleiner!“

    Kaioru hob seinen Sohn hoch, nachdem ihn der erreichte.

    Es war doch vorher schöner gewesen. Als er ihn noch jeden Tag um sich gehabt hatte. Ihn und seine Mutter.

    „Wo sind eure Kinder?“, fragte er, als ihm auffiel, dass er außer Lekiu nur noch Leiras Tochter Acida sehen konnte.

    „Mista ist oben“, antwortete Garibati. „Die hatte schon ihre Feier im Kindergarten. Urian und Lurian sammeln wahrscheinlich mehr Süßigkeiten als Fischköpfe und Sevian ist auf der Party in der Schule.“

    „Und ihr dürft auf Acida aufpassen, weil Leira feiert.“

    „Genau“, bestätigte Aylette.

    Eigentlich konnte er noch ein bisschen bleiben. Seinen Freunden die Arbeit abnehmen. Zeit mit seinem Sohn verbringen.

    Aber was wenn … nein, es ging nicht.

    „Ich muss dann auch wieder los.“

    Er setzte Lekiu ab.

    „Tschüs, Kleiner.“

    „Tschüs, Papa!“


    Das Südwestviertel des Niansringes war völlig verlassen.

    Das überraschte Kaioru nicht, bestand es doch aus einer Reihe von Geschäften, die zwar fischig geschmückt waren, aber geschlossen hatten. Viele von ihnen hatten Wohnungen im ersten Stock, doch die Mieter waren scheinbar allesamt aus oder schliefen schon.

    Die meisten waren Lebensmittelläden. Der Fleischer und der Speisetierhändler, der Obst- und Gemüseladen, der Fischhändler, der Getränkemarkt, der Bäcker, der Feinkostladen und schließlich der unspezialisierte Lebensmittelladen, der so ziemlich alles hatte, was noch übrig war, standen direkt nebeneinander.

    Die meisten Bewohner der Straße kauften hier ein. Kaioru selbst bevorzugte den günstigeren Supermarkt in der Innenstadt.

    Dann gab es noch eine Schneiderei, einen Elektronikfachhandel und natürlich den Juwelier.

    Vor dessen Schaufenster blieb Kaioru stehen.

    Es waren falsche Seesterne von innen angeklebt und zwischen dem ausgestellten Schmuck brannte eine elektrische Kugelfischlaterne. Natürlich sah man das alles nur aus der Nähe. Das herunter gelassene Schutzgitter behinderte die Sicht schon ein bisschen.

    Früher hatte dieser Laden Ratis gehört, aber als sie die Arbeit im Tempel angenommen hatte, hatte sie ihn verkauft. Kaioru kannte den aktuellen Besitzer besser, als ihm lieb war, aber sie hatten sich geeinigt. Kaioru hatte ihm einen Käufer für ein besonders exotisches Stück verschafft (und dabei gleich einem Bekannten geholfen, seine Geldnot vor seiner Frau zu verbergen) und er hielt dafür dicht und sich von ihm fern.

    Neben den Läden gab es an diesem Straßenabschnitt noch ein anderes Geschäftsgebäude. Die Kroisos-Bank, benannt nach dem in Ctonia lebenden Gründer und Leiter, einer Marsente. Eine kleine Seitenstraße führte zum Parkplatz hinter dem Gebäude.

    Und genau von dort erklang ein Alarm.

    Ohne nachzudenken lief Kaioru die Seitenstraße entlang und erreichte den Parkplatz. Er war voll mit Automobilen, deren Besitzer vermutlich wegen des Festes im Park da waren und ignorierten, dass der Platz nur für Bankkunden gedacht war. Eines, am gegenüberliegenden Rand, hatte eine offene Vordertür. Davor standen zwei Gestalten.

    Die eine war verkleidet als knallrotes Seepferdchen und darunter zweifellos tatsächlich ein Pferd. Anthropomorphe Pferde waren im Zivilisierten Reich selten (an der Südspitze fand man mehr) und auf der Schneeebene sogar extrem selten, aber sie kamen vor. Die andere war kostümiert als Seeotter und das richtig gut. Trotzdem konnte man erkennen, dass sie ein Polarfuchs war.

    Vom offenen Wagen kam der Alarm und das Pferd holte gerade eine große dunkle Handtasche heraus.

    „He! Was geht da vor?“, fragte Kaioru laut.

    „Verdammt!“, rief der Fuchs. „Lauf!“

    Die beiden liefen los. Kaioru hinterher, zwischen den parkenden Autos hindurch.

    Die Stimme kannte er. Das war Nelken, Erokas Sohn.

    Die beiden liefen von hinten zwischen dem Juwelier und dem Bäcker hindurch zur Straße. Kaioru folgte ihnen mühelos und holte dabei auf.

    „Das hat keinen Sinn, Nelken!“, rief er. „Ich weiß, wo du wohnst!“

    Sie überquerten den Niansring.

    „Ich bin nicht Nelken!“

    Er war es ganz eindeutig.

    „Doch, das bist du!“

    Der Junge war fünfzehn, wurde dieses Jahr noch sechzehn. Er konnte sich damit echt in Schwierigkeiten bringen. Also musste vor allem die Beute wieder her.

    Auf dem nassen Rasen dieser recht leeren Seite des Parks, unweit des Friedhofes, holte Kaioru die beiden ein und warf sich auf das Pferd, das mit ihm zu Boden ging.

    Wie erhofft, ließ es die Handtasche los.

    Nelken kehrte sofort um.

    „Ist was passiert?“

    „Ne“, antwortete das Pferd, ohne jeden Zweifel ein Hengst.

    Kaioru rollte sich ab und nahm die Tasche an sich.

    „Wie doof seid ihr eigentlich?“, fragte er, während er wieder aufstand. „Wisst ihr, wie leicht man erwischt wird, wenn man den Alarm auslöst? Die Bank hat einen Nachtwächter und eure Kostüme sind ziemlich einzigartig. Deines hat deine Mutter gemacht, oder?“

    „Kaioru?“, fragte Nelken erstaunt und half dem Pferd auf.

    „Allerdings. Diese Handtasche hier ist eine Sitian. Nun stellt euch mal vor, die Besitzerin will sie unbedingt wiederhaben, der Nachtwächter hat euch gesehen und es werden Phantombilder aufgehängt. Eroka erkennt das Kostüm, das sie gemacht hat, doch sofort.“

    „Oh Scheiße.“

    „Ich hoffe, ihr habt das Auto nicht beschädigt.“

    „Ne“, meinte der Hengst. „Mit nem Igelknick geöffnet.“

    „Gut. Ich bringe die Tasche zurück. Warum stehlt ihr überhaupt eine Handtasche? Nelken, du hast doch nun wirklich keine Geldprobleme.“

    „Na ja, ich nicht, aber Ci … er ist ein bisschen knapp bei Kasse …“

    „Für ‚ein bisschen knapp bei Kasse‘ geht man aber kein solches Risiko ein.“

    „Es war auch mehr so ne verrückte Idee“, gab „Ci“ zu. „Wir wollten das gar nicht so wirklich durchziehen, aber dann lag da diese Tasche …“

    „Wisst ihr, wo man so eine Tasche verkauft? Oder habt ihr eine Ahnung was drin ist?“

    „Nein“, gab Nelken zu.

    „Na also. Geht feiern. Ich bringe das Ding zurück.“

    Die beiden Jungen trauten sich nicht, noch etwas zu sagen, als Kaioru ging.

    Die Bank hatte gar keinen Nachtwächter. Ihr Sicherheitssystem war vollautomatisch. Und auf den Parkplatz war auch keine Kamera gerichtet. Aber das mussten die beiden ja nicht wissen.

  • Die Autotür erwies sich als noch offen und völlig unbeschädigt, der Alarm schrillte immer noch. Also legte Kaioru einfach die Tasche auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu. Man würde glauben, es sei bloß jemand aus Versehen an das Fahrzeug gekommen.

    Wenn das geschah, stand er aber besser nicht mehr daneben.

    Alles in allem war Nelkens Verhalten nicht so überraschend. Schließlich hatte er erst vor zwei Jahren seinen Vater verloren und das auf ziemlich … ungewöhnliche Weise. Natürlich hatte er professionelle psychiatrische Betreuung erhalten, aber so etwas löste Probleme auch nicht einfach in Luft auf.

    Nun denn, wohin nun?


    Kaioru verhielt sich unauffällig. Er blieb in den Schatten, ging Leuten, die er kannte, aus dem Weg, sprach nicht und aß und trank nichts um seine Maske nicht abnehmen zu müssen.

    Bisher hatte er keine Spur von dem entdeckt, was er befürchtete, aber das musste nicht heißen, dass es nicht da war. Der Ring war groß.

    Jetzt war er im Park und behielt die Leute im Auge. Aber würde hier überhaupt etwas passieren? Ein bisschen viel los dafür. Schließlich ließ sich niemand gerne bei einem Verbrechen erwischen.

    „Vielleicht müssen wir uns bei einigen von ihnen für Kaspen entschuldigen“, sagte eine bekannte Stimme. „Aber das kriegen wir hin.“

    Verkleidet als Schwertwal und Seeleopard wanderten unverkennbar Aylettes Zwillinge Urian und Lurian durch den Park. Sie schienen ein Ziel zu haben und dabei am Friedhof vorbeigehen zu müssen, wenn der Friedhof nicht sogar das Ziel war.

    Ein einsamer Weg. Und so wie es klang waren sie an unschönen Dingen beteiligt gewesen. Besser, jemand passte auf, dass ihnen nichts zustieß.

    Unauffällig folgte er den beiden und hörte dabei weiter zu. Offenbar wollten sie dort Süßigkeiten abstauben, wo ihnen ein unangenehmer Begleiter das letzte Mal die Tour vermasselt hatte. Innerlich musste Kaioru lachen. Solche Probleme hatte er in dem Alter auch gehabt.

    Am Friedhof vorbei, auf dem niemand zu sein schien und über die Straße gingen die beiden Jungen zu Hausnummer 1 und klingelten an der Tür, auf die aus irgendeinem Grund ein Penis von lächerlichem Durchmesser samt Hoden gemalt war.

    Als niemand öffnete, gingen sie weiter hausnummernaufwärts. Sie waren nicht die einzigen Süßigkeitensammler. Hier drohte wohl keine Gefahr.


    Auf dem Rückweg durch den Park kam Kaioru erneut am Friedhof vorbei. Und dieses Mal bemerkte er jemanden vor dem verschlossenen Gittertor. Oder besser, vor dem nicht mehr verschlossenen Gittertor.

    Es handelte sich um ein Mauswiesel in einem Kostüm, das der Schuluniform für Mädchen der Ebtom-Gesamtschule ähnelte, aber insgesamt knapper geschnitten war und ein paar ungewöhnliche Details aufwies.

    Die goldenen und rosa Steifen am Rocksaum und Hemdkragen, das Diadem, die Schuhe, die Handschuhe.

    Das war Squire Soul. Sogar komplett mit Zepter.

    Und sie hatte sicher nichts auf dem Friedhof zu suchen.

    In jeder anderen Nacht wäre das nur Störung der Totenruhe. In dieser war es womöglich gefährlich.

    Die falsche Squire Soul öffnete das Tor zum Friedhof ganz.

    „Halt!“, rief Kaioru und trat aus den Schatten.

    Das Mädchen, vielleicht etwa zwanzig Jahre alt, sah ihn an. Und lächelte.

    „Und warum soll ich halten?“, fragte es.

    „Der Friedhof ist nachts geschlossen. Und das nicht ohne Grund.“

    „Wir brauchen ihn aber.“

    Soul kam näher.

    „Ich, meine Freundinnen und meine kleine Schwester. Für ein kleines Spielchen.“

    Sie war bei Kaioru.

    „Willst du vielleicht mitmachen?“

    „Ich bin von der Polizei“, log der Polarfuchs. „Nächtliches Betreten des Friedhofes kostet Strafe. Also mach, dass du wegkommst, ehe ich deinen Ausweis verlange.“

    „Spielverderber.“

    Das Wiesel trollte sich. Kaioru ging zum Tor und zog es zu. Dann sah er sich das Schloss an. Sauber geöffnet, vielleicht mit einem Dietrich. Zum Glück hatte er auch einen.

    Bald war das Tor wieder verschlossen.

    Squire Soul. Sowas.


    Bisher hatte Kaioru nichts entdeckt und im Schatten herumschleichen war anstrengender, als die meisten Leute es sich vorstellten. Also ging er zum Fischgrill und lehnte sich an.

    Stühle gab es natürlich keine.

    Von da aus sah er auch, wie Nelken und „Ci“ auf den Platz kamen. Sie fütterten sich gegenseitig mit ihrer Beute aus Fischköpfen und Süßigkeiten, was Kaioru bestätigte, dass sie nicht nur Freunde waren.

    Die Schneeebene war in der Hinsicht etwas konservativer als der Rest des Zivilisierten Reiches; dass sich angesichts der momentanen Bevölkerungsdichte nicht jeder fortpflanzen musste und wenn er es doch wollte, Belacka Möglichkeiten bereit hielt, genügte nicht allen als Argument gegen die Notwendigkeit des klassischen Familienmodells, aber Jugendliche ließ man für gewöhnlich experimentieren, denn da fast jeder Anthro des Kontinents bisexuell war, wäre alles andere lächerlich gewesen.

    Bald traten eine Spinnenkrabbe und ein Drachenfisch an den Stand. Als sie bestellten, erkannte Kaioru sie schon, Dionea und Netes wohnten schließlich nur vier Häuser von ihm entfernt.

    Und seit er nicht mehr mit Suiana zusammen war, zeigte Dionea ein gewisses Interesse an ihm. Zugegeben, sie war attraktiv und meist auch sympathisch, aber Suiana wohnte in derselben Straße und war ihre Freundin. Das machte diese Option etwas … unangenehm.

    Und jetzt gerade konnte er es natürlich gar nicht brauchen, dass sie sich an ihn dran hängte.

    „Kennen wir uns?“, fragte ihn Dionea.

    Verdammt.

    Er schüttelte den Kopf.

    „Ist auch egal, Hauptsache ich kann mich nach diesem Abend mal unterhalten. Meine Tochter sagt nichts als ‚Stell dich nicht so an‘.“

    „Weil du dich anstellst“, erklärte Netes.

    „Gar nicht wahr. Ich wurde heute schon angerempelt, fast umgerannt und am Strand von einem Witzbold im Alianbestienkostüm fast zu Tode erschreckt. Wie soll man da schon reagieren?“

    Kaioru nickte und die Frauen nahmen ihre Masken ab, als sie ihre Fische erhielten.

    Wie vermied er nur, dass Dionea ihm folgte, wenn er weiter ging?

    Er bemerkte den Mülleimer direkt hinter ihr. Plastik und voll mit fettdurchweichten Pappen. Sehr schön.

    Kaioru gab Dionea einen kräftigen Schubs und lief los.

    Die Füchsin schwankte nach hinten, stieß den Mülleimer um, verlor vor Überraschung das Gleichgewicht und fiel.

    „Rüpel!“, rief sie.

    Ja, das war nicht nett gewesen. Aber er konnte sich jetzt wirklich nicht entschuldigen.


    In den Wohngebieten wurde Kaioru fündig. Erokas Glastür zur Terrasse war zerbrochen. Vielleicht nur ein Einbruch. Aber sicher war sicher.

    Der Polarfuchs trat ein.

    Das Esszimmer war ansonsten in Ordnung, aber die Küche sah seltsam aus. Bis auf ein paar umgekippte standen die Gläser auf dem Küchentisch im Kreis. Kalinds kostbares Goldauge, das Kaioru besser kannte, als er gesollt hätte, lag einfach auf der Küchenzeile herum. Und eine Zimmerecke war beschädigt, es sah aus als sei ein Stück der Fliesenverkleidung einfach herausgebrochen und verschwunden. Dafür lag da ein Häufchen Kristallstaub.

    Er nahm die Maske ab. Besser Eroka hielt ihn nicht für einen Einbrecher.

    „Eroka?“, rief er die Hausherrin.

    „Nelken? Kasta?“

    Niemand schien da zu sein.

    Kaioru erkundete das Haus. Alles schien in bester Ordnung. Die Porzellanfiguren, die sonst auf dem Kamin standen, waren zerbrochen, aber das war es auch schon.

    Kaioru ging hinauf in den ersten Stock.

    Hier war auch nichts Auffälliges. Außer, dass Kellen nicht in seinem Bett lag.

    Oh nein. Wenn es sich hier herumtrieb …

    Lekiu!

  • Bei Aylette war abgeschlossen und auf Kaiorus Klingeln reagierte niemand. Kein Hindernis für ihn. Da er nicht wollte, dass ihn jemand mit dem Dietrich an einem fremden Schloss erwischte, öffnete er die Hintertür, die seltsame Krallenspuren aufwies. Hinter sich schloss er sie vorsichtshalber wieder.

    Das Erdgeschoss war leer und unauffällig, bis auf das Wohnzimmer, das gefüllt war mit zerstörten Bausteinbauwerken. Er stieg hinauf in den ersten Stock.

    „Halt!“, rief plötzlich eine Kinderstimme, die Kaioru als Mistas erkannte. „Komm nicht näher!“

    Vor die Tür des Kinderzimmers war ein Streifen Salz gestreut, ein Messer hing an der Klinke und es war ein Zeichen aus dem lange untergegangenen Kristallkönigreich darauf gemalt, das das Böse abschrecken sollte. Sie hatten sich vor Geistern und Feenwesen geschützt. Gute Idee, im Fall dessen, was wirklich hier umging aber nicht unbedingt funktionell.

    „Ich bin es!“, rief Kaioru zurück. „Kaioru!“

    „Beweise es!“

    Das war nicht wirklich nötig. Es gab Feenwesen, die auf der Schneeebene vorkamen und Meister der Täuschung waren, aber natürlich würde sich eines, das bereit war, den Pakt mit dem Zivilisierten Reich zu brechen, nicht von ein paar Amuletten aufhalten lassen. Und nur ein solches hätte das Haus überhaupt erst uneingeladen betreten.

    „Ist Lekiu bei dir? Und Acida?“

    „Sag ich nicht!“

    Also ja.

    „Kellen auch?“

    „Nein!“

    Er war auch da. Dann hatte Eroka ihn hier vorbei gebracht. Aber wo war sie jetzt? Und Aylette?

    „Da bist du ja!“, grollte eine Stimme.

    Es wurde etwas kälter im Raum. Gab es doch Geister? Aber in Aylettes Haus spukte es nicht, das mussten freie Geisterwesen sein.

    „Glaub nicht, dass wir deine Aura nicht erkennen.“

    Das war eine neue Stimme. Tief und zischelnd, wie von einer großen Echse und mit einem ctonischen Akzent …

    „Aber ein treffendes Kostüm“, ergänzte eine dritte Stimme, die mit Knistern und Fauchen unterlegt war. „Ein weißer Hai für den weißen Handschuh.“

    Wurde es wieder etwas wärmer?

    Kaioru schnaubte.

    „Der weiße Handschuh. Das haben sie gesagt, damit es seriöser klingt. Nicht ganz so abgehoben. White Glove habe ich mich genannt.“

    „Glaub mir, das weiß ich“, zischte die erste Stimme.

    Das konnte doch nicht …

    „Wir waren ja schon nicht gerade Freunde bevor wir in der Anstalt gelandet sind“, ergänzte die Knisterstimme.

    Die Panzerbestie und Kikes? Aber wie …

    „Wir haben in der Geisterwelt ein paar Gangster getroffen, die dich auch nicht sehr mochten. Und Polizisten“, sagte die erste Stimme wieder.

    Er hatte keine Ahnung, wem sie gehören konnte. Geister hatten meist verzerrte Stimmen.

    „Sie haben dich nach dem Brand als Helden betrachtet, weil du mich aufgehalten hast!“, zischte die Echsenstimme.

    War das wirklich die Panzerbestie? Aber das konnte doch nicht sein.

    „Deinen richtigen Namen aus allen Akten getilgt. Dich als Spitzel losgeschickt um Kontakt mit Hehlern aufzunehmen“, ergänzte die fauchende Stimme.

    „Aber du hast nicht immer nach den Regeln gespielt. Und dann bist du ausgestiegen und … Klempner geworden.“

    Die erste Stimme klang ein wenig belustigt.

    „Und das alles war nur möglich, weil alle glaubten, ich habe den Brand gelegt!“, fauchte die Stimme, die folglich wirklich Kikes gehören musste.

    Jetzt erschienen die Geister auch körperlich.

    Eine weißfellige riesige Hand, ein ebenso gewaltiges Reptiliengebiss mit darüber schwebenden rot glühenden Augen und eine blass flackernde Flammengestalt in der ungefähren Form eines Hasen.

    Die Panzerbestie und der Feuersalamander, ohne Zweifel. Obwohl es nicht sein konnte.

    „Feuer schien mir der beste Weg, mich zu verteidigen“, gab Kaioru zu. „Ich hatte nicht erwartet, dass es sich so ausbreitet. Das war blöd, aber letztlich hat es die Polizei alarmiert.“

    „Und Unschuldige getötet, die man mir angelastet hat!“

    „Ich weiß. Deshalb konnte ich es ja nicht zugeben.“

    „Und mich hast du aufgehalten, als ich nichts weiter wollte als da raus kommen!“, grollte die Panzerbestie.

    „Wie der Feuersalamander schon sagte, wir waren nie Freunde.“

    „Und meinen Aufstand hast du vereitelt!“, ergänzte die Stimme, die zur Hand gehörte.

    „Bëat Ebtom?“

    „Allerdings! Und jetzt werden wir uns angemessen bei dir bedanken!“

    Kaioru war davon ausgegangen, vielleicht irgendwo einem Spuk zu begegnen, aber nicht drei ausgewachsenen Phantomen. Er musste Zeit gewinnen. Außerdem wollte er noch ein paar Dinge wissen.

    „Wie könnt ihr jetzt Geister sein?“

    „Nun, wir sind vor dreißig Jahren in der Anstalt gestorben“, antwortete Ebtom.

    „Aber in der Anstalt hat es nie gespukt. Das wurde untersucht. Ich bin sogar später mehrmals hin gegangen um ganz sicher zu gehen. Dazu musste ich ein Loch in die Außenmauer brechen.“

    „Es hat gespukt“, widersprach Kikes. „Aber nur sehr kurz. Vielleicht lag es daran, dass wir extrem angepisst waren, vielleicht war auch einfach viel Ektoplasma da, aber wir wurden sofort zu Geistern.“

    „Aber das Feuer hat unsere Verbindungen zum Diesseits gekappt und so verschwanden wir auch gleich wieder. In die Geisterwelt.“

    „Und jetzt sind wir zurück“, ergänzte die Panzerbestie. „Als freie, mächtige Phantome und mehr als in der Lage, dich in kleine Stücke zu reißen.“

    Natürlich. Nicht nur in der Anstalt waren in jener Nacht seltsame Dinge geschehen, sondern im ganzen Niansring. Er hatte später die Berichte gesammelt. Es war da gewesen, so wie es wohl auch diese Nacht da war. Vielleicht kam es alle dreißig Jahre.

    Und was immer es war, es war sicherlich in der Lage, ein Tor zur Geisterwelt zu öffnen und die Anstalt mit Ektoplasma zu fluten.

    Und jetzt … he, das war ein Ansatzpunkt.

    „Und heute, dreißig Jahre später, hat sich rein zufällig ein Tor genau in diese Straße geöffnet. Kommt euch das nicht komisch vor?“

    „Natürlich“, bestätigte Ebtom. „Da benutzt uns jemand. Ist uns aber ziemlich egal.“

    Die Zeit war um. Kaioru zog den Eisendolch, den er für den Fall einer Geisterbegegnung mitgenommen hatte. Eisen störte das Magnetfeld, das Geisterkörper zusammen hielt und zwang den Geist so, in die Geisterwelt zurückzukehren. Bei Phantomen wirkte es nicht so gut wie bei einem simplen Spuk, aber es war alles, was er jetzt hatte.

    Abgesehen von dem Salz auf der Türschwelle. Viele Salze, auch Kochsalz, destabilisierten Ektoplasma und hatten so auf andere Weise denselben Effekt wie Eisen. Aber die Geister würden nicht zulassen, dass er das an sich nahm.

    „Dann kommt, wenn ihr euch traut!“, rief der ehemalige White Glove und schwang den Dolch.

    „Nicht so schnell“, widersprach die Panzerbestie. „Du hast nicht nur unseren Tod verursacht. Du hast uns gedemütigt, verraten und überhaupt erst in die Situation gebracht. Wir wollen dich richtig leiden lassen.“

    Kikes’ Hände flammten heller und sichtbarer auf.

    „Dein Sohn ist doch da drin, oder?“, fragte er.

    „Nein!“, rief Mista von der anderen Seite der Tür.

    „Und ein Mädchen.“

    Eine canide Zunge erschien nahe der weißen Hand und leckte unsichtbare Lippen.

    „Ihr kommt da nicht rein!“, erinnerte Kaioru.

    „Nein, aber sie wird rauskommen. Feuersalamander, räuchere die Gören aus!“

    Und plötzlich wusste Kaioru es.

    „Du bist nicht Bëat Ebtom!“, rief er.

    „Was?“

    „Ebtom würde so etwas nicht tun. Was er seiner Tochter angetan hat, hat er nicht getan um ihr zu schaden, er hat sich eingeredet, es mache ihr nichts aus. Ihr Tod war das Schlimmste, das ihm je passiert war, und das will etwas heißen. Er würde keine Kinder töten um sich an mir zu rächen.“

    „Ach? Und wer soll ich sonst sein?“

    „Jemand, der in der Anstalt auch nicht gerade mein Freund war. Ein Sadist. Hundeartig, weißes Fell … und jemand, der sich als Ebtom ausgibt …“

    „Warum sollte ich dich täuschen wollen? Das ergibt keinen Sinn.“

    „Das stimmt. Du willst nicht mich täuschen sondern deine Komplizen. Du bist Marum, der Sicherheitschef!“

    „Unsinn!“

    „Es würde erklären, warum du dich selbst uns nicht klar zeigst“, fand die Panzerbestie und wandte sich der Hand zu.

    Die Zunge war inzwischen wieder verschwunden.

    „Ja!“, stimmte Kikes zu. „Nimm eine feste Gestalt an. Sie muss ja nicht für Sterbliche sichtbar sein!“

    „Er lenkt uns nur ab! Packt ihn!“

    „Die Sekunde haben wir ja wohl noch!“, meinte die Panzerbestie.

    „NEIN! PACKT IHN!“

    Die Panzerbestie warf sich auf Marum, was aussah, als würde das Gebiss in die Luft beißen. Marum wehrte sich, die Hand packte eins der Augen. Dann warf sich Kikes dazu und es sah aus, als stünde das Knäuel in Flammen.

    Die Geister überlagerten sich. Jetzt oder nie.

    Kaioru ließ den Dolch fallen, hockte sich hin und nahm zwei Hände voll Salz.

    Als die Geister aufmerksam wurden, bewarf er sie auch schon.

    „Aaahh!!!“

    Während sich die Ektoplasmaformen auflösten, hob Kaioru den Dolch wieder auf.

    Als er sich den Geistern zuwandte, hatte sich das was übrig war mit Normalmaterie angereichert. Die Grenzen zwischen den Ektoplasmakörpern schienen dabei keine Rolle gespielt zu haben. Kaioru stand eine lichterloh brennende, hasenartige aber bulligere Gestalt mit Reptiliengebiss und Wolfszunge, leuchtenden roten Augen und der Hand eines weißfelligen Wolfes gegenüber.

    Angereichert mit Normalmaterie. Aber immer noch auf der Basis von Ektoplasma, das ein Magnetfeld zusammenhielt.

    „Einen schaffe ich“, glaubte Kaioru.

    Und stürzte sich mit dem Eisendolch auf den Geist.

  • Es gibt einen Grund, warum "Pastiche" eines der Tags dieses Threads ist. Die Struktur der Geschichte (und ein paar spezifische Elemente) stammen aus einem bestimmten Film. Im heutigen Abschnitt haben wir wieder ein Element dieses Films. Wer den Film kennt und ihn noch nicht erraten hat, wird es spätestens jetzt.

    Dieser Abschnitt enthält außerdem die wahrscheinlich obskurste Anspielung in der ganzen Geschichte. Ich erwarte nicht, dass irgendwer die erkennt.


    Dreizehnter Abschnitt: Azog


    „Wir sind angekommen! Party!“, rief die Drakoide, das Wesen, das wie eine anthropomorphe Mischung aus Hirsch und Krokodil mit schwarzem Haupthaar aussah, am Steuer des Busses.

    „Party!“, erwiderte Azog gemeinsam mit ihren vier Begleiterinnen und den meisten anderen Passagieren des Busses.

    Niansstadt. Azog war zum ersten Mal mit ihrer Schwester Beliria und deren Freundinnen in der Fischigen Nacht auf der Schneeebene, aber sie alle waren zum ersten Mal in dieser Stadt. Sie hätte für das erste Mal ja gerne etwas Größeres gehabt, direkt am Meer, wie Nordend, aber das kannten die anderen eben schon. Niansstadt hatte immerhin einen großen Park. Azog konnte ihn durch das Fenster sehen.

    Das zwanzigjährige Mauswiesel sah zu den anderen vier. Dass sie zu fünft waren, hatte Beliria endlich erlaubt, eine alte Idee umzusetzen. Auch das war vielleicht ein Grund gewesen, nach Niansstadt zu fahren. Immerhin spielte „Squire Soul“ dort. Hier.

    Azog selbst war Squire Batons, zu erkennen an den roten Details ihres schuluniformähnlichen Kostüms und natürlich dem Kampfstab, der eigentlich nur eine bemalte lange Papprolle mit eingeritzter Struktur war. Da Batons auch die Feuerkriegerin war, waren Papierflammen angeklebt.

    Neben Azog am Gang saß die einundzwanzigjährige Carla, die zweitjüngste der Gruppe. Sie war nun zum zweiten Mal dabei. Sie war im Vorjahr dabei gewesen als die vier als Schildkrötenkriegerinnen in Essrigg, der Stadt an der Grenze zwischen der Schneeebene und dem Land der Eisechsen gewesen waren. Azog hatte nur Berichte bekommen. Jetzt war sie Squire Swords und trug grüne Akzente und die Scheide mit dem Plastikschwert stilecht auf dem Rücken.

    Azog gegenüber am Fenster saß Layla als Squire Coins. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt und Carlas Schwester. Sie war schon in Nordend dabei gewesen, als die Gruppe von drei als Kalians Drei Engel gegangen war. An den gelben Details und der goldenen Plastikkette war sie gut zu erkennen. Wurfmünzen hatte sie allerdings nicht dabei.

    Neben ihr, Carla gegenüber, saß die ebenfalls zweiundzwanzigjährige Marga. In ihrem Rucksack, den sie nun aufsetzte, war im Grunde alles, was die fünf außer ihren Kostümen und etwas Geld dabei hatten, sowie natürlich die zwei Plastikkelche, die zu ihrem Kostüm als Squire Cups gehörten und deshalb gut sichtbar heraus ragten.

    Beliria hatte bisher eine Reihe vor den anderen gesessen, stand aber nun. Gold und Rosa, das Diadem und das überhaupt genauer gestaltete Kostüm mit Ballettschuhen und weißen Handschuhen zeichneten sie überdeutlich als Squire Soul aus, die Anführerin der Squire Soldiers. Und das Zepter natürlich.

    „Alles aussteigen!“, rief die Busfahrerin durch die Sprechanlage. Die Türen waren auch schon offen.

    Beliria klopfte mit dem hölzernen Zepter mit der Herzspitze auf die Handfläche.

    „Ihr kennt die Regeln. Wer als letzte jemanden abschleppt und zum Treffpunkt einlädt, hat verloren!“

    Ehe die anderen das bestätigen konnten, lief Beliria los. Azog sprang auf um ihr zu folgen, die anderen ebenso. So verließen sie den Bus.

    Am Rand des Busbahnhofes blieb Beliria stehen.

    „Marga, Karte.“

    Marga gab ihr den Stadtplan und Beliria entfaltete ihn nur so weit, dass der Niansring komplett sichtbar war.

    „Hier ist der Friedhof“, sagte sie und zeigte auf einen Punkt auf der Karte. „Im Süden des Parks. Da treffen wir uns um elf, eher etwas früher. Wir sollten um elf alle da sein. Wer jemanden überzeugt hat, mitzumachen, meldet das den anderen.“

    Jede von ihnen hatte einen simplen Funksignalgeber zu diesem Zweck dabei, ein Spielzeug, gestaltet nach den Gizmophonen der Squire Soldiers.

    „Wir sind hier im Westen, da ist der Park. Sehen wir zu, dass wir ein paar leckere Kandidaten finden.“

    „Wird nicht schwer sein“, fand Carla. „Ich hole mir schon nen scharfen Jungen.“

    „Nicht doch wieder ein Mädchen?“, zog Beliria sie auf.

    „Ihr hättet mir ja ruhig vorher sagen können, worum es in der zweiten Runde geht. Dann wäre das nicht passiert.“

    „Na, diesmal darf auch eine Frau dabei sein. Wir sind vorbereitet.“

    Beliria klopfte auf Margas Rucksack.

    Azog schob den Flammenstab in die Schlinge auf ihrem Rücken um die Hände frei zu haben und sah dann auf ihre Armbanduhr.

    „Wir haben noch Zeit. Gehen wir erst mal zusammen in den Park.“

    „In Ordnung“, stimmte Beliria zu. „Aber halten wir schon mal die Augen offen.“


    Natürlich entspannten sich die anderen keine Sekunde lang. Sie alle achteten nur darauf, wer von den vielen Verkleideten sich wohl abschleppen ließ.

    Azog ertappte sich dabei, dass sie auch Ausschau hielt. Nun, was sollte sie auch sonst machen, abwesend wie die anderen waren.

    Die meisten Leute hier schienen es mit der Verkleidungstradition sehr genau zu nehmen und waren verkleidet als Geschöpfe des Meeres. Als Fische und Krustentiere, Meeresreptilien und Seevögel. Da war jemand als Korallor verkleidet, eine Art aufrechtgehendes Salzwasserkrokodil auf dem Korallen wuchsen. Da wiederum jemand als der hässliche Kugelfisch, dessen Gesicht man auf Laternen und Trommeln sah.

    Die Katze im Meerjungfrauenkostüm war irgendwie süß. Aber sie war im Bus gewesen, also keine Einheimische. Und Azog wollte auch nicht die sein, die eine Frau anschleppte und damit alles komplizierter machte.

    Einen einheimischen Mann brauchte sie also …

    Da waren ein Eisbär und ein Schneehase, verkleidet als Meeresschildkröte und Riesenkrake. Aber erstens wirkten sie, als seien sie mit der Gesellschaft des jeweils anderen recht ausgelastet und zweitens schienen sie es eilig zu haben, irgendwo hin zu kommen.

    Die Katze im Seesternkostüm war wieder weiblich, genau wie die Trommlerin, obwohl letztere immerhin definitiv eine Einheimische sein musste.

    Moment, da war doch jemand. Ein Schneeleopard, also wahrscheinlich von hier, recht simpel verkleidet als Seeratte, eine küstenbewohnende große Rattenart, die im Wasser jagte.

    Azog stellte sich neben ihn an den Fischstand und sah zu seinem Gesicht hinauf.

    „Na? Suchst du Gesellschaft?“, fragte sie, hoffentlich so verführerisch, wie sie es beabsichtigte.

    „Kann nicht schaden.“

    So begeistert klang er ja nicht. Aber immerhin.

    „Jetzt gerade bin ich beschäftigt. Aber heute um elf hab ich Zeit.“

    „Elf kann ich nicht. Das ist während meiner Schicht am Getränkestand. Du bist sicher, dass du jetzt keine Zeit hast?“

    Azog überlegte. Wenn sie sich jetzt Zeit nahm, verlor sie die anderen aus den Augen und war dem Sieg keinen Schritt näher.

    „Ganz sicher.“

    „Schade.“

    Sie ging wieder.

    „War nichts?“, fragte Beliria.

    „Er hat um elf keine Zeit.“

    „Keine Sorge. Es gibt hier noch viel mehr davon.“

  • Bald waren alle nur noch damit beschäftigt, links und rechts Männer anzusprechen. Azog war da etwas vorsichtiger als die anderen, aber wagte auch ein paar Vorstöße. Zwischendurch trafen sich immer wieder alle fünf.

    Jetzt zum Beispiel kam Marga enttäuscht von einem als Seeigel verkleideten Wolf zurück.

    „Der hat kein Interesse“, verkündete sie. „Sagt, ein Mauswiesel ist ihm zu klein.“

    „Da kommt jemand auf uns zu“, fiel Layla auf.

    Tatsächlich. Es war eine Menschenfrau, die als Rochen verkleidet war.

    „Die ist aber garantiert nicht von hier“, befand Beliria.

    „Aber ein Mensch. Das ist doch wohl exotisch genug“, argumentierte Layla. „In Essrigg haben wir auch die Eisechsen gelten lassen, die für das Fest über die Grenze gekommen sind.“

    „Und du hattest eine telepathisch begabte Tyrannenechse, das war tatsächlich lohnend. Na gut. Geh.“

    Layla ging dem Menschen entgegen.

    „Sie sprechen miteinander“, stellte Carla fest. „Sieht gut aus.“

    „Wenn das klappt, keine weiteren Frauen mehr“, erinnerte Beliria.

    „Sie hebt Layla hoch!“, rief Marga erstaunt. „Es sieht sehr gut aus!“

    Azog sah woanders hin, denn sie hatte selbst etwas gut aussehendes entdeckt. Einen Polarfuchs, vielleicht so alt wie sie, im Seeschlangenkostüm.

    Ohne den anderen Bescheid zu sagen, trat sie zu ihm.

    „Hallo“, grüßte sie.

    „Hallo“, grüßte er zurück. „Ein interessantes Kostüm.“

    Oh, guter Einstieg.

    „Mit dazu passender Unterwäsche“, erklärte sie. „Wenn du um elf Zeit hast, kannst du dich selbst davon überzeugen.“

    „Warum erst um elf?“, fragte er.

    „Na ja, das hat mit einem kleinen Spielchen zu tun. Mit vier … Freundinnen von mir.“

    Früher oder später musste er das ja erfahren. Besser, solange sie noch Zeit hatte, jemand anderen auszusuchen.

    „Das klingt ja … prickelnd.“

    Irgendetwas war seltsam an seinem Ton. Machte er sich über sie lustig?

    „Aber natürlich könnten wir auch jetzt schon … also …“

    Es war doch zu peinlich, um es direkt anzusprechen. Azog machte eine Geste, die man hoffentlich auch auf der Schneeebene verstand.

    „Wir könnten, aber … worum geht es in diesem Spiel?“

    „So genau weiß ich das auch nicht. Aber jede von uns soll einen scharfen Typen anschleppen. Und du wärst definitiv qualifiziert.“

    Hinter Azog räusperte sich jemand. Sie drehte zu einer Polarfüchsin um. Der Trommlerin.

    „Willst du etwas Bestimmtes von meinem Freund?“, fragte die.

    Natürlich.

    „Ach, geh die Kugelfischtrommel schlagen!“, sagte Azog ärgerlich.

    „Sie will etwas Bestimmtes“, bestätigte die Seeschlange. „Aber sie kriegt es nicht.“

    Natürlich. Er verarschte sie die ganze Zeit.

    Das Mauswiesel kehrte zu den anderen vier zurück.

    „War nichts“, sagte es bitter. „Seine Freundin ist hier.“

    Azog sah zu Layla.

    „Die wollte mein Blut trinken. Ihr wisst ja, warum das nicht geht.“

    Die übrigen nickten. Das ging wirklich nicht.

    „Das ist unfair“, fand Azog. „Ich mache das zum ersten Mal. Ich krieg das so nicht hin.“

    „Okay, neue Regel“, entschied Beliria. „Die letzte hat nicht automatisch verloren. Wir können entscheiden, dass ihr Begleiter so scharf ist, dass es unentschieden ausgeht.“

    Die anderen nickten. Das war schon mal etwas.

    „Und wir sollten uns jetzt trennen. Das kann unsere Chancen nur verbessern.“

    Auch dem konnte Azog nur zustimmen.


    Azog hatte sich etwas überlegt. Erstens wollte sie eigentlich niemanden, der deutlich älter war als sie. Vor allem, wenn sie ihn nicht kannte. Zweitens würde es ihr auch leichter fallen, jemanden anzusprechen, der genauso unerfahren war wie sie. Vielleicht sogar einen Jüngeren.

    Die Teenagerpartys fanden nicht im Park statt und sie hatte keine Ahnung, wo gerade jemand sturmfreie Bude hatte. Aber es gab einen logischen Ort, an dem sich Jugendliche heimlich treffen konnten. Und da in der Ebtom-Gesamtschule irgendeine Kinderfeier stattfand, blieb nur die kleine Privatschule nahe dem Tempel des Gehörnten.

    Es war kein großes Gebäude, aber man sah ihm an, dass es teuer war. Geschwungene Linien unten, eine pyramidenförmige Spitze. Drumherum Hof. Keine Spielplätze, es war keine Schule für Kinder.

    Perfekt.

    Und tatsächlich. Da lief Musik.


    Acht Jugendliche, immerhin drei davon Jungs, die alt genug aussahen, saßen hinter dem Schulgebäude, hörten Musik von einem CD-Player an den große Boxen angeschlossen waren und tranken Bier im Licht einiger Kugelfischlaternen.

    Azog tauchte einfach am Rand des beleuchteten Areals auf und tanzte hindurch, als würde sie dazugehören. Sie sah nicht nach, wer ihr hinterher pfiff, sondern drehte sich erst am Ende des Bereichs um und sah die acht an.

    „Kann ich mitmachen?“, fragte sie.

    Eine Polarfüchsin im Kostüm eines Geschwätzigen Wasserelementars warf ihr eine Flasche Bier zu. Na bitte.


    „Ihr fahrt also jedes Jahr auf die Schneeebene um Sex zu haben?“, fragte Golden, der Wolf der seinen Namen wahrscheinlich der Farbe seines Fells verdankte. Er war kein Eiswolf, wie seine gelben Augen verrieten, aber trotzdem ein Einheimischer. Und mit achtzehn Jahren alt genug. Verkleidet war er als eine Art Riesenalge. „Ihr seid also so eine Art Sextouristen?“

    Der Vergleich gefiel Azog nicht besonders. So nannte man sonst die Typen, die rüber zum Subrischen Kontinent reisten um Sex mit kaum ein Jahr alten Mäusen zu haben. Sicher, ein bisschen ging es in die Richtung, die Exotik wollten sie schon, auch deshalb konzentrierten sie sich ja auf Einheimische, aber …

    Sie setzte sich auf.

    „Es gehört schon noch ein bisschen mehr dazu“, verteidigte sie sich. „Und außerdem bin ich zum ersten Mal dabei.“

    „Was gehört noch dazu?“

    Sie lehnte sich wieder an ihn.

    „So genau weiß ich das auch nicht“, gab sie zu. „Aber es ist irgendein Wettkampf.“

    „Und das letzte Mal hatten sie wirklich Eisechsen?“

    „So haben sie es mir erzählt. Margas Partner war ein Mimus, so ein kleiner Raubsaurier, lange Schnauze, große Augen. Auch lange Zunge, sagt sie. Bei Carla war es eine Kleine Tyrannenechse, immer noch ziemlich groß, trotz des Namens. Ein Weibchen, offenbar war das dann in der zweiten Runde des Wettstreits irgendein Problem, aber Spaß hatte sie trotzdem. Layla hatte richtig Glück, sie hat nicht nur eine Große Tyrannenechse abgeschleppt, das war auch noch einer ihrer Magier, mit Telepathie und allem. Und meine Schwester hat sich nen Ceraten mit großen Hörnern geangelt.“

    „Wow.“

    Die Vorstellung schien Golden zu gefallen.

    Seine Hand wanderte unter Azogs Rock.

    „Noch nicht“, sagte sie und zog seinen Arm weg. „Du hast nicht zugesagt, teilzunehmen.“

    „Du lässt mich nur ran, wenn ich bei eurem Spiel mitmache? Ist das nicht irgendwie albern?“

    „Na ja … ich kenne dich ja auch gar nicht.“

    „Ich glaube nicht, dass du mich heute Nacht um elf besser kennst.“

    „Ja, aber da sind wir nicht alleine unter … deinen Freunden.“

    „Traust du mir denn nicht?“

    „Wie gesagt, ich … kenne dich nicht.“

    „Wir sinn dann ma drübn!“, verkündete eine nicht mehr ganz nüchterne Polarfüchsin im Regenbogenfischkostüm. Sie zeigte dabei auf eine Reihe von Büschen und zerrte zwei Typen hinter sich her.

    Gleich zwei … ne, das wäre Azog zu anstrengend. Und irgendwie peinlich.

    Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

  • „Tut mir leid, euer Spielchen ist mir zu dämlich.“

    Verflucht. Azog hätte wissen müssen, dass es so laufen würde. Und recht hatte Golden ja auch, es war dämlich. Trotzdem hätte er ihr das ruhig sagen können, bevor sie so viel Zeit mit ihm verschwendete. Nachrichten von allen anderen waren schon gekommen.

    Immerhin hatte sie bei den Teenies von dieser Party erfahren.

    Azog drückte die Klingel neben der Tür auf die mit Seeigeln groß „22“ geschrieben war.

    Und jetzt zusammenreißen. Bloß keine Nervosität zeigen. Professionell, sicher, verführerisch.

    Los.

    Eine Bergfüchsin öffnete. Sie trug das Kostüm einer Meerjungfrau, das gleiche wie die auffällig gefleckte Katze im Bus, und es stand ihr gut.

    „Gast oder Sammler?“, fragte sie.

    „Sammler“, antwortete Azog.

    Die Füchsin öffnete eine neben der Tür stehende Kühlbox.

    „Aber ich sammle keine Fischköpfe.“

    Hoffentlich wirkte das nicht zu blöd.

    Die Füchsin wandte sich wieder Azog zu. Die Box schloss sie nicht erst wieder.

    „Und was dann?“

    „Sie haben nicht zufällig einen gutaussehenden starken Mann da? Eine Frau ginge notfalls auch, aber dann müssen wir auf Hilfsmittel zurückgreifen.“

    So jedenfalls hatte Azog die Sache mit der Ausrüstung in Margas Rucksack verstanden.

    „Bitte?“

    „Es geht um eine Wette. Um zu gewinnen muss ich den besten anschleppen.“

    Hoffentlich war das nicht zu direkt.

    „Es sind einige hier. Komm rein und such dir einen raus.“

    Glück gehabt.

    Azog trat schnell ein und sah sich um.

    Ganz ruhig.

    Hoffentlich verführerisch nahm sie eine Krabbe vom Tisch und leckte daran, während sie die Gäste betrachtete.

    Die beiden Typen aus dem Park, die miteinander beschäftigt waren, eine als Möwe verkleidete Menschenfrau, ein viel zu alter Eiswolf verkleidet als Quallenschwarm – ein Schneeleopard im Krakenkostüm. Sicher nicht älter als sie. Perfekt.

    Schnell trat sie auf ihn zu. Es dauerte nicht mehr lange bis zur zweiten Runde, sie konnte nicht subtil vorgehen.

    „Hi. Ich bin ein Schulmädchen von der Schneeebene. Du hast Tentakel. Na?“

    „Blöde Klischees“, fand er. „Aber dieses passt mir jetzt ganz gut.“

    „Ich und meine Freundinnen könnten dich für ein kleines Spielchen gebrauchen …“

    „Noch mehr Squire Soldiers?“

    „Oh ja.“

    „Na, damit spiele ich großes, starkes Tentakelmonster doch gerne.“

    „Aaahh!!!“

    Azog drehte sich um und sah die Gastgeberin in der Tür. Sie wurde offenbar von irgendetwas angegriffen … waren das Fischköpfe?

    „Schatz!“

    Ein Bergfuchs im Walrosskostüm lief auf die Tür zu. Die Füchsin dort saß inzwischen. Die Fischköpfe fielen zu Boden – hatte da in Azogs Augenwinkel irgendetwas geleuchtet? Bei der Möwenfrau? – dann kippte die Gastgeberin um.

    „Raus!“, rief das Walross, als es die Meerjungfrau aufhob. „Raus, alle raus, die Party ist beendet!“

    Es machte den Platz frei und die ersten Gäste gingen.

    „Wir müssen sowieso langsam los“, befand Azog. „Aber was war das?“

    „Keine Ahnung“, gab der Krake zu.

    „Komm mit!“

    Azog zog den Mann am Arm aus dem Haus.

    „Wir müssen in den Park.“

    „Okay. Ach ja, ich bin Frerk. Und du?“

    „Azog. Komm weiter.“

    Bloß weg von diesen Fischköpfen. Was war da los? Nekromantie? In Yeovil hatten sie gerade das Magiestudium abgeschafft weil ein Student bei einem Versuch mit Nekromantie einen Unfall gehabt hatte oder so.

    Schon hatten sie die Straße überquert.

    „Du hast es ja ziemlich eilig.“

    „Fandest du das etwa nicht gruselig?“

    „Doch. Klar.“

    „Eben. Ich will hier weg und zum Friedhof.“

    „Okay, das war jetzt seltsam.“

    Da hatte er recht.

    „He, Azog!“

    Azog wurde langsamer, als sie Layla entdeckte, die ihr gerade zugerufen hatte. Bei ihr waren Marga und zwei Polarfüchse, die Azog nicht kannte, ein Mädchen als Schwarzhai und ein Junge als Hummer.

    „Hi!“, grüßte Azog. „Das ist Frerk. Das sind Layla und Marga.“

    „Du musst uns nicht vorstellen“, meinte Layla. „Wir sehen uns eh nie wieder.“

    „Ich bin trotzdem Kasta“, sagte der Schwarzhai.

    Der Hummer hatte nichts hinzuzufügen.

  • Carla und Beliria warteten schon vor dem Friedhofstor. Unterwegs hatte Azog in Erfahrung gebracht, dass Kasta zu Marga gehörte und der etwas ältere Fuchs folglich zu Layla. Carla stand nun dicht neben einem Mondlichtdachs, der als Salzwasserkrokodil verkleidet war.

    Hinter Beliria stand ein Meeresdrakon.

    Die Haltung aufrechter als die jedes Raubsauriers, etwas an ein Känguru erinnernd. Blaue Schuppen, die großen Bauchschuppen und eine Zackenleiste auf dem Rücken heller.

    Drei Zehen an jedem Fuß, zwei nach vorn gerichtet, eine nach hinten, mit silbernen Krallen. Fünffingrige Hände an den Armen. Große Fledermausflügel an den Schultern, deren Blau zur Flügelkralle hin heller wurde. Eine spitz zulaufende Schnauze voller scharfer Zähne. Gelbe Raubtieraugen mit seltsam dreieckigen Pupillen. Und ein langer Echsenschwanz.

    Dieser Drakon war echt.

    Kostümiert war er dennoch. Der goldene Maskenhelm mit den zwei Nasenhörnern, der ebenfalls goldene Schwanzaufsatz mit den zwei hoffentlich stumpfen, an Beile erinnernden, Klingen an den Seiten, die Schienbein- und Unterarmschoner in derselben Farbe, das Netz und der Speer … eine Art Gladiator?

    „Wo …“, begann Azog ihre Frage, nur um dann abzubrechen. „Wer …“

    Die anderen schienen ebenso geplättet.

    „Er wohnt wirklich hier in der Stadt“, erklärte Beliria. „Carla war auch ganz fertig, als sie ihn gesehen hat.“

    „Ihr könnt mich Dragon nennen“, sagte der Drakon mit tiefer Stimme. „Dragon von der Wolke. Ich bin aber nur ein Halbdrakon. Was die andere Hälfte ist, verrate ich nicht.“

    Obgleich er bis auf die Goldteile keine Kleidung trug, war kein Geschlechtsorgan zu erkennen. Azog zweifelte allerdings nicht daran, dass es sich bei Bedarf zeigen würde.

    „Lasst uns reingehen“, meinte Beliria.

    Der Friedhof war von einem hohen Gitterzaun umgeben. Hier an der Vorderseite wurde er niedriger, bis er das aus geschwungenen Gittern bestehende Tor erreichte.

    „Ich musste das Schloss zweimal knacken, aber jetzt ist es offen.“

    Beliria öffnete das Tor und trat auf den Friedhof. Dragon folgte, ohne zu zögern.

    Die anderen folgten einfach nur.

    Viele Gräber waren Urnengräber, aber es gab auch eine ganze Reihe von Sarggräbern mit großen Grabsteinen und sogar große Grüfte.

    Hinter einer Reihe von sieben Grabsteinen blieb Beliria stehen.

    „Ja“, meinte sie. „Das ist der richtige Ort.“

    Azog konnte die Namen und Daten von dieser Seite der Steine nicht sehen, war aber froh, dass Beliria nicht wollte, dass sie sich auf den Gräbern aufhielten. Aber was genau wollten sie eigentlich tun?

    „Wie funktioniert denn nun die zweite Runde?“, fragte Azog.

    „Erst werten wir die erste Runde aus“, erklärte Beliria.

    Sie holte ihr Gizmophon hervor.

    „Die erste war Swords, dann kam ich, dann Coins und Cups. Batons hat gar kein Signal gesendet.“

    „Ich war eh die letzte“, sagte Azog.

    Außerdem hatte sie es vergessen.

    „Swords hat also gewonnen. Und du hättest verloren, es sei denn … na, was meint ihr? Ist der Leopard heiß?“

    „Doch, ja“, fand Layla.

    „Ziemlich“, meinte Carla.

    „Ich finde, der gilt“, sagte auch Marga.

    „Alles klar. Dann haben wir keine Verliererin in dieser Runde. Beginnen wir Runde zwei. Dazu ziehen wir uns erst mal aus.“

    „Ganz?“, fragte Frerk.

    „Nur wir“, erklärte Carla. „Du musst bloß die Hose runter lassen.“

    „Ja, aber ich meine, ihr müsstet doch auch nur die Unterhosen … also … es ist kalt und die Kostüme machen ja schon einen gewissen Reiz aus …“

    Das stimmte natürlich. Aber Azog wusste, warum sie ihre Kleidung nicht anbehalten konnte.

    „Nein“, sagte sie. „Wir müssen uns ganz ausziehen.“

    Sie begann damit, während Beliria schon fertig war. Das ältere Mauswiesel drehte sich zum Grabstein und legte die Hände darauf.

    „Wir stehen so und stützen und ab. Ihr nehmt uns von hinten. Cups hat nen Umschnalldildo im Rucksack.“

    „Das klingt jetzt nicht sehr intim“, sagte Kasta enttäuscht.

    Das fand Azog auch. Aber sie mussten sich wohl gegenseitig sehen, um bewerten zu können, oder so.

    „Soll es auch nicht sein“, erklärte Beliria ernst. „Das ist ein Wettkampf. Wir beißen die Zähne zusammen. Egal ob Erregung, Schmerz oder Ekel, wir zeigen es nicht. Wer am längsten durchhält, ohne zu … reagieren, hat gewonnen. Wer es am wenigsten lange schafft hat verloren.“

    Sie wurde etwas weniger ernst und lächelte.

    „Spaß haben wir hinterher. Na ja, bis auf die Verliererin, die wird bestraft. Swords hat die erste Runde gewonnen, falls sie verliert fällt die Strafe nicht ganz so hart aus.“

    „Und hinterher tragt ihr wieder eure Kostüme, ja?“, fragte Frerk.

    „Lässt sich sicher einrichten“, antwortete Azog.

    Sie wollte das nur noch hinter sich bringen und zum vergnüglichen Teil kommen.

    „Wie ist das gemeint mit dem Reagieren?“, fragte Kasta. „Ich meine, ihr könnt doch nicht vollkommen teilnahmslos bleiben.“

    „Nein, wir werden schon angespannt sein“, nahm Azog an.

    Auch sie war inzwischen ausgezogen.

    „Die Zähne zusammenbeißen, wie Beliria gesagt hat. Wenn ich reagiere, so wie sie es meinte, wirst du es merken“, erklärte Marga.

    Oh ja, und wie.

    „Fangen wir jetzt an?“, fragte Dragon mit einem Blick auf Belirias Hinterteil.

    „Oh ja!“, antwortete die.

    „Was ist denn jetzt los?“, wunderte sich Kasta. „Ich fühle mich so … nass und kalt.“

    Azog ging es ebenso, aber sie hatte angenommen, dass die Luft einfach feucht war. Schließlich hatte sie nichts an.

    „Was ist das denn?“, fragte Dragon, der über die Grabsteine hinweg sah.

    Die Nässe und Kälte und ein Plätschern im Hintergrund, das Azog gar nicht aufgefallen war, verschwanden. Dafür war eine Art Scharren zu hören.

    „Da kommt einer raus!“, rief Frerk panisch.

    Azog war zu klein um über die Steine zu sehen, doch das musste sie gar nicht. Es geschah überall. Auf jedem Grab brach die Erde auf und … etwas wühlte sich ins Freie.

    Es gab kein seltsames Stöhnen. Kein Rufen nach Gehirn. Völlig lautlos versammelte sich da eine Horde Zombies. Und sie hatte sie umzingelt.

    „Sowas gibt’s doch gar nicht“, quiekte Dragon.

    Natürlich gab es so etwas. Nekromantie. Aber es war verboten.

    Viele Leichname waren fast nur noch Knochen, wie der Schneehase mit den Überresten eines Anzuges oder der Eisbär, der nur von dünner Haut zusammengehalten wurde. Andere waren voll vermodernden Fleisches. Ein Fuchs war relativ frisch, doch eine Made ragte aus seinem linken Augapfel wie aus einer Frucht.

    Sie alle stapften auf die Lebenden zu.

    Bis auf einen Wolf mit nur einer Hand, der aus irgendeinem Grund den Friedhof verließ.

    Die Wiesel und ihre Partner rückten zusammen. Azog fand sich an Frerk und Kasta geschmiegt.

    Jetzt roch sie es auch. Die frischeren Leichen stanken bestialisch nach Verwesung. Tränen stiegen ihr in die Augen. Dragon spuckte Feuer, auf die Zombies aus den sieben nahen Gräbern, doch es entzündete sie nicht.

    „Vergesst alles, was wir geübt haben!“, rief Beliria. „Lasst es los!“

    Kontrolle, darum ging es im Wettkampf. In der ersten Runde im Alltag, in einer stressigen Situation. In der zweiten Runde bei starken Empfindungen. Es war ein uraltes Ritual, nur wurde es heute meist fern der Heimat durchgeführt, da es besser funktionierte, wenn die Partner nicht wussten, was geschehen konnte. Es war eine Prüfung. Sie mussten es zurückhalten können.

    Aber jetzt nicht.

    Und so ließ Azog es los.

    Sie spürte wie ihre Knochen sich verschoben und verformten, ihre Muskeln anschwollen, ihr Fell wuchs und ihre Haut sich dehnte. Sie konnte sehen, wie alles um sie herum kleiner wurde, wie sie bald alle außer Dragon und den anderen vier Wieseln überragte.

    Aus den kleinen Mauswieseln waren riesige, gebückt gehende, wolfsartige Kreaturen geworden, Muskelpakete mit tödlichen Krallen und riesigen Reißzähnen.

    Und gutem Geruchssinn. Der Gestank war noch schlimmer als zuvor.

    „Ihr seid von den Wolfsstämmen!“, rief Frerk und riss sich einen Tentakel ab, den ein Zombie zu fassen bekommen hatte. „Richtige Wolfskrieger.“

    „Ja“, grollte Carla.

    „Das ist zu viel!“, rief Dragon mit hoher Stimme und rannte los.

    Mühelos drängte er die langsamen Zombies zur Seite, als er in Richtung Ausgang lief. Bis er auf sein Netz trat und fiel.

    Die bisher so langsamen Untoten warfen sich plötzlich auf ihn.

    Azog sprang nach vorne, schubste sie zur Seite, doch jetzt waren sie richtig aktiv. Sie schlurften nicht mehr, sie sprinteten. Sie attackierten gezielt. Sie warf einen Wolf gegen einen Grabstein, sodass sein Genick brach, doch er kam nur mit zur Seite hängendem Kopf zurück.

    Und dann erhob sich Dragon, die Kehle geöffnet, ein Flügel abgerissen und die Hälfte seines Gesichtes weggefressen.

    An ihr vorbei stürzte er sich auf die anderen.

    Azog konnte nicht nachsehen, wie es ihnen ging, denn auf sie drängten schon die nächsten Zombies ein.

  • So. Falls jemand es wirklich noch nicht verstanden hat, wird im folgenden Abschnitt recht deutlich, was hier wirklich los ist:


    Vierzehnter Abschnitt: Es


    Es beobachtete, wie die jüngere Füchsin ins Haus ging und die ältere die Muscheln auf einen Haufen legte. Wie sie sich umsah, dann die Fischlaterne nahm und sie als Behältnis für die Muscheln benutzte.

    Das Haus war ungeschützt. Es zog den Schokoladenskorpion am Stiel – den, in dessen Stachel noch ein Rest Gift steckte – und trat auf den Garten zu.

    Jedes Jahr nahm Es sich einen Frevler oder eine Gruppe von Frevlern persönlich vor. Letztes Jahr in Skir das Mädchen, das die Fischköpfe in den Müll geworfen hatte. Das Jahr davor in Korrin den Karikaturisten. Und das Jahr davor in Nordend die alten Schachteln, die gegen Sein Fest protestiert hatten.

    Hier in Niansstadt waren es vor dreißig Jahren diese Jugendlichen gewesen, die Seine Laternen zu Pyramiden aufgestapelt und abgeworfen hatten.

    Und heute würde es diese respektlose Füchsin sein.

    Es sprang auf das fremde Grundstück.

    Die Füchsin drehte sich um, ließ vor Schreck die Laterne voll Muscheln fallen.

    „D-du hast mich ganz schön erschreckt. Was willst du?“

    Es warf den Schokoskorpion hinter sie. Erschrocken drehte sie sich um und stand vor Seinem mit Schokolade überzogenen Riesenskorpion.

    Sie konnte nicht mehr entkommen.

    Oder so sah es aus, bis etwas in den Skorpion einschlug und ihn in tausend Stücke zerspringen ließ, nur um dann wieder zurück zu fliegen und in einer weiß behandschuhten Hand zu landen.

    Es war … ein Diadem?

    Die Besitzerin der Hand setzte es auf den Kopf und sprang vom Dach des Hauses in den Garten.

    Sie war eine Polarfüchsin, vielleicht zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt. Sie trug ein knappes Hemd mit einem goldenen, pink gerahmten Kragen und einer ebensolchen Knopfleiste, einen kurzen Rock mit goldenem, pink gerahmten Saum, das goldene Diadem mit einem Diamanten, weiße Handschuhe und so etwas wie Ballettschuhe. Es ging eine Art Licht von dem Mädchen aus, eine ungewöhnliche Aura, wie Es sie seit dem Untergang des Kristallreiches nicht mehr gespürt hatte.

    „Für Vergangenheit und Zukunft aber vor allem die Gegenwart, die Strahlende Wächterin – Squire Soul!“

    Was?

    Eine zweite Füchsin in gleicher Kleidung, nur dass die Akzente statt in Gold und Pink in Blau gehalten waren und sie keine Schuhe oder Handschuhe trug, kam von irgendwo dazu.

    „Ebenso – Squire Cups!“

    Eine mit roten Akzenten und hochhackigen Schuhen erschien auf Squire Souls anderer Seite.

    „Ebenso – Squire Batons!“

    Eine in grün mit … so etwas wie Sportschuhen.

    „Squire Swords!“

    Um zu erfahren, ob sie genauso verwirrt war, sah Es zu der Füchsin im Spinnenkrabbenkostüm – nur war sie nicht mehr da. Stattdessen stand da ein weiteres dieser jungen Mädchen, dieses mit gelben Akzenten, weißen Handschuhen und Ballettschuhen.

    „Ebenso“, sagte es grinsend. „Squire Coins.“

    „Was wollt ihr?“, zischte Es.

    Es sprach sonst nicht mit seinen Opfern. Aber so etwas war bisher auch noch nie passiert.

    Soul zeigte direkt auf Es.

    „Du hast Fischköpfe verzaubert und damit eine Frau angegriffen! Du hast mit einem verzauberten Kostüm eine andere Frau gezwungen, einen Jugendlichen zu töten! Du hast böse Geister auf Kinder losgelassen und vier von ihnen getötet!“

    Das letzte schien ihr besonders nahezugehen.

    „Und das sind nur die Verbrechen, die wir dir sicher zuordnen können! Das ist unverzeihlich!“

    Was wusste die denn?

    „Aber es ist meine Aufgabe, alles zu verzeihen. Ergib dich und wir liefern dich nur der Götterbekämpfung aus.“

    Sie hatten erkannt, was Es war. Und sie wagten es trotzdem.

    „Du willst mir verzeihen?“, fragte Es zischend. „Du mir? Ich bin das Fischgesicht. Ich beschütze euch! Ich beseitige die, die die Regeln brechen und alle gefährden!“

    „Du warst letztes Jahr nicht hier und nicht die Jahre davor!“, rief Squire Cups. „Und es ist nichts passiert.“

    „Einen Beschützer wie dich brauchen wir nicht!“, stimmte Squire Soul zu. „Ergib dich oder du wirst vernichtet!“

    „Das wagt ihr nicht!“

    Das Fischgesicht griff nach der Kugelfischmaske und riss sie herunter, zeigte Sein echtes Gesicht und Seine ganze Macht. Die Mädchen wichen zurück, doch nur kurz.

    „Du hast gewählt. Beschäftigt es!“

    Squire Soul zog ein Bein hoch und begann, sich auf einem Fuß zu drehen. Plötzlich hielt sie auch etwas in den Händen. Eine Art Zepter, einen goldenen Stab, auf dessen Spitze ein Herz aus rotem Glas oder Kristall saß.

    Das konnte Ihm doch keine Angst machen!

    Eine Handbewegung genügte und die Kugelfischlaterne spuckte die in ihr aufbewahrten Muscheln schnell wie Pfeile auf das Mädchen – das sie nie erreichten, da sie von einem schwebenden Wasserstrom aufgehalten wurden, der aus zwei silbernen Kelchen entsprang, die Squire Cups hielt.

    Um den Arm, der die Geste ausgeführt hatte, schlang sich plötzlich eine goldene Kette, an deren anderem Ende Squire Coins zog.

    Mit der freien Hand ließ Es den falschen Tintenfisch angreifen, der in den Flammen von Squire Batons Stab verging, als sie die Tentakel abwehrte und dabei in Brand steckte.

    Nun ließ Es das Haigebiss von hinten nach Soul schnappen, doch Swords ließ das leichte Plastik von einer Windböe gegen einen Baum werfen, wo es zerbrach.

    Als sie dann direkt angriff, erwartete Es einen Schwerthieb und bekam stattdessen einen Tritt in die Seite, der Es näher an Coins beförderte. Als Es plötzlich einen Wasserstrahl ins Gesicht bekam wickelte sich die Goldkette um Seinen ganzen Körper.

    Der Strahl brach ab und Es sah Squire Soul vor sich, die sich gerade noch mit atemberaubender Geschwindigkeit drehte, um plötzlich stehen zu bleiben und das Zepter mit dem mittlerweile hell strahlenden Herz direkt auf Es zu richten.

    „Du kannst dich noch ergeben.“

    Ergeben? Es war ein Gott!

    „Niemals!“

    Ein Gedanke genügte, damit die Goldkette zerschmolz. Angreifendes Wasser und Feuer änderte seine Richtung und die Erde bebte. Es öffnete Sein Maul zur Gänze, ließ die Macht fließen, krempelte sich um, um Seine schrecklichste Form hervorzuholen in der Es schon die Armeen der Tiefen in Angst und Schrecken versetzt hatte.

    „Seelensturmstoß!“

    Aus dem Herz an der Spitze des Zepters schoss ein Strahl.

    Und das war alles.

  • Und wir kommen zum Ende.


    Fünfzehnter Abschnitt: Squire Soul


    Squire Soul ließ das Zepter sinken und sah zu, wie das Fischgesicht, jetzt aus rosa Kristall, zu Staub zerfiel.

    „Ich wünschte, ich könnte das Ding subtiler einsetzen“, sagte sie ehrlich.

    „Ich auch“, stimmte Swords zu. „Dann wäre meine Küche noch heil.“

    „Ich weiß, tut mir leid.“

    „Sollte es aber nicht“, mischte sich Cups ein. „Es war der einzige Weg, sicherzustellen, dass das Kostüm wirklich zerstört ist. Die Fliesen kann man ersetzen.“

    „Schon …“, meinte Soul. „Aber irgendwie bin ich froh, dass dich das Kostüm erwischt hat. Ich meine, sonst hättest du nicht gesehen wie Aujilei in die Anstalt geht. Sie hätte vielleicht noch die ganze Nacht in der Ecke gesessen und wäre erfroren.“

    „Dafür würde der Eisbär noch leben.“

    Rational betrachtet hatte Cups da Recht. Aber Soul konnte nicht anders, als den Tod eines fast Unbekannten als akzeptablen Preis für die Rettung ihrer Tochter zu sehen.

    „Fegt ihr den Staub weg?“, fragte Batons. „Ich muss nach Hause. Die Polizei will noch mal wieder kommen und genau wissen, wer alles zu Gast war. Irgendwer muss die Frau ja umgebracht und in die Kühlboxen gestopft haben.“

    „Ich muss zurück zu den Kindern“, sagte Cups. „Mista passt zwar auf und wir haben Schutzmaßnahmen gegen Geister und irre Götter ergriffen, aber sie brauchen mich trotzdem.“

    Soul nickte. Sie musste auch nach Hause, zu Aujilei.

    Es war schon ein Schock gewesen, als Eroka angerufen hatte, eigentlich bei den Mins, in der Hoffnung, dass Garibati noch da war, und berichtet hatte, was Aylette zugestoßen war. Aber ein größerer, als Aylette, wieder auf den Beinen dank Squire Souls heilenden Händen, erzählt hatte, wo sie Aujilei gesehen hatte. Sie hatten sie frierend und verängstigt in der Anstalt gefunden und nach Hause gebracht. Und dann hatten die Polizeisirenen sie zu Leira gelockt, genau wie Dionea und Netes. Netes abzulenken, damit sie den Plan schmieden konnten, war nicht so schwer gewesen. Aylette hatte nochmal nach den Kindern gesehen und erfahren, dass Kaioru da gewesen war und sie vor irgendetwas geschützt hatte – auch jetzt, da Suiana und er nicht mehr zusammen waren, war noch Verlass auf ihn –, Leira hatte der Polizei Auskunft gegeben. Dann hatten sie die Falle zuschnappen lassen.

    „Ich bin froh, dass ich recht hatte“, meinte Cups. „Wenn ich mich bei dem Muster geirrt hätte, hätte unser Köder nicht funktioniert.“

    „Ich dachte, du hättest alles mit dem Squire-Computer überprüft!“, rief Coins.

    „Klar. Aber der weiß auch nicht alles. Kristallseele aus!“

    Die ewig neunzehnjährige Squire Cups wurde wieder zur sechsundvierzigjährigen Aylette Min.

    „Ich komme mit zu den Kindern“, entschied Swords. „Immerhin ist mein Enkel dabei. Und wenn Kasta noch nicht zuhause ist, sollte ich sie suchen. Wer weiß, was dieser gemeingefährliche Gott noch angerichtet hat. Kristallseele aus!“

    Squire Swords wurde zu Eroka Ebtom.

    „Moooment mal!“, rief Coins. „Soll ich etwa alleine aufräumen?“

    Es folgte ein Moment der Stille, in dem deutlich zu hören war, wie sich die Haustür öffnete.

    „Kristallseele aus!“, riefen Soul, Batons und Coins sofort und wurden wieder zu Suiana Guss, Leira Breigel und Dionea Kiem.

    Dass sie dabei von Polarfüchsen zu Kreuzungen, beziehungsweise einer Bergfüchsin wurden, erstaunte Suiana immer wieder. Auch, dass sie gleich die Kleidung zurückbekamen, die sie vor der Verwandlung in Squire Soldiers getragen hatten, also ihre Kostüme.

    „Mama, was machst du denn hier für einen Lärm – das sieht ja schlimmer aus als vorher!“

    „Ein … kleiner Unfall“, behauptete Dionea.

    „Jetzt wo eh alles kaputt ist, kannst du es aber auch liegen lassen.“

    „Ja. Ja, das kann ich.“

    Dionea hatte recht. Genug Squire Soldiers für eine Nacht. Jetzt waren sie wieder die Hausfrauen des Niansringes. Und eine Lehrerin.



    Epilog


    May ließ das Manuskript los und es blieb in der Luft hängen. Diese Geschichte war beendet. Ein Feind war besiegt. Doch der uralte Fluch, der vielleicht von dem Wesen unter dem Siegel kam, es vielleicht erst hervorgebracht hatte, lag weiter über dem Niansring. Und seine Wirkung war die Illusion. Egal was geschah, egal wie viele starben, wie viel Schrecken auszustehen war, die Bewohner des Niansringes glaubten weiter, in einer ruhigen Gegend zu leben.

    Meist war das auch wahr. Aber erschreckend oft nicht. Und die Illusion würde nicht fallen, ehe das Siegel brach.

    Und dann würde auch May vielleicht frei sein.

  • Noch mal in Worte gefasst und nicht nur in reaktions-Smileys: was für eine toll zusammengepuzzelte Geschichte! Das ist super geschrieben - auch wenn ich nur einen Bruchteil der Verweise und Anspielungen verstanden habe (und es mir zwischendrin zu gruselig/eklig war, um es vor Schlafengehen zu lesen :zitter: ).


    Jedenfalls toll, vermutlich muß ich es noch mal lesen mit dem kompletten Bild. Man braucht ja erst mal, um allein durch das Repertoire an Leuten zu kommen (und muss sich am besten eine Skizze dazu machen...)

  • Noch mal in Worte gefasst und nicht nur in reaktions-Smileys: was für eine toll zusammengepuzzelte Geschichte! Das ist super geschrieben - auch wenn ich nur einen Bruchteil der Verweise und Anspielungen verstanden habe (und es mir zwischendrin zu gruselig/eklig war, um es vor Schlafengehen zu lesen :zitter: ).


    Jedenfalls toll, vermutlich muß ich es noch mal lesen mit dem kompletten Bild. Man braucht ja erst mal, um allein durch das Repertoire an Leuten zu kommen (und muss sich am besten eine Skizze dazu machen...)

    Danke.

    Ich hatte mir zum Schreiben tatsächlich eine Skizze der Straße gemacht. Neben anderen notwendigen Notizen.

  • Passenderweise kam mir gestern nach dem Lesen des letzten Stückes draußen im Dunkeln jemand mit einer Fischlaterne entgegen :zitter:


    (gestern war St. Martin)

  • Danke für die Geschichte. :) Ich hab nicht alles gecheckt, vor allem welche Fragen sich beantworten^^, wie du zwischen den Abschnitten manchmal schreibst. Aber ich fands toll wieder was von dir zu lesen. Insbesondere das Hermelinhäuten fand ich natürlich super ^^

    Ja, der Typ hat wirklich ein Hermelin gehäutet um aus der Haut Pergament zu machen. Wenn er den Zombie überlebt, bringt ihn Tö wegen Pelzverschwendung um.

    Ja genau, und wegen seines Pelzes. Dann hätte ich Hermelin UND Eiswolf! :diablo: Hach, ein Träumchen...



    „Ihr seid also so eine Art Sextouristen?“

    Der Vergleich gefiel Azog nicht besonders. So nannte man sonst die Typen, die rüber zum Subrischen Kontinent reisten um Sex mit kaum ein Jahr alten Mäusen zu haben.

    o.o Ist das so krass wie es sich anhört? Immerhin sind die anderen sexuelle aktiven Tiere hier ja deutlich älter.

  • Bitte.

    Und danke für's lesen.

    Ich bezog mich hauptsächlich auf so Fragen wie "Warum liegt da ein Beutel mit toten Mäusen?", "Wer hat das Hermelin umgebracht?", "Was hat es auf sich mit 'ja' 'nein' 'fick dich'?" und sowas.

    „Ihr seid also so eine Art Sextouristen?“

    Der Vergleich gefiel Azog nicht besonders. So nannte man sonst die Typen, die rüber zum Subrischen Kontinent reisten um Sex mit kaum ein Jahr alten Mäusen zu haben.

    o.o Ist das so krass wie es sich anhört? Immerhin sind die anderen sexuelle aktiven Tiere hier ja deutlich älter.

    Da habe ich doch einen Abschnitt übersehen, der wirklich einer Erklärung bedurft hätte ...

    Es ist nicht ganz so krass. Die subrischen Anthros sind auf andere Art entstanden als die des Umringten Kontinents und deutlich tierähnlicher. Eine ein Jahr alte Maus ist noch nicht direkt erwachsen aber auch kein Kind mehr. Also ist das schon übel, aber nicht so schlimm wie es klingt.

  • Ich verrate mal eine Anspielung, weil die garantiert nie jemand erraten wird. Die fünf Mauswiesel (Azog, Beliria, Carla, Layla und Marga) sind benannt nach den Protagonistinnen der Dinosaurier-Erotikromane von Christie Simms. Ich habe von denen nur die Klappentexte in einem Cracked-Artikel (damals, als Cracked noch gut war ...) gelesen, aber da war mir schon klar, dass ich irgendwas damit machen muss. Daher auch die Stelle mit den Eisechsen.

  • Und jetzt beim erneuten Lesen fällt mir erst auf, dass in der Sequenz in der Anstalt eine Laterne zu wenig ist. Die Panzerbestie wird nicht mitgezählt. Füge ich also eine Laterne hinzu? Aber neun ist eine schöne Zahl ... nehme ich eine Geschichte raus? Ne ... ich könnte Metla irgendeinen Trick anwenden lassen, unauffällig eine Laterne für zwei Geschichten benutzen ... oder ich könnte die namenlosen Patienten und das Personal zu einer Laterne zusammenfügen ... hm ...


    Und ich glaube, dass das Alianbestienkostüm in den See geht, wieder raus kommt, vom See weg und dann wieder hin geht ist etwas seltsam so ohne Erklärung. Und es gäbe ja eine. Es könnte versuchen, den unterirdischen Zugang zum Meer zu benutzen und daran scheitern.


    Und das mit den schneller wachsenden subrischen Mäusen sollte ich erkären, aber an der Stelle an der die Sextouristen erwähnt werden passt es nicht. Muss irgendwo früher hin ...

  • Ha! Das mit den Laternen war mir beim Lesen auch aufgefallen, aber am Ende des Posts war es mir schon wieder entfallen...

    Das mit den subrischen Mäusen fand ich persönlich relativ selbsterklärend. Also dass sie sehr jung, aber jedenfalls keine Kleinkinder mehr sind.


    Mir fällt übrigens eine Frage wieder ein, die ich nach dem Ende hatte: Kommt nicht raus, was mit dem Killerlehrer passiert oder hab ich es nur überlesen?

    Und gibt es eigentlich irgendwelche Hinweise auf die Identität der echten Squire Soldiers im Text? Hätte man darauf kommen können?

  • Ha! Das mit den Laternen war mir beim Lesen auch aufgefallen, aber am Ende des Posts war es mir schon wieder entfallen...

    Das mit den subrischen Mäusen fand ich persönlich relativ selbsterklärend. Also dass sie sehr jung, aber jedenfalls keine Kleinkinder mehr sind.


    Mir fällt übrigens eine Frage wieder ein, die ich nach dem Ende hatte: Kommt nicht raus, was mit dem Killerlehrer passiert oder hab ich es nur überlesen?

    Und gibt es eigentlich irgendwelche Hinweise auf die Identität der echten Squire Soldiers im Text? Hätte man darauf kommen können?

    Nun, der Lehrer bekommt einen Knochen in den Bauch, aber ob er das überlebt, erfährt man hier tatsächlich nicht.


    Es gibt Hinweise auf die Identitäten der Squire Soldiers, aber die kann man nur erkennen, wenn man sich mit der Vorlage ein bisschen auskennt. (Was die Vorlage ist, dürfte einigermaßen offensichtlich sein.)

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