OK, dann fangen wir mal an.
Und zwar, nachdem ich in der Weltenkunst einen Dîliranj vorgestellt habe, mit der in Ospeton vorherrschenden "Religion" (wenn man es denn als solche bezeichnen kann). Ospeton ist der derzeit größte Staat Altanns, der besonders kulturell große Teile des Ostkontinents beeinflusst.
Das Ouran-Lêran
Ospetonier beten zu keinen Göttern. Das Ouran-Lêran (= Dunkel-Hell) ist nicht personalisiert, sondern tatsächlich ein Prinzip, das die Welt mit all ihren gegensätzlichen Facetten (Mann und Frau, Tag und Nacht, Freude und Trauer...) zu erklären versucht. Ob etwas Ouran oder Lêran ist, ist dabei für einen Außenstehenden oft nicht leicht zu begreifen. Nicht jedes Verbrechen ist Ouran, und nicht jede gute Tat ist Lêran - ja, die gleiche Tat kann in einer Situation dunkel, in einer anderen hell sein. Aus diesem Grund konnte das Prinzip niemals zu einer Staatsreligion werden, denn beispielsweise eine Strafverfolgung ist auf dieser Grundlage schwerlich möglich. Es gab sehr wohl Versuche, Ouran-Lêran-Politik zu betreiben, aber selbst die fanatischsten Verfechter des Prinzips mussten am Ende zugeben, dass daraus nichts als Chaos erwuchs. Denn wie gesagt - das Ouran-Lêran wertet nicht, sondern sorgt für das Gleichgewicht. Tritt etwas dem Ouran Zugehöriges ein, so wird zur gleichen Zeit an einer anderen Stelle ein Lêran-Aspekt Wirklichkeit. Wird in einem Haus im Norden ein großes Kind geboren (Ouran), so stirbt vielleicht im Süden eine kleine, alte Frau (Lêran). Stirbt die alte Frau dagegen an einer Krankheit, wäre es Ouran, und ihm zugeordnet wäre ein anderes Ereignis, vielleicht eine gute Ernte. Auf diese Weise leben die Gläubigen schicksalsergeben und geduldig, weil sie wissen: was ihnen auch zustoßen mag, es war für das Gleichgewicht nötig.
Die Dîliwairanj ("Zweigeteilte", sowas wie Priester, mehr dazu im Weltenkunstthread) sind außer der ständigen Suche nach bzw. dem Ausleben der Gegensätze in ihnen, um so eine Verbindung zwischen den Prinzipien zu schaffen, auch damit beschäftigt, durch Meditation und Kontakte zu anderen Zweigeteilten wichtige Ereignisse zu erfahren und zu ihnen kommenden Menschen zu sagen, welchem Aspekt Dinge, die sie erleben, zuzordnen sind und was die dazugehörigen Entsprechungen im anderen Aspekt sind.
Für den normalen Ospetonier hat das Ouran-Lêran ansonsten weniger religiöse als kulturelle Bedeutung. Zwar hat jeder Haushalt wenigstens einen schwarz-weißen Türvorhang, um an das Prinzip zu erinnern, und bei wichtigen Ereignissen wie Geburten, Initiationen, Hochzeiten, dem Antritt eines hohen Amtes oder Beerdigungen wird ein Dîliranj geholt, der zum einen für den Moment beide Aspekte durch seine Anwesenheit zum Ort des Geschehens bringt, was als positive Voraussetzung gilt, zum anderen aber auch aus den Begleitumständen Zukunftsprognosen stellt (die aber auch tatsächlich Prognosen sind und nicht eintreffen müssen, dazu ist das Ouran-Lêran viel zu unberechenbar). Ansonsten fordert es dem Gläubigen aber keine religiösen Pflichten ab, außer den Zweigeteilten mit Respekt und Freigiebigkeit zu begegnen. Andere Religionen werden milde belächelt und versucht zum Ouran-Lêran zu bekehren, aber nicht unterdrückt.
Kulturell bedeutet es allerdings sehr viel. In Ospeton wird alles in die beiden Bereiche eingeteilt und einander gegenüberstellt, um das Gleichgewicht zu wahren. Es gibt beispielsweise spezifisch geschlechtlich zugewiesene Aufgaben, die nur im äußersten Notfall vom anderen Geschlecht ausgeführt werden dürfen. Homo- oder gar Transsexualität ist undenkbar und wird streng bestraft, denn beides widerspricht der Gegensätzlichkeit von Frau und Mann und damit dem Ouran-Lêran. Die Tatsache, dass beide Aspekte gleichwertig sind und auch gut und schlecht vom Grundsatz her nicht wertig aufgefasst werden, führt dazu, dass beispielsweise auch ein konsequent übler Raubmörder eine gewisse Anerkennung erhält - verständlicherweise nicht so viel wie der sich dem Guten verschreibende Gesetzeshüter, der eben diesen Raubmörder mit vollem Einsatz zu stellen versucht, aber doch mehr als jemand, der sich durch kleinere, versteckte schlechte Taten in die verachtete Grauzone begibt. Entsprechend sind die Ospetonier ein Volk der Extreme. Niemand führt ein klein wenig ausschweifendes oder ein einigermaßen anständiges Leben - entweder oder ist die Devise. Versteckte Sünden sind, soweit sie nicht der Strafverfolgung unterliegen, selten. Eine Person des öffentlichen Lebens, die auf schmutzigen Sex steht, gerne mal einen über den Durst trinkt oder seine Sklaven verprügelt hat wenig für seine Reputation zu befürchten, solange er oder sie das ganz offen tut.
(schuldigung, ist etwas lang geworden... )