Ungewöhnliche Konzepterarbeitung für mich... viel Text, keine direkte Beschreibung. Kritik zu Inhalt und Darstellung und WTF??s sind erwünscht. Viel Spaß. Ihr wurdet gewarnt. Oh wurdet ihr nicht... okay. Seid gewarnt! Es ist seltsam sinnlos.
Gedanken zur sortieren ist auffallend schwierig. Aus irgend einem Grund ist allein schon die Logik meines Gehirns nicht ein Stück ordentlicher als der Rest meiner Eigenschaften und es kostet mich Stunden und all meine geringe Geduld, um halbwegs eine Struktur in das Ganze zu bringen.
Übrigens: Du wirst mir kein Wort glauben. Ich kenne dich schließlich.
Du bist heute morgen aufgewacht, warst verschlafen, bist umhergetappt und hast nach einem Besuch im Bad und einer fruchtlosen Untersuchung des Kühlschrankes beschlossen, weiter zu schlafen, weil du ohnehin heute wegen irgend eines besonderen Anlasses nicht arbeiten musst. Man muss in dieser Situation nie arbeiten, habe ich erfahren, aber erstmal weiter zu deinem Morgen.
Im Bett fiel dir auf, dass irgend etwas an deinem Kopfkissen nicht ganz bequem ist. An dem gestreiften, das sich irgendwo zwischen den anderen versteckt, das aber sich so hervorragend zwischen Schulter und Wange klemmen lässt. Darin war etwas Eckiges, was sich nach einer raschen Untersuchung mit einer Schere als Buch herausstellte.
Wenn dem nicht so war, hast du eines der anderen gefunden. Das im rausgeschnittenen Teil des Telefonbuchs, das in der Kaffeedose, das im Futter deines Wintermantels, das unter den Katzenfutterdosen oder vielleicht sogar das in Plastik eingeschweißte im Spülkasten der Toilette. Man kann nie sicher genug gehen. Ich weiß das, glaube mir.
Warum?
Ich bin auch an einem sehr ähnlichen Morgen aufgewacht, habe aber kein Buch in meiner Wohnung vorgefunden. Also schon, aber eben keine mit handschriftlichen Notizen darin. Oder besser eben keines wie dieses hier. Seltsam wurde es erst am Nachmittag, als ich anfing, Leute zu sehen, die nicht da waren. Oder besser immer die gleiche Person, nur in unterschiedlichen Stadien ihres Lebens. Es sollte sich schnell herausstellen, dass ich meilenbreite Lücken in meinem Gedächtnis hatte, die nur mit einer dünnen Tünche Lügen und Gewohnheitsausreden überdeckt waren, und dass beim Prozess des Vergessens sich Erinnerungen einer anderen Person dort eingeschlichen und versteckt hatten. Erinnerungen einer Person, die in einer anderen Zeit auf einem anderen Planeten aufgewacht ist.
Ich weiß, dass du trotz dieser gewagten Behauptung das Buch nicht weglegen wirst. Es liegt an der Handschrift, nicht wahr?
An diesem seltsamen Tag damals hat sich also eine Menge für mich verändert oder besser wieder herausgestellt. Ich habe eine Reihe Menschen wieder kennen gelernt, die ich eigentlich schon kannte, und ein Haus besucht. Ein sehr besonderes Haus, eine Stunde Fahrt von deiner Wohnung nahe eines Ortes namens Lebus, der heute an der deutsch-polnischen Grenze liegt. Als das Haus gebaut wurde, 1792, sah das noch anders aus und 1805, als es seinem neuen Zeck zugeführt wurde, erst recht, hatte Preußen doch gute Teile Polens seinem Herrschaftsbereich hinzugeführt.
In diesem Haus hängt das Portrait einer stattlichen blonden Dame mit aufwändiger Frisur und beeindruckendem Kleid, eine schlaue und ehrgeizige Frau aus der umfangreichen Menge von schlauen, ehrgeizigen und hübschen Frauen rings um den Hof zu jener Zeit. Engagiert und interessiert an allem Unerklärlichen boten sie und ihr Landhaus eine hervorragende Basis für das wohl ungewöhnlichste Büro im Staatsgebäude Preußens. All die Angestellten des Büros Lebus seit 1805 bis heute hängen dort als Protraits wie in einem Museum. Ich habe selber Tage lang dafür herumsitzen müssen, denn in guter alter Tradition wird immer noch in Öl gemalt. Das Büro zahlt, da stellt man keine Fragen.
All diese portraitierten Männer und Frauen haben einen etwas seltsamen Blick. Sie schauen einen von den Wänden an, als wüssten sie ein bisschen mehr als der reale Betrachter vor ihren Bildern. Und das tun sie auch. Oder sie sitzen einer der elaboratesten Gruppenwahnvorstellungen auf, die die Menschheit je außerhalb religiöser Umgebungen erlebt hat.
Glaub es mir oder nicht, aber irgendwann im 22. Jahrhundert wird man hier auf der Erde irgend eine entscheidende und irgendwo auch fatale Tat tun und dabei aus Versehen das Universum zerbrechen. Zu unserem Glück ist unser Universum ein recht zähes Ding (nicht meine Worte, ich zitiere hier jemanden mit mehr Ahnung aber wenig Lust, sie kundzutun) und ist nicht ganz kaputt gegangen, als man an seinen Grundeinstellungen herumdrehte. Statt dessen hat es nur ein paar Risse bekommen. Oder besser Sprünge. Oder noch besser längliche Löcher mit Durchgängen, denn im Grunde kann man hinein und hinaus fallen und eine Seite ist an Ort und Zeit A und die andere an Ort und Zeit B. Das Knifflige: die Sprünge im Universumsglas halten sich brav an die Flugbahn der Erde, vorwärts und rückwärts durch die Zeit übrigens, was ziemlich kompliziert ist, ich meine würde man einen festen Fixpunkt im Universum haben, den es nicht gibt, aber gäbe es ihn, würde die Erde einen ziemlich seltsamen Kurs haben, denn sie bewegt sich ja nicht nur um die Sonne, die Sonne bewegt sich auch und am Ende...
...ist das recht egal. Fakt ist, die gesamte Geschichte der Erde vorwärts und rückwärts passieren wir kontinuierlich kleine Risse, Sprünge oder von mir aus auch Löcher, durch die Dinge oder gar Personen vorwärts und rückwärts fallen. Brocken von Gestein vielleicht nur. Ein Liter Wasser. Ein Tier, das am anderen Ende sofort im leeren All geschockfrostet wird oder verdampft oder was immer im Vakuum so passiert. Und immer mal wieder ist etwas auf einem Planeten gelandet und verendet, aber die Fracht an Bakterien im Darm hat irgendwie überlebt. Oder zuweilen sogar eine ganze Reihe Tiere. Oder ein einzelner Mensch.
Als das Universum zerbrochen wurde, kamen praktisch sofort andere Bewohner dieses unseres Universums vorbei und waren ziemlich befremdet und übrigens hatte es sie ab dem Zeitpunkt immer schon gegeben weil auf einmal alles ANDERS war. In Großbuchstaben. Nur sind sie nicht in der Erdhistorie aufgetaucht, oder vielleicht besser nicht auffällig, sonst wäre es ohnehin nie zu diesem Zwischenfall bekommen und ich höre jetzt damit auf, weil ich sonst Migräne bekomme. Ich habe diesen Job nicht, weil ich Ahnung von Physik habe, sondern weil ich verdammt schnell rennen kann, mit einer Waffe umzugehen weiß und meistens sagen kann, wenn jemand lügt.
Denn wie fast alle 'großen Nationen' der Jahrhundertwende 1800 hat irgendwer in Preußen gedacht es wäre schlau, wenigstens für den Notfall jemanden zu haben, der sich mit Übernatürlichem beschäftigt. Ja, die nüchternen Preußen. Die Bayern hatten auch welche, übrigens, aber die haben sich glaube ich nicht bis heute gehalten. Oder sind aus dem Untertauchen, das die meisten dieser Büros vollzogen, nie wieder aufgetaucht.
Das Büro Lebus sollte sich also mit Übernatürlichem beschäftigen und tat es auch und nach einem Jahr war es 1806 und es gab wieder einen Krieg und vieles änderte sich und auf einmal ... war es ohne Zutun untergetaucht. Lebte von der Geldanlage des Vermögens der Dame in dem großen Portrait gegenüber des Einganges. Und dann meldeten sich andere, ähnliche Einrichtungen.
Büro Lebus ist Teil eines ganzen Netzwerkes. Eine Partnerorganisation stammt aus Österreich-Ungarn, wir haben gleich zwei unabhängige englische Einrichtungen, ein Dutzend amerikanische und eine unglaublich große und unerfolgreiche russische. Die Asiaten halten eher wenig Kontakt. Wir sind alle Anachronismen, aus anderen Zeiten übrig geblieben, aber das macht nichts. Wir beschäftigen uns ja auch mit Dingen aus anderen Zeiten und von anderen Welten.
Anstrengender Job. Undankbar. Viel Papierkram. Wirklich unglaubliche Geschichten. Und das Befremdlichste ist: alles, was dort draußen irgendwo existiert, ob das Rowoon sind oder gar Menschen - es hat alles hier seinen Ursprung, teilt alles mit uns wenigstens einen winzigen Teil der DNA. Glaube mir, das Universum ist so unendlich viel beeindruckender, vielfältiger und doch vertrauter, als du denken magst.
Du glaubst mir nicht. Habe ich erst auch nicht. Aber du wirst weiterlesen und meine Spuren verfolgen, genau wie ich es damals mit fremden Erinnerungen und Brotkrumenhinweisen tat. Warum ich das weiß?
Ich bin du.