Die Königinnen von Seng-Val
Seng-Val liegt in der Zentralebene von Kancha, auf einer Höhe von fast 3000 Schritt. Die Gegend ist recht trocken und unwirtlich, die lokalen Ansiedlungen sind entsprechend klein und die Bevölkerung ist arm. Heutzutage sind die Seng-Valesen den Dwa zu Tribut verpflichtet und haben kaum Einfluss auf die Politik in ihrem Reich. Das herausstechendste Merkmal von Seng-Val sind die Monumente, die die alten Seng-Val hinterlassen haben: Die Pyramiden.
Diese Pyramiden findet man überall auf der Hochebene. Die meisten von ihnen sind eher klein und wenig beeindruckend. Meistens sind sie kaum größer als ein gewöhnliches Haus und bestehen aus dem lokalen Felsgestein und Holz. Es gibt aber auch eine Handvoll richtig beeindruckender Bauten, ein Beispiel dafür ist die große Pyramide von Merob. Diese unterscheidet sich ganz gewaltig von allen anderen Pyramiden: Sie ist viel größer, so groß, dass sie die ganze Stadt überragt und wahrscheinlich sogar ganz Bwengele überragen würde, brächte man sie dorthin. Im unteren Drittel besteht sie aus dem gleichen grauen Felsgestein, wie die meisten Pyramiden in Sengval. Das mittlere Drittel besteht aus einem grünen Sandstein, den man nirgends auf der Hochebene findet – die nächstgelegene Quelle dafür liegt über 2000 Meilen entfernt im großen Senkloch. Doch das alles wird vom oberen Drittel der Pyramide überschattet: Dieses besteht nämlich aus einem einzigen Stück geschliffenen, purpurnen Kristalls.
Der Kristall ist dabei so groß, wie eine der kleineren Felspyramiden und leuchtet in der Nacht noch, als würde die Sonne direkt auf ihn scheinen. Wegen dieser Eigenschaft ist Merob auch ohne Probleme jederzeit auffindbar – sobald es dunkel wird, sieht man das Licht der Pyramide im ganzen Umland.
Es ist nicht bekannt, woher dieser Kristall stammt, es wurde aber von vielen Gelehrten Zim spekuliert, dass er ebenfalls aus dem großen Senkloch kommen muss, da solche Materialien an der Oberfläche nicht vorkommen und nur aus der Tiefe stammen können. Eine andere Theorie besagt, dass der Kristall eine Hinterlassenschaft der Alten sein muss, die vor Jahrtausenden von Kancha aus über die ganze Welt herrschten. Diese Theorie steht jedoch auf sehr wackligen Füßen, da die Legenden von den Alten wohl eher ins Reich der Märchen gehören, als in die Realität.
Eine lange Treppe flacher Stufen führt an der Seite der Pyramide bis zu der kristallenen Spitze hinauf. Zwei Eingänge und ein Altar befinden sich an dieser Treppe:
Der erste Eingang führt im unteren Drittel ins Innere der Pyramide. Dort befinden sich etliche großzügige Räume, die früher einmal als Unterkünfte gedient haben dürften. An den Wänden findet man noch Reste verschwenderischer Malereien, die Szenen aus den Mythen der Seng-Valesen zeigen. Leider ist von der Einrichtung nichts übrig geblieben, zu viele Räuber, Verzweifelte und Zim auf der Suche nach einem hübschen Staubfänger sind hier bereits durchgezogen.
Der zweite Eingang ins Innere befindet sich auf Höhe des Sandsteilteiles. Die Aufteilung der Räume ist so, dass es sich um einen einzelnen Wohnbereich handeln könnte, inklusive Prunkräumen und etwas, dass wohl einmal ein Thronsaal gewesen sein mag. Auch hier finden wir Reste von Malereien an den Wänden. Viele davon sind als Reliefs erhalten, der weichere Sandstein wurde an vielen Stellen sorgsam behauen. Daher haben wir auch etwas gefunden, was wohl der Thron des Herrschers gewesen sein dürfte. Von weiteren Einrichtungsgegenständen fehlt leider auch hier jede Spur.
Der Legende nach herrschten in Seng-Val zu jener Zeit eine Dynastie von „Unschuldigen“. Aus den Berichten der Ureinwohner haben wir geschlossen, dass sie in regelmäßigen Abständen ein oft recht junges Mädchen zur Königin gewählt haben. Diese Königin herrschte vermutlich von der Pyramide aus über Seng-Val. Nach den Erzählungen war allerdings keine von ihnen besonders erfolgreich, da ihre Herrschaft jeweils nur wenige Jahre andauerte.
Viele Jahre lang rätselten wir, was der Grund dafür war. Wenn wir die Treppe weiter hinaufsteigen, finden wir eine mögliche Antwort. Im obersten Teil der Pyramide befindet sich kein weiterer Eingang, sondern ein Altar. Dieser Altar ist von einer Bauweise, die wenig Zweifel über seinen Zweck lässt: An den Seiten befinden sich vier Ringe und frühere Forscher wollen dort auch Reste von Ketten gefunden haben. Der Altar selbst weist eine Rinne auf, deren Zweck unschwer zu erraten ist.
Bei den Seng-Valesen gelten Kinder als unschuldig, bis sie die Pubertät erreichen. Was das für die erwählte Königin geheißen haben hab, möchte ich gar nicht erst aussprechen. Die Praxis endete wohl mit der Eroberung durch die Dwa. Die Ureinwohner von Seng-Val schienen durchwegs der Meinung zu sein, dass die Dwa ihnen nichts als Unglück gebracht haben. Ich für meinen Teil bin da anderer Meinung.
Tama, Ren. Universität von Bwengele, 6318 ndN.