Im Thread über die Herkunft von Magie habe ich bereits die Idee eines hybriden Magiesystems geäußert, das aus zwei Komponenten besteht. 1. Aus nicht weiter erklärbaren "Grundelementen", die das mystische und faszinierende des Magiesystems beinhalten sollen. und 2. aus erklärbaren, vorhersagbaren Regeln zur Verarbeitung dieser Grundelemente, die das Bedürfnis nach experimentellen Zauber-Kombinationen befriedigen sollen. um den anderen Thread nicht zu stark ins Offtopic zu drücken, möchte ich hier einen ersten Entwurf eines solchen Magiesystems vorstellen. Es hat derzeit keine Heimat (weder in Ordelen noch Außererd möchte ich es haben).
Theorie
Ein Arkanum (Plural Arkani) bezeichnet den unteilbaren Träger eines magischen Aspekts.
Der Träger kann physischer Art sein (Substanzen, Gegenstände, Lebewesen) oder abstrakter Art (ein Vorgang, ein Name, oder theoretische Konzepte). Entscheidend ist nur, dass der Träger real ist, sei es auch nur vorübergehend. Was heißt hier real, insbesondere bei den abstrakten Dingen? Nehmen wir z.B. Wasser. Im Kopf gedachtes Wasser ist nicht real, aber das tatsächliche Regenwasser ist es und könnte somit ein Träger sein. Hier ist es einfach, da Wasser eine physische Substanz ist. Und bei abstrakten Dingen? Z.B. der Name "Wasser" ist nichts Reales, aber seine mündliche Nennung macht ihn kurzzeitig real, seine schriftliche Erwähnung macht ihn sogar dauerhaft real. Ähnlich sind Vorgänge oder abstrakte Konzepte nur dort als Träger von magischen Aspekten denkbar, wo sie real vorkommen bzw. real gemacht wurden. Warum müssen Träger real sein oder real werden können? Weil die in ihnen liegenden magischen Aspekte benutzbar sein sollen, indem der Zaubernde etwas mit den Trägern tut (z.B. Gegenstand zerbrechen, Name flüstern usw.).
Unteilbarkeit bedeutet, dass der magische Aspekt nicht in den Teilen dieses Trägers ruht, insofern die Teile ein anderes Wesen als der gesamte Träger haben. Wenn ich z.B. den Wind als Arkanum nehmen würde, wäre er nach seiner Teilung an z.B. einem Baum vorübergehend in zwei Winde geteilt. Diese Teilung hat das Wesen des Windes nicht geändert - es sind immer noch Winde, also sind beide Teilwinde Arkani. Ist aber z.B. eine Geste, bei der eine Hand einen Kreis in die Luft malt ein Arkanum, und jemand führt nur die erste oder nur die zweite Hälfte der Geste aus, liegt in dieser Teilgeste kein magischer Aspekt. Macht jemand eine kreisrunde Bewegung mit einer Pause darin, die so lange währt, dass ein fiktiver Beobachter nicht mehr von einer zusammenhängenden Geste sprechen würde, sondern von zwei einzelnen, liegt ebenfalls kein magischer Aspekt in der Gesamthandlung. Ebenso ist ein Sturm ein anderes Arkanum als ein Lufthauch, obwohl ein Sturm zu einem Lufthauchwerden kann und umgekehrt.
Es gibt verschiedene Arten von Arkani, danach getrennt, welchem Zweck ihr magischer Aspekt in der Zauberdurchführung dient.
1. Wirkungsarkani sind solche Arkani, deren magische Aspekte in einer tatsächlichen Wirkung liegt. So könnte z.B. ein Stein ein Wirkungsarkanum sein mit der Wirkung "Erzeugt eine magische Schutzbarriere vor [X]." Wie ersichtlich wird, kann die Beschreibung einen oder mehrere Platzhalter enthalten, die sog. Wirkungsfragen. Jede Wirkungsfrage muss während der Durchführung des Zaubers beantwortet werden, d.h. hier z.B., wovor die Barriere denn schützen soll. Die Beantwortung der Wirkungsfragen geschieht mit Hilfe von sog. Bedeutungsarkani. Außerdem stellt sich die Frage, wie die Wirkung des Wirkungsarkanums ausgelöst wird und wie lange sie hält. Dies wird über sog. Existenzarkani kontrolliert.
2. Bedeutungsarkani sind solche Arkani, deren magische Aspekte darin liegen, etwas inhaltliches zu beschreiben, z.B. konkrete Objekte und Lebewesen oder auch abstraktere Dinge. Diese Beschreibungen werden benötigt, um Wirkungsfragen von Wirkungsarkani zu beantworten, z.B. im Falle des Steins, wovor die Barriere schützen soll. So könnte z.B. eine Geste, bei der man die Hand an die Brust schlägt, ein Bedeutungsarkanum sein, die den Ausführenden der Geste selbst bezeichnet.
3. Existenzarkani sind solche Arkani, deren magische Aspekte bestimmen, wann die Wirkung eines Wirkungsarkanums ausgelöst wird, wie lange die Wirkung hält, wie stark sie ist und unter welchen Umständen sie wieder verfliegt. Sie bilden in der Regel den organisatorischen Rahmen des Zaubers aus.
Intentionsregel
Wenn bei der Beschreibung/Ausführung eines Zaubers irgendwelche Freiheitsgrade noch offen sind (z.B. bei einem Schutzschirm wie lange er hält, welche Farbe er hat, ob er bei Erscheinung ein Geräusch macht etc.) so werden diese Freiheitsgrade durch die Intention des Out-World-Autoren dieses Zaubers bestimmt, d.h. In-World sind all diese ungenannten Parameter vom Zaubernden nicht selbst beeinflussbar. Diese Regel macht zwar Detailfragen in Abwesenheit des Autoren schwer entscheidbar, weil über die vermutete Intention des Autoren nur spekuliert werden kann, sie beseitigt aber auch die Notwendigkeit vieler spitzfindiger, formaler und gemeinhin lästiger Zusatzregeln.
Praxis
Beispiel
Ich will ein Ritual basteln, bei dem ein lebender Mensch ein Körperteil in eine Feuerschale opfert, um einem anderen Menschen, dem dieses Körperteil fehlt und der sich in einem Ritualkreis aufhält, ein solches Körperteil magisch zukommen zu lassen. Zuerst sticht die Wirkung heraus: "Erzeuge an [Person] das Körperteil [X], falls es ihr fehlt.". Diese hänge ich an ein Wirkungsarkanum, das aus einem Zauberspruch bestehen soll, sagen wir "Feuer und Leib, verbrenne und schaffe!". [Person] muss durch ein Bedeutungsarkanum identifiziert werden, in unserem Fall der Ritualkreis. Also definiere ich, dass ein in den Boden geritzter Kreis ein Bedeutungsarkanum ist für "Was in meiner Mitte ist.". Wegen der Intentionsregel vermeide ich, dass hier auch zufällig anwesende Insekten usw. mitgemeint sind, denn meine Intention ist, dass es hier nur um das wesentliche Ding geht, das sich im Kreis befindet, also die Person. Das Körperteil [X] soll identifiziert werden, indem es jemand in eine Feuerschale opfert. Also nehme ich als Bedeutungsarkanum eine Feuerschale für "Was in mir verbrennt.". Die Intentionsregel greift hier, um z.B. die Kohle selbst von der Bedeutung auszuschließen.
Wie geht das alles nun los? Wenn ein Meister z.B. seinem Schüler die Wirkungsformel "Feuer und Leib, verbrenne und schaffe!" zuflüstert, soll der Zauber nicht gleich ausgelöst werden. Auch ist nicht klar, wie lange dieses Körperteil halten soll. Es fehlt ein Existenzarkanum. Hier nehme ich z.B. das Leid desjenigen, der sein Körperteil geopfert hat. D.h. ich definiere "Fehlen eines Körperteils" als Existenzarkanum mit dem Aspekt "Solange derjenige, dem ein Körperteil fehlt, diesem nachtrauert, besteht der Zauber." Der Zauber beginnt also mit dem Beginn der Trauer, d.h. es kann nicht einfach jemand herantreten, dem sowieso schon ein Körperteil fehlt. Dessen Fehlen ist allenfalls Existenzbedingung eines anderen Zaubers, aber nicht desjenigen, der nun gewirkt werden soll.
In Summe geschieht also Folgendes: Jemand trennt seine Hand ab oder bekommt sie unfreiwillig über einer brennenden Feuerschale abgetrennt, wodurch derjenige nach initialem Schmerz jener Hand nachzutrauern beginnt. Dies bezeichnet ein Existenzarkanum "Fehlen eines Körperteils", wodurch die im Ritus beteiligten Wirkungsarkani aktiviert werden. Der leitende Zauberer spricht also während des Abtrennens die Worte "Feuer und Leib, verbrenne und schaffe!". Dies bezeichnet ein Wirkungsarkanum, das die Wirkung "Erzeuge an [Person] das Körperteil [X], falls es ihr fehlt." In einem zuvor in den Boden gekratzten Kreis, der ein Bedeutungsarkanum "Ritualkreis" mit dem Aspekt "Was in meiner Mitte ist." ist, steht bereits jemand ohne Hand bereit. Er ist also die Antwort auf die Wirkungsfrage [Person]. Zudem verbrennt in einer Feuerschale, die ein Bedeutungsarkanum für "Was in mir verbrennt." eine Hand. Die Hand ist also die Antwort auf die Wirkungsfrage [X]. Da alle Wirkungsfragen beantwortet sind, wird der Effekt aktiv, d.h. der im Ritualkreis stehende Mensch erhält eine neue Hand. Diese wird solange dort sein, bis das Opfer, dem die Hand abgetrennt wurde, seine eigene Hand zu vermissen aufhört.
Offensichtlich kann mit diesem Ritual zwar ein Körperteil ersetzt werden, es kann aber niemand wiederbelebt werden, indem z.B. dessen Kopf oder Herz ersetzt wird. Denn dies würde erfordern, dass derjenige, der seinen Kopf oder Herz etc. opfert, diesem Körperteil noch nachtrauert, was ihm nach der Abtrennung dieses Körperteils wohl schwer fallen dürfte. Somit ist auch gleich etwas Balancing enthalten.
Ausbaustufen
Dieses Magiesystem erzeugt sehr modulare Zauber, d.h. ob ich in obigem Beispiel nun eine Hand oder einen Fuß ersetzen will, ändert nichts Wesentliches am Ritual. Ich möchte aber, dass solche Variationen völlig neue Ritualaufbauten erfordern. Diesbezüglich bastle ich noch an einer Erweiterung des Magiesystems. Auch ist nicht klar, wie im Beispiel die Arkani voneinander wissen. Wenn nun gerade ein Zuschauer gähnt und Gähnen ein Arkanum für irgendwas ist, soll es den Zauber nicht beeinflussen. Mit der Intentionsregel kriege ich das Problem vorläufig erschlagen, aber ich überlege, ob sich eine Verkomplizierung dahingehend lohnt, die Zusammenhänge der Arkani präziser zu definieren. Dasselbe gilt auch für den zeitliche Ablauf der einzelnen Handlungen im Ritual.