Ich möchte gern an dieser Stelle das, was eine Religion für eine Gesellschaft, ein Volk oder eine ganze Welt leistet, noch etwas näher diskutieren. Aktuell wird hier häufig der Ansatz gewählt, dass Götter der Erklärbarkeit von nach dem gegebenen Stand der Wissenschaft nicht erklärbaren Phänomenen dienen:
So etwas kann man nicht in der Art schreiben die Caspar vorgeschlagen hat. Ein reiner Mystizismus, der Caspars Beschreibung entsprechend präsentierbar ist, funktioniert nur durch Wissenslücken, und so gesehen müsste man, wenn man Caspars Ansatz folgt, auf reale Götter/Magie verzichten. Aber man kann versuchen dem nahe zu kommen. Nharuns Ansatz das Wesen der Götter bzw. ihre Beweggründe im Dunklen zu lassen ist eine Möglichkeit.
Neben der Frage, ob Götter tatsächlicher Teil der phyischen Welt sind, finde ich die Frage spannend, welchem Zweck sie dienen oder warum sich Menschen einer Religion zuwenden. Daraus leitet sich die Frage ab: Welchem Zweck dienen Götter in meiner Welt (abgesehen davon, dass mächtige Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten sehr cool sein können)?
Ich sammle mal einige Dinge (der Einfachheit halber spreche ich bei den Bewohnern von Welten von Menschen):
- Götter sind für das Wirken von Wundern (und Naturphänomenen) verantwortlich - von beobachtbaren Phänomenen, die sich nicht anders erklären lassen.
- Götter haben die Welt erschaffen, was der Beantwortung der Frage nach dem Ursprung von Allem dient.
- Götter kontrollieren das Leben (Schicksal) und den Tod der Menschen und können mit Pech oder Glück assoziiert werden.
- Götter sind die Quelle von Gesetzen und Moral.
- Götter dienen als letzte moralische Instanz, die die Menschen für ihre Taten zur Verantwortung zieht. Entweder während ihres Lebens oder beim Übergang in ein Leben nach dem Tod.
Warum wenden sich Menschen Göttern zu, von mangelndem Wissen abgesehen? Die Psychologie, Religionswissenschaft und die Anthropologie haben verschiedene Erklärungsmuster entwickelt. Für Freud zum Beispiel war Gott die Vorstellung einer schützenden Vaterfigur. Ein anderer Ansatz argumentiert mit unseren Veranlagungen: Wir sind in der Lage, in unserer Umgebung das Wirken anderer Akteure zu erkennen und sie von natürlichen Phänomenen zu unterscheiden. In der Steinzeit diente dies dem Schutz vor Raubtieren. Darüber hinaus können wir in anderen Gefühle und Absichten vermuten. Daraus resultiert, dass Menschen mehr Akteure mit Absichten in ihrer Umgebung vermuten, als sich unmittelbar identifizieren lassen, was zur Schaffung von Göttervorstellungen führt. Daneben sind die oben genannten Punkte 4 und 5 wichtige Faktoren für die Stabilität von Zivilgesellschaften: Götter stehen über dem einfachsten Gesetz, dem Recht des Stärkeren. Sie dienen als Basis für gesellschaftliche Systeme, Wertvorstellungen und Ideologien.
Insofern gibt es also deutlich mehr Gründe, um Götter als theoretisches Konstrukt in Welten einzubauen, als nur mangelndes Wissen der Bewohner. Ich frage mich, ob überhaupt eine Welt ohne Götter möglich erscheint, bedenkt man die verschiedenen Rollen von Göttern im Leben der Menschen und unsere grundsätzlichen Veranlagungen.
Eine Religion (oder Esoterik) die funktioniert, ist etwas völlig anderes ist im Vergleich zu den realen Religionen (wo Kreuzzüge das Ergebnis rein menschlicher Dummheit sind). Es ist keine Glaubenssache mehr, sondern ein rein wissenschaftlich greifbares Phänomen, welches sich völlig anders auf die Religionen, und darüber hinaus auf die Ethik, Politik/Geschichte und Wissenschaft der Völker auswirkt.
Ist denn eine Religion noch eine Religion, wenn sie ohne Mystik auskommt und wie du beschrieben hast auf ein festes Set von Gesetzen zurückgreift? Die Kreuzzüge zum Beispiel waren in der Tat keine gute Idee und der Papst und die Herrscher Europas haben sich sicherlich vornehmlich aus machtpolitischen Interessen daran beteiligt. Für die tausenden Kreuzzügler war das allerdings eine Moralfrage: Es war für sie das Richtige, in den Krieg gegen die Sarazenen zu ziehen. Solche Effekte sind Teil der menschlichen Natur und für mich ein wichtiger Bestandteil, um eine fiktionale Welt glaubwürdig zu machen. Du nennst eine Religion, in der die Götter real sind, eine funktionierende Religion in Abgrenzung zu den Religionen, die wir aus unserer Welt kennen. Aber wenn du auf Naturgesetze zurückgreifst, erweiterst du doch lediglich die Physik deiner Welt und schaffst mächtige Wesen, denen aber die spirituelle Rolle im Leben der Menschen (oder Bewohner) fehlen könnte.
Mich fasziniert die Idee der Götter als Werkzeug, als Mittel zum Zweck, um gesellschaftliche Phänomene und Ideologien in meiner Welt zu erklären und meinen Bewohnern Spiritualität zu geben. Oder auch um den Leser zu verwirren: So kann man der Physik der Welt zum Beispiel ein ausgeklügeltes Magiesystem hinzufügen, doch die Bewohner verstehen dieses eventuell nicht und ziehen Götter als Erklärungsmuster heran. Wenn ich darüber dann auch meine Leser im Dunkeln lasse, rege ich ihre Fantasie an und mache das auch für sie zur Glaubensfrage. An diesem Punkt spielt es noch keine Rolle, ob ich meine Götter für real erkläre oder nicht - jedenfalls nicht für die Funktionsweise meiner Welt (natürlich von der völlig legitimen Entscheidung abgesehen, dass ich vielleicht meine Götter wirklich als Quelle von Wundern definiere).
Daher meine Grundfrage von diesem Thread: Was erklärt ihr, was lasst ihr offen? Daran schließt sich nämlich die Frage an: Wozu nutzt ihr Religion beim Weltenbau und bei der Verwendung eurer Welt?
Gut, dass wir uns drüber unterhalten, ich schreibe zum ersten Mal meine Gedanken dazu so strukturiert auf. Vielen Dank an dieser Stelle für die vielen Antworten und die spannende Diskussion!