7.
Tag der 43. Woche nach dem großen Beben von Ulalufi (?)
Einen
weiteren Tag musste ich damit vergeuden, Paraternu davon zu
überzeugen, dass wir unsere Expedition fortsetzen [und dass es
keine Dämonen gibt]. Warum nur habe ich einen solchen Angstvogel
ausgewählt?
Mit
nunmehr drei Laternen für jeden von uns und unseren Waffen machen
wir uns heute auf den Weg. Sollte es tatsächlich zu einem Angriff –
wodurch auch immer – kommen, müsste jeder von uns jedoch eine der
Laternen fallen lassen; ich bezweifle, dass sie gute Waffen
abgeben. Nächstes Mal sollte ich an Lampen denken, die wir am Kopf
befestigen können, sowie an einen dritten Teilnehmer, der sich
besser aufs Kampf- oder Jagdhandwerk versteht als wir. Heute
Abend werde ich weiterberichten.
Nun
sind wir zurück – wohlbehalten, möchte ich betonen. Auch wenn es
anders hätte ausgehen können. Jedoch der Reihe nach: Während
unseren vorherigen Vorstößen waren wir schlau genug, in
regelmäßigen Abständen Wegweiser zu bauen aus zumeist
übereinandergelegten Steinen. Zwar konnten wir sie in der Düsternis
nur erkennen, wenn wir mit unseren Laternen unmittelbar davor
standen, doch halfen sie uns sehr, uns zu orientieren. So fanden wir
schnell die Höhle, vor der wir die Knochen des bedauernswerten Rytti
gefunden hatten. Ich muss hier erwähnen, dass die beiden
zusätzlichen Laternen kaum einen Unterschied machten, nach wie vor
sahen wir kaum mehr als unsere Hand vor Augen (die zudem ja eine
Laterne hielt!). Vielleicht spielte mir die doch nicht ganz
ausbleibende Furcht einen Streich, aber ich hatte gar den
Eindruck, dass unsere Umgebung umso finsterer wurde, je mehr
Laternen wir mitbrachten. Ein Phänomen, das leider vorerst
ungelöst bleiben wird, befürchte ich.
Zunächst
untersuchten wir die nähere Umgebung des Höhleneingangs, dann die
etwas fernere. Überall war es recht gröllig, an manchen Stellen
zerklüftet, mit eher erdigen, aber stets trockenen Flächen
dazwischen. Nirgendwo konnten wir Anzeichen einer weiteren Höhle
oder eines zweiten Höhlenzugangs erspähen – oder vielmehr
ertasten. Auch weitere Knochen konnten wir nicht finden. Häufig
hielten wir inne mit einer Hand an der Waffe, wenn wir einen
bedrohlich wirkenden Tierlaut (oder Dämonenlaut, wenn es nach
Paraternu ginge) vernahmen. So manches Mal dachte ich, einen solchen
Laut direkt aus der Höhle vernommen zu haben, aber aufgrund der
eingeschränkten Orientierung kann ich mich auch getäuscht haben.
Auch
fanden wir auf dem erdigeren Boden Spuren, die nach meiner Meinung
von Tieren stammen, jedoch kaum eindeutige Pfoten- oder
Tatzenabdrücke, eher Schleifspuren. Vielleicht ein Raubtier mit
seiner Beute im Maul? Jedenfalls faszinierend, dass in solch
einem Finstertal doch Tiere zu existieren scheinen, die hier zu
überleben gelernt haben. Dennoch nicht ganz die Erkenntnis, die ich
mir erhofft habe.
Daher
beschloss ich, einen Blick in die Höhle zu werfen, bevor wir zum
Lager zurückkehren mussten. Nach einem recht unscheinbaren,
engen Durchgang eröffnete sich vor uns eine offenbar gewaltige
Höhle. Zwar konnten wir dies wegen der Düsternis nicht sehen, aber
der Widerhall unserer Schritte und Stimmen zeugte unzweifelhaft
davon. Zusätzlich erfüllte die Höhle ein rhythmisches Plitsch,
Plötsch und Plätsch fallender Wassertropfen aus
nahezu allen Richtungen – so schien es mir. Dem Ton nach
mussten sie in Wasser fallen, sonst wären sie nicht so laut zu
hören, dennoch konnten wir keine Pfützen oder gar einen See
entdecken, jedoch ließen wir auch große Vorsicht walten, um nicht
abrupt in große Wassermassen zu stürzen. Stattdessen fanden wir
Durchgänge zu mindestens zwei weiteren Höhlenabschnitten.
Beunruhigender
war, dass auch hier Tierlaute (oder nach Paraternus Meinung Dämonen)
zu hören waren, wenn auch eher harmlose wie Schnaufen oder leises
Quieken. Sollten sich hier tatsächlich Tiere aufhalten? Einmal
fühlte ich mich beobachtet und glaubte auch ein glühendes Augenpaar
in der Ferne erspäht zu haben, was jedoch sofort verschwunden war.
Paraternu hat es wohl nicht bemerkt, sonst wäre er sicherlich
schreiend davongelaufen. Vermutlich hat meine Anspannung es mir
nur einbilden lassen. Schließlich beschlossen wir [vielmehr ich],
die Höhle am nächsten Tag genauer zu untersuchen, und kehrten in
unser Lager zurück.
9.
Tag der 43. Woche nach dem großen Ulalufi-Beben[, hoffe
ich]
Götter!
[an die ich ja nicht glaube!] Beinahe den ganzen heutigen Tag
brauchten wir zur Erholung vom Schrecken des gestrigen. Und zur
Pflege unserer Wunden. Ganz zu schweigen von der Beruhigung unserer
Nerven. Noch immer bin ich mir nicht sicher, was gestern exakt
geschehen ist. Offenbar haben wir … jemanden verärgert.
Viele Jemande! Zum Glück sind diese Jemande uns nicht aus dem
Finstertal heraus gefolgt. Andernfalls wären wir wohl in der „1.
Woche der Finsterdämonenflut,
verursacht durch den dummen Morodaro
aus
Ulalufi“. [Noch viel schlimmer
als das Niederbrennen Ulalufis!] Aber
vielleicht sollte ich den Tagesbericht von vorne beginnen, daran
erinnere ich mich auch viel klarer; als sei es erst gestern
geschehen … ähm.
Wie
geplant sind wir ohne besondere Vorkommnisse zur Höhle zurückgekehrt
und begannen vorsichtig mit deren Erkundung, und zwar so
systematisch wie in der Düsternis möglich. Wir wären sicherlich
schneller vorangekommen, wenn wir uns aufgeteilt hätten, doch
das erschien mir weitaus zu gefährlich, womöglich hätte einer von
uns nicht mehr zum Höhlenausgang zurückgefunden oder hätte sich
verletzt und wäre im Dunkeln unauffindbar gewesen. Wie schon
erwähnt: Die Laternen leuchten im Finstertal und in der Höhle viel
schwächer als erwartet und als normal sein sollte. Nein, das war
keine vernünftige Option. Außerdem beginnt das grausig-tödliche
Ende einer Abenteuergruppe in einschlägigen Geschichten stets damit,
dass sie sich aufteilen. Zumindest behauptet das Paraternu, ich
lese solchen Schund ja nicht!!
Jedenfalls
stellten wir nach einiger Zeit fest, dass die Höhle wahrlich riesige
Ausmaße hat. Die bereits zuvor entdeckten Durchgänge zu
weiteren Höhlenabschnitten verzweigten sich immer weiter und
offenbarten weitaus gewaltigere Höhlen, deren Ausmaße wir ob
der Düsternis nur vage erahnen konnten. Auch die Pfützen und
Tümpel, in welche die zuvor gehörten Tropfen fielen, fanden wir;
zumindest teilweise. Ich vermute, dass es wesentlich mehr und auch
größere gibt, die wir jedoch nicht aufspüren konnten, da wir uns
großteils – wo kein Tümpel, Loch oder Geröllfeld im Wege
war – an den Felswänden entlangtasteten, andernfalls hätten
wir uns hoffnungslos verirrt.
Eine
Karte anzufertigen war mir in der Düsternis leider nicht möglich.
Ich hatte mir einen solchen Versuch für die späteren Tage
vorgenommen; jedoch befürchte ich wird es dazu nicht mehr kommen.
Denn
gerade als wir in einen Bereich gelangten, in dem die Höhlenwände
tröpfchenartig von winzigen Kristallen bedeckt sind, sah ich im
Augenwinkel etwas aufleuchten. Auch Paraternu muss es aufgefallen
sein, da er dieselbe Richtung beobachtete wie ich. Im Nachhinein –
jetzt, da ich in Ruhe darüber nachdenken kann – erscheint es mir
unglaublich; wie haben wir etwas aufleuchten sehen können, wenn
unsere eigenen Laternen die Umgebung kaum einige Schritt weit
erhellen? Entweder musste sich das Licht in unserer unmittelbaren
Nähe befinden oder unvorstellbar hell sein. Unbewusst hatte ich
solche Schlüsse wohl schon gezogen, denn eine ungewohnte Unruhe
breitete sich in mir aus.
Zunächst
schien es so, als sei das Leuchten verloschen oder als hätten wir es
uns nur eingebildet. Doch dann, als wir uns gerade abwenden wollten,
sahen wir es noch einmal, jedoch aus einer etwas anderen Richtung.
Diesmal konnte ich es klarer sehen, es schien ein sehr punktförmiges
Licht zu sein, was aber je nach Entfernung, die ich nicht
einzuschätzen in der Lage war, auch täuschen konnte. Auch dieses
Licht verschwand ebenso schnell, wie es erschienen war. Paraternu
drängte natürlich sofort darauf, die Höhle zu verlassen, doch
meine Neugierde – oder Einfalt? – siegte offenbar über meine
Vernunft; ich wollte wissen, was das war, und schritt sehr langsam
darauf zu, ohne den Boden vor mir außer Acht zu lassen.
Den
nörgelnden Paraternu hinter mir, ging ich voran; zunächst schien es
so, als wiederhole sich das Leuchten nicht. Zu meiner Überraschung,
die mich zu einem peinlichen Angstschrei veranlassen ließ, sah ich
mich jedoch alsbald mehreren Leuchtpunkten gegenüber, auch links und
rechts waren solche zu sehen. Erst jetzt begriff ich, dass stets zwei
Punkte dicht nebeneinander leuchteten, aber es bedurfte eines Ausrufs
meines Begleiters, um es wirklich zu realisieren: Es waren glühende
Augenpaare! Jetzt, da ich dies niederschreibe, glaube ich mich sogar
an Wesen mit zwei bis vier Augenpaaren zu erinnern. Oder ließ meine
Panik mich das einbilden?
(...)