Künstlerische Kuriositäten
In der Nationalgalerie von Gilath kann man in der Abteilung für klassizistische Malerei das Werk „Die sterbende Heilige“ des Malers Kuvali bestaunen. Vor einem dunklen Hintergrund, in dem sich ein in Nacht gehüllter Fels erahnen lässt, kniet eine weibliche Gestalt am Boden. Ihren Kopf hat sie in den Nacken gelegt, der linke Arm hängt schlaff an der Seite des Körpers herab. Mit der rechten Hand hält sie locker den Griff eines Schwertes umfasst, das neben ihr wie eine Standarte im Boden aufgerichtet ist. Die Gestalt ist in eine dunkelgrüne Toga gehüllt. Ihre linke Brust ist frei und zeigt eine klaffende Wunde, aus der sich ein Blutstrom ergießt, der den unteren Teil des Bildes in leuchtendes Rot taucht. Auf dem Felsen im Hintergrund sitzt ein Falke, der einen Yrakzweig im Schnabel trägt.
Stilistisch ist das Bild klar dem Klassizismus zuzuordnen, da es sich sowohl mit seinen klaren Linien als auch mit der Motivwahl, der in Gilath verehrten heiligen Krysea, auf antike Vorbilder bezieht. Obwohl sich das Werk, wie viele klassizistische Werke durch eine exzellente Technik, was Körperproportionen, Faltenwurf der Kleidung oder Zusammenspiel von Licht und Schatten betrifft, auszeichnet, verdankt es seinen Platz in der Nationalgalerie jedoch nicht allein seiner Qualität, sondern dem Umstand, dass es das einzige erhaltene Werk des durchaus fleißigen Kuvali darstellt.
Zur Zeit der Konterrevolution, 390 nGdDR, erließ Nastor Pravant, Präsident des gilathischen Parlamentes und zugleich dessen Notstandsbevollmächtigter, eine Reihe restriktiver Dekrete, die die Rechte der Bürger einschränkten und so die Niederschlagung der monarchistischen Revolution ermöglichen sollten.
Der brutale Zugriff der Polizei führte jedoch zunächst dazu, dass die Revolutionäre an Unterstützung gewannen und aus der zunächst noch überschaubaren Revolte in der Hauptstadt eine nationale Bewegung wurde.
Nastor Pravant reagierte jedoch mit unverminderter Härte und so zerschlug sich nach der blutigen Niederschlagung von Protesten im Spät- und Nachsommer 391nGdDR, unter Historikern als gilathischer Blutsommer bekannt, die Revolutionsbewegung. Im Nachklang der Ereignisse verfügte Pravant, der sich weigerte seine vom Parlament verliehenen Vollmachten niederzulegen, dass sämtliche Symbole der monarchistischen Revolutionäre, wie unter anderem deren grün-rote Farbsymbolik, verboten und ihre Zurschaustellung aufs härteste zu bestrafen sei.
Der damals schon anerkannte und als eigenwillige bekannte Künstler Kuvali empfand die staatliche Anordnung auch bei Gemälden auf rote und grüne Farben zu verzichten als absurd und weigerte sich ihr zu folgen. Vielmehr machte er sogar publik, dass er, als glühender Verfechter des Parlaments, sich nicht den Erlassen eines diktatorischen Autokraten, sondern nur den Gesetzen der Volksvertreter beugen würde und dass auch sein neuestes Werk, ein Fresko in der Kathedrale von Skipia in roten und grünen Farben erstrahlen würde.
Kuvali wurde daraufhin festgenommen, kam jedoch schon nach wenigen Tage, wohl nach der Intervention einiger hochrangiger Gönner, wieder auf freien Fuß. Den Auftrag für das Fresko verlor er jedoch genauso wie andere gut bezahlte Auftragsarbeiten. Seine Freunde drängten ihn, sich dem Dekret zu beugen, doch Kulvali blieb stur und malte weiter rot-grün.
Den Gipfel erreichte die Auseinandersetzung zwischen Pravant und Kuvali, als letzterer seine neuesten Werke, selbstverständlich wiederum mir großer Ankündigung, öffentlich ausstellte. Die Werke, die allesamt rot-grüne Elemente zeigten, verhüllte Kuvali mit Leinentüchern, wohl in der Hoffnung, damit eine Gesetzeslücke gefunden zu haben und damit vor einer Bestrafung sicher zu sein. Aber Nastor Pravants Geduld mit dem aufsässigen Künstler schien ein für alle mal erschöpft. Er ließ Kuvali verhaften und in einem Eilverfahren wegen Aufwiegelung zum Tode verurteilen. Kuvalis Werke wurden wo immer man ihrer habhaft werden konnte beschlagnahmt und vernichtet.
Nastor Pravant blieb noch 3 Jahre als Notstandsbevollmächtigter an der Macht, bevor er einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Von Kuvalis mutigem oder törichten Widerstand gegen den Tyrannen zeugt noch heute, die in rot und grün gehaltene Darstellung der heiligen Krysea, die (jetzt wieder unverhüllt) im Nationalmuseum von Gilath bestaunt werden kann.