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Mit verkrampftem Lächeln tritt sie in den Gang. Er wirkt so hell und heimelig mit den vielen Öllampen, die man hier entzündet hat. Doch die Dunkelheit des Abends scheint heute abend so viel übermächtiger als dieser Versuch, dagegen anzukämpfen. Mit jedem Schritt erscheint die Welt ihr düsterer. Tief holt sie Luft. Da vorne ist es - das einundzwanzigste Türchen…
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Das Urteil des Siegers
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Die Tür stand offen. Der Herzog war schon da, aber er drehte ihr den Rücken zu, und so blieb sie stehen. Gerade löste er die Schnallen seiner Rüstung, streifte sie mit einer geübten Bewegung über den Kopf. Er seufzte, froh darüber, das schwere Gewicht los zu sein. Dann legte er sie sorgfältig auf den Boden, und wusch sich an dem bereitgestellten Becken Gesicht und Hände. Während Tanisel ihn so beobachtete, wurde ihr auf einmal bewußt, dass es vollkommen gleichgültig war, welchen Beruf sein Vater gehabt hatte. Er selbst war ein Soldat, durch und durch. Unzähliche Schlachten, endlose Kampagnen lagen hinter ihm. Schmerzern, Sterben, Entbehrungen... Ob ein Kriegsknecht sie anders empfand als ein Ritter?
Auf einmal drehte er sich um. Er musterte sie genau und während sein Blick an ihr nach unten wanderte, mit einem spöttischen Zucken der Mundwinkel die nassen Flecken auf ihrem Kleid registrierte, hatte sie wieder das Gefühl, dass ihm nichts verborgen blieb. Schließlich hob er den Blick und sah ihr direkt in die Augen. "Wollt ihr nicht eintreten? Es ist immer noch euer Haus." Lag da mehr Nachdruck auf dem Wörtchen "noch" oder bildete sie sich das nur ein? Auf einmal war die Angst wieder da, so stark und mächtig, dass ihr mir die Luft abschnürt. Tanisel faltete die Hände züchtig vor dem Körper, damit er nicht sah, wie sehr sie zitterten, und endlich folgte sie seiner einladenden Geste.
Er hatte alle Diener weggeschickt, sie waren allein. Also war es an Tanisel, ihn zu bedienen. Er wählte den Platz am Fenster und setzte sich. Sie nahm den Weinkrug in die rechte Hand, sein Glas in die linke, um ihm einzuschenken. Aber ihre Hände zitterten so stark, dass es ihr nicht gelingen wollte. Er sah ihr einen Moment zu, dann stand er wieder auf und nahm ihr mit sicherem Griff Krug und Glas aus den Händen. Zum ersten Mal lächelte er. "Ich verspreche, dass ich euren Kindern nichts tun werde - und euch auch nicht. Könnt ihr jetzt bitte aufhören, so zu zittern?"
Tanisel sah ihn verwundert an. Dieser Tonfall war anders als alles, was sie bisher von ihm erlebt hatte, passte nicht zu den Geschichten, die sie gehört hatte. Aber er meint es ernst, das konnte sie spüren. Spüren ja, aber nicht verstehen. "Warum..." Es kostet einige Überwindung, es auszusprechen, und sie musste sich räuspern. "Warum wollt ihr dann mit mir allein sein? Ich meine, wenn ihr nicht..." Das konnte sie dann doch nicht laut sagen, und sie ließ den Satz unbeendet.
"Bitte setzt euch doch!" Er geleitete sie zu ihrem Platz. Dann füllte er ihr Glas mit Wein und setzte sich selbst wieder gegenüber hin. Er musterte sie noch einmal genau, als wolle er sich versichern, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dann lehnte er sich zurück. "Ich will mit euch reden. Über eure Zukunft, die Zukunft dieses Lehens, und auch ein wenig über Politik."
"Mit mir? Über Politik?" Sie konnte ihre restlose Verblüffung nicht einmal mehr in höfliche Worte fassen. Dabei hätten seine Manieren, seine Art zu reden selbst einem Höfling des Königs gut zu Gesicht gestanden. Also, einem richtigen Höfling des Königs. Mühsam bekam sie sich wieder in Gewalt, während er geduldig wartete. "Aber ich bin nur eine Frau. Was habe ich schon über Politik zu sagen? Ich kann ja nicht einmal eine Magd entlassen, ohne die Zustimmung meines Vormundes." versuchte sie schließlich zu erklären.
"Eure Leute sehen das anders."
Sie starrte ihn verständnislos an, was ihn zum Lächeln brachte. "Glaubt mir, ich versetze Leute nicht gerne in Angst und Schrecken. Aber es hat seine Vorteile. Hätte ein Fremder wie ich eure Leute gefragt, wer hier auf der Burg das Sagen hat nach dem Tod eures Mannes, so hätten sie mir sicher den Seneschall genannt. Aber eingeschüchtert und verängstigt haben sie nicht ihn flehend angesehen, und auch nicht den Hauptmann eurer Wache, sondern euch. Wenn ihnen einer helfen kann, so glaubten sie, dann seid ihr es. Und deswegen sitze ich hier mit euch, und mit niemandem sonst."
"Und musstet ihr deswegen auch meine Kinder so erschrecken." Wut kochte mit plötzlicher Gewalt in ihr hoch und am liebsten wäre sie ihm an die Gurgel gegangen.
"Eure Kinder zu erschrecken war nicht meine Absicht." Er schaute zerknirrscht. "Wenn ich auch gestehen muss, dass ich es in Kauf genommen habe." Sie wollte auffahren, aber eine gebieterische Geste von ihm ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. "Nein, ich wollte euch erschrecken. Und das hat zwei Gründe. Zum einen hat es mir einiges darüber verraten, wer ihr seid, wie ihr denkt und fühlt, was euch umtreibt, wovor ihr euch fürchtet." Er stütze die Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich vor. "Zum anderen aber kann es auch nicht schaden, wenn ihr euch bewußt macht, wer ich bin. Ich habe nicht den Wunsch, euch oder den Euren Leid zu bereiten. Aber glaubt mir, ihr wollt meine Feindschaft nicht erleben." Er verzog bitter das Gesicht. "Ich bin gerade nicht in der Lage, meinen Feinden Gnade zu gewähren." Er sah sie unverwandt an. Jedes Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Er war ernst, todernst. Trotz allem lag in seinen Worten keine Drohung, nur eine Warnung.
Lange Augenblicke starrte Tanisel ihn nur an. Er wich ihrem Blick nicht aus. Dann brach er endlich das Schweigen. "Denkt über meine Worte nach." Wieder verwandelte ein spitzbübisches Lächeln seine ganze Erscheinung, ließ ihn zwanzig Jahre jünger aussehen. "Nun aber entschuldigt meine Ungeduld. Ich hatte heute außer einem alten Kanten Brot noch nichts zu essen, und die Kunstfertigkeit eurer Köchin ist zu viel für meine Selbstbeherrschung."
Er begann sich über die Köstlichkeiten herzumachen, und auch Tanisel nahm sich einen Happen. Aber es wollte ihr nicht richtig schmecken. Zuviel war in den letzten Stunden geschehen, und noch immer wusste sie nicht so richtig, woran sie mit diesem Mann war. Bald gab sie jeden Versuch auf, so zu tun als würde sie essen und nutzte lieber die Zeit, den Herzog ausgiebig zu mustern. Seine Haare waren tatsächlich schwarz, wenn auch an den Schläfen schon von silbernen Fäden durchzogen. Sie waren kurz geschniten, kaum lang genug, dass man mit den Fingern durchfahren konnte. Helmkurz hatte ihr Mann das immer genannt, der selbst stets zu eitel gewesen war, seine Locken dem Krieg zu opfern. Auf einmal merkte sie, dass sein Haaransatz nicht symmetrisch war. Die linke Seite wuchs ihm etwas weiter in die Stirn als die rechte. Es ließ ihn menschlicher erscheinen, nahm ihm etwas von der erschreckenden Perfektion. Eine alte Narbe zeichnete eine feine weiße Linie unter sein linkes Auge.
Ihr Blick glitt weiter nach unten. Er trug ein einfaches Lederwams, eng geschnitten, um ihn unter der Rüstung nicht zu behindern. Schweiß, Wasser und wohl noch andere Flüssigkeiten hatten es fleckig werden lassen. Er war deutlich älter als sie selbst, wahrscheinlich sogar älter als ihr Mann es gewesen war. Aber während andere mit den Jahren mehr und mehr Gewicht ansetzten, war er noch immer so schlank wie ein junger Mann. Breite Schultern, kräftige Oberarme, aber erstaunlich feingliedrige Hände. Sie beobachtete ihn, wie er sich erneut an den Platten bediente. Statt sich ein paar Bissen hier, eine Kleinigkeit da zu nehmen, räumte er die Tafel systematisch von einer Seite zu anderen ab. Vielleicht war es ihm egal, was er zu sich nahm. Vielleicht wollte er keine Gedanken dafür verwenden müssen zu wählen. Oder er wußte, dass er sowieso alles aufessen würde - und danach sah es gerade auch aus. Er schien wirklich hungrig zu sein. Dabei schlang er nicht und ließ auch sonst keine schlechten Manieren erkennen. Ein oder zwei der Gerichte waren wirklich ausgefallen, aber auch die aß er, ohne zu zögern, ohne über den ungewohnten Geschmack zu stutzen. Tanisel vermutete, dass er nicht zum ersten Mal in feiner Gesellschaft tafelte. All sein Gebahren ließ erkennen, dass er sich schon seit Jahren immer wieder in den höchsten Kreisen bewegt haben musste. Ihr fielen die Gerüchte wieder ein, die sie gehört hatte. Was auch immer es war, der König hatte diesen Mann nicht ohne Grund zum Herzog gemacht.
Ihr Gedanken kehrten zu ihrer eigenen Situation zurück. Die lähmende Angst vor diesem Mann war weg. Er war kein Monster. Aber eine neue Unbehaglichkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Ihr Schicksal und das all der Menschen, die von ihr abhingen, lag nun in ihrer Hand. Sie war nicht mehr hilflos, aber was, wenn es ihr nicht gelang, ihn zu überzeugen? Was, wenn er Dinge von ihr forderte, die sie ihm nicht geben konnte? Er hatte ihr klar gemacht, dass sie gut daran beraten war, sich nicht gegen ihn zu stellen. Würde sie ihn mit Halbheiten hinhalten können? Was nur wollte er von ihr?
"Wollt ihr wissen, woran ich euren Sohn erkannt habe?" Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Erschrocken sah sie auf und erkannte, dass er sein Mahl beendet hatte - es war auch kein Krümel mehr übrig. Er musterte sie eindringlich, und so nickte sie schnell.
Er lehnte sich zurück und fuhr fort zu sprechen: "Nun, ich wußte natürlich, dass ihr Kinder habt und auch etwa, wie alt sie sind. Aber erkannt habe ich ihn an seinem Blick. Er war der einzige - und das nicht nur unter den Kindern - der mir direkt in die Augen gesehen hat." Er lächelte, aber es lag eine Bitterkeit darin, die Tanisel nicht richtig deuten konnte. Er bemerkte, dass sie ihm nicht folgen konnte, und so fuhr er fort. "Kinder von einfachem Stand tun das nicht in diesem Land. Sie lernen schnell, dass es nur Ärger bringt, die Aufmerksamkeit eines Adligen zu erregen. Und sie lernen, dass ein Adliger mit einer Handbewegung das Leben einer ganzen Familie zerstören kann. Sie sind nie ohne Angst."
Er sah sie unverwandt an. "Ich war auch einmal so ein Kind." Ein flüchtiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, doch erreichte es seine Augen nicht. "Ich bin gar nicht so weit von hier entfernt geboren. Aber dann kehrte meine Familie diesem Land den Rücken, und ein paar Monate in Freiheit genügten, um diese Angst zu vergessen. Kinder vergessen schnell... Als ich in mein Vaterland zurückkehrte," - Er sagte das mit seltsamem Nachdruck - "war ich schon Mitte Zwanzig. Und da begegnete sie mir wieder, diese Angst. In den Augen der Hörigen, der Kinder. Ich war bewaffnet, ein Soldat, und deswegen galt diese Angst nun auch mir. Das machte mich betroffen - und wütend! Ich wollte dieses Leid lindern. Doch je mehr ich mich anstrengte, umso mehr Unrecht entdeckte ich, und so wurde ich immer tiefer hineingezogen. Und es dauerte nicht lange, bis sich mein Zorn gegen eine Person ganz speziell richtete: Herzog Girion." Er seufzte. "Ich habe oft gesehen, was er hinterlassen hat, zu oft. Verbrannte Ruinen, zerstückelte Körper, verstümmelte Seelen. Manche erholten sie nie von den Qualen, andere verzehrten sich nach Rache und wurden stärker als zuvor. Wie Eisen, das im Feuer erst gehärtet werden muss! Es waren letztere, die zu meinen Kameraden wurden, sich meinen Kämpfen anschlossen oder mich für ihre gewannen. Wir wurden immer mehr, und es dauerte nicht lange, da wurde Girion auf uns aufmerksam. Einmal hat er versucht, uns den Garaus zu machen..." Trauer verdunkelte kurz seinen Blick. "Fast wäre es ihm geglückt. Wir haben damals viele Leute verloren. Aber am Ende siegten doch wir. Danach..." Er brach ab und schüttelte den Kopf. "Nein, es dauert zu lang, alles zu erzählen. Am Ende gab es niemanden unter Girions hochrangigen Feinden - und das waren nicht wenige - für den ich nicht gekämpft gehabt hätte..." Da war es wieder dieses Lächeln, halb Bitterkeit und halb Triumpf. "...keiner, der mir keinen Gefallen schuldete. Und dann kam endlich unser Moment. Arlin erhob sich in Rebellion. Allein hätten sie keine Chance gehabt, aber nun trieben wir unsere Schulden ein. Es waren wir, meine Kameraden und ich, die die Allianz zusammenbrachten und Girion Untergang besiegelten."
Er schwieg - lange - aber Tanisel merkte, dass es in ihm arbeitete, und so ertrug sie die Stille. Und endlich brach es aus ihm heraus. "Ich dachte, mit Girions Tod wäre alles vorbei. Ich wollte mit Bewin nach Arlin gehen, den Leuten dort helfen, seiner Sippe... Aber dann ließ mich der König am Abend der Schlacht zu sich rufen. Ich hatte öfters mit ihm gesprochen davor, und wann immer es ging, hatte ich ihn bedrängt, jemanden zum Herzog zu machen, dem die Leute am Herzen liegen, jemanden, der diesem Land den Frieden bringt." Er lachte bitter. "Ich hätte nie gedacht, dass er mich wählen würde. Oh, er hat mich nicht gezwungen. Ich hätte ablehnen können, zurückgehen zu meiner Holzhütte in den Wäldern, dem Leben als Söldner." Er schüttelte den Kopf. "Dieser Titel war keine Belohnung für meine vergangenen Dienste - mir kam er eher wie eine Strafe vor. Ich wußte, wie schwer die Aufgabe werden würde. Aber ich habe fast mein ganzes Leben für die Menschen in diesem Land gekämpft. Wie oft hatte ich mir gewünscht, mehr bewirken zu können. Auf einmal lag diese Macht in meinem Schoß - wie hätte ich sie zurückweisen können? Wie hätte ich mir danach noch in die Augen sehen können? Ich lag die ganze Nacht wach und zermatterte mir den Kopf, ob es nicht doch jemanden gäbe, der besser geeignet wäre für dieses Amt... oder zumindest gleich gut. Aber mir fiel niemand ein und so nahm ich am Morgen die Würde an."
"Warum erzählt ihr mir das alles?" flüsterte Tanisel.
Er sah sie erstaunt an. "Wie kann ich erwarten, dass ihr meinem Banner folgt, wenn ihr meine Beweggründe nicht kennt, wenn ihr nicht wisst, was mich auf diesen Weg getrieben hat?"
"Was kann ich schon tun?" Die Worte klangen feige in ihren Ohren. Dabei hatte sich sein Traum in ihre Seele gebrannt. Freiheit! Gerechtigkeit! Frieden! Sie wäre sofort für ihn in die Schlacht gezogen, jetzt und heute! Aber das lag nicht in ihrer Macht. "Ich bin doch nur eine Frau, die Mutter eines unmündigen Sohnes. Was kann ich schon tun?"
Er sah sie an, noch einmal durchdrang sie sein prüfender Blick, erforschte sie, bis ins Innerste ihrer Seele. Dann lächelte er auf einmal und es war, als bräche die Sonne hinter den Wolken hervor. "Vielleicht brauche ich ja eine Mutter."
Sie sah ihn völlig verständnislos an. Also erklärte er es ihr: "Niemand hat mehr Macht in diesem Land als ich. Ich besitze das Vertrauen des Königs, die Mächtigen ringsum sind meine Verbündeten und meine Soldaten sind kampferprobt und zahlreich. Ich kann die Gesetze dieses Landes ändern, Barone und sogar Grafen enthronen und andere an ihre Stelle setzen, jeden Widerstand niederkämpfen. Aber wenn ich wirklich Frieden will, muss ich die Herzen der Menschen ändern und kein Schwert der Welt kann das. Dieses Land hat viel zu viel Blutvergießen gesehen. Es braucht nicht noch mehr Soldaten, sondern die Liebe, den Trost und den Schutz, wie ihn nur eine Mutter geben kann. Ich brauche eine Armee von Müttern - und ihr seid mein erster Rekrut. Kümmert euch um eure Leute, lindert die Not, schützt die Hilflosen! Euer Land wird aufblühen und allen zeigen, wie wertvoll der Friede ist. Eure Taten werden meinen Worten Glauwürdigkeit verleihen."
Ihr Mann hatte Tanisel immer verboten, sich in die Bewirtschaftung seiner Ländereien einzumischen. Dieser Mann forderte es. Und es war wie eine Offenbarung für sie. Ihre Gedanken sprudelten, wie ein Bach, der endlich den Damm durchbrach, der ihn zu lange gehemmt hatte. "Unsere Leibeigenen sind arm. Wenn dieses Land aufblühen soll, muss ich ihnen die Abgaben erlassen." Er sah sie mit schiefgelegtem Kopf an, aber sie bemerkte es kaum. Zu schnell folgte Einfall auf Einfall, und jede neugewonnene Erkenntnis warf neue Fragen auf. "Egal, dann schnallen wir auf der Burg den Gürtel eben ein paar Jahre enger. Es wird schon gehen, und sind die Bauern erst mal zu einigem Wohlstand gekommen, werden sie mir umso mehr Abgaben zahlen. Ich könnte den Müller..." Sie unterbrach sich, als sie sein breites Grinsen sah. "Was ist?" fragte sie plötzlich zornig. "Ihr sagtet doch, dass ich..."
"Nein, nein!" wehrte er mit beiden Händen ab. "Macht nur weiter. Es ist nur schön, wenn man erkennt, dass man die richtige Wahl getroffen hat."
Sie wußte nicht, was sie darauf sagen sollte, aber sie wäre sowieso nicht dazu gekommen. Ein energisches Klopfen an der Tür ließ den Herzog auffahren. Es war der Einhändige, der nur kurz den Kopf hereinsteckte. "Nachricht von Dorlan: Wolfenrain und seine beiden Schwager ziehen Bewaffnete zusammen. Mit Kriegsknechten schätzt er bald hundert Mann."
Der Herzog fluchte lautlos. "Wolfenrain? Vor drei Monaten hat er mir noch die Treue geschworen. Gib den Befehl zum Aufbruch!"
Der Einhändige grinste. "Hab ich schon!" Dann verschwand er, so schnell, wie er gekommen war.
Herzog Rafalo erhob sich und verbeugte sich formvollendet. "Es tut mir leid, dass sich unser Gespräch abbrechen muss, aber die Pflicht ruft."
Sie hatte sich gleichzeit erhoben. "Aber was wird aus eurem Bad?"
"Ich fürchte, das wird auf meinen nächsten Besuch warten müssen." Er grinste. "Aber glaubt nicht, dass ich euch diese Schuld erlasse."
Was hätte sie darauf noch sagen sollen? Jetzt war keine Zeit mehr für lange Reden. So zeigte sie ihm ihre Ehrerbietung mit einem tiefen Knicks. Wie gerne hätte sie ihn noch hierbehalten, hätte seine Meinung zu ihren halbfertigen Plänen hören wollen, auf seinen Rat gelauscht. Und wenn nicht hier, dann eben woanders. Wieder wünschte sie sich, sie wäre ein Mann und könnte mit ihm in den Kampf ziehen. Aber nun wußte sie, dass ihr Kampf nicht weniger wichtiger war. Immerhin konnte sie ihm helfen, die Rüstung anzulegen. Dann war auch das geschehen und sie verabschiedete ihn mit den üblichen, blutleeren Floskeln.
Er aber drehte sich noch einmal um. "Nicht ganz so eilig. Wir sind noch nicht fertig. Was könnt ihr mir als Sicherheit bieten?"
War es der Zorn über den Eidbrecher? Etwas von der früheren Härte war in seine Stimme und seinen Ausdruck zurückgekehrt. Tanisels Kehle war auf einmal wie ausgedörrt. Demütig senkte sie den Kopf. "Meine Treue gehört nur euch! Befehlt, Herr, und ich werde gehorchen!" Nur bitte, bitte, nicht die Kinder!
Er kniff die Augen zusammen und dachte nach. Dann plötzlich kam er zu einem Entschluss. "Kniet nieder!"
Sie gehorchte und wie in einem seltsamen Traum gefangen ließ sie sich von ihm Wort für Wort durch den Lehenseid führen, sprach jedes Wort, meinte jedes Wort und verstand doch nicht, was da gerade passierte.
Endlich packte er sie an den Schultern, hob sie auf und gab ihr den Bruderkuss auf die Wange. Dann sah er sie noch einmal ernst an. "Es gibt keine Zeugen für diesen Eid und nach den Gebräuchen dieses Landes wärt ihr sowieso nicht befugt, ihn zu leisten. Aber ihr habt die Worte gesprochen und ich habe sie entgegen genommen und solltet ihr euren Eid brechen, so werdet ihr keine Gnade finden."
Ohne auf ihre Reaktion zu warten drehte er sich um und ging. Doch als er schon die Hand an der Klinke hatte, wandte er sich ihr doch noch einmal zu. "Noch ein Rat:" Er lächelte. "Vergesst bei allen Pflichten eure Kinder nicht. Seid nicht nur eurem Land eine Mutter, sondern auch ihnen. Lasst sie euch nicht zu Fremden werden. Wir haben nur ein paar Jahre mit ihnen, bevor sie ihre eignen Wege gehen."
Bevor sie etwas antworten konnte, war er zur Tür hinaus. Minutenlang starrte sie auf die dicken Eichenbohlen während tausend neue Gedanken miteinander um ihre Aufmerksamkeit rangen. Dann auf einmal bellende Hunde, laute Rufe, Pferdegetrappel. Er war weg!
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