Welche sind die stabilsten technologischen Zeitalter?

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  • Das wäre zu untersuchen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der nur deshalb nicht mordend und vergewaltigend durch die Strassen zieht, weil er Angst vor der Hölle hat. (Aber nicht wenige Hardcore-Christen argumentieren in die Richtung, dass Atheisten keine Moral haben. "Ohne Gott ist alles erlaubt" und so.)

    Man kann gar nicht so rundum stromlinienförmig sein, dass es nicht irgendeine Pappnase gibt, die irgendetwas auszusetzen hat.
    - Armin Maiwald

  • Ich kenne jedenfalls niemanden, der nur deshalb nicht mordend und vergewaltigend durch die Strassen zieht, weil er Angst vor der Hölle hat.

    Ich auch nicht. Aber Religion ist normalerweise auch ein bisschen raffinierter als das. Es gibt da draußen Menschen, die eigentlich die komplette Welt hassen und psychisch nicht imstande sind, sowas wie Freunde zu machen. Aber indem die Religion ihnen verständlich macht - oder wohl eher vorspielt - dass sie im selben Boot sitzen, arbeiten sie zusammen.


    EDIT:
    Ich muss wahrscheinlich nicht erst dazu sagen dass das nicht zum Guten ist. Aber das liegt wiederum nicht an der Religion, sondern ausschließlich daran, wie man sie instrumentalisiert.

  • Religion entstand in der Alzsteinzeit, als es wahrscheinlich ziemlich normal war, Fremde abzustechen wenn man sie sah

    Hm, ist das so? So weit können wir in der Geschichte ja gar nicht zurückblicken. Ich halte das also eher mal für einen Mythos.


    Die Allaussagen sind sowieso müßig - sie sind alle mit einem einzigen Gegenbeispiel bereits widerlegt.


    Verleitet Religion niemals jemanden zu etwas, das er/sie ohne diese nie getan hätte? Nein.
    Ist Religion notwendig dafür, dass "schlechte Menschen" Gutes tun? Nein.
    Wird Religion als Legitimation für Untaten verwendet? Ja.
    Ist alles, was mit Religion legitimiert wird, eine Untat? Nein.
    Usw. usf.


    Ich fühle mich als nichtreligiöser Mensch ein wenig gefrotzelt, wenn mir jemand damit kommt, dass Religion dafür notwendig ist, Gutes zu tun. ;) Aber natürlich ist bereits die Annahme, es gäbe so etwas wie inhärent gute oder schlechte Menschen, schon problematisch. Es mag manche Veranlagung geben, aber sehr viel ist doch Kultur. Und mit der untrennbar verbunden sind Religionen - das auseinanderzutrennen, wird kaum gehen. :)

  • So weit können wir in der Geschichte ja gar nicht zurückblicken.


    Doch natürlich, Statuen und kultische Instrumente erhalten sich. Wenn du eine menschenähnliche Steinstatue in einer Höhle findest, die voller rituellem Schmuck ist, und exakte Kopien noch tausende Kilometer entfernt in anderen Höhlen existieren, die sich in einem ungefähren Kreis um die erste Höhle anordnen, dann ist klar, was sich damals abgespielt hat. An Parallelen zu reztenten Kulturen dieses technischen Stadiums, wie den Aborigines oder den nordamerikanischen Indios, mangelt es übrigens nicht. Sie alle treffen sich jedes Jahr zu monumentalen Clan-Festen, die sich religiös begründen und strikt durchritualisiert sind. :)


    wenn mir jemand damit kommt, dass Religion dafür notwendig ist, Gutes zu tun.


    Jetzt hast du mich aber ordentlich erschrocken. Das ist das Letzte, was ich ausdrücken wollte. Selbstverständlich brauchen Menschen, die sich selber Gedanken machen, was zu tun ist, keine Religion dafür. Aber vor 150.000 Jahren war's mit der Moraltheorie halt noch nicht sehr weit her.

  • Also, ich bin ja nun kein Experte, aber ich kann mich auch erinnern gelesen/gehört zu haben, daß ohne Religion früher keine Gruppen- und später Länderbildung möglich gewesen wäre, weil Religionen den ersten ethischen Rahmen geboten haben.


    Gerade heute "braucht" man Religion nicht mehr wirklich dafür, da wir mit den verschiedenen philosophischen Strömungen auch sehr gut nach "Pfui bäh, das tut man nicht" und "Wenn du kein Arsch sein willst, dann solltest du das lieber tun" einteilen können. Bzw noch etwas aktueller durch die Schwarmintelligenz Internet.


    Der große "Vorteil" von Religionen ist halt, daß man nicht nur dem Gruppenzwang unterliegt (also Angst davor haben muß, von seinem Umfeld als "schlechter" Mensch gesehen zu werden), sondern daß da auch noch so ein allwissendes Wesen dich selbst dann über's Knie legt, wenn du den Scheiß vollkommen unbeobachtet baust.


    Aber wie gesagt, die Aussagen allesamt ohne Gewehr. Das ist ein Konglomerat aus Sichtweisen aus diversen "philosophischen" Werken ("Batman and Philosophy" - lesen, wer's nicht kennt :lol: ), buddhistischen Betrachtungen alter und moderner Religionen und vermutlich die ein oder andere Universum-Folge. :pfeif:

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • Hm, wir nähern uns dem Topic ja langsam wieder an. ;D


    @Yagomar
    Ich hab mich missverständlich ausgedrückt. Natürlich ist Geschichtsforschung bis in die Altsteinzeit möglich. Aber sie ist wesentlich unschärfer als die von späteren Zeiten... eine Pauschalaussage wie "damals schlugen Menschen Fremden prinzipiell den Kopf ein" könnte natürlich voll zutreffen, könnte aber auch komplett danebenliegen. Vielleicht gab es damals Gastfreundschaft, und Fremde wurden eher als "oh cool, von denen können wir lernen, wie man die Hütte besser baut" Ressource angesehen.


    Ich würde jetzt grundsätzlich mal davon ausgehen, dass sich in der menschlichen Psychologie nicht so viel geändert hat - aber gerade aus der Psychologie wissen wir, dass sehr viel menschliches Verhalten stark situationsabhängig ist. Ich stelle mir z.B. ein Dorf in der Altsteinzeit vor, das gerade einen Schneesturm knapp überlebt hat - wenn da jetzt Fremde vorbeikommen, könnte die Reaktion sein "Seht mal, es gibt noch mehr überlebende - es stehen Hütten leer, wir brauchen dringend Arbeitskräfte" oder natürlich "Wir haben nicht genug Essen, die auch noch durchzufuttern - weg mit ihnen!" Oder noch ganz anders. ;)


    Altsteinzeit heißt ja nicht, dass da alle eine einheitliche altsteinzeitliche Einheitskultur hätten, die überall gleich ist. Wahrscheinlich sind die Unterschiede schon zwischen Nachbarstämmen gern mal recht groß.


    Der große "Vorteil" von Religionen ist halt, daß man nicht nur dem Gruppenzwang unterliegt (also Angst davor haben muß, von seinem Umfeld als "schlechter" Mensch gesehen zu werden), sondern daß da auch noch so ein allwissendes Wesen dich selbst dann über's Knie legt, wenn du den Scheiß vollkommen unbeobachtet baust.

    Hm, ich glaube fast, dass diese Denkweise aber eher eine Sache von den abrahamitischen Religionen ist. Da diese weltweit so stark dominant sind, legen wir sie gern einmal unsere Vorstellung darüber, wie Religionen prinzipiell funktionieren, zugrunde. Ein strafender Gott ist nicht zwangsläufig Teil einer Religion, glaube ich.


    Ich meine mich zu erinnern, dass Jared Diamond das Entstehen von Priestertum aber mit Landwirtschaft in Verbindung gebracht hat - es gibt Menschen, deren Hauptaufgabe es ist, Vorräte zu verwalten, und (mittels Kalender) die Aussaat zu kontrollieren, die einiges Wissen erfordert. Das bietet für Priester eine Nische...



    Wenn ich aber z.B. den Abraham-Mythos anschaue, dann sehe ich dort eher noch eine (nomadische?) Magie-Kultur als eine Religion-Kultur. Jedenfalls kein Priestertum - Abraham ist selbst sein eigener Priester, aber er bildet keine eigene Priesterklasse, die kommt wohl später.


    Gerade die Geschichte von Abraham und Isaak ist in meinen Gedanken aufgrund der vorigen Diskussion. Es ist genau ein Beispiel dafür: Abraham will seinen Sohn nicht töten, aber aufgrund seines Glaubens tut er es doch (oder ist jedenfalls dafür bereit). Diese Geschichte wirkt bis heute nach, weil darin genau der blinde Glaube, und die Bereitschaft, sogar etwas gegen den eigenen Willen zu tun, als höchste Tugend des Gläubigen angelegt wird. Das Gehorchen ist das Wichtigste. Was auch noch drinsteckt: Die Figur des Abraham muss ja geglaubt haben, dass sein Gott tatsächlich imstande ist, von ihm einen Kindsmord zu verlangen!


    Insoweit moderne Religionen mit diesem Aspekt ihrer Geschichte kritisch umgehen, kann ich ihnen schon etwas abgewinnen. Insoweit ich aber den Einfluss von Mythen wie diesem sehe, kann ich nicht anders, als sie gefährlich zu finden. Aber gleichzeitig extrem spannend, zu beobachten, welche Kulturen welche Religionen hervorbringen, bzw. wie sich dieses Wechselspiel gestaltet. :)

  • Hm, ich glaube fast, dass diese Denkweise aber eher eine Sache von den abrahamitischen Religionen ist.

    Überhaupt nicht! Das Strafen von unmoralischem Handeln ist eine der wenigen Sachen, die man wirklich in den allerunterschiedlichsten Kulturen finden kann. Denk an die altgriechischen Götter - launische Personen, aber mit sehr differenzierten Ansichten über Moral, und du wolltest nicht in der Haut dessen stecken, der ihr Auge beleidigt. Oder denk z.B. an die altindische Karma-Lehre.


    Magie-Kultur als eine Religion-Kultur


    Diesen Unterschied macht die moderne Wissenschaft schon ewig nicht mehr. Wenn du mir schlüssig und objektiv erklären kannst, warum "Magie" nicht gleich "Magie" sein soll egal in welche Religion man guckt, verleihe ich dir eine Medallie.


    Die Figur des Abraham muss ja geglaubt haben, dass sein Gott tatsächlich imstande ist, von ihm einen Kindsmord zu verlangen!


    Klar - die Figur des Abraham ist ja auch ein fiktives Idealbild. Sie sollte die soziale Autorität der sakralen Instanzen noch weiter steigern, indem man den Leuten mit ausgestrecktem Zeigefinger erzählte: "Schaut mal, das ist ein echter Christ / Jude / Moslem! :alt: Hört endlich auf, eure nichtigen lächerlichen weltlichen Interessen mitzubedenken, und tut was ICH euch sage!"



    Ich meine mich zu erinnern, dass Jared Diamond das Entstehen von Priestertum aber mit Landwirtschaft in Verbindung gebracht hat - es gibt Menschen, deren Hauptaufgabe es ist, Vorräte zu verwalten, und (mittels Kalender) die Aussaat zu kontrollieren, die einiges Wissen erfordert. Das bietet für Priester eine Nische...


    Öööhm, das kommt jetzt voll und ganz darauf an, aber so oder so müsste man das wohl erheblich spezifizieren damit es hinhaut.


    Meinst du "Priester"? Die sind rund 7.000 Jahre nach der Landwirtschaft entstanden, und zwar im frühchristlichen Mittelmeerraum.


    Oder meinst du "religiöse Spezialisten" als ein völlig generalisierter Überbegriff, der nicht näher beschreibt, wie diese Spezialisten sich von den Normalos unterscheiden und was ihre Aufgaben und Rollenmuster sind?
    Die sind wiederum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 100.000 bis 200.000 Jahre älter als die Landwirtschaft.


    :lol:

  • @ Karma-Lehre: Die ist zwar eine Art Handbuch, was man tun muss, um sich zu verbessern, lässt sich aber bestens instrumentalisieren (und wird auch!), um z.B. Leute aus niedrigen Kasten schlecht zu behandeln - die haben es ja verdient, man hilft ihnen ja nur bei ihrem Weg nach oben.


    @ "Priester": Ich meine, dass Jundurg da die Schiene "Medizinmann" und Co. meint. Die sind definitiv ganz viele Ecken älter als das Wort Priester (Presbyter = Ältester). Und ich vermute auch, dass Jundurg die alle in dieser Hinsicht in einen Topf wirft, wie ich übrigens auch.

    Man kann gar nicht so rundum stromlinienförmig sein, dass es nicht irgendeine Pappnase gibt, die irgendetwas auszusetzen hat.
    - Armin Maiwald

  • Ich stelle mir z.B. ein Dorf in der Altsteinzeit vor, das gerade einen Schneesturm knapp überlebt hat - wenn da jetzt Fremde vorbeikommen, könnte die Reaktion sein "Seht mal, es gibt noch mehr überlebende - es stehen Hütten leer, wir brauchen dringend Arbeitskräfte" oder natürlich "Wir haben nicht genug Essen, die auch noch durchzufuttern - weg mit ihnen!" Oder noch ganz anders.

    Wenn ich mal was einwerfen darf: "Dörfer" gibts in der Altsteinzeit nicht ;) Es gibt saisonale Jagdstationen, die immer mal wieder aufgesucht wurden, aber das Dorf im eigentlichen Sinne gabs hier in Mitteleuropa erst ab der Jungsteinzeit, also mit der ersten landwirtschaftlichen Kultur, der Bandkeramik.


    Aber ja, was du gesagt hast, stimmt:

    Natürlich ist Geschichtsforschung bis in die Altsteinzeit möglich. Aber sie ist wesentlich unschärfer als die von späteren Zeiten...

    Ja, es gibt Statuen und Instrumente. Denken wir mal an den berühtem Löwenmenschen aus dem Hohlenstein-Stadel: der gibt ein deutliches Indiz - und mehr ist das nicht - auf eine wie auch immer geartete mystische Denkweise der damaligen Menschen. Auch die ganzen Flöten zeigen eine Beschäftigung mit Kultur oder Kunst an, überhaupt die ganzen Höhlenmalereien, beispiesweise aus Frankreich.
    Allerdings wäre es jetzt mehr als falsch daraus einen Kult abzuleiten, dazu weiß man schlicht zu wenig. Aus Tschechien gibt es auch eine sogenannte "Hütte des Magiers" in Dolni Vestonice, aber wie dieser Befund zu deuten ist, könnte uns nur ein Bewohner dieser paläolithischen Siedlung sagen. Wir haben nur Indizien und darum sollte man, wenn man über diese Zeiten redet, vorsichtiger mit Begriffen wie Religion und Kult umgehen.


    Wenn du eine menschenähnliche Steinstatue in einer Höhle findest, die voller rituellem Schmuck ist, und exakte Kopien noch tausende Kilometer entfernt in anderen Höhlen existieren, die sich in einem ungefähren Kreis um die erste Höhle anordnen, dann ist klar, was sich damals abgespielt hat. An Parallelen zu reztenten Kulturen dieses technischen Stadiums, wie den Aborigines oder den nordamerikanischen Indios, mangelt es übrigens nicht.

    1.: Definiere den Ritus hinter dem Schmuck.
    2.: Nein, es ist nicht klar. Ganz im Gegenteil wirft das sogar sehr viel mehr Fragen auf, als dass es beantwortet.^^
    3.: Rezente Beispiele aus der Ethnologie sind nichts weiter als MÖGLICHKEITEN und zeigen ganz bestimmt nicht die Verhältnisse, wie sie damals geherrscht haben. Da sollte man deutlicher differenzieren.



    Meinst du "Priester"? Die sind rund 7.000 Jahre nach der Landwirtschaft entstanden, und zwar im frühchristlichen Mittelmeerraum.


    Oder meinst du "religiöse Spezialisten" als ein völlig generalisierter Überbegriff, der nicht näher beschreibt, wie diese Spezialisten sich von den Normalos unterscheiden und was ihre Aufgaben und Rollenmuster sind?
    Die sind wiederum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 100.000 bis 200.000 Jahre älter als die Landwirtschaft.

    Die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde ich bei dem Zeitrahmen mal auch als weniger sicher ansehen. Erste Hinweise auf sowas kommen eigentlich erst im Jungpaläolithikum auf, mit dem Entstehen des modernen Menschen und der Kunst (die teilweise schon bei den Neandertalern anfängt).


    Ich denke Diamond meint damit doch eher "organisiertes Priestertum"? Würde das jetzt auf den Vorderen Orient beziehen, wo es durchaus auch, beispielsweise in der Uruk-Zeit, Hinweise auf Herrscher gibt, die gleichzeitig auch Priester waren. Denn eine andere Möglichkeit wäre, dass einzelne Männer deswegen aufgestiegen sind und zu Häuptlingen oder "Big Man" wurden, weil sie die Kontrolle über die Kornspeicher etc. hatten. Da würde das mit ins Bild passen.

    "Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wenn Sie an der Wahrheit interessiert sind, Dr. Tyries Philosophiekurs ist am Ende des Ganges. Also vergessen Sie diese Geschichten von verborgenen Städten und die Welt umzugraben. Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert."


    - Prof. Dr. Henry Jones Jr.

    Edited once, last by Salyan ().

  • Ich kann das gerne ein bisschen weiter ausführen. Ritualschmuck und Statuen, ok, aber woher nehme ich meine Sicherheit, dass es religiöse Spezialisten schon über 100.000 Jahre geben dürfte?


    Weil keine menschliche Kultur existiert, die das nicht hat. Selbst die Aborigines, die sich nachweislich schon vor stattlichen 80.000 Jahren vom Rest der Menschheit abseilten, weisen in den Rollen ihrer religiösen Spezialisten und ihrer Clan-Ritualle beachtliche Parallelen zu vielen anderen traditionellen Kulturen auf. Sehr vieles davon wird sich parallel entwickelt haben. Jede Kultur adaptiert sich an ihren Lebensraum mittels einer bestimmten Lebensweise. Die "Basics" dieses Prozesses wie die Idee des Übersinnlichen sind aber wahrscheinlich nicht fünftausendmal parallel entstanden, sondern einmal, und das schon früh.


    Es ist entscheidend zu verstehen, dass diese religiösen Spezialisten nicht immer dasselbe machen, wie als wäre das alles ein und dieselbe "Urreligion". (So nannten Forscher das im 19. Jahrhundert gerne, andere Begriffe waren Totemismus und Animismus, die ich persönlich verabscheue.) Sie mussten die Fragen des Kosmos beantworten. Woher kommen wir, und wohin gehen wir, wenn wir sterben? Warum sind die Natur und die Tiere, wie sie sind? Warum müssen wir Schmerzen leiden, woher kommen die Jahreszeiten und woher kommt der Sternenhimmel? Woher kommt die Hierarchie unseres Stammes, und woher unser Verhältnis zu unseren Nachbarstämmen? Diese Menschen waren genetisch genau dasselbe wie wir heute. Sie waren genauso intelligent, genauso neugierig und natürlich genauso verletzlich.


    Im selben Moment wurden die Menschen dadurch, dass sie so viele Fragen stellten, kontrollierbar. Und das zum Guten. Das Leben in der Eiszeit war kein Zuckerschlecken, und der soziale Zusammenhalt, die Treue untereinander, wäre ohne Religion wahrscheinlich schneller zerbrochen, als du "Piep" sagen könntest. WIe gesagt, Identität ist eine höchst emotionale Sache. Es ging hier nicht darum, tatsächlich die Welt besser zu verstehen, sondern um Mut, Hoffnung und Vertrauen. Auch wenn das natürlich keiner wusste.
    Außer mutmaßlich dem religiösen Spezialisten, der bei jedem wiederkehrenden Festanlass seine Mythen nicht bloß erzählte, sondern sie durch tausend hochelaborierte Techniken des Theaters, der Musik, der Malerei und der Poesie inszenierte, damit sie die Zuschauer mitrissen und tatsächlich einen emotionalen Effekt hinterließen. Hätte der sich da hingestellt und gesagt "Hallo heute halte ich mein Referat über..." dann hätte er sich das alles sparen können, es hätte nicht gezogen. Darum besitzen traditionelle Kulturen meistens sehr strikte Prüfungen, denen sich ein angehender religiöser Spezialist nach langer Ausbildung unterziehen muss.


    Kurzum: Ein Jäger oder Fischer oder so hätte diese hyperessenzielle Rolle nie und nimmer ausführen können. Es hätte ihm einfach an Zeit gemangelt. Und auch an Authenthizität, denn schließlich musste der, der über die Fugen des Kosmos bescheid wusste, sich eine Aura des Fremden und Mysteriösen bewahren und das hätte dem alltäglichen Fischen doch seeehr im Weg gestanden.


    Neben dem Häuptling war der religiöse Spezialist also wahrscheinlich die erste soziale Spezialrolle, die sich in Jäger- und Sammlerkulturen ausbreitete. Was es nun war, das dieser Spezialist den Leuten erzählte, hängt neben seinen technischen Möglichkeiten der Inszenierung von zwei Faktoren ab:


    1) was ist es, das die Menschen fasziniert oder verstört? Muss ich denen erklären, woher die Berge kommen oder doch eher, woher das Meer kommt?


    2) welche Sozialstruktur ist zu festigen? Soll ich den Menschen beibringen, äußerst kriegerisch und roh zu Fremden zu sein, weil wir in einer hart umkämpften Region leben, oder soll ich ihnen beibringen, den harten Winter hinzunehmen?


    Tatsächlich unterscheiden sich die Rituale, die magischen Praktiken, die Mythen und der Habitus der religiösen Spezialisten in rezenten traditionellen Kulturen sehr stark. Es wäre absurd, zu meinen, das wäre alles dasselbe. Aber die Parallelen des grundsätzlichen Gefüges der Schamanen - dass sie Mythen inszenieren, die eine essenzielle soziale Funktion ausüben, und dass sie dies unter Zuhilfenahme der verschiedensten performativen Künste tun und dass sie eine Sonderrolle sind, die von den anderen durchgefüttert wird - das ist buchstäblich überall so.



    Je komplexer Kulturen nun werden, desto mehr unterscheiden sich ihre Strukturen von Identität und wie diese hergestellt, instandgehalten und an neue Situationen adaptiert wird. Darum werden die religiösen Spezialisten ab der neolithischen Revolution natürlich zusehends unterschiedlicher darin, wer sie sind, wie sie leben und was sie machen. Kalenderwesen wird daher tatsächlich ein entscheidender Einschnitt gewesen sein, denn ja, wiederkehrende zeitliche Abläufe wurden selbstverständlich religiös untermauert und Kalender waren zunächst einmal religiöse Festkalender - aber seit diesem Zeitalter von Priestern zu reden, ist äußerst irreführend. Seit diesem Zeitalter werden, wie gesagt, die Rollenunterschiede sehr schnell immer größer. Die römischen Auguren, die indischen Brahmanen und Guru, die persischen Magi, die jüdischen Rabbi usw. usw. hatten aber mal sowas von nichts mit einem christlichen Priester zu tun, weder hinsichtlich Selbstverständnis noch sozialer Rolle.


    Natürlich will ich aber den Priesterbegriff auch nicht schlechtreden, man hat erstmal nichts anderes zur Hand, wenn man sich neu einarbeitet. :) Aber: mit "religiöser Spezialist" ist man immer auf der sicheren Seite.

  • Die römischen Auguren, die indischen Brahmanen und Guru, die persischen Magi, die jüdischen Rabbi usw. usw. hatten aber mal sowas von nichts mit einem christlichen Priester zu tun, weder hinsichtlich Selbstverständnis noch sozialer Rolle.

    Wir reden auch nicht von speziell christlichen Priestern. Gibt es irgendeinen Grund, warum die Überbezeichnung für "Vermittler in spirituellen Angelegenheiten" NICHT Priester lauten sollte?

    Man kann gar nicht so rundum stromlinienförmig sein, dass es nicht irgendeine Pappnase gibt, die irgendetwas auszusetzen hat.
    - Armin Maiwald

  • Ja. "Priester" hat tausenddreihundertachtzehn sehr spezielle, nur in der christlichen Religion sinnvolle Implikationen. Schon "Vermittler" ist Quatsch mit Soße. Ein Brahmane "vermittelt" nicht. Wenn ich sage, dass die Rollen sich unterscheiden, dann meine ich das auch. :P Darum ist es immer besser, keine Begriffe aus der eigenen Tradition zu verallgemeinern, weil man damit unwissentlich und unwillkürlich ihre Besonderheiten verallgemeinert. Es ist besser, einen neuen, möglichst neutralen Überbegriff zu nehmen.

  • Du meinst, der Brahmane steht nicht in irgendeiner Form zwischen den normalen Menschen und einer Art spirituellen Ebene? Wenn doch, dann ist er ein Vermittler.


    Allemal. Es gibt viele solche Vermittler, die allgemein als Priester bezeichnet werden, obwohl sie definitiv nicht christlich sind.

    Man kann gar nicht so rundum stromlinienförmig sein, dass es nicht irgendeine Pappnase gibt, die irgendetwas auszusetzen hat.
    - Armin Maiwald

  • Mich interessiert eh nicht sehr, welche Worte man benutzt; entscheidend ist, was man damit meint. Klar steht auch der Brahmane zwischen den Menschen und dem Übermenschlichen, aber die Frage ist immer, wie beide Sphären miteinander verbunden sind. Die Menschenwelt kann extrem unterschiedlich sein; darum kann auch das, was du spirituelle Ebene nennst, extrem unterschiedlich sein, da erstere sie sich ja in aller Regel als "Gegenstück" erfindet. Mal ist da ein allwissendes und allmächtiges Wesen, das jedem, der es anbetet, das Paradies verspricht und das den Leuten um jeden Preis näher gebracht werden muss; mal ist da ein totes, ewiges physikalisches Prinzip - der Atman - dessen übernatürliche Kräfte nicht in die falschen Hände fallen dürfen und der vor den normalen Leuten daher um jeden Preis geheim gehalten werden muss.


    Für mich sind das zwei zu unterschiedliche Sachen, um sie beide "vermitteln" zu nennen. Aber ich schreibe dir nicht vor, wie du es nennen sollst.

  • Weil keine menschliche Kultur existiert, die das nicht hat. Selbst die Aborigines, die sich nachweislich schon vor stattlichen 80.000 Jahren vom Rest der Menschheit abseilten, weisen in den Rollen ihrer religiösen Spezialisten und ihrer Clan-Ritualle beachtliche Parallelen zu vielen anderen traditionellen Kulturen auf. Sehr vieles davon wird sich parallel entwickelt haben. Jede Kultur adaptiert sich an ihren Lebensraum mittels einer bestimmten Lebensweise. Die "Basics" dieses Prozesses wie die Idee des Übersinnlichen sind aber wahrscheinlich nicht fünftausendmal parallel entstanden, sondern einmal, und das schon früh.

    Der Großteil deiner Aussagen beruht hier nur auf Mutmaßungen, so kommt es mir zumindest vor. Natürlich ist es verlockend, sich den mystischen Schamanen oder den Medizinmann vorzustellen, wie er (oder sie) versucht die Welt zu erklären. Aber das ist schlichtweg nicht beweisbar, völlig egal was ethnologische Analogien dazu sagen. Da können sich die Aboriginies ähnlich verhalten wie der Urvolk-Stamm im Amazonas. Wir wissen über die Menschen der Altsteinzeit schlicht zu wenig, um sagen zu können, wie ihre Geisteswelt aussah und die Organisation dieser. Ich will nicht bestreiten, dass das, was du sagst, durchaus so sein könnte, aber genausogut könnte es auch alles Schwachsinn sein. Ich hab das im Studium jetzt schon sehr oft gelesen: Man kann nicht von den heutigen Verhältnissen auf prähistorische Gesellschaften schließen. Das fängt eigentlich schon bei den Kelten an...Das mag dir nichts sagen, aber ich les da einen sehr postprozessualen Standpunkt in deinen Aussagen heraus, vielleicht kann ich mich damit im Moment einfach nicht anfreunden.^^



    Darum ist es immer besser, keine Begriffe aus der eigenen Tradition zu verallgemeinern, weil man damit unwissentlich und unwillkürlich ihre Besonderheiten verallgemeinert. Es ist besser, einen neuen, möglichst neutralen Überbegriff zu nehmen.

    So funktioniert das aber in der Wissenschaft größtenteils. Der Einfachheit und Verständlichkeitn halber nehmen wir Beispiele und Begrifflichkeiten aus unserem eigenen Kulturkreis und stülpen sie anderen über. Das ist natürlich falsch und viel zu einfach, aber da sich das in der Forschungstradition viele Geisteswissenschaften so durchgesetzt hat, lässt sich das nicht einfach aufbrechen. Begriffe wie Stadt, Burg, Volk, Rasse etc. dürfte man dann überhaupt nicht mehr benutzen, aber das geht nicht so leicht. Nicht deswegen, weil es die Sache verständlicher macht, sondern weil es sich so eingeprägt hat. Man muss halt immer wissen, was genau man meint und dieses Wissen oder diese Definition muss man dann auch den Lesern verständlich machen und erklären; sei es bei einer wissenschaftlichen Arbeit (zumindest mit Verweis auf entsprechende Fachliteratur, in der diese Diskussionen schon geführt wurden) oder bei einem einfachen Thread in einem Nerd-Forum.
    Darum: Der Priesterbegriff ist geläufig (zumindest bei uns in der Archäologie, sei es für den Dorfpfarrer aus den Mittelalter oder den Tempelheini aus Mesopotamien) und kann auch benutzt werden, solange sich die Beteiligten über seine Nutzun im Klaren sind.



    Mich interessiert eh nicht sehr, welche Worte man benutzt; entscheidend ist, was man damit meint.

    Nämlich genau das. Ich wollts nur nochmal klarstellen.^^

    "Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wenn Sie an der Wahrheit interessiert sind, Dr. Tyries Philosophiekurs ist am Ende des Ganges. Also vergessen Sie diese Geschichten von verborgenen Städten und die Welt umzugraben. Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert."


    - Prof. Dr. Henry Jones Jr.

  • Nein, es ist nicht wirklich Mutmaßung - jedenfalls nicht mehr, als zu mutmaßen, dass ein Kürbis, den man aus dem 10. Stock auf die Straße fallen lässt, kaputt gehen wird. Über die Details dieser Kürbisschäden werde ich mich hüten, Aussagen zu machen; ich sage nur, was der Blinde mit dem Krückstock vermuten würde, wenn man ihm alle relevanten Informationen gibt.


    Ich kann mir eine eiszeitliche Sippe, der es schnuppe war, wo die Welt herkommt oder welche unsichtbare Macht die Mutter getötet hat, die plötzlich schwarze Beulen bekam und starb, nicht vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die damals, genetische Homo Sapiens wie du und ich, sagten: "Das ist völlig unerklärlich und unheimlich, aber is uns doch scheißegal. Wir müssen ja nicht fürchten, das uns dasselbe Schicksal bevorsteht. Warum sollten wir das auch denken? Und unsere Trauer über unsere Mutter kanalisieren wir auch nicht, wir akzeptieren das jetzt einfach und erklären uns nix."


    Wie viel Materialismus muss man bitteschön haben, um sich das so vorzustellen? Wie entsetzlich wenig Respekt vor den menschlichen Gefühlen? Bitte nimm's mir nicht übel, aber hier drängen sich mir zwei mögliche Gründe auf, wie man zu einer so radikalen Einschätzung kommen könnte. 1. Kulturrelativismus. "Jede Kultur lebt in ihrer eigenen Welt. Es hat keinen Sinn, sich das erklären zu wollen." Falsch. Es lässt sich vieles sehr leicht und mit hoher Präzision erklären. Man muss es nur versuchen. Es ist daher recht natürlich, beobachtete Strukturen zurückzuübertragen, insoweit die Lebensumstände der Menschen damals klimatisch, sozial und technisch identisch waren, was sich wiederum leicht archäologisch untersuchen lässt. Bei diesem Tatbestand ist es schon eher so rum, dass man starke Indizien bräuchte, um die These haltbar zu machen, dass ein und dieselbe Kultur früher nicht Mythen hätte haben sollen. Habe ich schon erwähnt, dass manche Mythen von äußerst alten und traditionellen Kulturen erkennen lassen, dass sie die klimatischen Veränderungen vor 12.000 Jahren reflektieren? Damals stieg nämlich der weltweite Meerespegel, und die Küstenbewohner mussten das verarbeiten. Ich finde das eine beachtliche Spanne.


    2. Romantisierung der Steinzeit als ein "abgestumpftes Dahinsterben ohne jede Sensibilität. Es war den Menschen egal, wenn sie sich ein Bein brachen. Sie dachten nicht darüber nach, es war viel zu normal." Eine konstruierte Sichtweise, die gnädigerweise inzwischen im Rückgang begriffen ist und ich dir jetzt nicht unterstellen möchte.



    Ich behaupte nicht, dass meine Äußerungen todsicher sind. Ich behaupte nur, dass sie dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen und äußerst wahrscheinlich sind.

  • Ich kann mir eine eiszeitliche Sippe, der es schnuppe war, wo die Welt herkommt oder welche unsichtbare Macht die Mutter getötet hat, die plötzlich schwarze Beulen bekam und starb, nicht vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die damals, genetische Homo Sapiens wie du und ich, sagten: "Das ist völlig unerklärlich und unheimlich, aber is uns doch scheißegal. Wir müssen ja nicht fürchten, das uns dasselbe Schicksal bevorsteht. Warum sollten wir das auch denken? Und unsere Trauer über unsere Mutter kanalisieren wir auch nicht, wir akzeptieren das jetzt einfach und erklären uns nix."

    Hab ich ja nie behauptet, dass es nicht so ist.^^ Nur wie sie diese Fragen angegangen sind und ob sie sich diese Fragen überhaupt auf diese Weise gestellt haben, das will ich einfach im Zweifel lassen.



    Wie viel Materialismus muss man bitteschön haben, um sich das so vorzustellen? Wie entsetzlich wenig Respekt vor den menschlichen Gefühlen? Bitte nimm's mir nicht übel, aber hier drängen sich mir zwei mögliche Gründe auf, wie man zu einer so radikalen Einschätzung kommen könnte.

    So stelle ich es mir auch nicht vor, aber ich bin da vielleicht ein wenig zurückhaltender mit Aussagen oder Vorstellungen wie du. Respekt vor menschlichen Gefühlen hab ich alle Mal, darum maße ich mir auch nicht an die Gefühle und Gedanken von Menschen verstehen zu wollen, die vor 40.000 Jahren gelebt haben. Und sei es auch nur "wahrscheinlich". Persönlich bin ich mir auch ziemlich sicher mit dem, was ich mir so vorstelle, aber da ich es nicht beweisen oder widerlegen kann und im Moment einfach nicht die Belege und Forschungsergebnisse präsentieren kann, um damit eine Argumentation aufzubauen, so wie ich es gewohnt bin...lass ich es lieber sein.



    "Jede Kultur lebt in ihrer eigenen Welt. Es hat keinen Sinn, sich das erklären zu wollen." Falsch.

    Seh ich doch genau so. Und dass man sich über rezente Beispiele dieser Sache annährt, ganz klar. Nur das soziale lässt sich archäologisch eben nicht so leicht untersuchen. Schließlich ist das, was man archäologisch findet (Artefakte) nur ein Bruchteil dessen, was war.



    ein und dieselbe Kultur

    Was genau meinst du damit?



    Habe ich schon erwähnt, dass manche Mythen von äußerst alten und traditionellen Kulturen erkennen lassen, dass sie die klimatischen Veränderungen vor 12.000 Jahren reflektieren? Damals stieg nämlich der weltweite Meerespegel, und die Küstenbewohner mussten das verarbeiten. Ich finde das eine beachtliche Spanne.

    Das ist mir auch klar^^ Allerdings ist mir sowas viel zu verschwommen, um damit zu diskutieren, wie alt ein Mythos sein könnte oder was er aussagt.



    Ich behaupte nicht, dass meine Äußerungen todsicher sind. Ich behaupte nur, dass sie dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen und äußerst wahrscheinlich sind.

    Das ist genau der Punkt, auf den ich hinaus wollte^^. Manche von deinen Äußerungen klangen nämlich genau so und da hab ich versucht aufzuzeigen, dass sie niemals sicher sein können. Und das sollte man halt immer zeigen, meiner Meinung nach zumindest. Sonst kann jeder einfach irgendwas behaupten.


    Da du das aber auch selbst sagst, hat sich das für mich erledigt ;) Möglicherweise kam auch durch den Filter "Internet" nicht so rüber, WIE du es gemeint hast^^.

    "Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wenn Sie an der Wahrheit interessiert sind, Dr. Tyries Philosophiekurs ist am Ende des Ganges. Also vergessen Sie diese Geschichten von verborgenen Städten und die Welt umzugraben. Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert."


    - Prof. Dr. Henry Jones Jr.

  • Überhaupt nicht! Das Strafen von unmoralischem Handeln ist eine der wenigen Sachen, die man wirklich in den allerunterschiedlichsten Kulturen finden kann. Denk an die altgriechischen Götter - launische Personen, aber mit sehr differenzierten Ansichten über Moral, und du wolltest nicht in der Haut dessen stecken, der ihr Auge beleidigt. Oder denk z.B. an die altindische Karma-Lehre.

    Naja, ich habe meine Aussage schon ganz spezifisch auf die Idee bezogen, es gäbe jemanden, der einem zusieht, wenn man etwas böses tut. Karma ist da ja genau ein Beispiel dafür, wie das in einem anderen Kulturkreis komplett anders gelöst wird. Ich weiß nicht, wie es mit Zeus und Jupiter so war, vermute aber, dass sich die Menschen da auch eher nicht permanent beobachtet gefühlt haben. (Und damit meine ich jetzt ganz speziell eben das, was mir als Kind über Gott vermittelt wurde: Er beobachtet jede meiner Handlungen, ich kann nichts tun, das er nicht sieht.)

    Diesen Unterschied macht die moderne Wissenschaft schon ewig nicht mehr. Wenn du mir schlüssig und objektiv erklären kannst, warum "Magie" nicht gleich "Magie" sein soll egal in welche Religion man guckt, verleihe ich dir eine Medallie.

    Ich muss zugeben, darüber habe ich schon länger nicht mehr nachgedacht, und mein Halbwissen stammt noch aus einer Zeit, in der ich selber gerne okkultistische Literatur gelesen habe, in der dieser Unterschied halt vllt auch gemacht wird, um cool zu sein ;) und sich von Religion abzugrenzen.


    Also ich denke schon, dass es prinzipielle Unterschiede gibt, die man auf einer Achse Magier-Priester markieren könnte, aber du hast recht, dass diese Achse dann keine Allgemeingültigkeit beanspruchen darf. Man könnte Moses und Abraham vergleichen und feststellen, dass der erstere doch eher als Figur auftritt, die versucht, eine Religion anderen Menschen zu vermitteln, und letzterer im Grunde hauptsächlich selber und für sich selber mit Gott spricht.
    Heutige westliche Magie-Traditionen (die natürlich nix mit historischen Begriffen davon zutun haben können, ist halt ne moderne Entwicklung) haben schon nen Hang zum Individualismus - aber der findet sich natürlich auch im evangelikalen Christentum genauso stark. Umgekehrt ist die christliche Messe ein Beispiel für ein gemeinschaftsstiftendes religiöses Ritual - aber die gibts wiederum im Okkultismus auch. Also ja, diese spezielle Achse, also individuelle Religionspraxis vs. soziale Religionspraxis, hat eher nix mit Religion vs. Magie zu tun.^^

    Klar - die Figur des Abraham ist ja auch ein fiktives Idealbild. Sie sollte die soziale Autorität der sakralen Instanzen noch weiter steigern, indem man den Leuten mit ausgestrecktem Zeigefinger erzählte: "Schaut mal, das ist ein echter Christ / Jude / Moslem! Hört endlich auf, eure nichtigen lächerlichen weltlichen Interessen mitzubedenken, und tut was ICH euch sage!"

    Schon, aber es gibt genügend Beispiele von Menschen, die versuchen, diesem Idealbild zu folgen. :weissnicht:

    Oder meinst du "religiöse Spezialisten" als ein völlig generalisierter Überbegriff, der nicht näher beschreibt, wie diese Spezialisten sich von den Normalos unterscheiden und was ihre Aufgaben und Rollenmuster sind?
    Die sind wiederum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 100.000 bis 200.000 Jahre älter als die Landwirtschaft.

    Ich meine mit Priester tatsächlich wohl religiöse Spezialisten. (Meine erste Assoziation mit den Wörtern "Priester" und "Tempel" ist übrigens Ägypten.^^)


    Ich vermute mal, dass die Arbeitsteilung in einer landwirtschaftlichen Gesellschaft tendentiell stärker ist. Zusammenleben in größeren Gesellschaften (Städte) ermöglicht halt, dass sich Spezialisten entwickeln. Dass in dieser Hinsicht der "Priesterberuf" nochmal eine Veränderung durchläuft, scheint mir schon plausibel. Auch wenn ich dir jetzt mal glaube, dass es Spezialisten schon vorher gab. :)


    Wenn ich mal was einwerfen darf: "Dörfer" gibts in der Altsteinzeit nicht Es gibt saisonale Jagdstationen, die immer mal wieder aufgesucht wurden, aber das Dorf im eigentlichen Sinne gabs hier in Mitteleuropa erst ab der Jungsteinzeit, also mit der ersten landwirtschaftlichen Kultur, der Bandkeramik.

    Für mich als Laie ist alles ein Dorf, was Hütten/Zelte/Regenschutz hat. ;D

    Es ist besser, einen neuen, möglichst neutralen Überbegriff zu nehmen.

    *Pingelmodus an*
    Auch der Begriff "Religion" ist nicht so neutral... die Grenzen davon sind mir nie so wirklich klar. Ist Konfuzianismus eine Religion? Wenn ja, warum? Wo hören Religionen auf, wo fangen Philosophien an? Erfüllen nicht viele Künstler*innen und/oder Philosoph*innen auch eine ganz ähnliche Funktion, dass man sie als "religiöse Spezialisten" bezeichnen könnte? Usw. Lässt sich unser heutiges Verständnis - wenn wir es überhaupt wissen! - von Religion so ohne weiteres in die Vergangenheit projizieren?


    Mir gehts hier keineswegs um Kultur-Relativismus, bitte nicht in diese Richtung missverstehen. Und natürlich bringt jeder von uns unterschiedliche Assoziationen mit Worten und Begriffen mit - wenn ich Priester sage, denke ich per default an ägyptische Tempel, da hat sich ein gewisses Computerspiel in meiner Kindheit einfach festgefressen. ;D


    Die Diskussion hat angefangen, weil ich die Behauptung "in der Altsteinzeit schlug man Fremden wahrscheinlich die Köpfe ein" (hoffentlich hab ich das jetzt richtig erinnert^^) erstmal angezweifelt habe. Weil es halt super-allgemein war als Aussage. ;) Genau das weitere Ausdifferenzieren, dass eben nicht alle Kulturen gleich sind und waren, das hat mir da gefehlt. Ich weiß aber auch nicht, ob man über die Religionen der Altsteinzeit so viel pauschal sagen könnte - darum halt auch nicht, dass sie ethische Grundsätze vorangetrieben hat. Sicher hin und wieder, aber ebensooft auch gerade nicht, würde ich vermuten.

  • Ich verstehe euch ja.


    Das Dilemma als Religionswissenschaftler ist immer, dass die Leute einem nichts abnehmen, weil ihnen nicht so sehr bewusst ist, wie unheimlich speziell diese Themen sind und wie sehr man sich einarbeiten muss, um bestimmte Sachen beurteilen zu können. Einem Laser-Photoniker nehmen die Leute jeden Satz ab, ohne nachzubohren. Wenn ich sage "es gibt keine Gehirnwäsche" oder "Magie ist in allen Religionen dasselbe Ding" - dann glaubt mir das erstmal keiner. Ich kann jetzt entweder ellenlange Absätze schreiben, warum XYZ "äußerst wahrscheinlich" ist oder Faustregel ABC "praktisch immer zutrifft" und unter welchen Umständen und in welchen Kontexten das alles gesehen werden muss - was ich natürlich durchgängig tun würde und müsste wenn's ein wissenschaftliches Forum wäre - oder ich kann mich kürzer fassen, wodurch die Begründung wegfällt, und das haut Leute verständlicherweise vor den Kopf.


    Ich hoffe sehr, dass in diesem Thread bisher das erste überwiegt und dass es nicht so ausschaut, als hätte ich die Weisheit mit dem Löffel gefressen und würde mit unfehlbaren Allaussagen um mich werfen. :) Es dreht sich alles um den Kontext, in dem man scheinbar sehr allgemeine Aussage platziert. Sie ist als eine Tendenz zu verstehen, die erstmal weite Bereiche erhellt - und daran ändert sich auch nichts dadurch, dass es hier und da kleine Nischen und Winkel geben mag, die sie nicht erhellt.



    Ich weiß nicht, wie es mit Zeus und Jupiter so war, vermute aber, dass sich die Menschen da auch eher nicht permanent beobachtet gefühlt haben.


    Das wäre dann ein Irrtum.^^ Menschen mussten sich zwar rituell an den Gott wenden und seinen Namen rufen, wenn sie sich ihm mitteilen wollten - die Idee, man könne die Götter "herbeizaubern", steckte aber nicht dahinter. Der Gott besaß durchaus die Fähigkeit, einem über die Schulter zu schauen, wann er es wollte.


    Der Unterschied zum christlichen Gott wäre höchstens, dass keine Garantie besteht, dass er es tut. Diese Götter waren nicht vollkommen oder allwissend. Nur sehr, sehr nah dran.


    darum maße ich mir auch nicht an die Gefühle und Gedanken von Menschen verstehen zu wollen, die vor 40.000 Jahren gelebt haben.


    Ich auch nicht. Wie gesagt, Begriffe wie "Totemismus" und "Animismus" verabscheue ich wie die Pest, und zwar, weil sie äußerst konkrete religiöse Strukturen und Ideen in die Altsteinzeit hinein projizieren und universalisieren. Dafür existiert keine Grundlage. Es existiert ausschließlich Anlass, zu glauben, dass äquivalente, in ihrer Funktion ähnliche Systeme universal verbreitet waren.





    Auch der Begriff "Religion" ist nicht so neutral... die Grenzen davon sind mir nie so wirklich klar. Ist Konfuzianismus eine Religion? Wenn ja, warum? Wo hören Religionen auf, wo fangen Philosophien an? Erfüllen nicht viele Künstler*innen und/oder Philosoph*innen auch eine ganz ähnliche Funktion, dass man sie als "religiöse Spezialisten" bezeichnen könnte? Usw. Lässt sich unser heutiges Verständnis - wenn wir es überhaupt wissen! - von Religion so ohne weiteres in die Vergangenheit projizieren?


    Eine extrem entscheidende und berechtigte Frage!
    Wenn man sich entscheidet, es zu tun, dann muss man mit einer sehr abstrakten und allgemeinen Definition aufwarten. Davon gibt es viele. Die Grenzen verschwimmen aber natürlich trotzdem. Für mich persönlich als Philosophen ist die Grenze zur Religion im einzelnen Element klar wie Kloßbrühe - Philosophie ist nicht emotional und nicht flexibel, sie passt sich nicht dem an, was ich fühle und was ich hören will, sondern sie besteht in äußerster inhaltlicher Selbstkritik - aber selbstverständlich vermischen sich diese beiden Elemente meistens sehr bund durcheinander.


    Deshalb kann man z.B. "den" Konfuzianismus - eigentlich eine sehr hohe Bandbreite krass verschiedener Phänomene der menschlichen Lebenswirklichkeit - sowohl als Philosophie, als auch als Religion beschreiben. Eine Ausnahme ist er darin nicht wirklich gegenüber anderen Religionen.

  • So, nach einer (kreativen?) Pause in diesem Thread habt ihr vielleicht Lust auf eine Leseempfehlung, die sich weniger allgemein mit dem groben Thema befasst, sondern konkret am Beispiel einer bekannten fiktiven Welt, nämlich Westeros/Planetos, also der Welt von A Song Of Ice And Fire:


    Und zwar hat jemand für Forbes sich die Frage gestellt Why Is Game Of Thrones' Westeros Still Poor?, insbesondere mit Blick auf die industrielle Revolution bzw. eben deren Fehlen - und da sind wir doch schon ganz nah am Thema dieses Threads. :)


    Lyman Stone hat sich dann nicht lange bitten lassen und sich ebenfalls zum Thema ausgelassen - Why Is Planetos So Poor?


    Beide Autoren verweisen auf jeweils verbreitete Modelle/Theorien, die das Auftreten des konkreten Technologie- und Gesellschaftswandels "industrielle Revolution" zu erklären versuchen. Ich greife mal ein paar Punkte heraus, die man wahlweise als Voraussetzung oder zumindest als "contributing factor" zur industriellen Revolution auffassen kann, weil ich glaube dass die für uns Weltenbastler sehr interessant sind. Manches davon lässt sich ggf. sogar für generellen technologischen Fortschritt verallgemeinern:

    • verfügbare große Energiequelle (z.B. Kohlevorkommen)
    • investierbares Kapital ist vorhanden, menschliche Arbeitskraft eher knapp (=> erhöhte "Nachfrage" und Umsetzbarkeit für/von Innovationen)
    • Wissensvermittlung ist zugänglich und offen, freier wissenschaftlicher Diskurs möglich (z.B. freie Universitäten, begünstigt durch Buchdruck => erhöhtes "Angebot" von Innovationen)
    • Urbanisierung
    • konkurrierende politische Entitäten
    • keine Alternativen zu technologischen Lösungen (also wieder das - durchaus nachvollziehbare - Argument, dass mächtige und alltägliche Magie ein Innovationshemmer ist)


    Adam Ozimek (Forbes) kommt insgesamt zu dem Schluss, dass das (bisherige) Ausbleiben der industriellen Revolution in Westeros durchaus begründbar ist, und weist besonders den Maesters eine bremsende Wirkung zu.
    Lyman Stone findet ebenfalls, dass bestimmte Rahmenbedingungen der Welt eher ungünstig für eine industrielle Revolution sind, andere dagegen durchaus günstig - und dass in Essos, besonders in Myr, der technologisch-gesellschaftliche Wandel womöglich bereits begonnen hat. Spannender Shit, und zumindest einige Argumente/Faktoren, die ich bisher so nicht auf dem Schirm hatte. :)

    Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen.
    - Kurt Tucholsky über Rudolf Steiner

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