[Gemeinschaftsprojekt] WBO 2007

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    Weltenbastler-Olympiade 2007


    2007 war ein einmaliges Jahr - denn nur für dieses Jahr gibt es für die Erstplatzierten aufwändig gearbeitete Siegermedaillen. Yelaja hatte sich damals wirklich ins Zeug gelegt und kostbare Unikate geschaffen, die ihre Gewinner hoffentlich in Ehren halten; aber da habe ich bei Sturmfaenger und Taipan keine Sorge.


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    Tierart


    Aufgabenstellung: Durch einen vogelartigen Lockruf fängt sich dieses flugunfähige Tier, das übrigens selbst kein Vogel ist, seine Beute.
    Jury: Ehana, Heinrich

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerDie Nenneq
    SilberTaipanChikoluri oder Singender Fisch



    Tracht/Kleidung


    Aufgabenstellung: Die Bauern eines Volkes tragen ein Kleidungsstück, dass sie bei der Arbeit behindert. Inwiefern behindert die Kleidung und warum wird sie getragen?
    Jury: Ehana, Neyasha

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerDer Sobij
    SilberTaipanDie Seelenkappe der östlichen Seqicks
    SilberMaraDie Röcke der Amarannu



    Regionale Spezialität


    Aufgabenstellung: Dieses großteils aus Getreide und Gemüse bestehnde Gericht wird die meiste Zeit des Jahres von der Unter- und Mittelschicht gegessen. Nur an einem Tag (oder an wenigen Tagen) im Jahr wird es auch von der Oberschicht verspeist.
    Jury: Severine, Taipan

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerThupa
    SilberNeyashaWeißkornbrei der Alender
    BronzeEhanaKaitalaevi



    Pflanzenart


    Aufgabenstellung: Dieses Kraut ist weit verbreitet, sehr gesund und hilft bei entsprechender Zubereitung auch bei einer sonst tödlichen Krankheit. Doch Vorsich ist beim Sammeln geboten, denn eine sehr ähnlich aussehende äußerst giftige Pflanze wächst auf gleichem Boden. Diese Giftpflanze kommt zwar nur selten vor, doch ist die Ähnlichkeit so groß, dass sich selbst Kenner irren können.
    Jury: Heinrich, Neyasha

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerToulqe
    SilberTaipanGlattstieliges Fuchspfötchen



    Handelsware


    Aufgabenstellung: Dieses weder flüssige noch feste Etwas ist kein magisches Produkt, sondern entstammt der Natur. Es wird in etwa faustgroßen Fläschchen verkauft und findet im Alltag Verwendung.
    Jury: Aquilifer, Ehana

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerNgaggan, der Steinsaft
    SilberTaipanRoter Odem



    Gesetz


    Aufgabenstellung: Dieses Gesetz verbietet den direkten Kontakt, nicht aber den Besitz eines bestimmten Tieres, das vollkommen harmlos ist.
    Jury: ???

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerDas Wassergesetz der Wüstenoasen



    Nicht-religöser Feiertag


    Aufgabenstellung: Dieser einmal im Jahr stattfindender Feiertag hat einen militärischen Hintergrund. Dabei findet ein bestimmter sportlicher Wettkampf statt. Aus einem bestimmten Grund sind die Feierlichkeiten beim Adel (oder einer anderen Oberschicht) nicht besonder beliebt.
    Jury: Heinrich, Taipan

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerDas Zwillfest
    SilberNeyashaDas Bootsrennen auf dem Siafe



    Städtisches Wahrzeichen


    Aufgabenstellung: Dieses Wahrzeichen, bei dem es sich um ein Gebäude handelt, wurde vom selben Volk errichtet, das die Stadt (heute) bewohnt. Trotzdem unterscheidet es sich in Stil/Bauweise/Baumaterial so stark von den übrigen Bauwerken, dass es in dieser Stadt einzigartig ist.
    Jury: Neyasha, Severine, Taipan

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerDie Blüte von Merothum
    SilberEhanaRatsresidenz



    Gilde, Verein, Bündnis


    Aufgabenstellung: Diese Gemeinschaft versteht sich als lockere Vereinigung von Leuten mit einem gemeinsamen Interesse nicht politischer Art. Sie treffen sich unregelmäßig, ohne vorher eine schriftliche oder mündliche Einladung bekommen zu haben - sie werden auf andere Weise benachrichtigt, wann es wieder so weit ist. Auch wer neu in die Gemeinschaft eintreten will, kann die Einladung erkennen, wenn er vorher "eingeweiht" wurde. Wer sind diese Leute, was tun sie, und wie wird die Einladung verbreitet?
    Jury: Ehana, Heinrich

    TeilnehmerBeitrag
    GoldTaipanGelbe Muschelsammler von Nermak
    SilberSturmfaengerDie Veshaten



    Religiöse Zeremonie


    Aufgabenstellung: Diese religiöse Zeremonie findet draußen statt, und zwar unbedingt in einer Senke oder zwischen mehreren Hügeln. Warum ist das so, und wie genau läuft die Zeremonie ab?
    Jury: Aquilifer, Ehana

    TeilnehmerBeitrag
    GoldSturmfaengerDas Verknüpfen der Chyinn
    SilberTaipanDas Erntebittfest der Norr
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    Die Nenneq
    © Sturmfaenger


    Diese Echsenart ist mit den Yauci-Schmuckechsen verwandt, lebt aber im Gegensatz zu ihren Vettern nicht in Wäldern, sondern auf und mit mit den Dhlom (mächtigen, büffelähnlichen Herdentieren mit zottigem Haarkleid, Schulterhöhe bis 2,20 Metern, Gewicht bis 1300 Kilogramm).
    Die Beziehung der beiden Tierarten hat sowohl parasitäre aus auch symbiotische Züge, da die Dhlom sehr gut ohne die Echsen zurechtkommen, die Nenneq aber nur äußerst ungern ohne die Dhlom. Nenneq leben sowohl in den östlichen Steppen, wo es riesige wilde Dhlomherden gibt, als auch überall dort, wohin die domestizierten Unterarten der Dhlom durch Menschen und andere Völker verbreitet wurden.
    Die wechselwarmen Echsen profitieren von der Körperwärme ihrer Wirte und krabbeln selbst dann noch munter in deren Fell herum, wenn bodenlebende Echsen bereits in Kältestarre verfallen müssen.


    Nenneq werden ca. 30cm groß, ihr Schwanz ist nochmals fast genauso lang.
    Die bräunlich gemusterte Schuppenhaut der Nenneq ahmt den Schattenfall von zerzaustem Dhlomfell nach, ähnlich wie einer Schlange im Gras verleiht ihnen dies eine hervorragende Tarnung.
    Nenneq haben je ein Arm- und ein Beinpaar. Hände und Füße sehen fast identisch aus, sie haben jeweils fünf Finger, wobei zwei davon als Daumen fungieren und den anderen Fingern gegenübergestellt sind. Jeder Finger ist dreigliedrig, sie sind hervorragende Greifwerkzeuge, denn sie müssen ordentlich zupacken können, um im Geschaukel des Gastgebers nicht zu fallen. Kommt es trotzdem einmal dazu, müssen die abgeworfenen Nenneq schnell handeln, um nicht zertrampelt zu werden. So flink wie möglich springen sie das nächste verfügbare Dhlombein an, klammern sich fest und klettern wieder nach oben.
    Sie halten die Dhlom von Parasiten wie Maden, Zecken und Mücken frei, und kommen auch an Stellen, an welche die Hiepa-Putzervögel nicht gelangen können, in das dichte Bauchfell zum Beispiel, das beim Durchstreifen des hohen Steppengrases gern von Zecken als Strickleiter benutzt wird.
    Die Nenneq lauern auch kleinen Vögeln, den Hiepa, auf. Die Echsen verstehen es ausgezeichnet, den Entwarnungsruf der Hiepa-Putzervögel nachzuahmen. Einzelne Nenneq legen sich im flauschigen Nackenfell ihres Dhlom auf die Lauer und trillern das Signal "Kein Nenneq in Sicht".


    Kleine Schwärme von 10-15 Hiepa, die auf diese Nachricht ihrer Kundschaftervögel reagieren, lassen sich daraufhin nieder und erleben eine böse Überraschung. Oft gelingt es dem Nenneq, sich einen der Vögel zu schnappen. Sie werden mit einem heftigen Kopfrucken getötet, und ihnen werden mit dem Maul so viele Federn wie möglich ausgerupft, ehe sie am Stück hinuntergeschlungen werden. Zur Verdauung ziehen sich die siegreichen Jäger ins Bauchfell zurück. Diese Leckerbissen ermöglichen es den Echsen, Fettreserven für schlechte Zeiten aufzubauen.


    Gelegentlich von den Dhlom zertretene Kleintiere wie Mäuse und Schlangen werden ebenfalls nicht verschmäht, machen jedoch nur einen Bruchteil des Speiseplans aus.
    Einzelne Nenneq sind nicht an bestimmte Dhlom gebunden und scheuen sich nicht, eines zu verlassen und zum nächsten zu wechseln. Nenneq haben keine größeren Reviere als das Tier auf dem sie gerade sitzen, und wechseln es alle paar Tage. Durch die Rotation der Nenneq kommt jedes Dhlom einer Herde in gewissen Abständen in den Genuß einer Parasiten-Putzaktion.
    Wird die Nahrung einmal knapp und es ist kein anderes Dhlom in der Nähe, haben die Nenneq kein Problem damit, ihrem Dhlom mit spitzen Zähnchen die Haut aufzubeißen und das hervortretende Blut abzulecken.


    Die Nenneq verständigen sich mit ihren Artgenossen über kurze Trillerrufe, haben sich aber außerhalb der Paarungszeit nicht viel zu sagen.
    Wenn ein Echse allerdings bei einem Dhlomwechsel nicht bemerkt daß im Bauchfell seines neuerkorenen Wohnsitzes bereits ein Bewohner sitzt, kann es zu einem Duell kommen. Beide Echsen klettern dazu auf den Rücken des Dhlom. Sie klammern sich fest, recken ihre Schwänze in die Höhe, bewegen sie drohend vor und zurück und trillern einander mit weit geöffneten Mäulern an. Wer am besten droht, hat das Wohnrecht.
    Zweimal im Jahr - nach der Paarung und nach der Geburt der Dhlomkälber - verfärben sich die Schwänze der Nenneqweibchen leuchtendrot. Sie begeben sich auf den höchsten verfügbaren Aussichtspunkt - den Dhlom-Kopf - klammern sich an seiner Mähne fest und recken ihr Hinterteil mitsamt Schwanz wie einen Signalmast in die Höhe.


    Die Männchen - ebenfalls zum Ausspähen auf den Köpfen ihrer Dhloms postiert - halten eifrig Ausschau. Bei Sichtung eines Weibchens liefern sie sich ein regelrechtes Wettspringen von Rücken zu Rücken, bis sie auf den benachbarten Dhlom Position beziehen. Anschließend wird getrillert und gezirpt was das Zeug hält. Wer in der Gesamtwertung vorne liegt wird für die Paarung erkoren.
    Die Nenneq sind eierlebendgebärend. Die acht bis zehn Jungen schlüpfen nach sechswöchiger Tragezeit, und zwar nachts, wenn die Dhlom ruhig dastehen. Das Muttertier stößt jedes Ei einzeln aus und wechselt zwischendurch zwei, drei Mal das Dhlom. Das Verteilen auf mehrere Wirtstiere verringert die gegenseitige Konkurrenz der Brut und erhöht die Überlebenschancen der eigenen Gene.


    Die Jungnenneq schlüpfen direkt nach der Eiablage aus den pergamenthäutigen Eiern, sie sind nur ca. drei Zentimeter groß und krabbeln sofort in Deckung. Denn sie müssen sich vor den Angriffen der Hiepa in acht nehmen, die nun ihrerseits Brut zum Aufziehen haben und hinter den kleinen Echsen her sind.
    Im Schutz des Fells unterziehen sie das Dhlom im Verlauf der folgenden Wochen einer gründlichen Reinigung. Flöhe, Larven, Fliegeneier... der Appetit der schnellwachsenden Jungen beschert dem Dhlom eine zeitlang himmlische Ruhe vor diesen Plagegeistern.
    Sobald ein Erwachsener in solch eine Kinderstube eindringt stoßen die Jungtiere trillernde Laute aus. Dieses Signal löst bei den Nenneq, für die Lebewesen so geringer Größe eigentlich Leckerbissen sind, eine Tötungshemmung aus und sie dulden gar, daß sich einzelne Junge an ihren Rücken klammern und huckepack reitend auf andere Dhlom wechseln. So verteilen sich die Kleinen nach und nach über die Herde, bis jede Echse wieder ihr eigenes Tier hat. Sind die Herden zu klein, verliert der Trillerreiz der Jungen an Wirkung weil die Erwachsenen zu oft damit konfrontiert werden. Dann werden doch einige Jungtiere gefressen, bis das Verhältnis sich wieder eingependelt hat.
    Für die menschlichen Ulai-Nomaden sind die rotgefärbten Schwänze erlegter Nenneqweibchen ein beliebtes Dekorationselement für Kleidung und Kopfschmuck, sie setzen die Nenneqjungen seit jeher ein, um besonders stark befallene Dhlom von Parasiten zu befreien, oder um den eigenen Körper entlausen zu lassen.


    So kam es dazu, daß diese Nenneq ihre Scheu vor den Menschen verloren, und gelegentlich als Schoßtiere gehalten werden. Gemäß ihrer Natur halten sie aber nicht einem bestimmten Menschen die Treue, sondern suchen sich ständig neue Träger aus, welche sie so lange betrillern bis sie auf Kopf oder Schultern gehoben werden, oder unter die Kleidung krabbeln dürfen.

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    Die Röcke der Amarannu - oder Stolz, der die Bequemlichkeit besiegt
    © Mara


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    Junge Amarannu-Frau im Hirsefeld. Die vollständige Tracht umfasst neben dem hier hochgerafften Rock mit Gürtel
    (und von hinten ist die ‚Windel’ wirklich unschick) ein schlichtes Hemd und einen Schleier,
    in den die langen Haare gewickelt und dann als Turban um den Kopf geschlungen werden.


    Im Nordosten des Kadayir-Gebirges, das die Szabanyer Kadilir und die Damay Onnra-damu – wolkenumkrönt – nennen, siedeln die Amarannu.
    Sie zählen sich zu der Nation des Seebundes, der seinen Vasallen Schutz verspricht und dafür Tributzahlungen an Nahrungsmitteln für Angayuun und die anderen großen Städte des Zusammenschlusses fordert – und die Amarannu zahlen in Nassfeldhirse.
    Der Anbau dieser Pflanze stammt ursprünglich aus Gyoun und hat sich von den dortigen Terrassen voller schwerer Kornrispen in der Zeit des Gyoun-Ya-Reiches auch in den Staaten der Szabanyer im Norden verbreitet. Von dort haben wiederum Flüchtlinge vor den Damay-Stürmen den Nassfeldbau in das Kadayir mitgebracht und sich mit der indigenen Bevölkerung der Omouay vermischt.


    Die Amarannu leben zwar unter diesen Mischgruppen von Szabanyern und Omouay, doch halten sie starrsinnig an ihrem eigenen Erbe fest: sie sind Ovanagannu und den Wanderungen anderer Stämme hinauf ins Gebirge gefolgt, wo ihnen Land und Bodenschätze versprochen wurden. Mit als letzte Volksgruppe sind sie erst vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten von der übersiedelten Westküste aufgebrochen, um sich ihren Platz im Kadayir zu erkämpfen.
    Omouay wie Szabanyer hatten den Ovanagannu nichts entgegenzusetzen wie auch schon Jahrhunderte vorher den Siedlern, die am Angayuun-See das Herz des Seebundes bilden sollten. Wie alle Ovanagannu zählen sich die Amarannu zum ‚freiesten der Völker’ und jedem unter ihnen ist es erlaubt, sowohl eine eigene Meinung zu haben und kundzutun als auch Waffen zu tragen. Die Omouay, die kaum im Umgang mit Waffen geübt sind, und die Szabanyer, unter denen das Recht auf das Tragen von Waffen nur dem Adel gebührt, waren zugleich überrascht, geschockt und überrannt. Die seltsamen langhaarigen Leute von der Küste in ihren Röcken und mit den pragmatischen zweischneidigen Kurzschwertern, die viel ihres Stolzes ausmachen, haben sich schlicht Land genommen und auch unangefochten behalten.


    Jedoch – wo sie zuvor Fischer und Schafzüchter waren, stellte sie die dichte von Nebelfeuchte und nahezu ständigem Regen verwöhnte Bewaldung des Gebietes und die eklatante Abwesenheit des Meeres vor die Herausforderung, einen anderen Weg zur Ernährung einzuschlagen. Missmutig sicherlich, aber mit der selbstverständlichen Arbeitswut so gut wie aller Ovanagannu, passten sie sich an. Und das hieß unter anderem Rodung von Hängen und das Anlegen von gestuften Nassfeldern.
    Heute leben die Amarannu fast exakt so wie ihre Nachbarn, die von Omouay oder Szabanyern abstammen – die Häuser sind entweder in Holzblockbauweise oder aus lehmbeworfenen Flechtwerk, die Felder sehen gleich aus, die Ernährung hat sich geändert... aber der berühmte Stolz der Ovanagannu lässt nicht zu, gänzlich wie die ‚kleinen Inländer’ zu werden.


    Omouay tragen Beinlinge mit Lendenschürzen mit kurzärmeligen Hemden zur Arbeit und laufen zumeist barfuß; bis zu den Knien stehen sie teilweise auf ihren gefluteten Feldern und zupfen Unkraut oder pflanzen die Setzlinge aus. Szabanyer haben die einfache Tracht des Landvolkes ihrer ursprünglichen Heimat insofern angepasst, als dass sie die Kniehosen teilweise noch etwas gekürzt haben.
    Ovanagannu aber trugen schon immer Röcke, also tun sie es noch heute und sie werden es wohl auch immer tun. Frau wie auch Mann wickelt sich mindestens zwei der wertvollen, leuchtend bunt gefärbten Stoffbahnen um die Hüfte, kokettiert mit dem Hervorblitzen des dünneren Unterrocks, tanzt mit fliegenden Säumen... man trägt Rock, weil man zu einem Volk der Ovanagannu gehört und man ist Ovanagannu, weil man die Tracht trägt. Die Siedler des Seebundes haben an ihrer Kleidung festgehalten, ob sie nun Stadtbewohner sind und sich in teuersten Stoffen vor einem Gericht präsentieren oder ob sie einfache Bauern im Norden des Gebirges sind.
    Und so tragen auch die Bauern der Amarannu Röcke auf den Nassfeldern. Wie alle bestehen sie aus einem rechteckigen Stück Stoff in möglichst leuchtenden Farben, oftmals auch mit Stickerei verziert, und eigentlich immer wird einer aus leichtem Stoff – bei den Reichen gar Seide – unter einem schwereren um den Leib gewickelt und mit einem breiten Gürtel festgeschnallt. Die Länge variiert bei Frauen wie Männern – aber alles, was nicht bis über die Knie hängt, gilt als unschicklich, und knöchellange Röcke, die mehr Stoff erfordern, sind umsomehr noch ein Statussymbol.


    Offen getragen saugen sich die Säume mit dem Wasser voll, sobald die Flächen geflutet werden, wickeln sich klebend um die Beine und müssen permanent von der Haut gelöst werden oder bringen einen unweigerlich bei einem etwas größeren Schritt zu Fall. Omouay und Szabanyer lästern mit gesenktem Blick und leise über die ‚Wickelärsche’ – leise, weil die Amarannu auch als Bauern das Recht zum Waffentragen und die allgemeine Freude am Ringen und Schlagen nicht aufgegeben haben, das allen Ovanagannu ebenso natürlich zu eigen ist wie das Tragen der Röcke.


    Viele Bauern ziehen daher das hintere Teil des Rockes zwischen den Beinen nach vorne und stecken es dort in den Gürtel, der den Stoff hält – so hängt das Meiste davon nicht im Wasser. Dafür bildet sich jedoch ein dichter Wust von Stoff um die Oberschenkel und den Hintern und auch ‚Windelhintern’ soll keine seltene Bezeichnung für die Amarannu unter ihren Nachbarn sein.
    Sicherlich wäre es einfacher, sich den Hosen tragenden Szabanyern oder den Omouay mit ihren kurzen Beinlingen anzupassen. Aber das hieße, einen großen Teil dessen, was einen als Ovanagannu auszeichnet, einfach aufzugeben aus simpler Bequemlichkeit. Und wer bei den Ovanagannu ‚die Hosen anhat’ hat sicherlich nicht das Sagen, sondern den Spott verdient – so halten die Amarannu wie ihre Verwandten an der Tradition fest und setzen ihren Stolz gegen die Bequemlichkeit durch.

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    Thupa
    © Sturmfaenger


    Manch ein müder Reisender, der in der Pilgerstadt Cry'Dashid in der Provinz Djiun ein Wirtshaus betritt, wird erst einmal nach Luft schnappen, bisweilen sogar Tränen in den Augen haben. Das liegt nicht am Lärm, dem Zustand der Gasthäuser oder der mangelnden Körperhygiene der Gäste, sondern an dem scharfen, stechenden Geruch, der wie eine unsichtbare Wolke in der Luft hängt.
    Wenn dieser Reisende den Mut aufbringt, sich zu anderen Gästen an den Tisch zu gesellen, wird er merken, dass der Geruch besonders intensiv aus ihren wissend grinsenden Mündern auszuströmen scheint - und wenn er dann immer noch nicht die Flucht ergreift sondern sich etwas zu Essen bestellt, wird ihm endlich die duftende Ursache des Gestanks auf einem Teller serviert - Thupa. Die Einheimischen am Tisch werden aufmerksam beobachten wie der Fremde die ersten paar Bissen verzehrt. Die würzig-intensive Schärfe ist nicht jedermanns Sache - sollte der Reisende daran Gefallen finden, wird man ihm beifällig zuprosten und das Eis ist gebrochen.


    Aber was genau ist das denn nun, Thupa?
    Im Prinzip, wird man dem Reisenden erklären, sind es einfach mit Gemüse gefüllte Teigtaschen, die in der ganzen Provinz Djiun gern gegessen werden.
    Die Zubereitung ist einfach:
    Wasser und Getreidemehl werden zu einem mehr oder weniger klebrigen Teig geknetet, aus dem man viele kleine Portionen macht, die jeweils auf einem Brett ausgerollt werden. An Feiertagen fügt man noch ein Pulver aus den Schoten des Cladhbaums zum Teig hinzu, dies verleiht ihm einen safrangelben Farbstich und einen eigenartigen Geschmack, der gut mit der Füllung harmoniert.
    Die Füllung der Thupa besteht aus kleingehäckseltem oder gestampftem Saisongemüse. Statt teuren Gewürzen nimmt man die Odchiknolle, die überall wächst (und von Geschmack und Aussehen her an eine Mischung aus Knoblauch und Zwiebel erinnert). Dies verleiht dem Gericht seine typische, Mundgeruch erzeugende Geschmacksnote. Mit einer Kelle wird auf jedes ausgerollte Teigstück eine Portion Füllung geklatscht, dann werden die Ränder des Teigs hochgenommen, mit einer Handbewegung verdreht und nach unten umgeschlagen, damit die Teigtasche sich nicht wieder öffnen kann.


    Die fertige Thupa ist etwa so groß wie ein Knödel. Nun wird sie in einem flachen, weiten Topf gekocht (in Salzwasser oder Gemüsebrühe) oder aber man frittiert sie.
    Als Beilage gibt es Brot, das entweder zum Tunken der Gemüsebrühe verwendet, oder zerrupft, und knusprig (mit den Resten des Frittierfetts) angebraten über die Thupa gestreut wird.
    Niemand aus der Oberschicht wird gern als stinkender Thupaesser bezeichnet - wer nicht als Provinzler dastehen will, macht um das Gericht daher einen großen Bogen.


    Nur ein Mal im Jahr, beim Erntefest, werden Thupa für alle serviert. Man feiert draußen, stellt Tische und Bänke auf Straßen und Plätzen auf, es wird gegessen und getrunken, und den Gauklern und tänzerischen Darbietungen Beifall gespendet. Jeder, der auf sich hält und sich in der Gunst des Pöbels halten will, ist dabei. Aristokraten, höchste Priester, Richter und Militärs... sie alle finanzieren dieses Fest und sind mit ihren Familien anwesend. Thupa werden auf großen Tabletts herumgereicht, keiner weiß, in welchem die kleinen Glücksbringer versteckt sind. Figürchen aus Holz sind es, jedes Jahr andere Tiermotive - und wer einen findet, bindet ihn sich bis zum nächsten Fest um, und bekommt vom Ausrichter des Festes eine kleine Gabe geschenkt, meist ein paar Münzen, ein Fässchen Wein oder dergleichen. Wenn der Dorfvorsteher, ein Priester oder sonst ein hochrangiger Angehöriger der Oberschicht einen Glücksbringer in seinem Thupa findet, muß er aufstehen und laut verkünden, durch welche Aktion er sein Glück mit der Allgemeinheit teilen wird. Dies kann vom Stiften einiger Spanferkel oder Weinfässer bis zur Freilassung eines Gefangenen oder einem einmaligen Steuernachlass alles sein, immer abhängig von Rang, politischer Lage und finanziellen Möglichkeiten desjenigen.

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    Weißkornbrei der Ashdele
    © Neyasha


    In Dorvaan, einem Land auf dem Nordostkontinent von Acarneya, leben die Ashdele, ein bäuerliches Volk, bei denen Reichtum und "Adel" davon abhängen, ob man eigenes Ackerland besitzt.


    Ein typisches Gericht bei ihnen ist Weißkornbrei oder Innjelen. Es besteht aus Weißkorn (Jelen), einer Getreideart von außergewöhnlich heller Färbung, und Eloo, einem Wurzelgemüse mit einem herbsüßen Geschmack. Weißkorn wächst fast überall in gemäßigten Breiten, Eloo hingegen gedeiht nur in Dorvaan und im Süden von Ivekon.
    Für den Brei werden die großen Wurzelknollen und die Getreidekörner gekocht und dann zu einem Brei zerstampft. Dieser Brei schmeckt eher fade, ist aber sehr nahrhaft und bildet das Grundnahrungsmittel der armen Leute. Mit Milch und Honig oder verschiedenen Gemüsesorten und Kräutern gemischt ist er außerdem ein typisches Frühstück der Mittelschicht.


    Mit diesem Brei wird bei den Ashdele eine bekannte Legende verbunden: Als in grauer Vorzeit die Ashdele gemeinsam mit den Skonländern nach Dorvaan auswanderten, mussten sie feststellen, dass die von ihnen mitgebrachte Saat nicht aufgehen wollte. Als der Hunger zu groß wurde, wanderten die Skonländer unter der Führung von Elma, der Tochter der berühmten Hohepriesterin Jorda, weiter nach Westen, wo sie Boote bauten und übers Meer auf die Insel Selegondo fuhren.
    Die Ashdele hingegen blieben in Dorvaan, wo sie Hunger litten und verzweifelt nach Nahrung suchten. In dieser entbehrungsreichen Zeit kam ein seltsamer Mann zu ihnen, der wohl ein Eingeborener war, aber ihre Sprache beherrschte. Er brachte ihnen Getreide und Knollen, die sie noch nie gesehen hatten, ehe er wieder verschwand.
    Diese Nahrungsmittel, die die Ashdele vor dem Hungertod retteten - Weißkorn und Eloo - werden noch heute auf beinahe jedem Bauernhof in Dorvaan angebaut. Für die Ashdele aber besteht kein Zweifel daran, dass es sich bei dem seltsamen Mann um ihren Gott, um Guda den Einen selbst gehandelt hat.


    Als Dank für seine Hilfe feiern die Ashdele noch heute im Spätsommer ihm zu Ehren ein Fest, bei dem sich die Sippen zusammenfinden. Auf einem auf den Feldern erbauten Holzaltar, der mit Blumen geschmückt wird, bringen sie am frühen Morgen als Opfergaben Weißkorn und Eloo dar. Den ganzen Tag über wird getanzt und gesungen, es werden Sippenangelegenheiten besprochen und Kinder als Mündel in andere Familien gegeben.
    Am Abend wird der Altar angezündet, und um das Feuer sitzen die Familien zusammen und alle, auch die reichen Großbauern, essen Weißkornbrei in Gedenken an die einstigen Gaben von Guda.


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    Kaitalaevi
    © Ehana


    Kaitalaevi (sprich: Kätalaavi) ist ein traditionelles Gericht der Berdaner. Es besteht aus den Wurzeln der Heilpflanze Akaita, eines kniehoch wachsenden Krauts, das man zuhauf in kargen Bergregionen findet, vor allem oberhalb der Baumgrenze. Die Pflanze bildet kräftige, knotige Wurzeln, um auch in hartem Untergrund Halt finden zu können. Für Kaitalaevi schält man die Wurzeln und taucht sie in einen Brei aus zerstoßenem Getreide einer beliebigen Sorte. Welches Getreide ursprünglich verwendet wurde, verrät die Entstehungsgeschichte des Gerichts nicht, allerdings vermutet man, dass es sich dabei um eine Art des genügsamen Bergweizens gehandelt hat, der in den höhergelegenen berdnischen Siedlungen hauptsächlich kultiviert wird. Das Gericht schmeckt in dieser Form ziemlich bitter, was von den rohen Wurzeln kommt. Man kann sie etwas in heißem Wasser garen, wodurch sich die Bitterstoffe zum Großteil verflüchtigen, oder aber den Getreidebrei würzen, was auch zumeist getan wird.


    Kaitalaevi steht häufig auf dem Speiseplan der einfachen Leute in den Dörfern und Städten am Fuß der Berge, weil man dort Akaita im Überfluss vorfindet. Der Adel und die wohlhabende Bevölkerung in den Küstenstädten hingegen machen sich nur an einem Tag im Jahr die Mühe, die wenig schmackhaften Wurzeln herbeibefördern zu lassen - am Tag der Lieder, der den großen berdnischen Sagenhelden gewidmet ist. An diesem Tag ruht die Arbeit im ganzen Land, und man trifft sich in Gruppen in den Häusern von Freunden oder Verwandten, um mit Liedern oder Geschichten die Taten der alten Helden wiederauferstehen zu lassen. Und eine dieser Geschichten überliefert die Entstehung von Kaitalaevi, so dass das Gericht am Tag der Lieder traditionell im ganzen Land gegessen wird - einzig in seiner Urform mit rohen Wurzeln und ohne Gewürze.


    Der Sage nach geriet einst Raevan, einer der großen Helden Berdans, in den Bergen in einen Schneesturm, der ihn von seinen Begleitern trennte. Auch nach einigen Stunden der Suche gelang es ihm nicht, die Gruppe wiederzufinden. Schließlich gab er auf und machte sich allein auf den Weg zurück ins Tal. Bald jedoch neigte sich der Tag seinem Ende zu. Raevan verbrachte die Nacht in einer Höhle im Berg, aus der er im Morgengrauen von ihrer Bewohnerin, einer Schneekatze, vertrieben wurde.
    Hunger hatte begonnen, sich nagend durch seinen Leib zu fressen. Der gesamte Reiseproviant befand sich bei der Gruppe, und es würde noch mehrere Stunden dauern, bis er das Tal erreicht hatte. Raevan wühlte in seinen Taschen und fand die harten Reste eines Teigfladens. Zu hart, um noch davon abbeißen zu können. Vom Wegesrand rupfte er ein Büschel eines kniehoch wachsenden Krauts, von dem er wusste, dass seine dicken, knotigen Wurzeln zumindest nicht giftig waren, weil man aus ihnen Tinkturen herstellte. Raevan zerbröselte den Fladen auf seinem Mantel zu Mehl, vermengte dieses mit etwas Wasser aus einem Gebirgsbach zu einem Brei und strich ihn auf die geschälten Wurzeln, um ihren bitteren Geschmack etwas zu überdecken. Auf diese Weise gelang es Raevan, den Abstieg vom Berg trotz Kälte und Erschöpfung zu überstehen. Und als nur wenige Jahre danach die Böden im Dorf wenig Ertrag abwarfen, erinnerte man sich an Raevans Entdeckung, dass kaita-Wurzeln auch ein nahrhaftes Gericht sein können, und überstand so den Winter.

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    Toulqe
    © Sturmfaenger


    Isa kaut einen Streifen Frühstücksfleisch und stapft neben ihrem Lehrer Hanco’or durch das morgenfeuchte Gras der Jedobesteppe. Die Sonne geht gerade auf. Sie sind schon seit zwei Stunden unterwegs, das abgeweidete Gebiet rund um das Sommerlager liegt nun hinter ihnen. Keine ledrigen Gh’dulippen haben hier die Sträucher abgezupft, keine Yessithufe die zarten Kräuter zertrampelt, niemand hat das Gestrüpp auf der Suche nach Feuerholz geplündert.


    Bald kommt es ihr vor, als seien sie beide die einzigen Menschen in dieser endlosen Weite, die die Heimat der Ghushren ist. Hanco’or ist einer ihrer heiligen Männer, ein Ghairan, und von ihm lernt Isa die Pflanzenwelt der Steppe kennen und schätzen. Die Vegetation ist keineswegs einheitlich, auch wenn größere Bäume und Sträucher fehlen. Bei jedem Ausflug gibt es Neues zu entdecken, wandern Pflanzen in Hanco’ors Beutel, die Isa nie zuvor gesehen hat.
    Der sandige, steinige Steppenboden knirscht unter ihren Schritten. Das Urgestein, normalerweise unter der dünnen Grasnarbe verborgen, drängt hier nach oben, bildet unregelmäßige kahle Placken im endlosen Gräsermeer. Die Steppe brandet gegen die pockennarbige Oberfläche, um sich den Boden zurückzuholen. Nur Moos und Flechten haben es schon geschafft hier Fuß zu fassen. Während sie gehen, unterhalten sie sich leise. Er deutet auf Pflanzen und fragt Isa über ihr Aussehen und ihre Eigenschaften aus, erzählt ihr, welche Teile davon er bei der Heilung von Krankheiten braucht, und worauf man bei der Konservierung achten muß.
    Am Anfang war alles neu für Isa, doch nun sind die Farbtupfer vieler Blumen, Kräuter und Gräser wie alte Vertraute, die sie auf jeder Wanderung umgeben. Auch heute wird sie wieder viele neue Bekanntschaften schließen.
    Zwei Finger breit steht die Sonne überm Horizont, als Hanco’or stehenbleibt.
    „Ah, hier. Die kennst du noch nicht.“


    Isa schaut sich um. Rechts von ihr blitzt das Rot von Zypien durch die Grashalme, direkt wo sie steht wächst ein Büschel Goldkillor. Vorne links glaubt sie die nickenden Köpfchen von Attrant zu erspähen. Eine neue Pflanze? „Wo?“
    Hanco’or lächelt. „Besonders hoch ist sie nicht, aber geh noch zwei Schritt weiter und du stehst mitten drin.“
    Sie blinzelt. Das Moos da vorne? Ihr Lehrer bemerkt ihr Zögern und nickt ihr ermunternd zu. Das Moos also.
    Wie es die Tradition will, lernt der Schüler eines Ghairan neue Pflanzen alleine kennen. Isa weiß daß Hanco’or es ihr gesagt hätte, wenn die Pflanze gefährlich wäre. Also konzentriert sie sich darauf, ihr krausgrünes Gegenüber zu betrachten.


    Die Ausdehnung ihrer neuen Bekanntschaft entspricht der einer ausgebreiteten Felldecke. Von oben sieht es aus wie so ziemlich jedes Moos, der felsige Grund scheint wie von flaumigem Schimmel überzogen. Ob es eine Pflanze ist oder eine ganze Kolonie? Das ist schlecht zu sagen. Isa hat sich über Moose noch nie Gedanken gemacht, sie fand die höheren Pflanzen immer spannender. Zeit, das zu ändern.
    Sie macht anderthalb Schritte nach vorne und geht in die Knie. Es wächst etwa so hoch wie ihr Daumen, stellt sie fest, als sie sich hinabbeugt und in die dichte Pflanzendecke greift. Jetzt sieht sie auch mehr Einzelheiten als zuvor. Es wirkt irgendwie... schmutzig. Flugstaub ist das nicht. Vielleicht die Ausscheidungen von Insekten? Isas Finger streicheln sachte über die Oberfläche. Ein Kitzeln wie von ungekämmter Wolle. Sie wendet ihre Handfläche nach oben, betrachtet sie. Nichts klebt daran. Vielleicht gehören die bräunlichen Flecke zur Pflanze? Das läßt sich herausfinden.
    Tief beugt sie sich hinunter, Auge in Auge mit dem Rätsel.


    „Oh!“ Es sind winzige, rostrote Blüten! Ein undurchdringlicher, schier endloser Urwald von winzigen Blüten vor ihrer Nase! Eine kleine Spinne sucht sich ihren Weg hindurch, sie wirkt wie ein riesiges Ungetüm. Erst jetzt bemerkt Isa den leichten Duft, der von der Pflanzendecke aufsteigt. Er ist schwach, doch singt in ihrem Geist eine leise Erinnerung. Sie kennt ihn, diesen Duft. Nur woher?
    Sie schielt zu Hanco’or hinüber. Er hat sich gesetzt, rupft dem Goldkillor die Rispen ab, sie rieseln in einen seiner vielen Jutebeutel. Erst wenn sie ihn fragt wird er antworten, doch noch hat sie ihre Erforschung nicht beendet.
    Sie rupft ein kleines Büschel ab, nur so viel wie zwischen Daumen und Zeigefinger passt, und untersucht es weiter. Das ist kein Moos, sondern eine winzige, winzige Blumenwiese. Die Blätter sind ineinander verzahnt, doch ist jeder Stängel eine eigene kleine Pflanze mit mehreren Blüten, kaum erkennbar. Ein kleines Meisterwerk der Götter.
    Isa zerreibt das Grün, und schnuppert. Jetzt ist der Geruch intensiver. Jetzt erkennt sie ihn. Um ganz sicherzugehen kostet sie. Ja.
    Sie spuckt aus ohne zu schlucken wie sie es gelernt hat, und richtet sich wieder auf. „Es sind Toulqe! Wie im Tee von gestern abend.“
    Hanco’or schließt den Beutel, nickt, steht auf. „Gut. Lass uns weitergehen. Toulqe sind sehr gesund, man wird viel seltener krank wenn man regelmäßig Tee daraus trinkt. Gut für Zähne und Knochen. Überdies schützt der Geist, der ihnen innewohnt, gegen das Röchelfieber. Du warst noch nicht hier, als die letzte Epidemie war. Viele sind gestorben, doch die meisten haben überlebt, weil sie Toulqe gegessen haben. Gib einem Kranken täglich dreimal eine Hand voll zu essen, eingeweicht in saurer Milch, und...“


    Den ganzen Vormittag über wandern sie in der Gegend umher, in scheinbar willkürlichem Zickzackmuster. Doch bald erkennt Isa ein Muster. Sie besuchen jede Stelle, an der Toulqe wachsen können, und fast immer finden sie auch welche. Jedes Mal läßt Hanco’or sie die Pflanzen genau untersuchen. Sie ernten von jedem Toulqefeld einen kleinen Teil. Als die Sonne von ihrer Mittagshöhe herabsteigt, haben sie zwei Säckchen voll.
    Eigentlich, denkt Isa, reicht das für eine Weile. Und wirklich, beim nächsten Feld halten sie nur an, damit Isa ihre Bekanntschaft vertiefen kann. Auch beim nächsten, und beim übernächsten. Allmählich wird es langweilig.
    Bis sie sich über das nächste Feld beugt - und die Nase rümpft. Das Toulqefeld sieht genauso aus, die gleichen Blüten, fühlt sich genauso an, doch - es riecht anders.
    Isa runzelt die Stirn, zerreibt die Stängel, riecht noch einmal. Spielt ihr nur ihre Nase einen Streich? Sie blickt den Ghairan an. „Irgendetwas stimmt damit nicht.“
    „Gut erkannt.“ Hanco’or nickt zufrieden.
    „Sind sie krank? Ich sehe keine verdorrten Stellen.“
    „Sie sind nicht krank. Es sind keine Toulqe.“
    Isa starrt ungläubig auf die Pflanze in ihrer Hand, und in das Gesicht Hanco’ors. „Nicht?“
    „Toulqe besitzen einen dunklen Zwilling: Naalqe. Sie riechen ein wenig anders, und schmecken etwas süßer. Alles Gute, was Toulqe bewirkt, macht Naalqe zunichte. Koch dir einen Tee aus Naalqe und du bekommst starke Bauchkrämpfe. Iß Naalqe roh und du stirbst daran. Hättest du den Geruch nicht bemerkt sondern davon gekostet, so hättest du dir den Mund ausspülen müssen. Selbst Speichel zu schlucken führt zu Bauchschmerzen.“
    „Oh.“ Isa betrachtet die Pflanze mit neuem Respekt, während der Ghairan ihr die winzigen Unterschiede erklärt, anhand derer man die beiden Pflanzen auseinanderhalten kann. Geruch zum einen, geringere Anzahl der Blüten zum anderen. Man muß wirklich genau hinsehen um dieses Detail zu bemerken. Und ein weiteres offenbart sich erst, wenn man tiefer gräbt. Hanco’or sticht mit seinem Dolch ein Stück aus der Erde heraus, und zeigt ihr die Haftwurzeln, die ein Geflecht bilden, und das Naalqe als eine einzige Pflanze entlarven.
    „Wenn wir wieder im Zelt sind, zeige ich dir die Knotencodes für Toulqe und Naalqe, und wie man sie auch getrocknet noch unterscheiden kann, wenn man die Säckchen doch einmal verwechselt.“
    Angeregt in die Vor- und Nachteile verschiedener Gifte vertieft, machen sich die beiden auf den Rückweg ins Lager.

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    Glattstieliges Fuchspfötchen
    © Taipan


    Diese unscheinbare Pflanze, die im Frühling selbst ein unaufmerksamer Wanderer in fast jedem Wald im Norden von Meseleth finden kann, wird nicht nur wegen ihres aromatischen Geschmacks gerne in der Küche verwendet, sondern birgt auch große Heilkräfte in sich, die allerdings nur wenigen bekannt sind. Den Namen hat die Pflanze von den pfotenartigen Laubblättern, die tatsächlich den Pfotenabdrücken eines Fuchses sehr ähnlich sehen, nicht nur von der Form, sondern auch von der Größe her. Und angeblich sollen die Pflanzen auch überall dort wachsen, wo ein Fuchs seinen Fuß hinsetzt, was man leicht glauben kann, denn die Pflanze ist mindestens genauso häufig wie der Graufuchs, die häufigste Fuchsart von Meseleth.


    Vorkommen:
    Das Glattstielige Fuchspfötchen ist abgesehen von Sleth im ganzen Norden von Meseleth bis zum Grimmzackengebirge weit verbreitet und praktisch in allen Laub- und Laubmischwäldern zu finden. Nur höhere Lagen und reine Nadelwälder meidet es. Selten ist die Pflanze auf alle Fälle nicht, denn im Frühling ist vielerorts, vor allem in Auwäldern, der Boden von einem samtig roten Blütenteppich bedeckt.


    Aussehen:
    Das Glattstielige Fuchspfötchen ist eine maximal 20 Zentimeter große werdende Pflanze, die aber abgesehen von den Laubblättern insgesamt sehr zart wirkt. Diese erinnern nämlich in Form und Größe sehr stark an die Pfoten von Füchsen. Sie sind anders als beim Rauen Fuchspfötchen nicht behaart, daher der Name. Auch an der Blüte soll man mit einiges an Fantasie den Fuchscharakter erkennen können, denn von den fünf zarten samtroten Blütenblätter sind die zwei obersten abgeknickt, was an Fuchsohren erinnern soll. Und die ebenfalls roten Staubblätter haben in etwa die Form einer Fuchsschnauze. Die Pflanze blüht bereits im Frühling, wenn die Laubbäume noch keine Blätter tragen, und überdauert den größten Teil vom Rest des Jahres als Zwiebel.


    Sonstiges:
    Das Glattstielige Fuchspfötchen ist eine sehr geschätzte Pflanze, da sie reich als sehr gesund gilt und einen ausgezeichnet schmeckende Wildsalat abgibt. Was nur wenige wissen – und dieses Wissen wird von den wenigen Heilern und Ärzten, die es besitzen, eifersüchtig gehütet – ist, dass sie auch gegen die Keiferwut helfen, einer meist durch Tierbisse übertragenen Nervenkrankheit, die Verkrampfungen verursacht, vor allem im Mund- und Rachenbereich und unbehandelt nach zwei Wochen zu einem äußerst schmerzhaften Tod führt. Um die Pflanze gegen die Kieferwut einsetzen zu können, muss man die Blütenknospen kurz vor dem Aufblühen ernten und praktisch sofort danach ein Alkoholextrakt herstellen.
    Leider sieht das Glattstielige Fuchspfötchen dem deutlich selteneren Rauen Fuchspfötchen zum Verwechseln ähneln. Dieses kommt zwar nur vereinzelt vor, besiedelt aber ähnliche Lebensräume wie das Glattstielige Fuchspfötchen, findet sich sogar nicht selten in einer Kolonie der heilkräftigen Pflanzen. Leider ist das Raue Fuchspfötchen stark giftig und verursacht bei der Einnahme Nervenlähmungen, die schon in geringen Mengen zum Tod führen können. Die beiden Pflanzen kann man nur durch die feine Behaarung an der Blattunterseite unterscheiden, die dem Glattstieligen Fuchspfötchen fehlen. Allerdings sind die Härchen nicht selten kaum sichtbar, so dass Verwechslungen immer wieder vorkommen. Als Wildgemüse und Wildsalat sind aber beide Pflanzen meist unbedenklich. Sie entfalten ihre heilkräftige beziehungsweise ihre tödliche Wirkung nur in Verbindung mit Alkohol.

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    Ngaggan, der Steinsaft
    © Sturmfaenger


    ngaggan.jpg
    Auf jedem gut sortierten Markt Morkandors bekommt man die kleinen, etwa faustgroßen Ngagganfläschchen in verschiedenen Güteklassen zu kaufen.
    Öffnet man solch ein Fläschchen, so wird man in seinem Inneren eine Substanz entdecken, die zäh wie fast abgekühlte Karamellmasse aussieht, und harzig riecht. Sie kann von bernsteingelb über honigbraun bis zu mahagonirot reichen. Läßt man sie einfach trocknen, so wird sie stumpf in der Farbe bleiben. Erwärmt man die Substanz jedoch vor dem Trocknen, so wird sie zwar flüssiger, wird jedoch beim Trocknen halbtransparent und gewinnt an farblicher Leuchtkraft.


    HANDHABUNG
    Wer mit dem Umgang mit der Substanz nicht vertraut ist, sollte vor allem darauf achten, sofort danach Hände und Kleidung zu reinigen, denn Ngaggan wird nach wenigen Stunden an der Luft steinhart. Keine Seife, kein Erhitzen vermag ihn wieder aus der Kleidung zu lösen, es gibt nur wenige Lösungsmittel, die in der Lage sind, die steinharte Substanz soweit zu erweichen, daß man sie wieder abkratzen kann. Da diese auch Kleidung und Haut angreifen, ist beim Umgang mit Ngaggan eine gewisse Vorsicht geboten. Wer magiebegabt ist, vermag die Substanz mit viel Geschick ganz leicht zum Vibrieren zu bringen, das kann bei der Entfernung auch hilfreich sein. Ansonsten hilft nur, die Kleidung zu flicken oder wegzuwerfen bzw auf das natürliche Abschilfern der Haut zu setzen.


    HERKUNFT
    Wenn man zum Ursprung eines jeden Tropfens Ngaggan zurückkehren, so wird man sich in einem der großen Wälder der Tshaerd wiederfinden, denn von diesem Volk bezieht das ganze restliche Reich sein Ngaggan.


    HERSTELLUNG
    Die Grundsubstanz des Ngaggans besteht aus dem Harz verschiedener Bäume. Die Tshaerd ernten die Harzklumpen, indem sie der Rinde leichte Verletzungen zufügen und die ein paar Stunden später hervortretenden Harzklumpen abkratzen.
    Die gesammelten Harzklumpen werden veredelt, indem man sie erhitzt und von Verunreinigungen befreit. Anschließend werden die Harze in einem Verfahren, das mehrmaliges Erhitzen und Abkühlen beinhaltet vermischt, und es werden verschiedene Pülverchen hinzugefügt. Was dies für pflanzliche und mineralische Zutaten sind, behalten die Tshaerd gern für sich.


    VERBREITUNG
    Die Tshaerd verkaufen den Steinsaft im Allgemeinen an jeden Händler, der ihn haben will, nur für die höheren Güteklassen treffen sie Abkommen, die mehrere Jahre gelten. Luftdicht verschlossen kann man es bis zu zwei Jahre lang aufbewahren. Altes Ngaggan das in Flaschen hart wurde wird gern von Künstlern gekauft, die daraus kleine Figürchen schnitzen.


    VERWENDUNG
    Die Tshaerd benutzen den Stoff seit jeher als wasserdichten Überzug: Von Tonkrügen über metallische Gegenstände bis zu den geflochtenen nichtlebendigen Teilen ihrer Korbhausbäume schützt Ngaggan zuverlässig vor Wasser.
    Auch die Bewohner des restlichen Reiches haben die Substanz als Handelsgut zu schätzen gelernt. Schneider schmücken ihre Kleidung als Hingucker mit bernsteinfarbenen Tropfmustern. Szurische Schmuckmacher nehmen Ngaggan gern zu Hilfe, um die von ihren Geschäftspartnern geschmiedeten Gürtelschnallen, Metallvasen, Kelche, Türklopfer und viele andere Gegenstände mit einer ganz eigenen Art von Einlegearbeiten zu verzieren.
    Daerlon'sche Handwerker benutzen Ngaggan zum Verschönern von Truhen, Schränken, Türrahmen und Bettpfosten, die Töpfer schwenken ihre Töpfe innen oder außen mit Ngaggan, dies hebt sie von ihrer glasierten restlichen Ware durch einen hauchdünnen honigfarbenen Überzug ab, der warm und freundlich wirkt.
    Und der ganz normale Bürger benutzt ihn, um Risse in Töpfen zu flicken, in einigen Teilen des Landes gilt es als schick, mit Ngaggan überzogene Fingernägel zu haben, möglichst noch mit darin eingebetteten winzigen Schmucksteinchen.
    Von den etwas grausamen aber phantasiebegabten Landesherren wird die Substanz auch schon mal als Folter- oder Strafmaßnahme eingesetzt, indem man den Mund oder andere Körperöffnungen damit verschließt. Nur eine äußerst vorsichtige magische Befreiungsaktion, oft in Verbindung mit der Anwendung der Lösungsmittel, kann einen solcherart Bestraften wieder von seinem Ngagganpfropfen befreien. Liebende die sich eine Weile lang nicht sehen werden tropfen sich die Anfangsbuchstaben ihrer Namen auf den Arm oder andere geeignete Körperstellen, dies soll sie stets an den anderen erinnern und hat gegenüber Tattoos den Vorteil, nicht für immer zu sein.

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    Roter Odem
    © Taipan


    Zuweilen wird man auf den Märkten in Lindan - und vielleicht auch auf denen von Tanibed und Wiseny - flaschenartig geformte Schneckenschalen entdecken, die, wenn man sie öffnet, einen üblen Gestank von sich geben. Was es mit diesen Schalen auf sich hat, weiß hier niemand so recht, aber sie sollen böse Geister vertreiben, Reichtum bescheren und ganz nebenbei einfach Glück bringen, weshalb sie gerne gekauft werden, auch wenn sie wegen ihrer Seltenheit hohe Preise erzielen. Dass es sich bei diesen so genannten Flaschenschnecken nur um die Behälter der eigentlichen Ware handelt - des Gases, das den unangenehmen Geruch verursacht - ist so gut wie niemandem bekannt, auch nicht, welchem Zweck dieses Gas dient. Die meisten wissen nicht einmal, wer diese oft kunstvoll verzierten Muschelfläschchen überhaupt herstellt und befüllt, nämlich jene scheuen Dadan, die das Kleine Meer bewohnen.


    Der Ursprung des so genannten Roten Odems liegt tief unter der Wasseroberfläche des Kleinen Meers. Hier gedeihen die Roten Schaumschwämme, in deren ballonartigem Körper sich oft stark schwefelhaltige Gase sammeln. Obwohl das Gas Roter Odem genannt wird, ist es eigentlich vollkommen farblos. Der Name bezieht sich mehr auf die Farbe des Schwamms. Werden die Hohlräume beschädigt, entweicht ein übel riechendes Gas und vertreibt für einige Zeit so gut wie jedes Lebewesen in nächster Umgebung.
    Die Dadan im Kleinen Meer haben das schon früh erkannt, und weil Dadan eher kleine Lebewesen sind, die sich vor vielen Jägern im Meer in Acht nehmen müssen, sind sie irgendwann auf die Idee gekommen, das Gas zu sammeln und zur Abschreckung von tierischen Gegen einzusetzen. Dazu sammeln sie Flaschenschnecken, die nicht nur ausgezeichnet schmecken, sondern auch noch über einen Deckel verfügen, der selbst ein leeres Schneckenhaus luftdicht abschließt. Mit diesen tauchen sie zu den Schaumschwämmen, stechen die Blasen an und füllen ihre Muscheln mit dem übel riechenden Gas. Da diese Arbeit äußerst unangenehm ist - der Gestank ist unter Wasser viel intensiver als an Land - wird sie fast nur von Dadan niedrigen Ranges verrichtet. Die gefüllten Fläschchen werden anschließend an jedes Mitglied der Familie verteilt und von diesen fast ständig mit sich geführt. Wird ein Dadan zum Beispiel von einem Hai, öffnet er die Flaschenmuschel und lässt das Gas entweichen. Erst wenn dieses nicht die gewünschte Wirkung zeigt, versucht er zu fliehen. In den meisten Fällen ist der Angreifer nämlich von dem Gestank so überrascht und entsetzt, dass er schleunigst das Weite sucht und den Dadan hinter sich lässt. Damit der Rote Odem noch mehr Wirkung zeigt, verzieren viele Dadan ihre Flaschenmuschel mit feinen Schnitzarbeiten, die meist grässliche Fischköpfe darstellen, um den Angreifer noch mehr Angst einjagen zu können.


    Weil Schaumschwämme nicht überall im Kleinen Meer vorkommen, hat sich mit der Zeit so etwas wie Handel zwischen den Dadansippen im Kleinen Meer entwickelt, und auch wenn dieser im Vergleich zum Handel anderer Kulturschaffender sehr bescheiden ist, so sind es doch die komplexesten Handelsstrukturen aller Dadan.

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    Das Wassergesetz der Wüstenoasen
    © Sturmfaenger


    Eine Passage aus dem Wassergesetz der Wüstenoasen, die Lellnarillna, die ‚Wasserwächter' betreffend
    In den Wüstenoasen einer Wüste meiner Welt werden die Felder und Tatripahaine seit jeher durch Kanalsysteme mit Wasser versorgt. Durch Umleiten des Wassers und Nutzung von Schleusen kann man den Zufluß genau regeln. Um diese Lebensadern nicht versiegen zu lassen, gibt es ein allgemein gültiges Wassergesetz, welches alle Belange regelt, die mit dem kostbaren Nass zu tun haben.
    Dieses ungeschriebene Gesetz wurde von alters her überliefert, und wird streng beachtet. Seit wenigen Jahrzehnten existiert es auch in schriftlicher Form, es findet sich eine Kopie davon in den Archiven der Hauptstadt des Landes.
    Die Strafen für Nichtbeachtung des Wassergesetzes sind hoch, gefährden die Übeltäter doch die Grundlage der Existenz der Oase. Je nach Schwere des Vergehens werden Geldstrafen, Stockschläge, Peitschenhiebe oder Durststrafen angewandt.
    Das Wassergesetz ist im Lauf der Zeit um viele kleine Regeln erweitert worden. Es schreibt die genauen Abläufe der Instandhaltung der Kanäle vor, die Wasserverteilung auf die einzelnen Felder, Beseitigung von Schlammablagerungen, Tränke der Tiere, sogar wo und wann die Wäsche gewaschen werden darf. Alles ist genau geregelt.


    Ein Abschnitt ist den etwas obskuren Verhaltensregeln im Bezug auf eine Speisefischart gewidmet, die in den Wasserkanälen gehalten wird: den Lellnarillna.
    Die Haut dieser Fische reagiert sehr empfindlich auf Veränderungen der Wasserqualität, man kann an ihrer Schuppenfärbung ablesen, ob etwa zu viele Algen, Bakterien oder Harnstoffe im Wasser sind. Dieser Eigenschaft begegnete man stets mit einer gehörigen Portion Aberglauben. Mehr dazu im folgenden Auszug aus dem Gesetz:


    " Die Brut des Wasserkönigs Lullruni, die Lellnarillna aber, sollst du nicht zusammen mit deinen Speisefischen halten. Halte deine Speisefische in einem eigenen Becken oberhalb deiner Felder, nie sollen sie mit den Lellnarillna zusammen schwimmen.
    Trage Sorge, an jeder Seite deines Feldes Lellnarillna zu halten. So dein Feld an das eines anderen grenzt, sollt ihr entscheiden, wieviele Lellnarillna ihr in dem Abschnitt halten wollt.
    Jeder von euch soll darauf achten, seine Fische auf sich zu prägen, damit die Wasserwächter wissen welches Feld sie bewachen sollen. Erst dann sollt ihr die Käfige öffnen und sie zusammen schwimmen lassen.
    Die schwarzgrauen Jungfische der Lellnarillna sollst du in eng geflochtenen Körben aus Tatriparinde heranziehen. Erst dann sollst du sie in deinen Kanalbereich setzen, wenn der kleinste länger als dein Mittelfinger ist.
    Drei Tage lang sollen du und dein Erbe auf dein Feld gehen und die Lellnarillna füttern. Morgens und abends sollt ihr sie füttern, und dabei die Länge der Strecke abschreiten, welche die Lellnarillna bewachen sollen.
    Daran wirst du sehen, wie sie die Geister für dich fangen: wenn sich ihre Schuppen färben. Nie sollst du, nie dein Erbe, nie ein anderer aus deiner Familie die Lellnarillna je berühren. Nie soll dein Netz sie fangen, nie dein Speer sie durchbohren, nie deine Zunge sie kosten.


    Dies soll dein Zeichen sein, daß du ihnen nichts Böses willst. Fehle nicht! Denn sonst werden sie all die Schlechtigkeit, die sie um deinetwillen in sich aufnehmen, auf dich werfen, und Unglück wird über dich und deine Familie und dein Land kommen.
    So einer der deinen zu den Lellnarillna ins Wasser fällt, sie mit Absicht berührt oder gar einen ißt, sollst du ihn strafen. Vor den Augen der Lellnarillna sollst du ihn strafen, nicht zu milde sollst du ihn strafen, damit sie sehen daß du sie achtest.
    Und dies sollst du tun, wenn die Lellnarillna in deinem Kanal überhand nehmen:
    Lass einen Knecht oder einen Sklaven, der nicht aus deiner Oase stammt und nicht mit dir verwandt ist, rufen. So aber soll er die Lellnarillna fangen, die überzählig sind:
    Heiße ihn seine Kleidung ablegen, heiße ihn seinen Bart scheren und sein Gesicht mit Farbe bestreichen, auf daß die Lellnarillna ihn nicht erkennen. Nie soll er alle Fische töten, achte darauf ihn anzuweisen, so viele übrigzulassen wie zu Anfang im Kanal waren.
    Mit dem Netz soll dein Knecht die Lellnarillna fangen, und sie entfernt vom Feld ausnehmen. Die Abfälle soll er im Sand vergraben, damit kein Tier der Oase sie fressen kann. Lass ihn dörren den Fisch, und gesondert von den anderen Vorräten aufbewahren.
    Dein Knecht soll hiernach hinaus aus der Oase gehen und sich die Farbe vom Gesicht waschen. Im Sand soll er baden und sich mit zerdrückten Jetnaknospen einreiben, bis er nicht mehr nach dem Fisch riecht. Erst dann sollst du ihn wieder unter dein Dach lassen.
    Du sollst die Lellnarillna nicht selber essen, damit die bösen Geister nicht Einzug in dein Haus halten. An Fremde sollst du sie verkaufen, die auf der Durchreise sind. Sie allein dürfen Lellnarillna ohne Sorge essen, denn ihr Land ist zu weit weg, und ihr Weg führt sie wieder in die Wüste, wo die bösen Geister verdursten.


    Wenn du und dein Nachbar die Lellnarillna verkauft, sollt ihr den Erlös gerecht aufteilen. Hütet euch, wegen ihnen in Streit zu geraten, denn so wollen es die bösen Geister. So ihr doch einmal wegen ihnen in Streit geratet, sollt ihr den Erlös einem Tempel spenden.
    Wenn die Fremden aber einmal nehmen ohne zu fragen, mag es sein daß wenige oder keine Wasserwächter übrig sind. In dem Fall eile dich und fertige falsche Lellnarillna aus Holz oder Ton an. Die sollst du deinen Sklaven oder deinen Knecht in das Wasser setzen lassen, auf daß die bösen Geister für kurze Zeit getäuscht sind, bis du neue lebendige Wächterfische hineingesetzt hast. "

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    Das Zwillfest
    © Sturmfaenger


    WIE KOMMT DER FEIERTAG ZU SEINEM NAMEN?
    Eine "Zwille" ist eine Schleuderwaffe, die man leicht aus einer Astgabel selbst herstellen kann, geeignete Munition findet sich überall. Steine werden am Häufigsten benutzt, und hiervon sind rundgeschliffene Flusskiesel am besten geeignet.
    Wie ein Schleuderer sich seine Geschosse mit Bedacht aus den unzähligen Steinen auswählt, so wird auch bei der Musterung künftiger Soldaten mit Sorgfalt aus den vorhandenen jungen Männern ausgewählt.
    Bei einem Geschoß, weiß man nie, ob es sein Ziel treffen wird, oder ob es daran zerschellt. Genausowenig ist sicher, ob die an diesem Tage ausgewählten jungen Männer ihre Dienstzeit überleben werden oder nicht.
    Wegen dieser Parallelen erhielt der Feiertag seinen Namen.


    VON URSPRUNG UND SINN DES ZWILLFESTES
    Das Zwillfest hat sich in den Jahrhunderten seit der Machtübernahme der Fremdherrscher von einem rücksichtslosen Einsammeln aller für den Krieg benötigten jungen Männer zu einer Art Volksfest entwickelt.
    Es findet ein dreiteiliger Wettbewerb statt, um die geeignetsten Jünglinge zu ermitteln. Die Herrscher haben gelernt, daß ihre benötigten Truppen weitaus williger und treuer sind, wenn man es auf diese Weise macht.
    Werden während des restlichen Jahres neue Rekruten benötigt, macht man daraus kein solches Spektakel - der Feiertag ist in Friedenszeiten jedoch die größte landesweit stattfindende Musterung.


    WANN FINDET DAS ZWILLFEST STATT?
    Das Zwillfest, das man auch den Tag der Sammlung nennt, findet vier Wochen vor der Sommersonnenwende statt. Am Vorabend des eigentlichen Feiertages leitet eine Parade frischgebackener Soldaten die Feierlichkeiten ein. Diese haben sich in dem Fest des vorigen Jahres ihren Platz in den Truppen verdient, ihren Drill beendet und werden sich direkt nach dem Fest zur Vereidigung auf den Weg in die Hauptstadt machen. Am Festtag selbst haben sie frei. Sie nutzen dies, um Zeit mit ihren Angehörigen zu verbringen, die zum Zwillfest in die Stadt geströmt sind. Am Zwilltag selbst macht der Alltag Pause.


    WER DARF MITMACHEN?
    Sklaven, Frauen, magisch Begabten und körperlich oder geistig Kranken ist die Teilnahme nicht gestattet. Ansonsten darf jeder junge Mann im Alter zwischen vierzehn und fünfundzwanzig Jahren teilnehmen. Die Jünglinge strömen für diesen Tag aus der ganzen Region in die Stadt, und lassen sich registrieren. Bis zum fünfzehnten Geburtstag können die Eltern ihrem Sohn die Teilnahme verweigern, danach haben sie gesetzlich nicht mehr das Recht dazu.
    Auch junge Männer die wissen, daß sie bei einer der Wettbewerbsdisziplinen versagen werden nehmen teil, um ihre Freundinnen mit ihrem Abschneiden in den anderen beiden Disziplinen zu beeindrucken. Da solche Prahlereien nach einer Weile überhand zu nehmen drohten, wurde die Regel der Verpflichtung eingeführt:
    Bis zum Beginn der Wettkämpfe kann man seine Teilnahme zurückziehen. Sollte ein Teilnehmer, egal wie unerwartet gut oder schlecht er abschneidet aber als Rekrut ausgewählt werden, so hat er keine Möglichkeit, sich vor der Verpflichtung zu drücken. Wer dies dennoch versucht wird als Deserteur behandelt und hart bestraft.


    WARUM MACHEN SIE MIT?
    Das Leben als Soldat ist nicht einfach. Wer eintritt verliert beinahe alle Rechte, die ein normaler Bürger hat, und untersteht nur noch dem Armeerecht, das ungleich härter ist. Man darf nicht heiraten, als bereits Verheirateter seine Frau anfangs nicht sehen, man darf sein Erbe nicht antreten und verliert jedes Recht über sein Leben zu bestimmen. Erst mit der Zeit kann man im Rang aufsteigen oder die nötige Dienstzeit ansammeln, um sich einen Teil dieser Privilegien zurückverdienen. Trotzdem melden sich viele freiwillig, denn es ist eine Chance, es im Leben zu etwas zu bringen. Seit einem Jahrhundert hat es keinen wirklich großen Krieg mehr gegeben, nur Geplänkel mit den Rebellen oder Reibereien zwischen den verschiedenen Kriegsherren. Daher stehen die Chancen gut, die Dienstzeit zu überleben.
    Viele der Rekruten stammen aus ländlichen Großfamilien und werden den Hof des Vaters ohnehin nicht erben. Das Leben eines Soldaten ist in ihren Augen einer Existenz als Knecht vorzuziehen. Hat man doch die Möglichkeit eine Karriere zu machen und wird anständig ausgerüstet und verpflegt. Selbst wenn man sich nicht hochdient winken nach dem Ende der Dienstzeit die Auszahlung des Gehalts, und damit die Möglichkeit zu heiraten und einen eigenen Hausstand zu gründen. Für Offiziere springt oftmals ein Posten in der zivilen Verwaltung oder ein Patent als Söldner dabei heraus. Wer seine Treue zum Herrscher als Soldat bewiesen hat, wird in vielen Dingen bevorzugt behandelt.


    WIE IST DER ABLAUF DES FESTES?
    Am Zwillfest werden Ausdauer, Stärke und Geschicklichkeit der Teilnehmer geprüft.
    Die Prüfung ist der Kernbestandteil des Festes, und findet öffentlich statt, es gibt stets eine Menge Zuschauer.
    Schaulustige, Verwandte, Freunde und junge Frauen auf Partnersuche bilden das Publikum. Die Anwärter sammeln sich, sie dürfen heute nur kurze Lendenschürze tragen.
    Die Ausdauerprüfung beginnt am frühen Morgen mit einem Dauerlauf durch die Stadt. Die Zuschauer dürfen durch Zurufe anfeuern, aber nicht die Strecke blockieren oder die Läufer anderweitig ablenken.
    Danach gibt es für die Teilnehmer eine nahrhafte Suppe, und der Geschicklichkeitstest beginnt. Hierbei handelt es sich meist um einen Hindernisparcours, der auf einem der großen Marktplätze aufgebaut wird. Schlammbecken, Zäune, Wälle und ähnliches müssen überwunden werden. Die Zuschauer dürfen hier von Tribünen aus zusehen, streckenweise ist es ihnen sogar gestattet, Eier oder fauliges Obst zu werfen, um die Teilnehmer abzulenken und den Boden glitschig zu machen.
    In der Bergstadt Tomeira jedoch wird stattdessen eine Kletterprüfung durch Höhlen und an einer Felswand entlang gefordert. Man kann sich streckenweise mit Seilen absichern und muß als Zeichen seiner Ankunft am Zielpunkt eine Fackel schwenken. In den Küstenstädten wird bei guten Wetterverhältnissen zur Prüfung von Ausdauer und Geschick ein Tauch- und Schwimmwettbewerb ausgetragen.
    Der dritte Teil der Prüfung, der Test der Stärke, findet am späten Nachmittag oder Abend statt, nachdem die Teilnehmer sich den Schmutz der Geschicklichkeitsprüfung abgewaschen haben. Hier gibt es ebenfalls regionale Unterschiede, es kann sich dabei um Ringkämpfe, Gewichtheben oder das Bändigen von Pferden, Luhr oder einer sonstigen Nutztierrasse handeln. Die Zuschauer dürfen Wetten abschließen, und es hat sich eingebürgert, daß den Siegern an diesem Abend alle Getränke gezahlt werden.
    Unter denjenigen, die beim Zwillfest gut abgeschnitten haben, werden zur Mittagsstunde des folgenden Tages die neuen Rekruten ausgewählt und zum Drill in die Kasernen geschickt. Dabei schwankt die Anzahl der eingezogenen jungen Männer je nach Bedarf an neuen Soldaten.
    Auch für diejenigen die nicht ausgewählt werden lohnt sich die Teilnahme, denn bei der Feier am Abend des Zillfestes lernen sich die jungen Männer und Frauen besser kennen, und manches Paar findet in dieser Nacht zusammen.


    WARUM MAG DIE OBERSCHICHT DAS ZWILLFEST NICHT?
    Das jährliche Fest führt den Adligen immer wieder vor Augen, daß sie nicht die wahren Herrscher des Landes sind, und ihr Einfluß begrenzter ist, als sie wahrhaben wollen.
    Die Auswahl der Rekruten ging von jeher an den Adligen und reichen Bürgern der menschlichen Oberschicht des Reiches vorbei. Sie dürfen das Fest finanzieren, um ihre Treue zum Herrscher zu beweisen. Das ist aber auch schon alles.
    Der Lordfürst und seine Kriegsherren wählen über das Militär direkt aus den Kandidaten aus.
    In manchen Gegenden gibt es Probleme, weil ein Großteil der männlichen Jugend zum Militär abwandert, und ihre Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung steht. Dadurch geht es der Gegend langfristig finanziell schlechter, es wird schwerer, die Steuern einzutreiben, und die nachrückende Jugend wandert ebenfalls ab, weil die Herrscher im Ausgleich für gesenkte Steuern eine höhere Anzahl von Rekruten fordern, oder in anderen Gebieten die Lebensqualität besser ist. Dies ist ein Teufelskreis in den keiner gern gerät.
    Ein weiterer Grund sind die Probleme, die bei der Vererbung entstehen.
    Vererbte Gelder werden eingefroren, vermachte Gegemstände eingelagert bis der Erbe aus dem Militärdienst ausscheidet. Wer allerdings als Sohn wohlhabender Eltern Ländereien erbt, darf nicht heimkehren um sein Erbe anzutreten.
    Meist lassen sich die erst- und zweitgeborenen Söhne aus diesem Grund überzeugen, keine Soldaten zu werden. Sterben sie jedoch, und eine Reihe weiterer Söhne dient gerade, so führt dies zu Engpässen in der Erbfolge, und manch ein unerwünschter Erbe findet sich in einer Position wieder, für die er nicht unbedingt geeignet ist. Die Verantwortung für die geerbten Ländereien wird ihm zeitweilig übertragen. Will dann der rechtmäßige Erbe nach Ablauf seiner Dienstzeit seinen Platz als Familienoberhaupt einnehmen, gibt es oft böses Blut.
    Gibt es keinen Erben, so wird für die Zeit bis zur Rückkehr des Erben ein Verwalter der Regierung eingesetzt. Sollte der letzte Erbe in Erfüllung seiner Pflicht sterben, fällt sein Erbe automatisch an die Krone.

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    Das Bootsrennen auf dem Siafe
    © Neyasha


    Jedes Jahr im Herbst findet im Osten der cumeischen Provinz Imatos ein Fest statt, bei dem ein Bootsrennen auf dem Fluss Siafe veranstaltet wird. Dieses Fest kann auf eine mehr als 500 Jahre alte Tradition zurückblicken.


    Historischer Hintergrund
    Am Anfang des 9. Jahrhunderts n. F. war der Osten von Imatos bereits seit mehr als hundert Jahren eine Provinz des Cumeischen Reiches. Im Süden schützte der Stane-Wall die Provinz vor Angriffen der ecwelischen Stämme, und seit den Aufständen von 725 n. F. herrschte in Ost-Imatos Frieden. Daher waren nun nur noch in der Küstenstadt Carchurdan (heutiges Cachuran) Truppen stationiert. Die anderen Städte der Provinz waren lediglich durch die herrschende cumeische Oberschicht, die über Streitwägen verfügte, geschützt. Auch der Wall selbst war nur unzureichend bemannt, da die meisten Legionen in der nördlichen Provinz Carima gegen die Skonländer kämpften.
    Im Jahre 811 n. F. geschah das Unfassbare: In einer Nacht- und Nebelaktion überrannten ecwelische Krieger den Wall und zogen weiter nach Norden. Sie plünderten einige Dörfer, ehe sie vor der kleinen Stadt Deisol von den Streitwägen der dort ansässigen cumeischen Adligen aufgehalten wurden. Deisol war insofern von strategischer Bedeutung, weil sie die einzige Straße hielt, die damals durch den Siaraci-Wald und weiter zur Furt durch den Fluss Siafe führte. Sollte Deisol fallen, so würden die Ecweler den Siafe überqueren und weiter in die Kernprovinz Malacos vordringen können.


    Zunächst sah es für Deisol nicht gut aus. Die wenigen Streitwägen wurden von den ecwelischen Reitern in unwegsameres Gelände getrieben und dort besiegt, doch die Stadtbewohner leisteten erbitterten Widerstand. Nicht nur die wenigen Fußkämpfer, sondern auch die einfachen Bürger bewaffneten sich und hielten die Ecweler in Schach. Sie wussten, dass es nicht lange dauern würde, bis die Stadt fallen würde, doch die Straße nach Carchurdan wurde von den Ecwelern gehalten und so konnte auf diesem Weg keine Hilfe geholt werden. Daher machten sich vier junge Frauen und Männer auf den Weg durch den Siaraci. In ihrer Verzweiflung bauten sie am Siafe aus dem Schwemmholz ein notdürftiges Floß und fuhren damit den Siafe hinunter bis nach Carchurdan. Die dort stationierten Truppen setzten sich sofort in Bewegung und erreichten Deisol gerade noch rechtzeitig. Es sollte noch einige Jahre dauern, ehe die Ecweler völlig besiegt waren, aber aufgrund des beherzten Handelns der Bürger von Deisol konnten sie den Siafe nie überqueren.


    Das Fest
    Auch heute noch, über 500 Jahre nach den damaligen Ereignissen, erinnert man sich im Osten der Provinz Imatos an diese tapfere Tat. Jedes Jahr findet im Herbst eine große Feier statt, bei der am Vormittag in den Städten von Sängern und Schauspielern der Stehgreifbühnen die Ereignisse dargestellt werden. Die vier Helden, die die Truppen zu Hilfe geholt hatten, werden mittlerweile beinahe als Halbgötter betrachtet, und ihre Taten wurden seither immer weiter ausgeschmückt. In langen Liedern wird ihre verzweifelte Fahrt den Siafe hinunter geschildert.
    Mittags begeben sich alle Bewohner von Imatos, die in der Nähe des Siafe leben, an den unteren Teil des Flusses, wo der Höhepunkt des Festes stattfindet. Viele reisen auch schon Tage vorher von weither an und lagern am Fluss. Denn eine Gruppe junger Männer und Frauen veranstalten zum Gedenken an die Helden von Deisol ein Bootsrennen, das von der alten Furt (wo heute ein Brücke steht) bis nach Cachuran geht.
    Die Besonderheit dabei ist, dass alle Teilnehmer ihre Boote und Flöße selbst bauen müssen. Früher hatten sie dafür nur einen Tag Zeit und es wurden allerlei Wetten abgeschlossen, welche Boote es überhaupt den ganzen Weg bis nach Cachuran schaffen würden, ohne unterzugehen. Heute allerdings beginnen die Teilnehmer schon Wochen vor dem Rennen, ihre Boote zu bauen. Bereits mehrere Tage vor dem Festtag begutachten neugierige Zuseher die Boote, schließen Wetten ab, wer gewinnen wird und halten Ausschau nach den schönsten und originellsten Booten. Wenn das Rennen dann beginnt, haben viele bereits ihre Favoriten, und so starten die Teilnehmer unter lauten Anfeuerungsrufen und mit dem Wissen, dass unzählige Menschen abhängig von ihrer Leistung viel Geld verlieren oder gewinnen werden.


    In Cachuran werden die Bootsfahrer mit ebenso großer Begeisterung begrüßt, und der oder die Sieger werden in der Stadt gefeiert. Wenn es zu dämmern beginnt, schmücken die Teilnehmer ihre Boote mit Blumen, beladen sie mit ölgetränkten Lumpen und Reisig und stoßen sie sodann hinaus aufs Meer. Mit brennenden Pfeilen entzünden ausgewählte Schützen die Boote, die noch eine Weile in der Bucht von Cachuran hell leuchten, ehe sie schließlich untergehen.
    Das Fest findet nun seinen Ausklang mit Festessen und weiteren Heldengesängen entlang des Flusses. Viele junge Männer und Frauen beginnen schon jetzt mit ihren Planungen für den Bootsbau im nächsten Jahr. Für alle einfachen Stadtbürger und Bauern ist dieser Tag einer der Höhepunkte des Jahres, und bereits Wochen vorher erfüllt Vorfreude auf das Fest die Provinz. Nur beim Adel ist dieses Fest nicht sonderlich beliebt, werden sie doch so jedes Jahr wieder an die Niederlage ihrer Vorfahren erinnert.


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    Die Blüte von Merothum
    © Sturmfaenger


    Vescwes Therwi sagt Ihr? Ja, natürlich kannte ich ihn. Nicht näher natürlich - ich war vierzehn als er starb, seht mich heute an, rissig und brüchig wie eine mürbe Ziegelwand. Doch Vescwes? Den hab’ ich nie vergessen!
    Laßt einen alten Mann sich setzen, dort auf die Bank. So ist es besser.
    Die Stadt war nie mehr dieselbe, seit er hier durchgefegt ist. Dieser Therwi war der seltsamste, besessenste aller Therwi, die unsere Stadt je hervorgebracht hat. Naerius bewahre uns vor solch fanatischem Eifer! Kurz nach meiner Geburt ging das los, da tauchte er hier wieder auf und riß uns alle mit. Daß er am Ende recht behielt, tut jetzt nichts zur Sache. Vescwes der Erbauer kam, und aus war’s mit dem Frieden in Merothum!
    In unserm Seitental der Lyenachen war das Leben früher ruhig. Ja, Glasbläserei gab es damals auch schon, aber nicht in dem Maße wie heute. Und jetzt dürft ihr raten, welche Familie dahintersteckte. Genau.
    Die Therwi hatten immer Geld, und eine Seidenzunge, doch wehe man stellte sich ihnen in den Weg! Sie haben den jungen Vescwes damals fortgeschickt, nach Shinwre in Khejun, um die Architektur zu studieren. Der war schon als Jüngling aufs Bauen versessen. Hat wohl beim Palast von Jhenaui mitgeholfen, drunten in Khejun, und ist dann jahrelang herumgezogen um zu lernen. War niemals selber dort, im Süden. Ich kenne nur die Blüte. Und die ist was Besond’res, das geb’ ich neidlos zu. Selbst die Südländer kommen und staunen, dabei müßten sie doch wenigstens die Formen aus ihrer Heimat kennen...


    Wände, mal dick mal dünn, genau an den rechten Stellen. Keine Ecken findet Ihr, da wo’s nicht nötig ist, überall Bögen, Kurven und Spiralen. Strohdach? Nein, Ziegel, durchbrochene Wände, schlanke Säulen und Mosaike auf dem Boden. Pflanzen überall. Und schmale Bächlein, die mitten durch die Räume fließen, wie ein Aquädukt in klein. Nicht überladen, versteht Ihr, trotz der vielen Farben. Das kennt man hier nicht, seht Euch unsere Häuser an.
    Doch Vescwes’ Kopf war voll von diesem Zeug als er heimkam, um sein Erbe anzutreten. Hat einen Haufen Gold geerbt, und ist gleich nach der Trauerzeit zum Stadtrat gerannt, zum Stadtmeister, sogar zum Kriegsherrn drüben in der Feste von Vesardum. Hat sie alle beschwatzt und bestochen, um ein Bauwerk zu errichten, wie es noch keines gegeben hat. Merothum wird berühmt, hat er gesagt, alle werden kommen und staunen, und sie werden unser Glas wollen für ihre Häuser. Die Glasermeister haben zugehört, die Wirte, die Händler, sogar die kleinen Leute. Und das war die Geburt der Blüte.


    Nun, da drüben seht ihr sie. Vielleicht kommt nachher die Sonne raus, dann... ach, wißt Ihr was, ich führe Euch hin. Das müßt Ihr selbst sehen. Kann Euch auf dem Weg dahin noch ein bißchen was erzählen, wenn Ihr wollt.
    Sie wird Euch gefallen, Vescwes’ Blüte. Hat sich wohl hier und da etwas herausgepickt, in seinem Kopf neu zusammengesetzt. Und dann das Glas. Merothglas war früher schon bekannt für seine Leuchtkraft. Vescwes war fasziniert davon, vom Glanz und schimmernden Glasuren. Und wußte genau, wie er sie einsetzen wollte.
    Er hat das Licht hineingelassen, überall wo’s möglich war. In der Rotunde stellt man gern Räucherbecken auf, und der duftende Rauch kringelt sich nach oben, um die Lichtfinger rum, die durch die Fenster brechen.
    Man erzählt sich heute noch, wie Vescwes mit den Baumeistern stritt, die er als Helfer haben wollte. Verrückt haben sie ihn genannt, aber viele sind doch geblieben. Auch Arbeiter hat er zu Hunderten angeheuert. Es hatte drei Mißernten nacheinander gegeben, wißt Ihr. Brot war teuer, und Vesques zahlte gut. Da war es egal, ob der Arbeitgeber ein Scherbenhirn war. Mein Vater war ein Vorarbeiter, und blieb die ganzen neunzehn Jahre Bauzeit mit dabei. Mich nahm er zum ersten Mal mit, als ich fünf war, und ab meinem achten Jahr habe ich täglich mitgeholfen.


    Da sind wir nun, an der Westseite. Dies ist die äußerste Schicht der Blüte, wenn Ihr von dem Grünzeuggürtel absehen wollt, durch den wir gerade spaziert sind.
    Legt einmal den Kopf in den Nacken. Seht Ihr die Spiegelzinnen und glasierten Ziegel? Seht Ihr, wie die Wand verläuft? Fünfmal mannshoch an den höchsten Stellen und leicht nach innen gewölbt verjüngt sie sich nach beiden Seiten, fällt ab, bis ihre Ränder im Boden versinken. Als hätte man eine flache Schüssel in die Erde gesteckt. Dort wo die eine Wand nach unten abfällt, beginnt leicht nach innen oder außen versetzt die nächste Wand. So bilden sie überlappend einen geschlossenen Außenkreis, und wir müssen durch den Haupteingang, um in die Blüte hineinzukommen. Dort vorn ist er.
    Ja, Ihr habt recht. Allein das Eingangstor ist prachtvoll. Dicke Flachglas- und Butzenscheiben, wie faustgroße Edelsteine. Das ist Merothglas. Ein kleiner Vorgeschmack von dem, was ihr drinnen sehen werdet.
    Wie? Ja, man wird uns hineinlassen, wenn nicht grade hoher Besuch angesagt ist. Ihr wißt schon, die Sorte, die teure Vescwesfenster für ihre Tempel und Paläste bestellt. Aber das ist unwarscheinlich um diese Tageszeit.
    Hm? Ach, ich war einer der Hausmeister, sozusagen. War ja beim Bau dabei, wer könnte sie besser kennen? Bin jahrzehntelang in allen Winkeln der Blüte umhergekrabbelt. Mein Jüngster hat mich vor zwei Jahren abgelöst, ich besuche ihn oft. Wenn ich dann und wann einen Besucher mitbringe, drücken die Torwachen ein Auge zu. Gut, daß Ihr mich getroffen habt, eh? Ihr müßt wissen, daß wir nun gleich in ein Reich von Farben und Licht eintreten, Vescwes war ein wahrer Magier des Lichteinfalls, obwohl er natürlich magisch nicht begabt war.


    Macht Euch bewußt, daß dem ganzen Gebäude eine logische Geometrie zugrunde liegt, wenn es auch durch die zahlreichen geschwungenen und halbrunden Wände nicht so scheinen mag.
    Na los, Ihr zuerst, ich will Euch nicht die Sicht versperren. Hört Ihr das leise Plätschern? Die Wasserrinnen dort am Boden leiten das Wasser zum Herz der Anlage, in das Becken der Rotunde. Es hat den ersten Springbrunnen, den Merothum je gesehen hat. Und der Boden dort drinnen? Der wird mit Dampf beheizt, und das Becken erwärmt. Die Gäste fühlen sich dann entspannt wie im Badehaus, sogar Kriegsherr Jhaccht kommt gern her. Kein Wunder daß sie normale Bürger hier nicht reinlassen.
    Hebt Euren Blick einmal nach oben. Ist es nicht wunderbar? Diese filigranen Streben, die so zart erscheinen, und doch ihren Teil zur Stütze des Ganzen beitragen. Schicht um Schicht stützt sich die Blüte selber ab, wie eine Knospe die sich niemals öffnen darf. Vescwes verstand sein Handwerk, seid unbesorgt. Es gibt auch große Pfeiler, seht Ihr, dort ist einer.
    Jetzt kommt der Saal der Spiegelfliesen, es gibt natürlich noch drei Gegenstücke, der Symmetrie halber. Achtet darauf, wie sie das Licht von oben verteilen, diese Butzenfenster hat er mit Absicht farblos gelassen, dafür sind die Wände bemalt.
    Alles taghell hier drinnen.


    Allerdings müssen wir die Glasdächer im Winter mit Schilfmatten abdecken, und den Schnee herunterschaufeln. Und das Putzen? Eine Schufterei, ich sag’s Euch.
    Ach ja, der Innenhof mit den szúrischen Statuen. Ich erinnere mich noch wie wir ihn gemauert haben. Hier habe ich Vescwes zum ersten Mal gesehen, graubärtig, auf seinen Stock gestützt, ein Bündel Pläne unterm Arm, mit schmalen Lippen wie ein Pinselstrich und flackernden Augen. Hab’ vor Schreck nen Ziegelstein zerbrochen und bin hinter nen Bottich Mörtel in Deckung geflitzt, wißt Ihr, der alte Kauz stand in dem Ruf, seinen Stock auch zu gebrauchen. Die Therwi waren schon immer herrisch, sagen sie.
    Na, sie können sagen was sie wollen, Vescwes hat sein Ziel erreicht, und etwas Einzigartiges geschaffen. Es hat Merothum gut getan. Das Geschäft mit Vescwesfenstern blüht, wenn Ihr mir das Wortspiel verzeihen wollt. Vielleicht ganz gut, daß der alte Therwi gestorben ist bevor es soweit war, er war schon eingebildet genug.
    Oh, wie schade. Abgesperrt. Ich hätte euch gern die Rotunde gezeigt. Warscheinlich tauscht man wieder einmal Dachglas aus. Habe ich früher auch oft gemacht, aber wehe man steht unten wenn einem oben etwas aus der Hand rutscht! Ihr wollt ja sicher Vescwes Schicksal nicht teilen, eh?


    Doch, das ist ihm passiert, vierzehn war ich, ganz gewiß. Und seither sperren sie alles ab, nur um sicher zu gehen.
    Tragische Sache sein Tod, drei Wochen vor der großen Einsegnungsfeier. Sie haben seine Asche drüben im Hof der Blumen vergraben, der Lurpriester hat’s erlaubt. Hatte ja niemanden außer seinem Lebenswerk, der alte Griesgram. Seither gehört dies alles der Stadt.


    Nun schaut nicht so enttäuscht drein. Ihr habt bereits mehr gesehen als viele andere - die Blüte von innen! Ich führe euch noch durch die Kristallhalle, mit ihren Prismaeffekten. Vescwes hat sogar eine Lizenz für ein kleines Leuchtsteinnetz erworben, abends sieht das prächtig aus. Und dann gehen wir wieder nach draußen, wißt Ihr, es ist Mittag, mein Magen knurrt schon.
    Was höre ich da? Einen Krug Bier wollt Ihr mir spendieren? Und mich auf eine Mahlzeit einladen? Nun, das hört man gern! Ich kenne da ein wunderhübsches kleines Plätzchen mit hervorragender Küche, mein Großneffe leitet es. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt...

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    Ratsresidenz
    © Ehana


    Das Gebäude, das am stärksten aus dem Straßenbild Aberras heraussticht, ist wohl die ab 593 n. Rgr. errichtete Ratsresidenz. Um das Gebäude an auffälliger Stelle mitten in der Stadt platzieren zu können, wurden einige der umliegenden Häuser abgerissen, da man die Anlage sonst nicht mit den nötigen Schutzmaßnahmen hätte umgeben können. Ursprünglich war geplant, das Gebäude des sich bisher dort befindlichen Landwirtschaftsministeriums nicht vollständig abzureißen und lediglich komplett umzugestalten. Kurz vor Beginn der Bauarbeiten kam im städtischen Bauamt, wo man schon längere Zeit hitzig darüber diskutiert hatte, wie die Residenz nun genau aussehen sollte, jedoch die Idee auf, der Geschichte Okros mit diesem Gebäude Rechnung tragen zu müssen und es deshalb vollständig im rykischen Stil zu errichten. Das Großreich Okro war vor fast 600 Jahren aus dem damaligen Ur-Okro und seinem nördlichen Nachbarn Rykis entstanden, und dem könnte man doch in der Bauweise des Sitzes eines der beiden wichtigsten Staatsorgane gerecht werden. Der Monarch, der seit kurzem zusammen mit dem Rat und nicht mehr allein die Geschicke des Reichs lenken sollte, residierte bereits in einem typisch okroischen Gebäude. Was lag also näher, als die Ratsresidenz im rykischen Stil zu bauen?
    Kaum wurde das Vorhaben publik, regte sich heftiger Protest der Städter. "Verschandelung des Stadtbilds" und "Schnellschuss" waren noch die harmlosesten Vorwürfe, mit denen sich die Stadt auseinandersetzen musste. Aber der Gedanke, Rykis' Zugehörigkeit zum Reich in einem Baustil auszudrücken, fand bei den Verantwortlichen großen Anklang, und so wurde das Vorhaben auch realisiert.
    Das alte Gebäude wurde komplett abgerissen, da sich der rykische Stil doch sehr vom okroischen unterscheidet.


    In Okro baut man Gebäude, vor allem öffentliche, gern aus hell- bis dunkelgrauem Stein, und zwar aus verhältnismäßig großen Ziegeln. Man liebt schlichte, klare Formen und geometrische Flächen. Charakteristisch für die okroische Architektur sind hohe, in einfachen Formen gehaltene Räume mit schmalen, rechteckigen Fenstern, die oft beinahe die gesamte Raumhöhe einnehmen. Von innen aus gesehen befinden sich die Fenster häufig in Nischen. Selbiges gilt für die Türen, die zwar nicht über eine Höhe von 3 - 4 Metern hinausgehen, deren Nischen der Einheitlichkeit wegen aber genauso weit nach oben reichen wie die der Fenster. Dächer sind meist flach gehalten, Steildächer finden sich nur vereinzelt an Privathäusern oder in Orten außerhalb Kern-Okros, in denen mehr Angehörige anderer Völker als Okroer leben.


    In Rykis hingegen hat sich ein völlig anderer Baustil entwickelt, obwohl das Land auch zu Zeiten vor dem Zusammenschluss mit Okro enge Beziehungen zu eben jenem Staat gepflegt hatte. Die Rykier bauen ihre Häuser ebenfalls aus Stein, allerdings aus hellerem als die Okroer. Ihre Fassaden bleiben auch häufig nicht so, sondern werden von oben bis unten mit langen Latten aus hellem Holz verkleidet. Fenster und Türen - meist mit einem leichten Spitzbogen versehen, so dass sie grob die Form unten abgeschnittener Regentropfen aufweisen -, werden von einer Umrandung aus dunklerem Holz eingefasst. Die Scheiben rykischer Fenster sind auch oft in kleinere Paneele unterteilt, während man in Okro durchgehend Glas schätzt. Rykische Dächer haben oft eine Zeltform. Der Baustil stellt sich somit als viel organischer, verspielter und weicher dar als die bisweilen hart anmutende Architektur Okros. Kein Wunder, dass dieser Stil den Hauptstädtern ein Dorn im Auge war, passte es doch so gar nicht zu den strengen Formen der umliegenden okroischen Häusern. Nach der Vollendung des Gebäudes, das auf einem seckseckigen Grundriss und mit sechs Dachspitzen - für jedes Ratsmitglied eine - gebaut wurde, verstummten die Kritiker jedoch rasch, und Heute ist das Gebäude aus dem Stadtbild Aberras nicht mehr wegzudenken. Sein verspielt wirkendes Äußeres lockt viele Besucher an, die mit den harten Formen der okroischen Architektur nichts anzufangen wissen. Zu besichtigen ist das Gebäude allerdings nicht, weil es schließlich dem Rat als Tagungsstätte dient und auch sonst für allerlei politische Zusammenkünfte und Besprechungen benutzt wird.

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    Gelbe Muschelsammler von Nermak
    © Taipan


    In der meselethischen Stadt Nermak, die mitten in der Namarr und am Thinsee liegt, ist das legendäre Seeungeheuer Quorwynn allgegenwärtig, obwohl es zum Glück der Nermakäer so gut wie nie gesichtet wird. Doch das Abbild von Quorwynn ziert das Stadtwappen genauso wie Kunst- und Alltagsgegenstände der Nermakäer. Ebenfalls allgegenwärtig ist das Bild des Magiers Sadryn Volos, der einst jenes Geschöpf, bei dem es sich eigentlich um einen gefährlichen Dämon handeln soll, als letzte Verteidigung für die Stadt zu Hilfe gerufen hat. Dass auf nicht wenigen dieser Bilder gelbe Muscheln zu sehen sind, fällt hingegen nur wenigen Eingeweihten auf, die allesamt zu den Gelben Muschelsammlern von Nermak gehören.


    Ursprung und Entstehung:
    Die Gelben Muschelsammler von Nermak sind eine uralte Gruppierung in Nermak, zwar nicht so alt wie die Stadt selbst, wie ihre Mitglieder manchmal behaupten, aber es gibt sie, seit dem Ende des Seenkriegs und seit Quorwynn im Thinsee haust, also seit etwas 180 v. MF. Wie jedes Kind in Nermak weiß, hatte die Stadt den Seenkrieg (192 - 179 v. MF.) mit dem Kumischen Reich eigentlich schon längst verloren und feindlich Truppe rückten immer näher zur Stadt, um sie zu überrennen und zu plündern. Da beschwor Sadryn Volos Quorwynn, ein Wesen, so groß wie einen Berg, mit dem Schwanz eines Wals, vergleichsmäßig schlanken Armen, die jedoch in geschickten Händen endeten, und zahlreichen kräftigen Tentakeln, die aus dem unheimlich menschenähnlichen Schädel der Kreatur wuchsen und mit denen es ganze Schiffe in die Tiefe des Thinsees ziehen konnte. Volos wusste, dass ihn das Wesen töten würde, doch bevor es ihn verschlang, konnte er der Kreatur das Versprechen abringen, die Feinde Nermaks zu vernichten und die Bewohner der Stadt zu schützen. Weil das Wesen ein Dämon war, musste es dieses Versprechen einhalten, und so konnten die Kumischen Truppen nicht in die Stadt eindringen, denn diese war nur über den See einzunehmen und dort wütete Quorwynn schrecklich unter den Angreifern. So verlor Nermak zwar den Großteil seines ehemaligen großen Reichs, doch die Stadt blieb unabhängig.


    Lange Zeit blieb Quorwynn friedlich im Thinsee, doch irgendwann vergaß er das Abkommen mit Sadryn Volos und begann auf Menschenjagd zu gehen, bis die Verluste unter den Fischern zu groß waren, um von den Stadtherren einfach ignoriert zu werden. Auch der See selbst litt unter dem Seeungeheuer und nicht nur Fische wurden rar, auch viele einfache Lebensformen wurden selten oder begannen sich zu verändern. So färbten sich auch die sonst blassrosa Krippmuscheln gelblich und wurden ungenießbar. Alle Versuche Quorwynn zu verbannen scheiterten kläglich und machten den Dämon noch aggressiver, bis ein einfacher Maler ein Bild des mittlerweile legendären Magiers nahm, an den See trat, dem unter der Wasseroberfläche verborgenen Ungeheuer zurief, das Versprechen an jenen Mann auf dem Portrait zu erfüllen, und das Bild ins Wasser warf. Wie durch ein Wunder hörte Quorwynn auf zu wüten, für ungefähr ein Jahr, bis sich wieder die Muscheln verfärbten und daher - aus der Vergangenheit klug geworden - wieder ein Bild von Sadryn Volos versenkt wurde. Nachdem man dies einige Jahre hindurch gemacht hatte, entwickelte sich daraus das Volos-Fest, ein großes Volksfest, das nun jährlich am 11. bis 12. Fimad gefeiert wird.
    Parallel zum Volos-Fest entwickelte sich eine Gruppe - Gründungsmitglieder sind heute nicht mehr bekannt - die heute unter dem Namen "Gelbe Muschelsammler von Nermak" bekannt ist und ähnlich wie beim Volos-Fest das Ungeheuer vom See mit Bildern an das einst gegebene Versprechen erinnert. Doch gab es da einige Unterschiede, denn die Muschelsammler versenkten ihre Bilder nicht an einem bestimmten Tag im Jahr, sondern achteten auf Veränderungen bei den Krippmuscheln. Tauchen vermehrt gelbe Muscheln auf, ein Zeichen für eine zunehmende Feindseligkeit Quorwynns, wurden diese gesammelt und an öffentlichen Plätzen unauffällig, aber für Eingeweihte leicht zu erkennend, platziert. In der ersten Vollmondnacht, nachdem die ersten Muscheln platziert worden waren, trafen sich die Muschelsammler in der Sirgan-Bucht, wo sie feierlich ihre selbstgemalten Bilder versenkten. Anders als die normalen Bilder beim Volos-Fest, sind diese zumindest Teilweise mit Menschenblut gemalt, denn man war bei der Gründung der Gruppe der Meinung, dass man ein solch mächtiges Wesen nur mit Menschenblut, wenn auch in bescheidenen Mengen, besänftigen konnte, und nicht nur mit normaler Farbe.


    Gelbe Muschelsammler von Nermak heute:
    Heute hat sich bei den Muschelsammlern so einiges geändert und das Hauptziel, nämlich Quorwynn zu besänftigen, ist immer mehr in den Hintergrund gerückt. Weil auch gelbe Krippmuscheln so gut wie überhaupt nicht mehr zu finden sind, begnügen sich die Mitglieder mit alten Krippmuscheln, die zu diesem Zweck nicht mehr fortgeworfen werden, oder einfach mit Muschelbildern, um zu einem Treffen zu laden. Diese Einladungen finden mehrmals im Jahr, aber recht unregelmäßig statt und hängen mehr oder weniger davon ab, wer bereit ist, für die Verpflegung an diesem Abend zu zahlen. An der Art der Einladung hat man trotz aller Veränderung festgehalten, genauso wie an dem feierlichen Versenken eines mit Menschenblut gemalten Bildes tief in der Nacht. In der restlichen Zeit unterhält man sich im Nebenraum einer Schenke über Alltägliches, Klatsch und Kunst und vor allem Malerei, denn heute sind die meisten Muschelsammler Künstler (vor allem Maler), Mäzene und Kunstsammler. Viele Künstler hier sind von den Freundschaften, die hier geschlossen werden, finanziell abhängig, und viele gut betuchte Kunstliebhaber kommen hier an die Kunstwerke und Künstler ihrer Wahl - oder bekommen solche vermittelt. Über Politik wird seit 220, als die Gruppe kurzfristig wegen angeblicher Umstürzungspläne verboten wurde, nicht mehr gesprochen, um nicht wieder Schwierigkeiten mit dem Hohen Rat zu bekommen, und obwohl zumindest ein Teil der Mitglieder reich und daher (für Nermak typisch) politisch mächtig ist, hält man bis jetzt daran fest. Mittlerweile hat man sich auf ein Symbol angeeignet, das auf fast allen selbst gemalten Bildern der Muschelsammler zu sehen ist, eine einfache gelbe Muschelschale.


    Das Ungeheuer im Thinsee:
    Quorwynn gibt es tatsächlich (noch), wie einige lebensmüde Generäle und ihre Soldaten aus Kaduin auch in letzter Zeit einige Male schmerzhaft feststellen mussten, und es handelt sich dabei tatsächlich um einen Zha, einen leibhaftigen Ekegg, wenn auch um einen, der infolge des Eingesperrtseins in einen kleinen See - klein für ein Wesen, das schon einen ganzen Ozean brauch, um so halbwegs glücklich zu werden - träge, faul und langsam beim Denken geworden ist und daher viele jener Eigenschaften verloren hat, die einen Ekegg so gefürchtet machen. Die Bilder vom Volos-Fest sind schon lange nicht mehr notwendig, um die Bürger vor seinen Zorn zu schützen, denn Quorwynn hat längst gelernt, Nermak und seine Bewohner in Ruhe zu lassen, genießt er doch die fast göttliche Verehrung von Seiten der Nermakäer. Anders sieht es mit den Bildern der Muschelsammer aus, denn die Tatsache, dass sie mit Menschenblut gemalt worden sind - in der Regel mit dem Blut des Künstlers - schafft eine magische Verbindung zwischen Maler und Ekegg, eine Verbindung, die sich ein Ekegg, selbst ein so schwacher wie Quorwynn durchaus von Nutzen machen könnte, um die Maler unter seine magische Kontrolle zu bringen. Den heutigen Mitgliedern der Muschelsammler ist diese Gefahr anders als den Gründungsmitgliedern, unter denen wohl auch einige Magier waren, überhaupt nicht mehr bewusst. Zum Glück hat Quorwynn bis jetzt kaum Gebrauch von diesem Band gemacht, in den letzten dreihundert Jahren überhaupt nicht mehr, was wohl an seinem mangelnden Ehrgeiz liegt.

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    Die Veshaten
    © Sturmfaenger


    Hierbei handelt es sich zweifelsohne um einen der geheimnisumwittertsten Geheimbünde, die unser Kontinent in seiner wechselhaften Geschichte gesehen hat. Sie bewahren das gefährliche Erbe unserer Geschichte, denn einer muß es tun. Sie bewahren es im Geheimen, und sie bewahren es gut. Viel Unheil ist durch sie verhindert worden, und doch sorgen Abtrünnige alle paar Jahrhunderte dafür, daß das Mißtrauen ihnen gegenüber niemals erlischt. Ist es da ein Wunder, daß sie den Mantel der Verborgenheit noch enger um sich ziehen?


    DER AUSLÖSER
    Nachdem uns Menschen durch den Gott Illanu die Gabe der Magie zuteil geworden war, lernten unsere Ahnen mit ihr umzugehen. Sie benutzten sie zum Guten, und sie benutzten sie zum Schlechten. Die Zeit der Magiekriege war eine der dunkelsten Epochen der Menschheitsgeschichte, wie sie uns überliefert ist. Die Aufzeichnungen berichten von Schwelfeuer und gelenkten Blitzen, von Saugfallen, Schmerzbringern und Magierkriegern, die ihre Feinde geistig vergewaltigten, ihnen ihre Geheimnisse entrissen und sie zu Dingen zwangen, die unaussprechlich sind.
    Damals gelang es unseren Vorfahren unter großen Mühen, dieses Grauen zu beenden. Die überlebenden Königreiche einigten sich auf den Verzicht von Kampfmagie - niemals wieder sollte die göttliche Gabe auf diese Weise mißbraucht werden.
    Es war verboten, das Wissen auch nur zu lehren, von seiner Anwendung ganz zu schweigen. Jeder der es doch tat wurde bestraft und verfolgt, und nach ein paar Jahrzehnten glaubte man das Übel ausgemerzt zu haben.
    Die Ächtung aller Kampfmagie machte die Altlasten des Krieges jedoch nicht zunichte.
    Die rastlosen Seelen wahnsinnig gewordener Magiekrieger bildeten eine Bedrohung die erst lange nach dem Ende der Kriege als solche erkannt wurde, als die ersten Besessenen Unheil anrichteten. Diese sogenannten Wandergeister zogen von Mensch zu Mensch, nährten sich von den Energien ihrer Opfer und verfolgten ihre eigenen Ziele.
    Sie waren jedoch nicht die einzige Gefahr, welche die Menschen bedrohte, die versuchten, die Schrecken der Vergangenheit zu vergessen. Viele Gebiete konnten nur mühsam neu besiedelt werden, spielten sich hier doch seltsame Dinge ab, die auf die magieverzerrenden Wirkungen von immer noch aktiven Fallen, Schilden und anderen Hinterlassenschaften des Krieges zurückzuführen waren.
    Hinzu kamen versprengte Kampfmagier, die ihre Macht nicht aufgeben wollten, und ihre Künste im Verborgenen weiter ausübten. Unsere Vorfahren, damit beschäftigt, die Vergangenheit zu verdrängen, wurde zunehmend wehrloser gegen diese Bedrohungen.


    DIE VORGÄNGER
    Verschiedene Gruppen, von denen uns heute nur noch einzelne Namen wie "Naerius' Speer" und "Brithils Atemhauch" bekannt sind, bildeten sich in den Jahren der Verleugnung, die auf die Magiekriege folgten. Sie rekrutierten sich aus alt gewordenen Magierkriegern, die dem Übel der Kampfmagie zunächst abgeschworen hatten, und nun begreifen mußten, daß Feuer manchmal mit Feuer bekämpft werden muß, um einen Flächenbrand zu stoppen. Sie begannen ihr Werk, und sie hatten Erfolg.
    Sie besiegten ein paar Wandergeister in den magischen Sphären, zerstörten Fallen und legten einigen Möchtegerntyrannen das Handwerk.
    Bald schon eilte die Kunde von den hilfreichen Kampfmagiern durch das Land, und alarmierte Tempel und Obrigkeit. Die einen fürchteten den Tabubruch und den Zorn der Götter, die anderen sahen sich durch die steigende Popularität der Magiergruppen in ihrer Machtposition bedroht. Dieser vorgelebte verantwortungsvolle Umgang mit Kampfmagie beschleunigte zudem die Aufarbeitung der Kriege, und warf schlechtes Licht auf die Taten der damals Beteiligten, die teilweise immer noch an der Macht waren. Man verbot die Magiergruppen und ließ sie ebenso gnadenlos verfolgen wie jene, die sie ausmerzen wollten. So hatten die Vorgänger der Veshaten von jeher zwei gute Gründe, geheim zu operieren: um die von Wandergeistern Besessenen in Sicherheit zu wiegen und um am Leben zu bleiben.


    DIE GRÜNDUNG
    Von unseren heutigen Schriftgelehrten wird zumeist der Einiger des Reiches, Jalakar der Erste, als Gründer der Veshaten genannt, und tatsächlich ist er es auch gewesen, der die versprengten Einzelgruppierungen der Vorgängerorganisationen der Veshaten zu einer Gemeinschaft zusammenführte.
    Anfangs war er ein Gegner von ihnen, wie sein Vater und Großvater zuvor.
    Erst als er, bereits zum König gekrönt, selbst von einem Wandergeist besessen ward und von dem berüchtigten Xyastan von Rhenien aus dieser geistigen Knechtschaft befreit wurde, änderte sich seine Meinung dazu.
    Unter Jalakars Regie wurden die verschiedenen Gruppen zu den Veshaten vereint und ihre Position mit einem stabilen gesetzlichen und finanziellen Unterbau ausgestattet.
    In Zusammenarbeit mit den Tempeln wurde ein strenges Paket an Reglements verabschiedet, auf welches jeder neue Rekrut eingeschworen wurde. Der strenge Verhaltenskodex band und verpflichtete sie dazu, das Wissen um die Kampfmagie nicht zu mißbrauchen und mit keinem zu teilen, der nicht Teil der Organisation war.
    Dabei wurde besonders darauf geachtet, sämtliche politischen Ambitionen aus ihren Reihen zu verbannen. Ihr einziges Augenmerk sollte die Vernichtung von Kampfmagie sein.
    Die Veshaten arbeiteten im Hintergrund wo immer es möglich war, doch ihre Erfolgsquote bei der Säuberung des Landes war einer der Faktoren, die es Jalakar ermöglichten, in den folgenden Jahren sein Jelenachreich zu gründen, die Keimzelle unseres heutigen Morkandor.


    GESCHICHTE BIS IN DIE GEGENWART
    Während der ganzen Zeit, in der das Reich der Jelenach existierte, widmeten sich die Veshaten ihrer Aufgabe. Dazu zählte auch, abtrünnigen Veshaten das Handwerk zu legen. Bei diesen Gelegenheiten drangen auch die meisten Fakten über den Bund in das öffentliche Bewußtsein, darum wissen wir so viel von ihnen.
    Doch irgendwann waren die meisten auffindbaren Fallen beseitigt, und nur die schlausten Kampfmagier und Wandergeister noch übrig, die sich versteckten und schwer fangen ließen. Nicht nur das, einige der Gegner der Veshaten versuchten nun ihrerseits aktiv, sie zu vernichten.
    Dies machte die Aufgabe umso schwieriger, und die Veshaten wurde reformiert, um mit den geänderten Bedingungen besser fertigzuwerden. Sie wurden offiziell aufgelöst, und es wurden keine Mühen gescheut, um sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Nicht einmal der neue Herrscher erfuhr vor seiner Krönung von ihnen, die Finanzierung erfolgte durch viele geheime Kanäle.
    Die Invasion durch die Hornanden änderte daran nichts. Einige verzweifelte Veshaten setzten die verbotene Kunst gegen die neuen Feinde ein, und wurden von ihren eidestreuen Mitbrüdern gestellt. Die Meinungen über diese Vorfälle sorgten für rege Diskussionen unter den Magiebegabten, dies geriet jedoch bald in den Hintergrund, als die Hornanden begannen, jeden zu verfolgen, der Magie wirken konnte.
    Die Verfolgung zwang uns Magiebegabte, enger zusammenzuarbeiten, und so finden die Veshaten ihre Rekruten heute meistens in den Lagern der Uranach. Sie sind aber weiterhin eine eigenständige Gruppe, die sich selbst finanziert und nur in einigen Teilbereichen eng mit den magischen Widerstandskämpfern zusammenarbeitet, beispielsweise bei der Unterbringung von Flüchtlingen oder dem Sammeln gewisser Informationen.


    DIE ORGANISATION ZUM HEUTIGEN ZEITPUNKT
    Über die Spitze der Veshaten ist uns nicht viel bekannt. Vermutlich handelt es sich um eine Gruppe von hochrangigen Mitgliedern. Die innere Struktur der Veshaten scheint eher dezentralisiert zu sein, große überregionale Versammlungen sind selten. Wir wissen nicht, wie ihr Informationsnetz funktioniert, und die Standorte ihrer Ausbildungslager und Bibliotheken sind gut gehütete Geheimnisse.
    Veshaten tarnen sich als Kaufleute, Gastwirte, umherziehende Söldner, Freudenmädchen... - all jene Berufe, in denen man viel reist oder viele Menschen trifft. Sie achten auf all die kleinen Seltsamkeiten, die einen Besessenen verraten oder auf eine immer noch aktive Magiefalle hindeuten. Veshaten operieren die meiste Zeit alleine, auch wenn sich oft mehrere am selben Ort aufhalten, um im Falle eines Kampfes eine magische Linse bilden zu können. Untereinander halten sie nur locker Kontakt, sie treffen sich nur, wenn einer meint, konkrete Hinweise entdeckt zu haben, denen man nachgehen muss.
    Die Kontaktaufnahme erfolgt unauffällig, und scheinbar wird die Art, wie dies geschieht, in unregelmäßigen Abständen verändert. Wir wissen, daß die Veshaten in den letzten Jahren mit Düften gearbeitet haben. Sie erwerben von den Tshaerd ein seltenes Öl, das einen leichten, aber unverkennbaren Geruch hat, der noch lange in der Luft hängt und selbst aus anderen Gerüchen gut herauszuschnuppern ist. Jedes Mitglied der Veshaten sucht regelmäßig einen Tempel oder Schrein der Allheit auf, um den Segen aller Götter zu erlangen. Wer ein Treffen wünscht, träufelt ein paar Tropfen Öl in die Opferschale. Beim nächsten Tempelbesuch benutzt derjenige das Öl dann als dezentes Parfum, damit die anderen herausfinden können wer ein Treffen wünscht. Bei dieser Person trifft man sich dann am Abend. Je nach Dringlichkeit mischt man andere Duftnoten zu.
    Auch vielversprechende Magiebegabte werden auf diese Weise rekrutiert. Tatsächlich stellt es so etwas wie eine Prüfung dar, zum ersten Treffen zu finden. Ein Veshate - meist ein eigens angereister Ortsfremder, um die örtlichen Agenten nicht zu enttarnen - tritt an den Kandidaten heran, erzählt ihm ein paar neugierig machende Informationen und läßt ihn am Öl riechen. In den nächsten paar Tagen wird jemand in seiner Umgebung diesen Duft aufgelegt haben, und dieser Person soll er dann zum ersten Treffpunkt folgen. Hat ein Neuling das geschafft, ist er der Novizenschaft ein Stück näher gekommen. Um jedoch Zugang zu einer der geheimen Ausbildungsstätten zu bekommen, muß er noch eine Reihe anderer Tests bewältigen und einer Gedankenprobe zustimmen, damit man sichergehen kann daß der Neuanwärter nicht von einem Wandergeist oder ungesundem Ehrgeiz besessen ist.

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    Das Verknüpfen der Chyinn
    © Sturmfaenger


    Im Reich der Chyinn, auf der zerklüfteten Unterseite des Weltenbrösels Arseyya, gibt es keinen Himmel. Über den Köpfen der Chyinn befindet sich eine kilometerdicke Felsdecke, das Licht fällt seitlich oder von unten ein.
    Dörfer sind meist in die Felswände gehauen, Weiden und Felder gibt es in den Schräglagen, die tagsüber von Sonnenlicht erhellt werden. Hier und dort gibt es auch relativ ebene Landstriche, wo die Wände großer Höhlen weggebrochen sind, die Erosion am Werk war oder dicke Felsschichten sich versetzt übereinander türmen.
    Die menschenähnlichen Chyinn die hier leben verehren seit Jahrtausenden Ynggt, die göttliche Netzknüpferin. Ihrem Glauben nach hält die vielarmige Göttin die Fäden in den Händen, die die Welt zusammenhalten, und hört dabei nie auf, Licht, Zeit und Leben hineinzuweben. Durch Ynggts Güte bricht der Felsenhimmel nicht herunter, und der Boden bröckelt nicht weg. Da sie so viele Pflichten hat, muß Ynggt regelmäßig daran erinnert werden, den Chyinn ihre Gunst nicht zu entziehen.
    Alle achtundachtzig Tage - die Zahl steht symbolisch für Ynggts unzählige zupackenden Hände - versammeln deswegen die Priester im ganzen Reich die Gläubigen, um das Ritual des Verknüpfens durchzuführen.
    Die Netzknüpferin sitzt nach dem Glauben der Chyinn im Herzen Arseyyas und kann sich nicht bewegen.
    Alles was sie spürt sind die Vibrationen, die die Chyinn durch ihre Rituale verursachen, und die über die unsichtbaren Stränge des Netzes zu ihr gelangen.
    Darum sorgen die Priester dafür, daß sich die Gläubigen in einer Senke versammeln, oder mehrere Hügel den Versammlungsplatz umgeben, denn das Netz ruht in den Felsen, und je näher sie dem Netz während des Rituals sind, desto mehr Aufmerksamkeit wird Ynggt ihnen schenken.


    Sobald sie die Vibrationen spürt, schickt Ynggt ihren Geist aus, da sind sich die Priester sicher. Ihr Bewußtsein fliegt mit den Winden, die durch die Landschaft wehen.
    Darum wählt man den Kultplatz so, daß er im Freien liegt. Viele hundert Meter Platz sollen bis zur Felsendecke sein, damit der Wind ungehindert wehen kann. Als Faustregel gilt: Mindestens so viel Raum soll bis zur Decke sein, daß ein Flederkattu ohne Reiter sie nicht erreichen kann. Kann man mit bloßem Auge keine Kattu-Nester sehen, ist die Decke weit genug entfernt.
    Das Ritual selbst beginnt, wenn das erste Licht auf den Ritualplatz fällt. Alle Gläubigen versammeln sich zu einem großen Kreis, in dessen Mitte der Gadoor, der ranghöchste Priester in seiner Zeremonienrobe aus schimmerndem Pej'jahaar seinen Platz einnimmt.
    Auf sein Signal hin beginnen die Gläubigen einen lauten Singsang, der von Klatschen, Stampfen und Schellengeläute begleitet wird. Dies wird die Aufmerksamkeit der Göttin wecken.
    Gleichzeitig wird eine Reihe von Lichtern um den Ritualplatz herum entzündet, damit der herannahende Geist Ynggts sein Ziel problemlos findet. Liegt der Versammlungsplatz in einer Senke, so bildet man einen Kreis aus achtundachtzig in den Boden gesteckten Fackeln, wenn er zwischen Hügeln liegt zündet man auf ihren Kuppen Signalfeuer an.
    Der Priester mit der lautesten Stimme singt derweil die achtundachtzig Beinamen Ynggts im Wechsel mit den Gläubigen, anschließend werden dumpfe Trommeln geschlagen.
    Erst dann kann man sicher sein, daß Ynggt zuhört.
    Es ist Zeit, ihr zu erzählen, was in den letzten achtundachtzig Tagen so alles passiert ist. Der Gadoor verkündet die Namen derjenigen, die gestorben sind. Ihre Seelen, die immer noch in der Nähe weilen, sollen von Ynggts Geisteswind fortgetragen werden, damit die Göttin ihre Seelenfäden wieder ins Netz einweben kann.
    Mütter, die Kinder zur Welt gebracht haben, kommen als nächste an die Reihe. Sie treten vor und der Gadoor bindet jedem Säugling kleine Schellenglöckchen um, damit Ynggt sie hören kann und daran denkt, ihre Seelenfäden in kräftigen Mustern mit denen der Dorfgemeinschaft zu verweben.


    Nun treten die Paare vor, die sich gefunden haben oder trennen möchten.
    Nachdem dies auch geklärt ist, folgt der wirrste und lauteste Teil der Zeremonie. Jeder darf Ynggt nun seine Wünsche mitteilen, seinen Dank aussprechen oder die Unzufriedenheit über das Muster äußern, in das sein Leben gerade eingewebt wird. Um Zeit zu sparen geschieht das alles auf einmal, in der Menschenmenge schreit einer lauter als der andere, damit die eigene Stimme von Ynggt auch wirklich gehört wird.
    In einem abschließenden Sprechgesang danken alle der Göttin noch einmal daß sie auch weiterhin Teil des Netzes sein dürfen, und bitten sie um Vergebung für die ganze Arbeit, die sie ihr aufhalsen. Das Ritual endet mit dem Versprechen, an jedem der folgenden achtundachtzig Tage Opfer für Ynggt darzubringen, um sie für ihre Mühen zu entschädigen.
    Wie es die Tradition gebietet, leert sich der Platz nun schnell, nur die Priester bleiben zurück um das erste der versprochenen Opfer darzubringen. Anschließend beeilen sie sich, zurück ins Dorf zu kommen, denn die frischvermählten Paare richten im Anschluß an die Zeremonie ein großes Festessen aus.

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    Das Erntebittfest der Norr
    © Taipan


    Anhänger des Menaismus, die es vielleicht irgendwann einmal für längere Zeit nach Norr oder Vinorr verschlägt, werden früher oder später bemerken, dass die Norr, obwohl sie sehr gläubige Menaisten sind, doch sehr sonderbare religiöse Feste und Zeremonien feiern, die einzigartig in Alaton sind und eigentlich keinen richtigen Sinn zu ergeben scheinen, bei genauerer Nachfrage nicht einmal für die Norr selbst. Sie feiern diese Feste, weil sie immer so gefeiert worden sind, und nur wenige haben jemals versucht dies zu hinterfragen. Zu diesen vielen Festen gehört auch das Erntebittfest, das jedes Jahr ungefähr einen Mond nach dem Erntedankfest gefeiert wird, und zwar am ersten Neumondtag des Hamorot. Neben dem etwas seltsamen Tag der Feier unmittelbar nach der Ernte, zeichnet sich das Fest auch den Ort der Zeremonie und durch den Gott aus, der dabei verehrt wird.


    Das Erntebittfest:
    Das Erntebittfest ist anders, als man es vermuten könnte, kein Fest zu Ehren der Göttin Logathla, die sonst angerufen wird, wenn man um reiche Ernte bitte oder sich dafür bedankt, sondern ein Bittfest an den Regen- und Flussgott Weldrogo. Schon lange davor sammeln die Norr in großen Krügen Regenwasser und tragen diese in eine Senke oder, falls es keine Senken in der Umgebung gibt, zwischen mehrere Hügel, die im Notfall sogar künstlich aufgeschüttet werden. Aber auch andere Flüssigkeiten wie Milch, Bier, Schnaps, Met oder bei reichen Familien auch importierter Wein zur Senke gebracht, vor allem wenn sie eine Familie besonderen Beistand wünscht oder zeigen will, was sie sich leisten kann. Die Feierlichkeiten beginnen mit der eigentlichen Zeremonie zu Mittag, wenn die Sonne am höchsten steht. Dabei geht der Priester - es können auch mehr Priester sein - unter den Augen der warteten Menge, die in monotonen Gebeten Weldrogo um seine Gnade für die nächste Ernte bittet, von einem Gefäß zum nächsten, um diese mit würdigem Ernst zu leeren. Bei größeren Siedlungen und sammel- und spendenfreudigen Gläubigen kann das durchaus bis zum Sonnenuntergang dauern, doch ist der letzt Tropfen in der Senke vergossen, kommt Leben in die bis jetzt nur ehrfürchtig um Gnade bittende Menge. Nun werden neue Fässer herbeigeschafft oder sind schon herbeigeschafft worden, diesmal nur mit Alkoholischem gefüllt und die Norr beginnen ausgelassen bis zum nächsten Morgen zu feiern, um Weldrogo noch zusätzlich auf sich aufmerksam zu machen. Für die Priester ist es aber dann meist an der Zeit, sich nun zurückzuziehen. Weil Weldrogo ein Regengott und sein Symbol der Regenbogen ist, wird es immer als gutes Zeichen gesehen, wenn es während der Zeremonie regnet oder, was noch ein viel besseres Zeichen und für die Anwesenden deutlich angenehmer ist, wenn ein Regenbogen zu sehen ist. Die Norr sind sich dann sicher, dass das kommende Jahr gut wird.


    Gründe und Ursachen:
    All die Besonderheiten des Erntebittfestes kann man viel leichter verstehen, wenn man sich die Mühe macht zu untersuchen, woher die Norr ursprünglich kamen, denn das Fest an sich ist deutlich älter als 2.000 Jahre und entstand daher nicht in Alaton, sondern in Meseleth, bevor die Norr (wie fast alle anderen Xolarer auch) von dort vertrieben wurden. Denn bevor die Norr nach Alaton fliehen mussten, lebten sie in dem Gebiet zwischen der Meledis im Norden, dem Spinellgebirge im Osten und dem Turebensee im Osten. Obwohl des Gebiet wegen des Gebirges im Vergleich zum Rest der Gespenstersteppe nicht so stark unter der jährlichen Trockenzeit zu leiden hatte, war doch der Regen überlebenswichtig, um eine Ernte zu garantieren und Ernteausfälle aufgrund von zu spätem oder zu wenigem Regen, kamen regelmäßig vor. Für die Norr war es leicht zu erkennen, wann es kritisch wurde, denn dann trockneten abgesehen vom riesigen Turebensee all die vielen kleinen Seen aus, die hier so zahlreich zu finden sind. Und schließlich war man wohl dazu übergegangen, die Zeremonien in solchen ausgetrockneten Seen stattfinden zu lassen, um Weldrogo noch deutlicher zu zeigen, dass Regen dringend notwenig war.
    Als die ersten Norr den Norden von Alaton erreichten, klammerten sie sich an ihre alten Feste, um nicht ganz den Bezug zu ihrer alten Heimat zu verlieren. Im Fall des Erntebittfestes stellten sich aber gleich mehrere Schwierigkeiten. So lag die Erntezeit in Meseleth im Spätwinter und Frühling, während sie in Norr im Sommer und Herbst liegt, also unmittelbar vor dem Erntebittfest. Außerdem waren ausgetrocknet Seen so gut wie nicht zu finden, schon gar nicht im regenreichen Hamorot. Hier hat man sich schließlich mit Senken und Hügeln geholfen, die gar nicht so selten extra aufgeschüttet wurden. Abgesehen von Weldrogos Priestern - und da nicht einmal von allen - und ganz wenigen Historikern, weiß heute kein Norr mehr davon, was aber niemanden davon abhält, an der Hauptzeremonie teilzunehmen und das Fest ausgelassen zu feiern.

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