Hehe, Ökosystemtheorie, eines meiner Lieblingsgebiete...
Deine Frage beinhaltet mehrere Aspekte (Anzahl von Ebenen in Nahrungsnetzen, Diversität vs. Stabilität etc), aber ich versuche mal, es nicht allzu lang werden zu lassen (Zusammenfassung am Ende)
Grundsätzlich: Ja, es gibt Nahrungsnetze, die mit sehr wenig Stufen auskommen. Kurze Nahrungsketten kommen immer dann vor, wenn effiziente Filtrierer das Netz dominieren. Ein Beispiel wäre Phytoplankton - Krill - Bartenwal in der Antarktis. Lange Ketten gibt es, wenn es viel Räuber-Beute Stufen gibt, bei denen sich die Beteiligten in ihrer Größe nur gering unterscheiden und/oder kleinere Räuber größere Beute im Rudel jagen. Wenn dann noch ein großer Aktionsradius der Räuber und viele Querverbindungen im Nahrungsnetz dazukommen, dann kann man leicht auf 10 Stufen kommen. Außerdem geht nicht alle Energie linear durch vom Phytoplankton zum Hai, es gibt auch Abkürzungen, z.B. über die sogenannte „Mikrobielle Schleife“ in der Bakterien gelöste, z.B. von Algen ausgeschiedene Nährstoffe oder Abbauprodukte von toten Organismen verwerten und selbst direkt als Futter dem Zooplankton zur Verfügung stehen.
Diversität: die Diversität hat nicht nur mit der Anzahl der Arten in einem System zu tun, sondern auch, mit wievielen Individuen eine Art vertreten ist. Wenn man 10 Arten hat, die alle mit 10 Individuen vorkommen ist die Diversität höher als wenn eine Art 91 Individuen stellt und der Rest jeweils 1. Die treibende Kraft ist normalerweise Konkurrenz. Um Nährstoffe/Nahrung, Licht, Platz etc. Allerdings kann niemand in all diesen Aspekten ein gleich guter Konkurrent sein, denn jede Anpassung, z.B. an Lichtmangel, kostet Energie, die dann nicht mehr für andere Sachen, z.B. Fortpflanzung zur Verfügung steht. Und da das Energiebudget eines Organismus nunmal begrenzt ist, gibt es zwar durchaus Generalisten, aber keine, die Spezialisten auf ihrem Gebiet schlagen könnten. Im Endeffekt würde es also darauf hinauslaufen, dass es nur so viele Arten gibt, wie es umkämpfte Ressourcen gibt. Ziemlich offensichtlich ist das nicht so. Besonders hübsch sieht man das im Phytoplankton, wo es eigentlich nur eine Handvoll limitierende Faktoren gibt: Stickstoff, Phosphat, Silikat, Eisen, Licht, ev. noch einige Spurenelemente. Theoretisch dürften also nicht mehr als fünf Arten gleichzeitig vorkommen, tatsächlich sind es aber hunderte (das sogenannte „Paradoxon des Planktons“, Hutchinson 1961). Die Lösung für dieses Paradoxon liegt darin, dass sich die Umweltbedingungen schneller ändern, als eine Art braucht, die anderen im Kampf um eine bestimmte Ressource zu besiegen. Das können z.B. Sturmereignisse sein, die das Wasser durchmischen und neue Nährstoffe vom Boden aufwirbeln, Temperaturänderungen, lang anhaltende Perioden mit hoher Bewölkung, Strömungsänderungen etc... Zu viele Störungen wirken sich allerdings ebenfalls nachteilig auf die Diversität aus, da nur noch die härtesten Kerle übrigbleiben würden. Tatsächlich erlaubt eine mittlere Störungsintensität die höchste Diversität (IDH, „Intermediate Disturbance Hypothesis“ Connell 1978 ). Ohne Störung des Systems würden sich die konkurrenzstarken Arten durchsetzen, bei zu vielen oder zu schweren Störungen sterben zu viele Arten aus. Ein weiterer Aspekt, der mit dem schon erwähnten Energiebudget zusammenhängt ist, dass viele der konkurrenzstarken Arten sehr empfindlich auf Störungen reagieren, während in der Konkurrenz schwächere Arten oft stresstoleranter sind. Zusätzlich gibt es auch ausgesprochene Spezialisten, die nur alle paar Jahre unter ganz bestimmten Bedingungen mal auftauchen, dann aber gerne massenhaft.
Zurück zu den Nahrungsnetzen: Grundsätzlich sind Nahrungsnetze nicht starr sondern sehr dynamische Angelegenheiten. Viele Arten durchwandern im Laufe ihres Lebens mehrere Stufen. Auch ein Thunfisch fängt mal als kleine Larve an. Es ist deshalb nicht unüblich, Nahrungsketten über Körpergröße zu definieren, das erleichtert z.B. das Verfolgen von Energieflüssen ungemein. Außerdem unterliegt die Zusammensetzung von Nahrungsnetzen einer starken Saisonalität. Flexibilität zeigt sich jedoch auch in der Zahl der Verknüpfungen: ein Krebs frisst mehrere Algenarten, ein Fisch mehrere Krebse etc. Fällt also eine Futterart aus, dann kann ein Organismus auf eine andere umschwenken (wie gut und wie lange ist eine Frage der Nahrungsqualität aber das ist ein ebenso großes anderes Thema
).
Lange Zeit hat man angenommen, dass Nahrungsnetze umso stabiler sind, je größer sie sind. In der Natur kommen ja schließlich auch am häufigsten diese irre komplizierten Nahrungsnetze vor. Ein populäres Beispiel war die Anfälligkeit von Monokulturen gegenüber natürlichen Gemeinschaften. Man nahm an, das die Stabilität von Systemen in dem Maße zunimmt, wie die Anzahl der Arten und die der Verbindungen zwischen Arten zunimmt. Bis 1972 ein gewisser Herr May mathematisch bewies, dass das so nicht stimmt. Komplexe Systeme sind weitaus anfälliger sind, instabil zu werden als solche, die weniger divers sind. Dieses Phänomen nimmt zu mit steigender Artenzahl, steigender Zahl der Verknüpfungen und je stabiler solche Verknüpfungen sind. Der folgende Ausbruch an neuen Theorien und Modellen hält übrigens bis heute an und ist eines der wichtigsten Forschungsgebiete in der aquatischen Ökologie. Ergebnisse und gängige Theorien sind: Es muss in einem System viele, aber relativ schwache Verknüpfungen geben. Kein Räuber darf also nur auf einen einzigen Beuteorganismus angewiesen sein, sondern kann/soll mehrere fressen, je nach Angebot und Nahrungsqualität. Wenn dann ein Organismus ausfällt – kein Problem. Speziell Allesfresser gelten als starke Stabilisierer von Netzen. Starke Verknüpfungen können existieren, allerdings nur in Sub-Netzen, die wiederum nur schwach mit dem Rest des Systems verknüpft sind.
Zusammengefasst:
Nahrungsnetze sind eine höchst dynamische Angelegenheit
Kurze Nahrungsketten sind möglich, aber auch sie brauchen ein Minimum an Diversität, um genügend schwache Verbindungen zwischen den einzelnen Gliedern zu haben und damit stabil zu sein. Soll heißen, keine Art darf in ihrer Nahrungswahl zu spezialisiert sein.
Die Diversität hängt ab von der Anzahl der limitierenden Ressourcen und der Variabilität der Umweltparameter, die die Konkurrenz immer wieder neu starten ohne Arten ganz auszurotten