Achtens: Über die Kuppe des nächstens Hügels näherte sich uns ein
Geschöpf, dass weder die Erwartung erfüllte, einem
menschenähnlichen Volk zu begegnen, noch die Befürchtung
bestätigte, das wir Monstren entgegenzutreten hätten. Auf den
ersten Blick ähnelte die Kreatur einer segmentierten,
übermannsgroßen Ameise von vier Ellen Länge, deren
Körperoberfläche den Eindruck erweckte, aus leicht rötlichem,
feingemaserten und örtlich verschrammten Holz zu bestehen. Im
Gegensatz zu uns aus der Heimat bekannten Insekten, lief sie
aufgerichtet und wurde hierbei im schnellen und durchaus eleganten
Schritte von vier mehrfach untergliederten Beinen getragen, welche
aus Ihrem Unterleib entsprangen. Zwei weitere Beine – oder besser
wohl Arme – sprossen aus jenen Stellen des Oberkörpers, die man
wohl als ihre Schultern bezeichnen muss. Der Kopf, getragen von einem
überaus dünnen Hals, war flachgedrückt und herzförmig und
verfügte neben zwei beeindruckenden facettierten Augen über ein
paar gegliederte Antennen und einen Mund mit Kieferklauen. Sedra Jela
beschrieb mir später, dass der Rücken der Kreatur wohl über
verwachsene Flügelrudimente verfügt, mit denen sie sich einer Lunge
nicht unähnlich Luft zufächert – ein Umstand, der mir überhaupt
nicht aufgefallen war, weshalb Sedra auch die gelehrte Dame ist und
ich nur ein müder, alter Soldat –. Der Eindruck, einem Tier
gegenüberzustehen wurde jedoch durch die Tatsache konterkariert,
dass die Kreatur als eindeutiges Zeichen der Zivilisation einen Speer
mit hölzernem Schaft und langer, metallischer Spitze in ihrer groben
Vorderklaue trug. Als die Ch!cht ein dutzend Schritt von uns
verharrte und den Speer hob, griffen auch wir zu den Waffen. Statt
uns anzugreifen, stieß sie jedoch ihre Waffe neben der Straße in
den Grund und verhielt sich weiterhin abwartend. Nach kurzer Beratung
taten wir es ihr gleich, wobei unsere Begleitung im höchsten Maße
wachsam blieb – I.S. Landungstruppen verdienen nur den höchsten
Respekt für ihre beständige und bedingungslose Pflichterfüllung –.
Dermaßen entwaffnet traten wir nun einige weitere Schritte
aufeinander zu, wobei uns Treibende-Möwe darauf hinwies, dass Ch!cht
besser mit Frauen interagieren, als sie es mit Vertretern des
männlichen Geschlechts tun. Wie diese Kreaturen ob der radikal
unterschiedlichen Anatomie unserer Arten diesen Unterschied überhaupt
erkennen wollen, wussten weder die Nokunerin noch unsere gelehrte
Dame zu beantworten. Dennoch erklärte sich diese bereit, mit der
Kreatur zu sprechen. Als die Ch!cht direkt vor uns stand, fiel mir
ihr intensiv-nussiger und leicht schimmliger – aber nicht auf
unangenehme Art, vielmehr wie ein guter Käse – Geruch auf, der
mich zu dem Gedanken veranlasste, welche Assoziationen unsere
Duftmarke wohl in ihrem Verstand wecken möge. Sedra Jela sprach die
Kreatur nun an, zunächst auf Merathōia und dann – unter Hilfe
unserer Begleitung – auf Nokunisch. Sie erläuterte, dass wir
Seefahrer seien, genau wie die Nokuner, von weit her aus dem Norden
kämen, auf der Suche seien nach Freundschaft und nach
Handelsbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen. Seitens der Kreatur
wurde diese Aussagen mit tiefen Schnurr- und Klicklauten bestätigt,
die Treibende-Möwe als Laute der Überraschung, des Unglaubens, aber
auch der vorsichtigen Zustimmung und umsichtigen Freude deutete. Im
Laufe des – man möge mir diese Bezeichnung verzeihen – Gesprächs
zeigte sich die Ch!cht zunehmend von der Kopfbedeckung unserer
gelehrten Dame fasziniert, fuhr gar mit den Antennen mehrmals über
die Krempe des strohenden Matrosenhutes, den Sedra – gänzlich
uneitel und ihres Standes unangemessen – zum Schutz vor der Sonne
des Südmeeres an Deck und an Land zu tragen pflegte. Diese nahm nun,
kurzentschlossen, den Hut vom Haupt und hielt ihn der insektoiden
Kreatur vor das Gesicht. Diese schien beinahe verblüfft und nahm –
so eine solche Interpretation auch nur im Ansatz angemessen
erscheinen kann – das Geschenk beinahe ehrfürchtig entgegen,
untersuchte es sorgsam mit Augen, Antennen und Mundwerkzeugen, bevor
sie sich das Kleidungsstück auf den dreieckigen Kopf setzte, einen
kurzen – man möge sagen – Tanz auf allen sechs Beinen
vollführte, sich herumwarf und mit einem Pferd im vollen Galopp
gleichender Geschwindigkeit über die Hügelkuppe von uns entfernte,
wobei sie den Speer zurück lies. Eine Illustration dieser Begegnung,
gefertigt von der gelehrten Dame selbst, habe ich diesem Bericht
beigefügt.
(Illustration von Incen Kong, vielen, viel Dank! 🥰)
Neuntens: Auf dringendes Anraten von Treibende-Möwe verzichteten wir
darauf, unserer neuen Bekanntschaft durch den Wald zu folgen.
Vielmehr kehrten wir zur Kogge zurück und gaben den Befehl, Proben
unserer Handelswaren um Teile der Bordverpflegung zu ergänzen,
anzulanden und am Ende des Stegs aufzuschichten. Diese beinhalteten:
- Drei gute
Spitzhaken.
- Drei gute
Schaufeln.
- Drei Hämmer, ½
Pfund.
- Drei gute Äxte.
- Eine große
Zweimann-Fällsäge.
- Zehn beste Messer
mit Scheide.
- Einen bronzener
Spiegel, rund, 1 Elle im Durchmesser, mit verziertem Rahmen.
- Einen Korb großer
bunter Glasperlen.
- Ein Bündel
getrockneten Kleirohrs.
- Eine Amphore
besten komschen Honigs.
- Ein Fass
gepökelten Herings.
Während der Nacht
beobachteten wir von Bord aus, in Dampf und Mondschein, schemenhafte
insektoide Gestalten, die sich an den aufgeschichteten Reichtümern
zu schaffen machten. Am nächsten Morgen zeigte sich, dass unsere
Waren durch andere ausgetauscht wurden, welche wir dankbar an uns
nahmen:
- Ein großer
Brocken Bernstein, kugelrund, auf Hochglanz poliert, von der Größe
einer Männerfaust, mit eingeschlossenen Insekten.
- Vier geflochtene
Körbe, gefüllt mit Brocken von Erz, wahrscheinlich kupfer- und
goldhaltig.
- Vier aus Bronze
gefertigte, perfekt symmetrische, fein ausgeformte Greifzangen oder
Pinzetten, welche ob ihrer Qualität und ihres Nutzwertes den
Bordarzt beinahe in Ekstase versetzten.
- Eine akkurat
gefertigte, handtellergroße, kreisrunde Scheibe aus Rotgold, mit
einem exakt mittig gestanzten, kreisrunden Loch, unbekannten
Verwendungszweckes.
- Eine spanngroße,
kunstvoll gefertigte Statuette aus Basaltgestein, zeigend einen auf die
Hinterbeine aufgerichteten Ch!cht mit gespreiztem Mundwerkzeugen.
- Eine tönerne
Amphore, der unseren nicht unähnlich, mit schmackhaftem Honig,
ebenfalls dem unseren nicht unähnlich.
- Ein Wurf- und
Stoßspeer, mannslang, mit hölzernem Schaft und einer langen,
nadelfein gefertigten Spitze aus Hartbronze, die beinahe die Härte
und Schärfe unseres Stahls erreicht.
- Ein Schild, rund, 1 Elle im Durchmesser, federleicht und hart wie Holz, wohl gefertigt
aus dem Körperpanzer eines verstorbenen oder sich häutenden Ch!cht,
mit für Menschenhände geformten Griff – wohl ursprünglich als
Handelsware für die Nokuner intendiert.
Zehntens: Mit den
Tauschwaren unserer neuen Freunde – wenn wir auch nur einen
einzigen von ihnen aus der Nähe betrachten durften – angetan,
kehrten wir nach Nokun zurück. Die Kaufleute des Handelshauses
Jeltenwyg überwintern zur Aufrechterhaltung des Betriebs unseres
Kontors und zur Wahrung unserer Interessen unter dem Schutze I.S.
Fregatte Holda und der bewaffneten Kogge Zwölf Süd im Archipel.
Gleichermaßen blieb zurück die gelehrte Dame Sedra Jela aus Kom,
der ich – in der Hoffnung, dass ihre Reichstreue, ihr
wissenschaftlicher Ehrgeiz und ihr besonnener Umgang mit Nokunern und
Ch!cht das rücksichtslose Gewinnstreben der Kaufleute im Zaum halte
– das Amt einer Generalbevollmächtigten I.S. Kolonialverwaltung
übertrug. Die Aufgabe dieser kleinen Gesandtschaft des Reiches soll
die Verkündung der Herrschaft I.S. und die Vertiefung der
Handelsbeziehungen mit beiden genannten Völkerschaften sein. Der
Rest der Expeditionsflotte kehrte unter meinen Kommando mit den
einsetzenden Spätsommerwinden in die Heimat zurück, wo ich am
gestrigen Tage eintraf und Euch heute gehorsamst Bericht erstatten
darf.
Gegeben in der
Freien Stadt Brinles, am Zwölften Tag der Ernte, 2317 d. A..
Ein blühendes
Reich und Tod allen Republikanern!
untertänigst,
gez.
Paithon Verp dji
Ivulsi, Flottillenadmiral