Speedbasteln #115: Expeditionen
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An die Privatkanzlei Ihrer Souveränität, z. Hd. der Erhabenen
persönlich.
Auf allerhöchste
Befehl Ihrer Souveränität von der Götter Gnaden Thia, des
merathōischen Reiches Bewahrerin und Feldherrin, Fürstin von
Merathōi und Tuflisia etc. – möge Sie
eintausendsiebenhundertachtundzwanzig Jahre herrschen –, erstatte
ich als ergebener Untertan folgendermaßen Ihrer Souveränität
persönlich gehorsamst Bericht, auf dass sich Kenntnis, Wohlstand und
Ruhm des Reiches, des Hauses und des Volkes mehren:
Erstens: Dieser
Vorab-Bericht unserer außergewöhnlichsten Begegnung ist Teil meines
umfassenden Rapports zum Ablauf und Ergebnis der siebenten
gemeinsamen Gewürz- und Südmeer-Expedition I.S. Kriegsflotte Südost
und der Handelsmarine des Hauses Jeltenwyg zu Brinles. Ich empfehle
respektvoll, dieses Schriftstück nur im Kontext des ausführlichen
Berichts zu interpretieren, welcher derzeit durch meine bescheidene
Person unter Mitwirkung durch die beteiligten Kapitäne und
Kontor-Sprecher angefertigt und ehebaldigst dem Senatssprecher
zugehen wird. Um nicht I.S. wertvolle Zeit zu vergeuden, weise ich
zudem bereits zu Beginn dieses Schreibens darauf hin, dass besagte
Begegnung äußerst kurz und für sich genommen nicht im höheren
Maße erkenntnisreich war.
Zweitens: Im
Hochsommer 2317 d.A., während des Aufbaus unseres gemeinsamen
Kontors auf Nokun und der fortschreitenden Erkundung der umliegenden
Inseln des Archipels, kamen unseren Matrosen und Kaufleuten vermehrt
merkwürdig erscheinende Geschichten der lokalen Bevölkerung zu
Ohren – Eingeborene, die I.S., so der Mond auf unser Anliegen herab
lächelt, bald zu Ihren Untertanen wird zählen können–. Zunächst
als Probleme der Verständigung und mangelnden Einsicht unserer
Seeleute in die örtliche Kultur abgetan, verdichtete sich folgendes
Bild mit zunehmender Sprachkenntnis zunehmend:
Drittens: Die –
nun durch unsere Anwesenheit über der Glorie der Götter und der
gütigen Herrschaft I.S. informierten und uns überaus freundlich
gesinnten – eingeborenen Nokuner ständen in regelmäßigem und
andauernden Handels-Kontakt mit einem nichtmenschlichen, denkenden,
fühlenden Volk, welches Bergbau, Hüttenwesen und Handwerk betreibe.
Dieses Volk bezeichnen sie, nach seinen eigenen Lautäußerungen, als
Ch-Knacklaut-cht. Dieses sei friedlich, wenn auch wehrhaft, und dem
Wesen nach natürlich, keinesfalls dæmōnisch – seine Heiligkeit
Jillion merkte jedoch an, dass das örtliche heidnische Verständnis
von götterungefälligem Gezücht durchaus von dem unsrigen abweichen
könne–. Diese Kreaturen seien ferner groß wie ein kräftiger
Mann, von hölzernem Bau, schwarz, grau, braun oder rot in Farbe und
mit mehr Gliedmaßen ausgestattet, als ein Mensch. Ihr kleines Reich
umfasse drei nahegelegene vulkanische Archipele mit einigen Dutzend
Inseln. Die – so die Namenskonvention unseres Kontors – Ch!cht
seien der Seefahrt mächtig, betrieben diese aber nur, wenn es
unbedingt erforderlich sei.
Viertens: Das Kontor
und der Kapitänsrat beschlossen: Die reine Existenz eines
nichtmenschlichen denkenden Volkes ist ein wunderhaftes Phänomen.
Selbst diejenigen unter uns, die diese Geschichten für einen
ausgedehnten Scherz der Bevölkerung gegenüber uns als Neuankömmlingen
hielten, stimmen darin mit dem Rest der Gruppe überein. Weitere
Erkenntnisse über dieses Volk sind von enormen wissenschaftlichen,
wirtschaftlichem und militärischen Nutzen. Allerdings blieb nicht
viel Zeit, weitere Nachforschungen anzustellen, da die bald zu
erwartenden günstigen Spätsommerwinde einen zeitnahen Aufbruch des
Gros der Expeditionsflotte zurück in heimatliche Gefilde
erforderlich machten, wollten wir nicht vor Ort überwintern. Es ist
folglich sofort eine Erkundungs-Unternehmung auf die nahegelegenste
Insel der Ch!cht durchzuführen, um friedlichen Kontakt mit diesen
aufzunehmen. Auf Anraten der Nokuner wurde auf die massive
Zurschaustellung der maritimen Macht des Reiches verzichtet.
Ausgerüstet wurde lediglich die leicht bewaffnete Kogge Siebzehn
Süd, unter dem Kommando von Kapitänin Alea Jeltenwyg-Jüngere-Linie.
Fünftens: Die Kogge
setzte Segel in Richtung der – mit einem unaussprechlichen
Ch!cht-Namen versehen und daher von den Nokunern nur „die mit rauem
Gestein“ genannte – Insel, am dreiundzwanzigstem Tag des
Hochsommers 2317 d. A., respektive dem dritten Tag des vierten Mondes
des heiligen Kalenders. Unter der navigatorischen Anleitung vierer
nokunischer Seeleute – die, wie ich mir anzumerken erlaube, eine
hervorragende Ergänzung der Mannschaften I.S. Flotte wären –
erreichten wir nach einem Tag und einer Nacht – etwa 30 Seemeilen –
die Bucht einer teilweise von vulkanischem Dunst umgebenen Insel,
deren genaue Form und Größe ich mangels erfolgter Umseglung an
dieser Stelle nicht näher zu beschreiben vermag.
Sechstens: An Bord
zweier Beibote gingen am Vormittag an Land:
- Meine
untertänigste Wenigkeit, als militärischer Expeditionsleiter.
- Kapitänin Alea
Jeltenwyg-Jüngere-Linie, in Vertretung des kaufmännischen
Kontor-Sprechers.
- Die gelehrte Dame
Sedra Jela aus Kom – Geografin, Botanikerin, Philosophin –, als
wissenschaftliche Berichterstatterin.
- Die nokunische
Fischerin Treibende-Möwe-im-frühen-Morgenlicht, als erfahrene
Handelspartnerin der Ch!cht, welche sich zudem über die letzten
Monde eine ausgezeichnete Kenntnis des Hoch-Merathōia erarbeitet
hat und als unsere Übersetzerin diente.
- Zwei
waffentragende Matrosen I.S. Landungstruppen, als Geleitschutz.
Seine Heiligkeit
Jillion verzichtete auf den Landgang.
Siebenstens: Die
Boote legten in einem von der Brandung geschützten Teil der Bucht an
einem aus Steinen und Geröll aufgeschütteten und mit hölzernen
Pfosten befestigten Steg an, der laut Treibende-Möwe von Ch!cht und
Nokunern vor zwei Generationen in gemeinsamer Arbeit errichtet wurde
und seitdem laufend gewartet werde. Aus Palmfasern geflochtene Seile
von der Machart der Nokuner dienten zum Festmachen der Boote. Vom
Ende des Steges aus führte eine gepflasterte, befestigte Straße von
wenigstens sechs Ellen Breite bergan ins Innere der Insel. Die
Steinplatten, die die Oberfläche dieses Weges bildeten, waren
kunstvoller behauen und exakter aneinander eingepasst, als dies die
Nokuner und wohl auch viele Handwerker unseres Reiches vermögen, was
die Aussage der Nokuner
unterstreicht, bei den Ch!cht handle es sich um exzellente Maurer und
Steinmetze. Laut Treibende-Möwe sei der Steg nur deshalb von
einfacherer Bauweise, weil er ob des schwankenden Meeresspiegels und
der vulkanischen Aktivität gelegentlich in der Höhe korrigiert
werden müsse. Bei weiterem Vorrücken schälten sich auf der Kuppe
eines Hügels kegelförmige Erhebungen aus dem Nebel, welche von der
gelehrten Dame alsbald als Meiler und einfache Schmelzöfen erkannt
wurden. Laut unserer nokunischen Begleitung, seien die Ch!cht für
die Verarbeitung von Rohstoffen und die Landwirtschaft auf
oberirdische Anlagen angewiesen, bevorzugten für Wohngebäude aber
eine unterirdische Bauweise. Der Weg, dem wir folgten, war weiterhin
mit großer Kunstfertigkeit ausgeführt und im perfekten Zustand
erhalten. Weiterhin war der Boden und die darüber aufsteigende Luft
um einiges wärmer, als die noch tief stehende Sonne zu erklären
vermochte, was uns zu dem Schluss kommen lies, dass diese Heimatinsel
des noch unbekannten Volkes von starkem Vulkanismus geprägt sei. Als
wir den lichten Wald betraten, wies uns die gelehrte Dame darauf hin,
dass es sich bei vielen der umstehenden Bäume und Stauden um
regionale Obst-Produzenten handle, die eindeutige Zeichen von
bewusster Pflanzung und regelmäßigem Zuschnitt zeigten. Wir fanden
unter anderem Kem, große Nüsse, Bananenstauden und Unga. Als
weiteres Anzeichen von Landwirtschaft fanden wir am Wegesrand zudem
einen großen, bauchige Tontopf mit Deckel aus Korbgeflecht – den
Beuten einiger unserer Imker in südlichen Gefilden nicht unähnlich
– um den emsig Bienen herum schwirrten. Laut Treibende-Möwe
betreiben die Ch!cht zudem Fischfang – Bote und Netze lägen in
einer weiteren nahegelegenen Bucht – sowie im begrenzten Umfang die
Jagd auf Vögel. Auf die Frage, warum keiner der mit der
Landwirtschaft betrauten Ch!cht zu sehen sei, erwiderte unsere
nokunische Freundin, dass diese sich beim Anlanden Fremder meist in
Sicherheit zurückzögen und eine einzelne Arbeiterin entsendeten,
welche bereits auf uns zukäme.
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