Ich wollte lediglich darstellen, daß schon die Dauer des Mittelalters umstritten ist, und habe als Beipiel die extremsten Positionen für den Beginn desselben benannt. Desweiteren habe ich im selben Beitrag darauf hingewiesen, daß man heute davon ausgeht, daß es keine klar abgrenzbaren Zeitalter gibt. (Außer natürlich im ursprünglichen Sinn als Lebensdauer des Einzelnen.) Man kann keine allgemeingültigen Grenzen dafür definieren. Sowohl die politischen, als auch die wirtschaftlichen, kulturellen und technischen Voraussetzungen änderten sich allmählich und in den verschiedenen Regionen unterschiedlich schnell. Versuche ein bestimmtes Datum zu präsentieren können somit nur falsch sein. Es ergäben sich nach den Regeln der modernen Logik nur unsinnige Aussagen. Zwischen den Zeiten liegen vielmehr längere Übergangszeiten.
Ja, mir ist bekannt, daß die unsinnigen Aussagen unterschiedlich definiert werden, doch gilt folgende Tautologie: Entweder gilt: Alle den Wandel entscheidend ausmachenden Aspekte sind zu dem für die jeweilige Theorie entscheidenden Datum geänderte. Oder es gilt: Manche der den Wandel entscheidend ausmachenden Aspekte sind nicht zu dem für die jeweilige Theorie entscheidenden Datum geänderte. (Die fraglichen Aussagen bilden einen Kontradiktorischen Gegensatz, will heißen: eine muß wahr sein, die andere muß falsch sein. )Man kann's auch anders formulieren, so braucht man aber nur Gegenbeispiele finden und die Sprache ist nicht zu mathematisch.
Dennoch hier eine alltäglichere Formulierung: Klare Abgrenzungen können sich nur ergeben, wenn ein bestimmtes Merkmal zur Unterscheidung herangezogen wird, was mir unsinnig erscheint. Sonst könnten wir sagen: Das Mittelalter Ein begeisterter Parlamentarier könnte - nur als fiktives Beispiel - die Existenz des Senats als entscheidend betrachten und käme so zum Pontifikat Gregors des Großen, bei dessen Amtseinführung zum letzten Mal römische Senatoren in Erscheinung getreten sein sollen. Für die Stadt Rom selbst ergäbe das sogar ein in vieler Hinsicht nachvollziehbares Ergebnis, z.B.: die staatliche Verwaltung brach zusammen, selbst die Lebensmittelversorgung Roms konnte nicht mehr garantiert werden. Die Kirche unter Papst Gregor, der selbst einst praefectus urbis war, sprang ein. Die Versorgung Roms wurde durch die Kirchengüter in Süditalien und Sizilin übernommen. Bevor es zu einem weiteren Mißverständnis kommt: Dies ist nur ein von mir ad hoc ausgedachtes Beispiel für eine Abgrenzung, die nur einen Aspekt berücksichtigt, wie es die meisten Abgrenzungsversuche tun. Auch diese Abgrenzungsversuche sind nachvollziehbar - bis man darauf kommt, daß andere Erscheinungen weiter reichten oder Anderes sich früher geändert hat. Folgende Abgrenzungen wurden vorgeschlagen:
313 Toleranzedikt von Mailand (Gibbon, Christentum)
308-337 Konstantin der Große
324 Sieg Konstantins über Licinius
375 Einfall der Hunnen in Europa (Katastrophentheorie)
378 Schlacht bei Adrianopel
394 Ende der olympischen Spiele (Kultur)
395 Tod des Theodosius (Teilung des Reiches; Unterschiedliche Entwicklung von Osten und Westen)
410 Eroberung Roms durch die Westgoten
476 Absetzung des letzten weströmischen Kaisers (Politisch-soziale Strukturen)
482 Herrschaftsantritt Chlodwigs (christl., germanische Reiche)
529 Schließung der Akademie in Athen (Wissenschaft, Kultur)
568 Einfall der Langobarden in Italien
622 Hedschra Mohammeds (Pirenne, Wirtschaft, Teilung des Mittelmeerraumes)
633 Beginn der islamischen Expansion
711 Landung der Araber in Spanien
768-814 Karl der Große
Da sich die Abgrenzungen, wie gesagt, vorwiegend auf einen bestimmten Aspekt, einige sind in der Liste angegeben, beziehen, dürfte sich immer ein Gegenbeispiel finden. Werden aber mehrere Daten benannt, handelt es sich ja schon um eine Übergangszeit. Also: Q.e.d.
Eine andere Argumentation bei: Boshof, Düwel, Kloft, Grundlagen des Studiums der Geschichte, Köln, Weimar, Wien, (4. Auflage) 1994.
Diese Betrachtungen sind auch für den Weltenbau wichtig: Wenn die Zeiten sich allmählich ändern, wenn die Zeiten nicht klar abgrenzbar und definierbar sind, können die Zeitalter, d.h. die Kategorien unter denen wir Geschichte betrachten nicht als zwangsläufiger Ablauf angenommen werden. Es muß dann also erklärt werden, warum ein Zeitalter einem irdischen Zeitalter gleicht, d.h. warum auf eine andere Welt unsere Anschauungen angewandt werden. Nur bei einem klaren Einschnitt könnte man ein Ereignis als Erklärung heranziehen. Spätestens seit dem Positivismus-Streit wissen wir, das Rankes Forderung, darzustellen "wie es eigentlich gewesen sei" nicht erfüllbar ist. Selbst wenn die Subjektivität ausgeschlossen wird, sind wir immer noch von Quellen abhängig. In unseren Welten setzen wir die Geschichte und beschreiben einfach, wie es gewesen ist. Sollten diese Welten dann nicht auch eigene Interpretationen haben? Wie sollten bei anderen Voraussetzungen unsere Kategorien angewandt werden? Ok, wir können auf die Wirkung abheben, die eine Welt auf die meisten Menschen macht, aber beim Weltenbau wird doch auf Konsistenz geachtet - unsere Welt auch oft als Korrektiv genommen. Bezüglich eines Zeitalters ist also die Frage nach dem Zustandekommen derselben Interpretation wie in der realen Welt interessanter als das Zustandekommen eines typischen Zeitalters. Natürlich kann es auch interessant sein, eine Welt zu kontruieren, die die durch völkerkundliche Arbeit, sprich in diesem Forum genannten Vorstellungen als Realität beinhaltet. Doch auch hier scheint es mir wieder sehr interessant: Wie beeinflußt das die In-Welt Vorstellungen von der Welt und der Geschichte?