Hier die Fortsetzung
Die Legende vom Waldvolk unter Oldok - Teil 2
Am folgenden Tag verkündete er vor allen Bewohnern, was nun zu tun sei:
„Auf den sechs hohen Gipfeln bauet jeweils einen Turm. Darauf sei eine Wacht
zu jeder Zeit, gleich, ob die Sonne scheint, ob es schneit oder der Sturm tost.
Und kein Rauschen eines Zweiges, das ihr von dort aus vernommen, soll mir
verborgen bleiben und über alles sollt ihr mir berichten, was ihr gesehen. Wenn
die Tapatyfier kommen, sollen eure Hörner erschallen, dass es von den Hängen
des Tales widerhallen möge.
Des Weiteren soll eine Schar sich aufmachen nach Norden und nach Osten. Haltet
Ausschau nach den Kräftigsten und sagt allen, dass Krieg kommen wird.
Und wir alle werden den Tapatyfiern Fallen stellen in den Wäldern. Denn
keiner kennt sie besser als wir und alle Wege darinnen. Sie greifen stets in
großer Formation an. Doch wird ihnen das nichts nützen. Denn zu steil und zu
undurchdringlich sind unsere heiligen Gefilde.“
Da fragte einer: „Was aber tun wir, wenn sich keiner uns anschließen mag.
Wenn sie die Gefahr nicht sehen wollen, weil es ihnen so weit entfernt deucht?“
Oldok aber sprach: „Denen sagt, dass der Frieden, den sie zu bewahren
glauben, nur ein Schein ist, denn wenn die Tapatyfier erst uns erobert hätten,
werden sie nicht zögern, auch jene Länder zu beflecken. Wer aber Frieden will,
der muss ihn sich teuer erkaufen. Entweder, indem er sich wehrt oder aber indem
er sich unterjochen lässt. Und glaubet mir, dann wärt ihr lieber erschlagen
worden.“
Das bewegte alle in der Stadt und schnell ging ein jeder an die ihm
zugedachte Aufgabe. Wann aber die Tapatyfier kommen mochten, das wusste
niemand. Und Oldok hoffte inständig, dass sie den Winter ziehen ließen.
So kam es auch, denn das eigentliche Gebiet der Tapatyfier sind angenehmere
Ländereien mit Palmen und allerlei Obstbäumen und nichts hassten sie so sehr
wie die Kälte.
Unterdessen waren die Wachtürme gebaut und die Fallen gestellt, sodass kein
Fremder sich mehr in das Gebiet am Fluss zwischen den Bergen wagte.
Gidok aber, der die Schar anführte, um Verbündete zu suchen, ließ auf sich
warten und Oldok wurde von Tag zu Tag unruhiger.
Keine Kunde kam zu ihm, ob er gefangen, getötet oder einfach fortgeblieben
sei. Da wurde Oldok das Herz schwer und Furcht ergriff ihn, dass er sich und
die seinen ins Unglück gestürzt hätte.
Der Winter ging vorüber und Eisschollen trieben auf dem Fluss, der
erschreckend angeschwollen war.
Die erste Blume regte sich unter den noch kahlen Bäumen und die Sonne stieg
auf. Da kamen von Norden her am Ufer entlang schwer gerüstete Krieger. Ihre
Zahl war groß und alle dachten, nun sei der Krieg auch aus anderer Richtung
gekommen.
Doch es war Gidok und mit ihm tausende andere vom Flusse Jundal, vom Pokarde
oder aber vom nördlichen Bonume-Strom.
Genug waren auch unter diesen Völkern, die Tarier als Ahnen hatten. Und so
bedurfte es keiner großen Überredungskunst, sie gegen die Tapatyfier ziehen zu
lassen.
Als der Fluss sich wieder beruhigte und das Wetter freundlicher wurde, da
wussten alle, dass die Ankunft der Feinde nicht mehr lange auf sich warten
ließe.
Und so kam bereits in der folgenden Nacht ein Bote von einem der Wachtürme
und trat in das Haus Oldoks und sagte:
„Feuer haben wir gesehen. Eine ganze Reihe in der Ferne. Etwa einen halben
Tagesmarsch entfernt. Dort haben sie ihre Lager.“
Am Morgen dann waren alle zeitig erwacht, denn mit dem ersten Sonnenstrahl
zog Rauch durch das Tal und alle wussten, dass dies das Zeichen der nahenden
Armee war. Die Kinder und die alten wurden nun eilends in die verborgenen
Höhlen unterm Taiallas gebracht, mit Nahrung und Wasser, damit sie ausharrend
konnten mindestens zwölf Tage lang.
Eine Kriegerschar stellte sich an den Ufern des Stromes auf. Ein Teil davon
überquerte ihn und sie spannten Taue von ungeahnter Länge darüber, an denen die
Seiler Wochen gearbeitet hatten.
Die meisten aber gingen in die Wälder zu den Fallen und sie versteckten sich
in Gräben und Gruben und jemand, der den Hain hätte durchqueren wollen, wäre
dem Schein erlegen, er sei alleine dort und nicht umgeben von einer Stadt in
den Bäumen.
Als nun die tapatyfischen Krieger anrückten wurden sie schnell der
unheimlichen Stille gewahr, denn alle Siedlungen waren verlassen.
Wie vormals kamen sie auf Booten den Fluss herab. Doch dieses Mal waren es
dutzende und im Rhythmus der Trommeln wurden die Ruder geschwungen.
Wie die ersten aber näher kamen, sahen sie die Taue über dem Fluss und eilig
verließen sie die Boote, ehe die vordersten Masten sich in den Seilen verfingen
und zum Kentern gebracht wurden, bis schließlich alle Taue zerrissen. Einige
ertranken da, denn die Strömung war stark und viele wurden von den schäumenden
Walzen im Wasser in die Tiefe gezogen und wurden nicht mehr gesehen. Die
anderen Bootsführer aber waren nun gewarnt und gezwungen rasch ans Ufer zu
gelangen, wo man sie bereits mit gezogenen Klingen erwartete.
Wie eine Herde wilder Büffel stürzten die Tapatyfier aus den Booten und
rannten auf den Strand zu und Mordlust blitzte in ihren Augen.
In ohrenbetäubendem Lärm vom Gebrüll und metallenen Schlägen brandeten beide
Heere aufeinander. Darunter auch Oldok, der mit brennendem Herzen und in der
Hoffnung, die Seinen zu verteidigen, sich einen nach dem anderen vornahm, bald
eine Brust und bald einen Schädel mit Axt und Schwert zerschmetterte.
Doch zahlreich waren die Gegner und Oldoks Krieger wichen zurück in die
Wälder und dort kehrten sie den Feinden den Rücken und flohen vor den
Tapatyfiern. Dies aber nur zum Scheine, denn tief hinein wollten sie die
Angreifer locken und die steilen Berge sollten ihnen schnell die Kraft rauben.
Da wähnten sich die Tapatyfier plötzlich alleine im Walde und dachten, ein
schneller Sieg sei ihnen geschenkt worden.
Plötzlich ging einer zu Boden und die anderen sahen erst nicht, was
geschehen war. Wie sie aber ihren schreienden Kameraden umdrehten, sahen sie,
dass ein Pfeil in seinem Halse steckte. Da bekamen sie Angst und wussten, dass
sie in einen Hinterhalt geraten waren. Weitere Pfeile flogen mit lautem Surren
durch die Luft und weitere Krieger fielen. Sie versuchten sich als Linie zu
organisieren, doch das gelang nicht, denn der dichte Bewuchs aus Bäumen und
Büschen machte dieses Unterfangen zunichte. Da kamen Pfeile auch von oben und
sie sahen, dass viele von Oldoks Schar in den Bäumen saßen. Das stoben die
Tapatyfier auseinander und viele von ihnen stürzten in verdeckte Gruben, die
von scharfen Speeren gespickt waren und nicht wenige wurden daran aufgespießt.
In diesem Gewirr dauerte der Kampf noch bis zum Mittag des dritten Tages an
und immer kleiner wurde das Heer der Feinde.
Da rief einer in der Sprache Oldoks: „Haltet ein! Haltet ein!“
Und der Kampfeslärm verstummte.
Von den Tapatyfiern aber trat einer hervor und gab sich als ihr Heerführer
zu erkennen und er sprach:
„So also kämpfen die Krieger des Waldvolks? Im Verborgenen und nicht in
offener Schlacht? Wir aber wollen uns ergeben, denn das ist kein Kampf, den wir
ehrenhaft gewinnen können.“ und mit diesen Worten ließen die Tapatyfier ihre
Waffen fallen und knieten nieder, um ihr Leben fürchtend.
Oldok aber, dessen Seite verwundet war, rief mit aller Kraft, die er
aufbringen konnte: „Es ist unsere Art zu kämpfen nach der Art, wie die Natur
und die Götter sie uns gegeben haben, denn wir leben nicht auf weiten Ebenen
sondern an schmalen Ufern und in den Tälern des Gebirges. Und nicht wir haben
unehrenhaft gekämpft, denn nichts anderes haben wir getan, als unsere Heimat zu
verteidigen. Darum sage ich: es war recht. Und nehmet dieses als Mahnung, dass
keiner mehr von eurem Volke uns jemals wieder behelligen möge. Nun leget all
eure Waffen und eure Rüstung ab und geht zurück zu euren Booten und verlasst
diese Gestade bis zum Sonnenuntergang.“
Und Oldoks Krieger führten sie alle durch den Wald bergab bis zum Ufer des
Flusses. Doch wie schon die Kriegerinnen, die vor Monaten die Botschaft
überbrachten, war es ihnen nicht möglich über die Stromschnellen flussaufwärts
zurückzufahren. So blieb ihnen nur der Uferweg übrig.
Als aber der letzte von ihnen den schmalen Pfad betrat, blies Oldok sein
Horn. Und das war ein geheimes Zeichen, denn von der Seite stürmte aus dem Wald
eine weitere Schar aus seinem Gefolge und erschlug alle. Schnell kam der Tod
über sie, denn sie hatten weder Schild, noch Panzer noch Schwert und einige
sprangen in den Fluss um sich zu retten. Doch Oldoks Krieger, die lange an
seinen Ufern gelebt hatten, waren allesamt gute Schwimmer und so ward jeder
Tapatyfier, der nicht erschlagen wurde, in den Fluten des Stromes ertränkt.
Da färbten sich die Wasser rot von Blut. Und nichts gräulicheres wurde
seitdem je wieder zu den Füßen des Taiallas gesehen.
Viele der Kriegerfrauen waren bestürzt ob dieser Tat und eine von ihnen
sprach zu Oldok:
„Ein Fluch ist der Blutrausch der Männer. Wer sich ergeben hat und wehrlos
ist, gleicht einem Kinde. Und niemand, der einem Kinde gleicht, sei er ein
Greis oder aber einer von kindlichem Geiste, darf getötet werden, so wollen es
unsere Gesetze. Du aber und deine Männer, haben Unrecht getan und Unrecht wird
auch euch angedeihen, bis alle eure Taten gesühnt.“
Darauf stieß Oldok ihr im Zorne sein Schwert in die Brust und sie starb im
gleichen Augenblick und er sagte mit grimmiger Miene:
„Wer noch an mir zweifelt und an meinem Urteil oder aber sich gegen mich
erheben sollte, der möge es ihr gleichtun oder aber gehen und mir fortan nicht
mehr unter die Augen treten!“
So wandelte sich die Bewunderung für Oldoks Mut in Angst vor seinem Jähzorn
und solange er lebte, wollte ihm keiner mehr widersprechen, denn alle, die treu
zu ihm standen, waren wie auch er selbst stets bereit, jedes seiner Urteile zu
vollstrecken.
Ihre Wirkung hatten die Gräuel indes nicht verfehlt, denn für über hundert
Jahre wagte keiner mehr, das Waldvolk anzugreifen.
Oldok aber wurde zum König der geeinten Völker gekrönt und sein Reich war
das erste in unseren Landen
und mit seinem Leben endet auch seine Geschichte.