Themo Kalning (42), ist Ranger aus Leidenschaft. Er gehört zu einem Trupp von insgesamt 138 Rangern, die im 12.662 km² großen Kydag-Nationalpark tätig sind, der im äußersten Westen des Landes in den obersten Kammlagen des großen Westlandgebirges liegt.
Der Park umfasst die gesamte Untereinheit der Vitvallabarn (old.: Weiße-Wand-Berge) innerhalb des Gebirges, in dem sich auch der höchste Berg Oldaniens, der Kydag mit 5.273 m, befindet. Nach diesem ist auch der Park benannt, da er die gesamte karge Hochgebirgslandschaft mit seinem stets in Eis und Schnee gehüllten Gipfel überragt.
Die Rangerstation, in der Themo arbeitet, liegt südöstlich des Berges, an der Grenze des Parks im Bergdorf Kydaval (1.796 m). Heute hat er drei Aufgaben. Zuerst muss er die vor wenigen Wochen geschlüpften Bergriesenadlerküken in einem Horst in der Oberen Dageklamm beringen. Danach muss er mit den anderen Rangern aus der Station den Nevdoipass von den Schneemassen befreien, die hier in den letzten Tagen gefallen sind. Dazu muss man wissen, dass allein das eine Daueraufgabe ist, denn im Bereich des Nationalparks, der durchgehend über 2.000m hoch liegt, dauert der Winter selbst in den tiefen Lagen gut 9 Monate an. Nur in einem kurzem Zeitfenster zwischen Juli und September kann man mit Temperaturen oberhalb 5°C rechnen. Doch angesichts von dauernden Niederschlägen von bis zu 5.000 mm im Jahr kann auch das nicht als angenehm empfunden werden. Die dritte Aufgabe ist das Kontrollieren der Beschilderung im Sektor C31. Doch nur, wenn es der Zeitplan zulässt, denn ein Arbeitstag dauert in Oldanien normalerweise nur 6 Stunden. Doch Themo liebt seinen Job. Sodass er seine Zeit oft nicht so abrechnet, wie es das Gesetz eigentlich vorschreibt, nur um draußen sein zu können und zu sehen, dass im Park alles seine Ordnung hat.
Zu den Adlern also. Den Weg kennt er, hat er doch selbst die Kamera angebracht, die seit drei Jahren diese besondere Brutstätte Tag und Nacht im Auge behält. Bergriesenadler kommen nur im Westlandgebirge und in den rund zweitausend Kilometer weiter nordwestlich gelegenen Seepagren vor. Ihre Bestandszahl wird auf rund 400 geschätzt. Die majestätischen Vögel mit einer Flügelspannweite von bis zu 3,5 m bewohnen nur stark vergletscherte alpine Hochlagen. Sie ernähren sich vorwiegend vom Aß verirrter Vögel und Säugetiere und den wenigen Fischarten, die in den Gletscherflüssen ihren Lebensraum haben. Zwischen Dezember und April ziehen sie sich in tiefere Lagen zurück. Dieses Jahr hat der Lenz jedoch schon früh Einzug gehalten. Der Schnee der vergangenen Tage ist das letzte Aufbäumen des langen Gebirgswinters.
8.06 Uhr: Themo fährt mit dem Geländewagen auf einer verschneiten Piste, die parallel zum Fluss bergauf verläuft. Dorthin, wo das Tal immer enger wird. Er kommt nur schwer voran, denn die Spur, die er hier vor zwei Tagen hinterließ, ist nur noch zu erahnen. Er erreicht einen hohen Zaun mit einem Eisentor. Ein Schild mit der Aufschrift "Nationalpark - Zentrale Schutzzone; Unbefugter Zutritt streng verboten!" hängt daran.
Themo ist befugt. Er hat einen Ausweis, der das bestätigt. Er steigt aus und holt einen großen Schlüsselbund hervor. Er nimmt einen grünen Schlüssel, auf dem "Meine Babies" steht und schließt auf. Durch tiefen Schnee stapft er einen steilen Pfad hinauf auf eine Klippe, die sich rund 200m über dem Talgrund befindet. Zwischen zwei Felsen befindet sich der gewaltige Horst. Die Mutter ist noch da. Er muss warten, bis sie wieder ausfliegt, bevor er die Küken beringen kann. Nach einer Viertelstunde ist es soweit. Er ist vorsichtig und trotzdem schnell, dennoch sträuben sich die Kleinen. Noch schnell nachschauen, ob die Kamera in Ordnung ist. Dann so schnell es geht wieder zum Auto zurück.
Alles ist still. Nur leise hört man den Fluss im Hintergrund rauschen. In der Ferne ist der riesige südliche Kydaggletscher zu sehen, über dem sich die scharfen Grate bis zum Gipfel des Kydag (old.: Königsthron) auftürmen, an dem eine weiße Wolkenfahne hängt.
Die Beringung ging schnell. Nach nur drei Stunden ist er zurück an der Rangerstation. Der Hauswirt hat wie jeden Tag eine deftige Brotzeit bereitgestellt. Ein Kännchen Kräutertee, eine Tasse mit Rindersuppe, zwei dicke Scheiben Runkbrot (dem deutschen Bauernbrot ähnlich nur aus anderem Getreide), ein Stück Käse und eine Simmelschang (ähnlich einer groben Mettwurst). Doch Themo muss nicht allein essen, seine beiden Kollegen aus dieser Station sind ebenfalls von ihren Aufgaben zurück.
Nach der Stärkung wird klar, dass die Zeit für die Schilderkontrolle wohl eher nicht reichen wird. Er ruft bei der benachbarten Station 18 km talabwärts nach, ob einer seiner Kollegen diese Aufgabe übernehmen könnte. Schließlich findet sich sogar jemand. Sektor C31 ist einer der wenigen Bereiche des Parks, in dem auch im Winter Bergwanderer unterwegs sind. Und wenngleich im gesamten Park das Wandern auf eigene Gefahr geschieht, so will man doch ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten.
Dankbar wurde dennoch von den Rangern zur Kenntnis genommen, dass der Bezirksrat vor drei Jahren den Nationalpark von der Aufgabe entband, für die Instandhaltung der Kydag-Basisstation in 3.284 m Höhe zu sorgen.
11.42 Uhr: Diesmal rein in die Schneeräumer. Jeder in seinen. Themo fährt voran. Zunächst fünf Kilometer auf der Piste von vorhin. Die Spur ist jetzt fester. Ohne Schneeketten käme man trotzdem nicht voran. Dann biegt er an einer Weggabelung links ab; in Richtung Nevdoipass. Dieser ist zwar wie die meisten Gebirgspässe im Winter gesperrt, für Notfälle soll jedoch, soweit möglich, eine Beräumung stattfinden. Die Passhöhe liegt auf 2.877 m Höhe, die Ostrampe der Passstraße ist 25 km lang und führt über 19 Kehren und bis zu 15% Steigung steil bergauf. Besonders auf den letzten drei Kilometern geht es nur noch mühsam voran. Der Schnee türmt sich hoch, und hier und da sind frische Lawinenabgänge zu erkennen, die sich wahrscheinlich gestern in die Seitentälchen links des Weges ergossen haben. Schließlich liegt der Schnee fast einen Meter hoch auf der Piste. Lockerer Pulverschnee. Sie steigen aus und holen die Schneefräsen von den Laderampen der Wagen. Zu dritt fräsen sie sich im Schritttempo den Weg bis zur Passhöhe frei. Dann kehren sie zurück und fahren den gefrästen Weg hinauf. Die Passherberge ist noch geschlossen. Erst im Mai öffnen hier wieder die Pforten. Nur das obere Stockwerk des Hauses ragt aus dem Schnee heraus, der über den Winter zusammengekommen ist.
Auf der Westrampe geht es nun wieder steil bergab, da genügt der Schiebeschild. An der Nationalparkgrenze rund 400 Höhenmeter tiefer ist ein Parkplatz, auf dem einige Autos stehen und Menschen in Skianzügen umherlaufen. Hier ist alles wie immer gut beräumt. Mit einer eleganten engen Schleife ihrer Fahrzeuge wenden die Ranger hintereinander und fahren die Westrampe zurück. Nun aber ganz zurück bis zur 37km entfernten Rangerstation im Hochdagetal im kleinen Bergdorf Kydaval.
16.19 Uhr: Zurück an der Rangerstation angekommen, ist der Schatten der hohen Berge schon auf das Tal gefallen. Die Temperatur sinkt spürbar. Die Ranger verabschieden sich. Morgen gibt es noch eine Telefonkonferenz zum Dienstplan für die nächste Woche. Eine kurze Nachfrage bei der Nachbarstation hat ergeben, dass die Schilderkontrolle ordnungsgemäß verlaufen ist.
16.37 Uhr: Die beiden anderen Ranger gehen. Themo bleibt noch. Schnell noch die Wetterkarten für die nächsten Tage ausdrucken und in den Schaukasten neben der Tür der Station hängen. Dann macht auch er das Licht aus und kann nach einer Woche Dienst wieder zurück ins 160 km entfernte Dagenau, wo die Familie wartet.