Die Legende des Predigers
Noch heute erzählt man den Kindern der Wüstensteppen von der Legende des Predigers.
In der Zeit des Kampfes, als die Schiffe der Barbaren noch nicht an unseren Küsten landeten und eine lange und grausame Dürreperiode Roreaz heimsuchte, fochten die Völker einen Krieg.
Es war ein schrecklicher Krieg, denn er dauerte lange Zeit an und kostete viele Wesen das Leben. Ohne Gnade töteten Tengu und Alfar einander, die K’Reyl zogen gegen beide Völker und beide schlugen zurück. Jeder kämpfte gegen jeden, ohne Rücksicht. Liebe und Verständnis waren in diesen Tagen nicht in Roreaz zu finden.
Doch es kam die Zeit, als den Tengu von den Göttern der Götterstein überreicht wurde - mit dem Auftrag die Kriege zu beenden und die Ordnung wieder herzustellen, dann, so sagten die Götter, würde die Dürre enden und Roreaz erneut erblühen.
Tatsächlich gelang es den Tengu recht bald, die anderen Völker zu einer Beratung zu versammeln und von dem Wunsch und Versprechen der Götter zu überzeugen. Alle stimmten sie zu, dass nun endlich wieder Frieden und Harmonie herrschen müsse, damit man die Dürre gemeinsam überstehen konnte und die Götter das Land wieder fruchtbar machen würden.
Alle bis auf die K’Reyl.
Und das Ungeheuerliche wurde offenbart: Die K’Reyl hatten sich von den Göttern abgewandt!
Nicht nur das, sie hatten sich ganz offensichtlich einer anderen Religion zugewandt: Göttern die ihrer Phantasie, Propheten die dem Drogenrausch und ein Glauben der der Kraft der Verzweiflung entsprangen!
Doch die K’Reyl hielten an dieser Religion fest und erklärten schließlich allen anderen Wesen den Krieg und versuchten den Götterstein an sich zu bringen.
Und entgegen dem Willen der Götter entfachte ein neuer Krieg. Er war noch grausamer als der erste, kämpften hier doch die vereinten Tengu und Alfar gegen die K’Reyl, die hoffnungslos unterlegen waren.
So kam es, dass das einst so stolze und zahlreiche Volk fast vollkommen vernichtet wurde. Stark geschwächt und dem Tod ihres gesamten Volkes gegenüberstehend mussten die K’Reyl sich zurückziehen und ihren Kampf um den Götterstein aufgeben. Es war eine schwere Niederlage für sie.
Von den anderen Wesen verbannt zogen sie sich zurück und wurden so unscheinbar und unbekannt das heute kaum ein Wesen noch von ihnen weiß.
In der ersten Zeit nach ihrer Verbannung aber, als die Friedensanstrengungen Früchte zu tragen begannen, nahm in den Wüstensteppen seinen Anfang was heute als die Legende des Predigers bekannt ist.
In den anfänglichen Tagen und Wochen fand man nur undeutliche Spuren: Hier und da einen Fetzen seltsamen Papieres, den Hauch einer dunklen Stimme, vom Wind meilenweit über das Land getragen, Opfergaben in Form von seltsamen getrockneten Blumen oder kleinen Gegenständen wie Schmuck meist an der Stelle eines nun verschwundenen Mahls.
Man munkelte, dass ein heimatloser Wanderer sich herumtreibe, sich nehmend was immer er zum Leben benötigte. Die Wesen der Wüstensteppen akzeptierten dies und freuten sich über die dargebrachten Blumen und den fremden Schmuck. Woher diese fremden Gaben kamen fragten sie nicht.
So ging es eine lange Zeit. Viele behaupteten den geheimnisvollen Wanderer gesehen zu haben, mit ihm gesprochen zu haben oder gar mit ihm befreundet zu sein. Manch einer machte sich auf die Suche nach ihm und oft kehrten diese Wesen enttäuscht wieder um, wenn sie ihn nicht fanden.
Der Wanderer, wie man ihn damals nannte, war weit bekannt und faszinierte viele. Er zeigte sich nie und seine wenigen Gaben die er hinterließ waren hochgeschätzte Wunder, die man in Ehren hielt.
Er wurde sehr bekannt und doch hatte ihn nie ein Wesen tatsächlich zu Gesicht bekommen. Die Vielen die anderes behaupteten wurden nach und nach als Schwindler erkannt oder mussten feststellen, dass sie sich geirrt hatten.
Doch umso bekannter der Wanderer wurde, desto seltener tauchten seine Gaben auf, desto seltener hörte man weit entfernt die tiefe Stimme klingen.
Bald schon flaute das Interesse wieder ab, die Wesen vergaßen den Wanderer und seine Gaben warf man als unnützen Tand weg. Weshalb nur hatte man solch eine Aufruhr um einen umherstreifenden Wilden gemacht? Die Wesen wandten sich wieder ihren täglichen Arbeiten zu.
Doch es dauerte nicht lange und der Wanderer tauchte erneut auf. Wilde Gerüchte machten die Runde, denn er hinterließ keine Gaben mehr. Wo er früher getrocknete Blumen, Schmuck und anderen Tand hinterlassen hatte, fand man nun lange nichts mehr. Die Wesen wurden unsicher - War dies wirklich der Wanderer oder nur ein frecher Reisender?
Die Antwort fanden sie schnell. Denn bald begannen anstelle der üblichen Gaben Schriftrollen aufzutauchen. Fragmente erst, schließlich jedoch vollständige Schriften.
Welch ein Schock durchlief da die gesamten Wüstensteppen als sie sahen welcher Art diese Schriften waren:
es waren Predigten!
Doch sie handelten nicht etwa von den Göttern oder dem heiligen Götterstein, sondern erzählten von der Religion der K’Reyl! Von diesem Tage an nannte man den Wanderer nicht mehr solcherart, sondern sprach von ihm als dem „Prediger“.
Und mit diesem Wechsel des Namens änderte sich auch das Verhalten der Wesen - Wer konnte es sein, der unheilige Schriften über die falsche Religion der verhassten K’Reyl verbreitete? Konnte dies nicht nur ein K’Reyl selbst sein? Doch diese waren verbannt worden!
Die Gerüchte wurden wilder und wilder, die Vermutungen unrealistischer und grausamer. Man wollte diesen Prediger finden und sich für seinen üblen Scherz rächen!
Doch er blieb unauffindbar.
Lange Zeit verging, mehr und mehr Schriftrollen wurden entdeckt und die Ungeheuerlichkeiten wurden immer ungeheuerlicher. Doch die Wut auf den Prediger flaute nicht ab. Man verbrannte seine Schriften, betete zu den Göttern sobald man seine Stimme hörte und entfernte alle früher so willkommenen Gaben von ihm.
Hass und Misstrauen verbreiteten sich unter den Wesen der Wüstensteppen, und die alte Feindschaft des ersten Krieges brodelte unter der Oberfläche, war nahe daran wieder auszubrechen und den Bund zu brechen, den die Völker im Willen der Götter geschlossen hatten.
Schlussendlich gelang es jedoch einer mutigen Gruppe Tengu, den Prediger zu fangen. Sie hatten die Route verfolgt die er durch die Steppen nahm und waren ihm oft sehr nahe gekommen. Eines Nachts nun lauerten sie ihm in dem Dorf auf, welches er als nächstes passieren musste. Und was niemand vorher schaffte, vollbrachten sie:
Sie fingen den Prediger und in ihrer Wut begannen sie sogleich auf ihn einzuschlagen und besinnungslos ihrem Hass freien Lauf zu lassen. Von dem Lärm geweckt kamen ihnen die restlichen Dorfbewohner zu Hilfe und als der Morgen graute regte sich der Prediger nicht mehr.
In einem großen Kreis stand man um ihn herum und bestaunte den leblosen Körper des kleinen, aber mutigen K’Reyl. Denn ein K’Reyl war er tatsächlich gewesen.
Und in ihnen allen regte sich Stolz. Stolz, diesen Feind überwältigt zu haben und somit den Frieden gesichert zu haben.
Tatsächlich war der Tod des Predigers eine große Erleichterung und der Hass und das Misstrauen verschwanden aus den Herzen der Wüstensteppenbewohner und kehrten nicht zurück.
Dies war der letzte K’Reyl den man je sah.