Die Krokodilwürmer
Die
heutigen Krokodilwürmer sehen immer noch aus, wie grüne Würmer mit
Krokodilköpfen, gehen aber aufrecht und haben zwei Arme und zwei
Beine. Sie sind etwa so groß wie Menschen, oft ein bisschen größer.
Sie
entstanden aus den kleinen Krokodilwürmern einige Zeit vor dem
Untergang Otakaz’. Der folgende Bericht stammt von einer Erzählerin
der Mirrim, einer Spezies, die man in Kainomaz nicht mehr findet. Er
enthält eine ganze Menge Gewalt, Suizide und andere unschöne Dinge:
„Seit
ewigen Zeiten war Tupfux unser Beschützer. Der Gott mit den grünen
Augen wachte über das Land der Mirrim. Er schickte Stürme, die
Feinde hinweg trugen. Er brachte Regen, der die Wiesen grün und die
Heuschrecken groß und saftig werden ließ. Er füllte unsere Flüsse
und Seen mit Fischen. Wenn wir uns untereinander bekämpften,
schickte er uns Zeichen der Versöhnung. In den schlimmsten Fällen
stieg er selbst aus seiner Höhle hinab. Ein wahrer Riese war er, so
groß wie unsere höchsten Bäume, keiner von uns. Er hatte keinen
Schwanz und keine Flügel, er war mehr wie unsere federlose
Besucherin, doch nicht schlank und feingliedrig sondern klobig und
gedrungen. Die weißen Tuchstreifen, die ihn umwickelten, ließen nur
die leuchtenden grünen Augen frei.
Eines
Tages aber veränderte sich das Wetter.
Kein
Regen fiel mehr, Wirbelstürme suchten die Dörfer heim, die Fische
blieben aus und die Ältesten empfingen widersprüchliche Zeichen,
die Streit zwischen ihnen entfachten.
Unsere
mutigsten Jäger und Sprecher stiegen in die Berge zu Tupfux‘ Höhle
um die Ursache für die Katastrophen zu finden. Hinter dem Eingang
fanden sie eine Halle vor, taghell und höher als der Berg, und
inmitten dieser Halle ein Schloss, so groß, dass es selbst für
Tupfux ein Palast sein musste. Doch es war nicht in gutem Zustand,
Türen und Fenster waren zerbrochen, Mauern eingerissen, ein Turm
umgestürzt.
Und
dann, vor den Augen der Tapferen, fiel das ganze Gebäude auseinander
und wurde zu einem Haufen Steine.
Und
aus den Steinen erhob sich eine fürchterliche Gestalt.
Ohne
Zweifel war es Tupfux, doch was war mit ihm geschehen?
Er
blutete dunkelblau aus vielen Schnitten, an manchen Stellen waren die
Stoffstreifen ganz heruntergerissen und das blaue Fleisch lag offen,
die linke Hand war zertrümmert und das rechte Auge fehlte gänzlich.
Am
schlimmsten aber sah der Rücken aus. Ein Loch klaffte darin, als
habe sich etwas in das Fleisch des Gottes gegraben und aus dem Loch
ragten Baumstämme, Eisenstangen und große Tropfsteine und heraus
quoll grüner Eiter.
Der
Gott warf den Kopf in den Nacken und brüllte, dass die Höhle
zitterte.
Und
dann trat er auf die Gesandten zu und zerquetschte drei von ihnen
unter seinem Fuß. Die anderen liefen davon und er folgte ihnen und
wohin er trat, da bebte die Erde.
Sie
liefen aus der Höhle, rannten den Berg hinunter, liefen so schnell
sie konnten, doch ihnen folgte eine Lawine von Geröll und begrub sie
auch, bis auf einen Jäger, dem zu verdanken ist, dass ich diesen
Teil der Geschichte erzählen konnte.
Dann
kam der Gott aus den Bergen.
Er
zertrat Dörfer. Er riss Bäume aus und rammte sie sich in den
Körper. Er tauchte seinen Kopf in jeden See, als wolle er sich
ertränken, doch stattdessen verkochte das Wasser und ließ nur
stinkenden Schlamm zurück.
Um
Tupfux herum tobten die Elemente, es stürmte und regnete, es
schneite und Feuer brach aus.
Die,
die dafür empfänglich waren, hatten schreckliche Visionen von
etwas, das in ihren Rücken eindrang, sich durch ihren Körper grub
und unvorstellbare Schmerzen verursachte.
Die
meisten von ihnen brachten sich um.
Auch
ich stand kurz davor, doch andere packten mich und trugen mich in die
Berge. Mit der Entfernung zu Tupfux wurde der Schmerz geringer und
schließlich war er erträglich.
Ich
und andere Überlebende wussten nun, was Tupfux wollte: Er wollte
sterben. Also beschlossen wir gemeinsam, ihm dabei zu helfen.
Wir
suchten einen großen Felsvorsprung und schliffen ihn, bis er eine
Klinge war, eine Klinge, groß genug um einen Gott zu enthaupten.
Nun
musste einer von uns, ein Unempfindlicher, Tupfux herlocken.
Wir
schickten einen Jäger. Er kam nicht zurück. Wir schickten einen
zweiten. Auch ihn sahen wir nicht wieder.
Dass
der dritte Erfolg hatte, spürten wir bald, als der Schmerz stärker
wurde. Wir flohen. Andere blieben.
Tupfux
kam. Einen Moment stand zu befürchten, dass die Erschütterungen
seiner Schritte die Klinge zerbrechen könnten, doch das geschah
nicht. Tupfux sah unser Werk und verstand. Er warf sich darauf. Stein
schnitt durch Stoff, Haut, Fleisch und Knochen. Der Kopf löste sich
und rollte hinab ins Tal. Der Körper rutschte hinterher. Der Schmerz
war vorbei.
Wir
kehrten in das Tal zurück und sahen, dass der Körper bäuchlings
mit dem Hals in Richtung eines Sees lag, der sich mit blauem Blut
füllte.
Als
ich es sah, spürte ich das Verlangen, hinein zu tauchen und zu
ertrinken. Da wusste ich, dass es nicht vorbei war, und ich war nicht
die einzige.
Mit
anderen traf ich am Kopf ein, der aufrecht dort stand, wo zuvor unser
Hauptdorf gewesen war, und sah hinauf zum riesigen grünen Auge. Da
war es eindeutig.
Noch
immer war Tupfux am Leben.
Noch
immer wünschte er sich den Tod.
Ich
konnte es nachvollziehen, schließlich war er nur noch ein Kopf. Wir
überlegten, wie wir ihn töten konnten.
Da
niemand riskieren wollte, in den Kopf eines Gottes zu steigen um ihn
von innen zu töten, und wir nicht wussten, wie wir ihn ersticken
könnten und ob es überhaupt möglich war, entschieden wir, ihn zu
verbrennen. Wir benutzen das Holz der zerstörten Dörfer um über
ihm einen Scheiterhaufen zu errichten und zündeten ihn an. Der
Schmerz war furchtbar und so mancher warf sich ins Feuer um ihn zu
beenden. Als das verbliebene Auge platzte, riss die Flutwelle von
grünlicher Augenflüssigkeit einige von uns mit und zerschmetterte
sie an einem Felsen.
Schließlich
aber war es vorbei. Der Schmerz endete und auch die Todessehnsucht,
die Elemente beruhigten sich nach einem letzten Blitz, der in den
Schädel fuhr.
Von
den Stoffstreifen war nichts mehr übrig, es blieb ein verbranntes
Gesicht ohne Augen und mit offen liegenden Zähnen.
Fortan
nannte man unsere Heimat nur noch das Land des toten Gottes.
Für
diejenigen, die überlebt hatten, ging das Leben weiter, ohne den
Schutz Tupfux‘ aber auch ohne eine akute Bedrohung.
Wir
bauten die Dörfer wieder auf. Wir sahen zu, wie sich die Seen wieder
mit Wasser füllten und entfernten das Blut, indem wir immer wieder
die geronnene Schicht abtrugen.
Der
Kopf des Gottes blieb stehen, von einer Schicht verbrannten Fleisches
eingehüllt wie von einem Panzer, am Körper labten sich Aasfresser,
insbesondere Krokodilwürmer. Ihr kennt Krokodilwürmer?
Kleine
grüne Würmer, deren Köpfe aussehen wie die von Krokodilen. Sehr
lecker.
Die
Aasfresser förderten auch das zu Tage, was ihn so gequält haben
musste, eine große Spinne aus Metall, mit Klingen und Schaufeln an
den Beinen, die plötzlich schmolz, zu einer feenartigen goldenen
Kreatur wurde und davon schwirrte.
Es
ging uns schon wieder recht gut, der See war fast vom Blut befreit
und in den anderen tummelten sich schon wieder Fische, da erschien
zum ersten Mal der Dämon. Er brach durch die verkohlte Rückwand der
linken Augenhöhle Tupfux‘ und glitt auf seinen Fledermausschwingen
hinab. Er packte alle Mirrim, die nicht rechtzeitig flohen mit seinen
Tentakeln und biss sie mit seinen Schlangenzähnen. Ein süßlicher
Geruch umgab ihn und wo er wandelte, wurde es wärmer.
Er
ließ seine Opfer wieder gehen, doch nun litten sie an Fieber und
Wahnbildern. Als unsere Jäger ihn mit Pfeilen beschossen, flatterte
der Dämon zurück in die Augenhöhle und verkündete, von allen
Eigenschaften Tupfux‘ habe gerade der Wahnsinn in seiner Gestalt
überlebt und die Kranken würden erst mit seinem Tod wieder
gesunden. Dann verschwand er in den Kopf.
Eine
Gruppe unserer mutigsten Jäger eilte los um ihn aufzuspüren. Zehn
betraten den Kopf und tatsächlich wurden die Kranken bald gesund,
doch nur einer kehrte zurück.