Weltenbasteln: eine kulturhistorisch-philosophische Betrachtung
© Roderick
So ein "Weltenbastler" ist schon ein besonderer Mensch. Entgegen des Auftrags, sich die Schöpfung untertan zu machen - und das bedeutet, wie ein der hebräischen Sprache kundiger Mensch weiß, nicht deren Eroberung, sondern deren Erkenntnis - beschäftigt er sich lieber damit, der Welt Neues hinzuzufügen. Der Weltenbastler hat den Apfel mit Genuss; verspeist, und während er noch den letzten Bissen der verbotenen Frucht schluckt und der Erzengel der Rache das Schwert bereits aus der Scheide gerissen hat, reift schon die Erfüllung des schlangenhaft-satanischen Versprechens in der Seele des Weltenbastlers. Er würde "...sein wie Gott, und wissen, was Gut und Böse ist." So waren die Worte des Versuchers, und, warum nicht - Gottes Ebenbild sein bedeutet doch wohl kaum, so auszusehen wie der Allmächtige Baumeister dieser Welt. Sondern die Ebenbildlichkeit bedeutet für den Adam mit dem Apfel, selbst Maßstab, Winkelmaß und Zirkel zu ergreifen, selbst den Schurz der Bauherren umzubinden und selbst zu schöpfen.
Durch das Verspeisen der Frucht geht Adam einen Schritt rückwärts,vor den Zeitpunkt seiner Erschaffung. Gottes Auftrag im paradiesischen, geordneten Eden an Adam und sein weibliches Gegenstück war: "Geht hin und gebt den Dingen Namen ", was - und wieder beziehe ich mich auf die hebräische Sprache und Kultur - zugleich deren innerstes Erfassen, Begreifen und Erkennen bedeutet. Der Mensch sollte sich also das Geschaffene innerlich aneignen. Der Zustand vor diesem Auftrag war aber, dass der Baumeister der Welt etwas ins Sein rief, Dinge, die es vorher nicht gab und ohne den Plan des Baumeisters nicht gegeben hätte.
Und das will Adam mit dem Apfel nun auch tun - der Mensch, denn nichts anderes heißt "adam" will Neues schaffen, Ungeborenes gebären, Idee zur Physis werden lassen. Allein, das kann er nicht, und darin liegt die Lüge des Versuchers, darin liegt die Falschheit des schlangenzüngelnden Versprechens. Denn wäre der Mensch je dazu in der Lage, so wäre er Gott. Und im Bilde der Bibel bekennt der Gläubige: "Höre, Israel, höre: der Herr, der Allmächtige, dein Gott ist einzig." Oder, nicht in den Worten des bekanntesten jüdischen Gebetes, sondern in erkennender Deutung: "Erkenne, zu wachem Denken berufener Mensch, dass es nur eine einzige Wahrheit hinter den Dingen gibt". Das Schwert des Engels fährt herab, Gottes Fluch fällt wie ein Schatten über den Urzustand. Für die Anmaßung, etwas sein und tun zu wollen, was er niemals tun und sein könnte, wird der Mensch aus dem Garten Eden gestoßen. Doch der Hinauswurf hebt den Auftrag nicht auf, noch immer soll der Mensch "Namen geben", erkennen und begreifen. Aber - auch der Apfel verlässt in Adams Leib den Garten, ist nicht vergessen, sein fruchtiges Schlangengift wirkt noch immer. Und schlimmer hätte Gottes Fluch nicht sein können. Denn was jetzt folgt, das ist das "Weltenbasteln" - der Mensch benennt Dinge in der Meinung, ER habe sie erschaffen. Der Mensch erkennt nicht mehr, sondern er kombiniert und verwürfelt ein solches Chaos zusammen, dass allenfalls die Schlange darüber lachen kann.
Der obige Text basiert, unschwer erkenntlich, auf der biblischen Schöpfungsgeschichte. Wie jede Genesis ist sie ein Versuch, die Verfasstheiten der Welt zu erklären. In den Bildern bleibend, welche die Geschichte uns selbst bietet, ist sie ein Werk "Adams mit dem Apfel", ein Erklärungsmodell - aber keine Neu-Schöpfung.
Selbstverständlich ist die Philosophie, oder in diesem Fall deren spezielle Abart, die Theologie/sophie nicht die einzige Herangehensweise an die Verneinung der Frage: "Kann der Mensch etwas Neues erschaffen?"
Ich möchte als nächstes in einer kurzen Folge der Beantwortung obiger Frage den oft als solchen verstandenen "Widerpart" der Gotteslehren anführen, die Naturwissenschaft. Und welche wäre da wohl eher geeignet als die "Mutter der Wissenschaften", die Mathematik?
Vorhanden ist auf unserer Welt eine unbestimmte Summe X aller vorhandenen Objekte, Gefühle etc. Zwei oder mehrere einzelne X-Elemente kombiniert ergeben ein scheinbar neues Element. In reversiver Gleichung erkennen wir jedoch in diesem augenscheinlichen Y zwei offensichtliche eX, weswegen wir die Aussage eX(1)+eX(2)=Y als unwahr bezeichnen müssen. Vielmehr ist richtig: Die Kombination von eX(1)+eX(2) ergibt Y unter der Defintion Y = nicht real existente, aber denkbare Darstellungsmöglichkeit eines Elementes der Summe X unter Beibehaltung der für die Summenelemente charakteristischen Merkmale beziehungsweise: eX1+eX2= eX(1+2) und NICHT = eX(3)
Bsp: eX(1) sei Hund: eX(2) sei Katze eX(1) + eX(2) = eX (1+2) - das enstandene Mischwesen SCHEINT eine neue Rasse, eX(3), zu sein. Dennoch besteht die neue "Hundekatzenrasse" nur aus zwei längst bekannten, neukombinierten Elementen und ist nichts wirklich "Fremdes".
Selbstverständlich beruft sich die angewendete Gleichung auf Konstanten, nimmt Bezug auf einen festen Definitionsrahmen. Dieser Definitionsrahmen bewegt sich einerseits innerhalb der Physis, andererseits innerhalb der Psyche. Beide Bereiche unterliegen zudem der menschlichen Wahrnehmung. Diese ist sicherlich nicht bis ins Letzte erforscht, aber derzeit ist der einhellige Stand westlicher Wissenschaft, dass sich die Wahrnehmung des Menschen auf konkret vier, theoretisch acht Dimensionen erstreckt. Neben der Wahrnehmung von Anteilen der schon beschriebenen "Weltsumme X" in Länge, Höhe und Tiefe sowie in ihrer aktuellen Befindlichkeit im Bezug zu anderen Elementen (Zeit), ist es bereits heute möglich, die Existenz von vier weiteren Dimensionen graphisch darzustellen.
Die Rede ist von der sogenannten Möbiusschleife, auf der ein Punkt sowohl auf der "Innen-" wie auf der "Aussen-"-Wendel liegen kann. Da jeder dieser Punkte im Koordinatensystem mit zeitlicher Zuordnung darstellbar ist, ergeben sich 8 nachweisliche Dimensionen, von denen uns allerdings heute nur vier zur Erklärung offenstehen.
Was hat nun diese Wissenschaftlerei mit der Weltenbaukunst zu tun? Uns interessierte ja die Frage, ob der Weltenbastler die Möglichkeit hat, die Summe X um weitere Elemente zu erweitern, oder ob er nurmehr scheinbare X-Elemente, also eX+eX-Kombinationen (Y) erschafft und erschaffen kann. Das mathematische Modell betrachtend und die Philosophie berücksichtigend fordern wir nunmehr die Psychologie auf, ihre Stimme abzugeben. Für den Freund der Phantastik ist von den drei "Großen" der Psychoanalyse C.G. Jung der Interessanteste, A. Adler wichtig und S. Freud eher zu vernachlässigen (obschon auch er einige in unserem Zusammenhang interessante Worte spricht).
Die Jung'sche Lehre der "Archetypen" ist für den Freund der Fantasy oder des SF vermutlich leicht zu verstehen. Diese unbewussten Leitbilder in jedem Menschen bestimmen sein Denken und Handeln. Es kommt uns hier weniger auf eine vollständige und lückenlose Psychoanalytik nach Jung (oder Adler) an, allein die Kernaussagen sollen uns reichen. Es sind, so Jung, offenbar in Träumen und Gedanken, im realen Erleben der Menschen der meisten Völker immer wieder ähnliche oder gar identische Vorstellungen zu finden. Diese Vorstellungen werden immer wieder thematisiert. Berücksichtigen wir das "Kollektive Unbewusste", also ein gemeinsames "Erbe" an Erinnerungen und Vorstellungen, so postuliert auch die Psychoanalyse: Der Mensch ist Spielball seiner Verfasstheiten, ist nicht in der Lage zur Aktion, sondern nur zur aktiven oder passiven Reaktion. Hier kommt dann auch die Freud'sche Trieblehre ins Spiel. Da der Mensch seine Welt unter allen Umständen auf diese Art und Weise wahrnimmt, würde eine Welt ohne archetypische Elemente den Menschen sehr befremden, wenn er sie überhaupt verstünde. Eine Welt, die nicht den für uns wahrnehmbaren Gesetzen gehorcht, verstehen wir nicht. Was der Mensch nicht versteht, das fürchtet er, lehnt es in jedem Falle ab. Das geht soweit, dass bestimmte Stammeskulturen alles, was nicht zu ihrem Stamm gehört, als Nahrung oder als Feind betrachten.
Und wieder: Was bedeutet das für den Weltenbastler? Nun, offenbar ist der Weltenbastler darauf angewiesen, dass seine Leser ihm folgen können, wenn er nicht nur Ablehnung und Unverständnis ernten will. Die Lehre der Harmonie, die Ästhetik, unterstreicht das. Will man uns etwas als "neu" verkaufen, was aber für jedermanns Auge und Ohr offensichtlich nur aus zwei verschiedenen, aufgewärmten Breien besteht, so "gefällt" das dem aufgeweckten Geist nicht. Gewiss, das künstlerische Werk dieser Rekombinationen muss dennoch geachtet werden, aber Erfolg kann und wird es nur bei einem nicht reflektierenden Publikum haben. Es ist erwiesen, dass in der Soziologie "offene" Rekombinationen besser oder eher akzeptiert werden als schlecht verpackte oder "versteckte". Natürlich stehen Möglichkeiten zur gegenwillentlichen Manipulation nicht reflektierender Menschen frei, aber diese "Psycho-Tricks" haben - denke ich- nichts mit der unterhaltenden Tätigkeit der Weltenbastelei zu tun.
Aber wo das Thema gerade auf Rekombinationen gefallen ist, zudem im Laufe eines Threads die Wahrscheinlichkeit mehrerer intelligenter Rassen innerhalb einer Welt diskutiert wurde - das schreit ja förmlich nach dem Auftreten eines weiteren "Klassikers". Und hier ist er auch schon, der Darwinismus. "Surrival of the fittest" - demzufolge es nicht möglich ist, dass mehrere Hochkulturen in unmittelbarer Nachbarschaft existieren, weil die Stärkste irgendwann die anderen ausrotten würde. Dazu sei gesagt: die Forschungen des geschätzten Charles Darwin beziehen sich auf genau eine Welt, was angesichts der schier unüberblicklichen Summe möglicher Welten nicht gerade repräsentativ ist. Und selbst wenn... im Rahmen "genetischer" (und das heisst: herkunftbestimmter/erschaffener/schöpferischer) Rekombination von Weltgesetzen ist es dem Weltenbastler sehr wohl möglich, eine Utopie zu kreieren, in denen Charles Darwin seine Ergebnisse nicht gemacht hat. Uns ist zumindest die Möglichkeit denkbar, dass der "fittest" unterliegt. Bevor man mich nun versucht, mit dem eigenen Argument zu erwürgen: "Wir kennen das nicht, es findet sich nicht in unseren Archetypen, also fürchten wir das und lehnen es ab, also will das keiner lesen" - dem sei Folgendes gesagt:
Aus der Behauptung "Der Stärkste überlebt" lässt sich mühelos der Umkehrschluss herleiten, "der Schwache wird besiegt". Der vorhandene Dualismus ist für uns durchschaubar und rekombinierbar. So erhalten wir die Aussagen "Der Schwache gewinnt" und "der Starke verliert" - oder aber "Beide bestehen nebeneinander". Diese Herleitungen bedürfen keiner physischen Verifikation, wenn wir sie in einer fiktiven Welt einbauen. Die Urprinzipien "Überleben, Besiegen, Koexistenz/Symbiose" haben wir aber nicht "neu" erfunden, sondern sie kommen in unserer Welt vor. Wir nahmen diese Elemente 1+2 nur, um das scheinbare Element 3 zu erschaffen, welches aus 1+2 besteht.
Wohlan... ich sollte ein Ende finden.
Ich möchte abschließend nur noch ein Wort zum Thema "Magie" verlieren. Nicht "Was ist Magie?" oder "Wie kann man sie definieren?" - das möchte ich hier nicht aussagen, wen das interessiert, ich stehe gern mitsamt einer langen Kette von Erklärungsmodellen zur Verfügung. Mir soll es bei diesem "Magie-Wort" nur um die Frage gehen: "Brauchen wir Magie?" Ich will das nicht nur auf die fiktiven, sondern auch auf die reale Welt angewendet sehen. Brauchen wir die phantastische Beeinflussung, die Präsenz des Unerklärlichen, brauchen wir Magie? Die Antwort, liebe Leser, hat vor Jahren jener berühmte Chefredakteur verfasst, der einem kleinen Mädchen auf der Titelseite seiner Zeitung einen Antwortbrief schreibt, jene oft gehörten und immer wieder faszinierenden Zeilen...
"Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann..."
In diesem Sinne
AUF DAS WOHL DER PHANTASIE!
Euer Roderick