Okay, es ist RPG-Grundlagen-Theoretik gefragt.
Was mich über lange Jahre an allen mir bekannten RPG-Systemen (auch den eigenen) massiv gestört hat, war der Bruch zwischen dem 'normalen' Spielbetrieb und dem Kampf.
Ungeliebterweise verbringt man unbotmäßig viel Zeit mit der Formulierung (sowohl sprachlich als auch sachlich) der Kampfregeln, die ja nur einen Teil des Ganzen ausmachen sollen. Andere Aspekte kommen dabei mitunter zu kurz. Ich versagte außerdem dabei, einzusehen, warum es einen Unterschied machen soll, eine bestimmte Handbewegung in einem Gefecht oder außerhalb auszuführen. Ganz zu schweigen davon, daß sich zeitliche Abläufe nur allein deshalb ändern, weil jemand "Achtung! Kampf!" gerufen hat.
Nach einer Weile frustrierten Herumdokterns an Kampfregeln ging mir langsam auf, daß es wohl mit dem unterschiedlichen Grad an Abstraktion zusammenhängen kann. Im Gefecht tendiert man (von Seiten der Regeln) dazu - auch im Interesse der Spielfiguren - alles SEHR genau zu nehmen und nachzuhalten bzw. zu simulieren. Im Namen des 'phantastischen Realismus'(TM) werden sämtliche Aktionen der Kontrahenten aufs detailreichste abgenudelt.
Okay, macht mitunter viel Spaß.
Hat aber auch Schattenseiten. Werte-Opportunismus, Equipolismus Maximus und Rollen-Opposums seien mal als Beispiel genannt.
Meine derzeitigen Überlegungen gehen dahin, wie man dem ein Schnippchen schlagen könnte. Ich stelle nämlich auch fest, daß ich schon wieder, bei der aktuellen Regel-Version so sehr an den Kampfgrundlagen herumfeile, daß ich zwei Wochen später keinen blassen Schimmer mehr habe, was genau das alles sollte. Der Grundsatz 'Wenn's einem nicht auf Anhieb einfällt, ist's zu kompliziert' macht deutlich, daß die derzeitigen Regeln weder plausibel, noch eingängig sind.
Dazu kommt der Horror der stetig wachsenden Anzahl an Werten für Ausrüstungsgegenstände (und deren Balancing).
Ich suche nach Möglichkeiten, Kämpfe in ein Spiel einzuflechten, ohne den Erzählfluß nachhaltig zu stören (oder das 'Beute-Schema' bestimmter Spieler zu triggern).
Mein Schluß im Moment:
Solange in Kämpfen ein anderer Detailgrad herrscht, als außerhalb, läßt sich beides nicht nahtlos in Einklang bringen.
Hindernisse für die Spieler in Form von zu lösenden Aufgaben für die Spieler werden idR durch eine einzelne Instanz von Regelanwendung abgewickelt. Eine kurze Folge von Proben (oder ein knackiges Rätsel) reichen da meist aus. Nicht so bei den üblichen, runden-basierten Kämpfen. Hier wird oft jeder einzelne Schlag (oder Schuß) einzeln abgewickelt und die Folgen festgehalten. Man macht aus einem einfachen Kampf mit zwei Türstehern eine kleine Arie in drei bis fünf Akten und zahlreichen Sangeseinlagen (Regelaktionen).
Für den Erzählfluß wäre es durchaus angenehmer, im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung mit einem ähnlichen Aufwand vorgehen zu können, wie beim Überqueren einer Schlucht. Der geplante Kampf ist ja auch nur ein einzelnes Hindernis auf dem Weg, wie die Schlucht.
Anstatt also ion einem Kampf sekundengenau festzuhalten, wer wen schlägt, trifft und wie tief eine Waffe durch eine bestimmte Rüstung zu dringen vermag, warum nicht den ganzen Kram in einem Abwasch (ggf mit mehrmaligen Nachfassen) abhandeln?
Meine Idee ist folgende:
Ein Kampf stellt für die Spieler-Gruppe und die SLCs eine zu bewältigende Aufgabe dar und es wird eine einzige 'Probe' verwendet, die Situation abzuwickeln. Diese Probe muß für eine Kampfabwicklung natürlich geeignet sein, darf also nicht ganz so simpel ablaufen. Gleichzeitig sollten alle Änderungen an der Probenabwicklung unverändert auch auf alle 'normalen' Proben angewandt werden.
Die Methode (ist noch grob und wenig ausgefeilt):
Eine Aufgaben besitzt ein oder mehrere Faktoren, die einander gegenüberstehen. Einfache Aufgaben bestehen aus genau zwei Faktoren 'Fähigkeit' und 'Schwierigkeit', welche einander direkt entgegenwirken. Ziel des Spielers ist es nun, dafür zu sorgen, daß seine Fähigkeit über der Schwierigkeit zu liegen kommt. Besteht eine Aufgabe aus mehreren Faktoren, muß der Spieler alle seine Faktoren über die jeweils opponierenden der Aufgabenstellung bringen - ist dort eine handelnde Person, zB eine SL-Figur, tut diese das selbe mit ihren Werten. Die Aufgabe ist erst gelöst, wenn einer von beiden alle Werte über die des Gegners bringt. Bei vielen beteiligten Akteuren und größerer Zahl an Faktoren kann das ein paar Ansätze verschlingen. Die gewählten Methoden, um die eigenen Werte zu puschen bieten viele Optionen, den Verlauf auszuschmücken. In einem kleinen Trockendocktest mit einem Kampf hatte zum Beispiel ein frustrierter Fighter in kombination mit einem etwas behäbigen Tank zu einem lustigen Overkill bei drei Wachen geführt, nachdem der Fighter nach taktischem Gewehrfeuer auf hektisches Dauerfeuer umschaltete und der Tank sich dachte, er müsse langsam auch was aktives tun, Granaten zu werfen begann. Derweil hockte der Medic unbeteiligt hinter Kisten und die Tech-Rat berieselte das Schlachtfeld mit Scannern.
Benutzt habe ich vier Faktoren: Fähigkeit, Schaden, Schutz und Zustand.
Der Fighter hatte überall gute Mittelwerte, außer bei Schaden, da hatte er hohe Werte. Der Tank glänzte durch Schutz und Zustand, die Tech-Rat hatte überall miese Mittelwerte während der Doc sowohl bei Schaden, Fähigkeit und Schutz gar nix zu bieten hatte, dafür aber einen hohen Wert für Zustand (kann ja heilen).
Die Gegner hatten überall mittlere Werte. Bei Eröffnung war die Spielergruppe in drei Faktoren Überlegen, nur Schaden war geringer als der Schutz der 3 Wachen. So war die Situation also noch nicht aufgelöst. Der Doc hielt sich von Anfang an raus, da sein einziges Fachgebiet, Zustand, nicht in Gefahr war. Die Tech-Rat hielt sich zunächst raus, da sie nicht wirklich Aktion darin hat, den Schaden-Wert zu erhöhen. Der Tank tat das, was er so macht: er ließ sich verhauen - sprich er erhöhte den Schutz-Wert der Spielergruppe. Der Fighter dachte sich, durch ein wenig taktisches Feuer den Schaden-Wert etwas zu erhöhen, was allemal ausreichen würde, wenn die Wächter nicht über Optionen verfügten, ihren Zustand zu erhöhen.
Taten sie auch nicht. Dafür aber konnten die sich verschanzen und damit den Schutzwert erhöhen. Damit war zwar jetzt der Schaden-Wert der Spielergruppe ausreichend, aber nun reichte der Fähigkeitswert nicht mehr über den Schutz der Wächter. Beim nächsten Durchgang dachte sich die Tech-Rat, den Fähigkeit-Wert durch eine Scannersonde zu erhöhen und der Medic zählte schon mal vorsichtshalber seine MedPacks durch.
Frustriert durch die fortwährende Inaktivität des Tanks und den ausbleibenden Erfolgs verlegte sich der Fighter nunmehr auf Dauerfeuer, was den Schaden-Wert und etwas weniger auch den Fähigkeit-Wert erhöht. Der Tank unterdessen dachte sich, er solle jetzt auch mal was aktiveres tun und fand in seinem Arsenal ein paar Granaten. Explosivwaffen ähneln Dauerfeuer und erhöhen sowohl Fähigkeit, als auch Schaden. Den Wächtern blieb als Option nur eine Erhöhung der Feuerkraft - sprich Schaden übrig, da aber durch den Medic der Zustand-Wert der Gruppe weit jenseits diesem lag, spielte das eigentlich schon keine Rolle mehr.
Ende vom Lied: Fähigkeit-Wert durch Dauerfeuer, Granate und Scanner üppig erhöht, Schaden durch Granate und Dauerfeuer noch weiter über den Zustand-Wert der Gegner, die anderen Werte blieben im Prinzip unverändert.
Spieler gewannen nach dem dritten Ansatz. Die einzigen Figuren, welche aktiv genug waren, sich dem feindlichen Feuer ausgesetzt zu haben, waren der Tank und der Fighter. Beide trugen jedoch Panzerungen, die den Waffen der Wächter im Einzelnen überlegen waren. Es wurde entschieden, keine Verletzungen geltend zu machen.
Auf diese Art umgesetzt haben Kämpfe keine einzelnen Aktionen, die ggf noch nicht einmal relevant sind. Es wird nur abgehandelt, was auch Konsequenzen hat oder den Verlauf beeinflußt.
Nebeneffekt: die Wertelandschaft wird deutlich entschlackt und verallgemeinert. Bei Waffen ist es einfach nicht mehr entscheidend, ob man innerhalb von x Sekunden 1 oder 5 Schüsse/Angriffe ausführen kann, welche länger ist und ob ihre Trefferwahrscheinlich durch Genauigkeit oder Streuwirkung erzielt wird. Das gesamte 'harte' Regelmaterial wird diffuser, unschärfer. Das kann natürlich genausogut einen Nachteil darstellen.
Abwicklung und das Drumherum ist noch fürchterlich grob und unspezifisch, ich fand's aber ein interessantes Experiment.
Sollte es sich bewerkstelligen lassen, diese Mechanik dahingehend zu verfeinern und zu gestalten, daß sie ins bisherige Regelwerk paßt, ziehe ich das ernsthaft in Erwägung.