Bevölkerungszahlen in Städten

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  • Hajo,



    in am Schluss verlinkten YT-Video werden quer durch die Historie die bevölkerungsreichsten Städte mit Bevölkerungsanzahl benannt. Teil 1 geht von Jericho bis Rom, das zweite Video dann bis Tokyo in der Gegenwart gefolgt von einem Zukunftsausblick, weil die japanische Demographie ja auch schrumpft. Der Übersicht halber hab ich die Daten vom ersten Video mal tabellarisiert. Da fehlt ein bisschen Kontext aus dem Video (z.B. welche politischen Umstände zu Bevölkerungsanstieg oder -rückgang führten), und kursiv sind nur 'ähnlich große Städte um die selbe Zeit herum'. Fürs zweite werde ich das nicht machen, weil mich die frühere Zeit einfach mehr interessiert.



    Was ich mich an der Stelle frage:
    - Wie konnten Städte solche Bevölkerungszahlen versorgen?
    - Welche Schwellenwerte gibt es, und wie wurden diese überwunden?
    - Welche (technologischen?) Entwicklungen liegen den großen Bevölkerungssprüngen zugrunde?
    Vielleicht können Historiker hier aufklären!


    /Edit: Ich hab mal dickgedruckt ein paar Entwicklungen rausgesucht, die ich als ggf. relevant empfand, hauptsächlich Domestizierung/Ackerbau/Bewässerung und Kupfer/Bronze.
    Die Einordnung in die Tabelle zeigt Korrelationen, aber ggf. nicht unbedingt Kausalitäten .. wobei in einigen Fällen vermutlich schon. :) Uuund das Forum lässt übrigens sehr angenehm aus Excel heraus kopieren :) (solange man keine Zellen verbindet..)



    ZeitStadt / EntwicklungBewohnerzahlKommentar
    PrähistorieHund (14k), Beginn der Warmzeit (11,5k), Regenfeldbau ohne künstliche Bewässerung (9k) mit Grabstöcken und Hackbau?, Schaf (8.5k), Katz (8.5k), Ziege (8k), Keramik (8k)
    7.000 BCRind, Schwein domestiziert
    Jericho1k – 2kMauern & 8,5 Meter Turm
    6.500 BCÄlteste Brunnen in der Levante
    Catalhöyük3k – 7kLebten auf den Dächern
    6.000 BCBewässerungsfeldbau: Flutwasser wird auf von Dämmen umsäumte Felder umgelenkt, später zurückgelenkt
    Huhn domestiziert
    5.000 BCKupferguss
    4.300 BCÄlteste Grabstock-/Hakenpflugfunde in Europa, Ochsengezogen
    4.000 BCEsel domestiziert, Mit Ochsen/Rindern Zugtier für Pflüge
    Karren mit Rädern
    Krümmel-/Bogenpflug, aus einem Stück Holz gearbeitet
    Uruk5k
    3.800 BCDobrovody10kUkraine
    3.700 BCEridu10kMesopotamien
    3.600 BCPferd domestiziert, mit Maultier/Esel/Rind/Ochse Zugtier für Pflüge
    Talianki10kUkraine
    Maydanets10kUkraine
    3.500 BCNilometer misst Wasserstand der Flut zur Vorhersage künftiger Fluten
    Uruk14k
    3.100 BCÄgypt. Bewässerungsprojekt (1. Dynastie) mit Dämmen und Kanälen (einer 20km lang) zur Flutwasserspeicherung in einem neuen See „Moeris“
    3.000 BCAltsumerische Pflüge mit Bronzescharen beschlagen
    Uruk40k
    2.800 BCUruk80k
    Lagash60kMesopotamien
    2.400 BCMari50kMesopotamien
    Umma40kMesopotamien
    Girsu40kMesopotamien
    Mohenjo-Daro40kIndus
    2.300 BCGirsu80kUruk schrumpft
    2.100 BCShaduf-Bewässerung in Minoa, Ägypten (2k), Meso.(1,7k), China(1,6k BC)
    2100 BCUr100kKüste entfernt sich von der Stadt
    2.000 BCZementrohrkreuzungen der Römer(?), Speichenrad, Bronzezeit in China/Asien beginnt
    Memphis60kHauptstadt Ägypten
    1.800 BCMari60kMesopotamien
    1.750 BCWasserverordnung Hammurabi, proportionale Verteilung und Kanalinstandhaltung
    1.700 BCBabylon60kMesopotamien
    1.600 BCAvaris100kHyksos-Stadt, von Ägypten zerstört
    1.500 BCThebes60kHauptstadt Ägypten
    1.400 BCThebes80k
    1.300 BCYinxu120kLetzte Hauptstadt der Shang Dynastie
    1.200 BCArd / Ritzpflug mit Eisenscharen beschlagen
    1.200 BCPi-Ramesses160kHauptstadt Ägypten, nahe Avaris
    1.000 BCThebes120k
    Memphis100k
    Babylon100k
    Haojing100k
    900 BCHaojing125kHauptstadt China, König Wu
    700 BCNoria (Flussgetriebenes Wasserrad mit Eimern/Töpfen) in Ägypten
    Luoyi200kKönig Chen
    Babylon200k
    550 BCQanat (Vertikale Brunnentunnel, aus denen Wasser Felder bewässert)
    500 BCSakia (Ochsengetriebene Noria, Wasserrad, erste Pumpe)
    Linzi200kHauptstadt in China
    400 BCXiadu320kHauptstadt in China
    300 BCCarthage500kIn punischen Kriegen zerstört
    250 BCTambour (Archimedesschraube, Schneckenpumpe)
    200 BCAlexandria600kHauptstadt Ägyptens unter Ptolomei
    100 BCAlexandria1.000kHauptstadt Ägyptens unter Rom
    0 BCRome1.000k







    Relevanteste Quellen:
    YT zu den größten Städten ihrer Zeit: https://www.youtube.com/watch?v=m3uD073rJOU
    Tier-Domestikation: https://www.thoughtco.com/anim…table-dates-places-170675
    Diverse Bewässerungsentwicklungen: http://www.irrigationmuseum.org/exhibit2.aspx


    Und sonst viel englische/deutsche Wiki.. o_o



    Wahrscheinlich wurde der Pflug über die Wintermonate im Moor versenkt, um das Holz zu konservieren, damals eine gängige Methode.

    Zum 3500 Jahre alten (1.500 BC) Pflug von Walle, dem ältesten Deutschlands. :)



    /Edit: Dass Eisenpflüge 2300 BC da sein sollten kommt mir anachronistisch vor, die Quelle ist Wiki (vorletzer Satz):


    Nach 3000 v. Chr. wurden altsumerische Pflüge typischerweise mit Bronzescharen beschlagen; mit Eisenscharen nach 2300 v. Chr. in Assyrien und Ägypten.

    /Edit: Ich hab mir deren Quelle mal angeguckt und das ist vermutlich ein Typo und sollte 1200 v Chr. heißen, habs in der Wiki korrigiert, wurde gesichtet \o/ und hier natürlich auch korrigiert.

    > Möchte in Fantasy-Ausrichtung an den Erfolg von Scientology anknüpfen.

    25 Mal editiert, zuletzt von Eru ()

  • Ich bin zwar kein Historiker aber Geograph. Und aus dieser Sicht weiß ich, dass die wichtigsten aller Grundlagen zur Entwicklung von Städten nach heutiger Auffassung eine Überproduktion an Nahrungsmitteln über den Eigenbedarf durch Landwirtschaft ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass die ältesten Städte im Bereich des sogenannten Fruchtbaren Halbmondes (also der Bogen von der östlichen Mittelmeerküste nach Mesopotamien) entstanden, da von hier die landwirtschaftliche Revolution ausging. Die Überproduktion an Nahrungsmitteln machte eine Arbeitsteilung möglich, aus der sich das Handwerk entwickeln konnte. Dies führte zu technischen Innovationen, weil sich Menschen nicht mehr mit Jagen und Sammeln beschäftigen mussten, sondern sich auf eine spezielle Sache konzentrieren konnten. Eine Stadt brauchte daher in der Umgebung eine Landwirtschaft, die die Stadt mit ausreichender Nahrung versorgt. Handwerker selbst brauchten prinzipiell daher kein Land außer dem Stückchen, auf dem ihr Haus stand. Da ein Schmied von einem anderen lernen konnte, konnten sie direkt nebeneinander leben. Mit der Zeit wuchs die Diversität an Handwerken und damit entstand auch so etwas wie ein Handel, der zunächst sehr lokal war. Gab es in einer anderen Stadt Dinge, die in einer Stadt begehrt waren und hatte man etwas Adäquates zum Tauschen, so konnte Handel mit der anderen Stadt getrieben werden. So entstanden Handelswege. Am Anfang vermutlich nicht mehr als größere dörfliche Siedlungen, zogen Städte immer mehr Menschen an und so brauchte es bald besondere Regeln um das Gemeinwesen zu organisieren. Mit steigendem Wohlstand wurden Städte bei fremden Herrschern oder Räubern aus dem Umland ein Magnet für Feinde des städtischen Friedens und so begannen Städte Mauern um sich herum zu bauen, die ihren Bürgern besonderen Schutz gewährte.


    Die Größe der Einwohnerzahl hing immer von den Versorgungsmöglichkeiten einer Stadt ab. Es erscheint uns zwar heute fast unglaublich, dass Rom schon vor 2000 Jahren 1 Mio. Einwohner hatte. Dazu muss aber folgendes bedacht werden:
    1. die Bedürfnisse waren um Größenordnungen primitiver als heute, was Konsum angeht
    2. lebte ein großer Teil der Menschen unter unwürdigen Bedingungen in Mietskasernen
    3. war Rom als Nabel der Welt in ein umfassendes Netz von Handelswegen eingebunden. Was aus dem Umland nicht zur Versorgung genügte, konnte also
    durch Fernhandel kompensiert werden.
    4. darf nicht vergessen werden, dass die Lebensbedingungen das Gemeinwesen in schweren Zeiten instabil werden ließ.
    Seuchen und Hungersnöte kosteten nicht selten tausenden Menschen das Leben


    Rom und Alexandria besaßen zur Entstehung früher Metropolen exzellente Ausgangsbedingungen. Alexandria Hafenstadt, Königssitz, im äußerst fruchtbaren Nildelta; Rom mit dem Hafen Ostia, Hauptstadt der Römischen Republik, später des Imperiums, mitten in Italien mit der fruchtbaren Poebene und idealer Ausgangspunkt für den Mittelmeerhandel.


    Die Bedürfnisse heutiger Metropolen können nur durch die Errungenschaften der industriellen Revolution befriedigt werden. Industrielle Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, chemische Industrie, industrielle Konsumgüterindustrie, Schwerindustrie, Energieversorgung und ein komplexes, motorisiertes Transportwesen waren notwendig, damit Städte mit der Rasanz wachsen konnten wie im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts oder Asien/Afrika/Lateinamerika heute.
    Ganz wesentlich ist hier aber auch die Medizin, wodurch die Bevölkerung ab dem 19. Jahrhundert nicht nur in den Städten, sondern auch insgesamt extrem wuchs.
    Die industrielle Revolution führten so gesehen nur dazu, dass Menschen den ländlichen Raum verließen.
    Als Schlüsseltechnologien werden hier die Dampfmaschine und die nutzbare Elektrizität gesehen.


    In meinem Heimatdorf kann man diese Entwicklung gut nachvollziehen. Seit dem Mittelalter dümpelte die EWZ bei etwa 350 rum, ging durch den Dreißigjährigen Krieg runter und danach wieder auf das alte Niveau. Im 18. Jahrhundert stieg sie leicht an, im 19. Jahrundert verdoppelte sie sich auf knapp 800 am Ende des Jahrhunderts. In der Kirchenchronik ist zu lesen, dass die EInführung von Impfungen die Sterblichkeit massiv verringerte. Der Anteil an Kindern war mit rund 25% sehr hoch. Fast jeder Einwohner war zu dieser Zeit Bauer und/oder Leineweber, nur wenige waren spezielle Handwerker, vor allem Stellmacher, Bäcker etc. Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft wuchs auch die Nachfrage nach Mineraldünger, sodass geologische Erkundungen stattfanden und man unter unserem Ort auf ergiebige Kalilagerstätten stieß. Der Bergbau begann 1904, es wurde eine Fabrik zur Verarbeitung gebaut. Mitte des 20. Jahrhunderts lag die Einwohnerzahl dann schon bei 2000. Der Energiebedarf der Fabrik war so groß, dass sie ein eigenes Kraftwerk erhielt. 1971 erreichte der Ort mit knapp 3200 Einwohnern seinen historischen Höchststand und hielt sich bis zur Wende auf dem Niveau von etwa 3000. Seit der Wende ist sie um gut 800 Einwohner zurückgegangen.


    So viel erst einmal dazu. Ich hoffe, das hat zum Verständnis etwas beigetragen.

  • Ich hatte oben noch länger rumeditiert, also die ganzen dick geschriebenen Technologien da eingefügt. Thematisch hab ich zu Tierhaltung, Ackerbau, Bewässerung, Brunnen, dem Rad/Karren und Kupfer/Bronze/Eisen gesucht, weil da viel Ernährung mithängt. Es ist gut möglich, dass ich da noch Schlüsselentwicklungen übersehen habe, etwa im Bereich Logistik/Straßen und Administration/Schrift.


    Aus dem Discord kam noch ein Hinweis, dass im Video womöglich spekulative und umstrittene Schätzungen genommen wurden, um eben die spektakulärsten Zahlen zu liefern. Im Video gibts auch noch einen Disclaimer zur Ungenauigkeit speziell die frühen Zahlen betreffend, aber womöglich kamen doch eher die höheren Zahlen ins Video.


    Und Danke an Giélu Wetaras, vor allem fürs Ausführen der Mietskasernen (und das instabile Gemeinwesen, sehr spannend o.q). Vermutlich trägt Sklaverei eben auch dazu bei, dass da plötzlich viel mehr in einer Stadt hausen als es sonst möglich wäre.

  • Erst einmal möchte ich sagen, dass ich deine Recherchegründlichkeit hinsichtlich der vielen Technologien bemerkenswert finde.


    Ich denke man unterschätzt oft die Innovationskraft simpel erscheinender Entdeckungen. Bei Penicillin wird man in 1000 Jahren (falls es dann noch Menschen gibt)
    sagen: Ja, da hat halt einer Medizin aus Schimmel gemacht.
    Insbesondere, wenn solche Entdeckungen irrelevant geworden sind, obwohl sie für weitere Entwicklungen oft ein wichtiger Baustein waren, erhalten sie nicht mehr die
    Wertschätzung, die sie eigentlich verdienen. So ist es gut möglich, dass sämtliche pathogenen Bakterien, die die Menschheit geißeln, in 1000 Jahren resistent gegen Penicillin sind, was diese Entdeckung scheinbar nutzlos macht.
    Ebenso ist es heute mit Archimedischen Schrauben, die außer z.B. in Klärwerken heute fast vollständig durch moderne Pumpen, die nach anderen Prinzipien funktionieren, verdrängt wurden; oder mit domestizierten Eseln.


    Es ist für mich z.B. heute noch sehr erstaunlich, wie die Holländer mit hunderten von Windmühlen, tausende Quadratkilometer dem Meer abrangen und trockenlegten, um es nutzbar zu machen.


    Hinzu kommt, dass wir von der Vergangenheit oft ein sehr rückständiges Weltbild haben, allein schon wenn es um das "Finstere Mittelalter" geht, in dem man nicht über Sex reden durfte, weil man sonst in die Hölle kam und die Erde noch eine Scheibe war. Dabei hat nicht Kolumbus die Welt zur Kugel gemacht, sondern es gab schon seit der Antike Berechnungen des Erdumfanges, sodass im Mittelalter die kugelförmige Erde längst gängige Lehrmeinung war. Und der Humor des Mittelalters ist durchaus als derb zu bezeichnen, möglicherweise würden sich die meisten Menschen heute sogar mehr schämen, wenn sie mit der Offenheit redeten, die im Mittelalter verbreitet war.
    Oder die oftgehörte Behauptung, man habe sich damals kaum gewaschen, deshalb konnte auch die Pest entstehen, wird allein schon dadurch widerlegt, dass
    man weiß, dass im Mittelalter Seife hergestellt wurde.

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