Als Sebastian Sampelmann die Zentrale betrat und sich umsah, stieß er innerlich einen kleinen Triumphschrei aus. Endlich konnte er mal alleine mit dem jungen Herrn Huber sprechen. Zentralsortierer Wurm hüpfte wie üblich auf den Apparaturen im ersten Stock herum und Franz Xaver Korbinian Huber saß unten auf einem Stuhl und betrachtete gelangweilt die Anzeigen. Sebastian holte Luft. Dieses Gespräch konnte sehr verschiedene Verläufe nehmen.
„Guten Morgen, Herr Huber! Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
„Griaß Eana Samplmann. Wenn’s moana. Gibt’s wos wichtigs?”
„Nichts Spezielles. Aber ich würde mich gerne über ein paar Dinge erkundigen bei Ihnen. Wir befinden uns im Moment in einer kritischen Phase und einige aktuelle Entwicklungen haben das etwas verschärft. Wie Sie ja sicher mitbekommen haben, hat unsere werte Kollegin Frau Juspels uns leider verlassen.“
„Ja. Da hob i jetz nix dagegn ghabt. D’Jusplerin hat si immer wega irgndwos aufgregt. Is gmiadlicha worn seitdem’s weg is.“
„Es mag sein, dass Sie beide vielleicht allzu gut harmoniert haben. Dennoch, Elvira Juspels hat uns in den letzten Jahren sehr weitergebracht und viele Aufgaben übernommen, die nun nicht mehr in dieser Form erledigt werden können. Ich bedaure Ihr Ausscheiden zutiefst!“
„Is wias is.“
„Wie geht es Ihnen Herr Huber?“
„Wias ma geht? Normal hoid.“
„Wissen Sie, ich mache mir nach dem Abgang von Frau Juspels Sorgen, dass uns noch mehr Zentralenmitglieder verlassen könnten. Und bei Ihnen… ich habe bemerkt, dass Sie sich im Moment nicht allzu sehr einbringen. Wenn ich irgendetwas tun kann, dass Sie sich wohler fühlen… wissen Sie, auch wenn ich nicht mehr im offiziellen Auftrag der RheinRuhr-Aufstrich-Consulting hier bin, will ich meine Rolle als Berater und Prozessoptimierer immer noch wahrnehmen.“
Der junge Herr Huber sah ihn etwas verwirrt an. Erst jetzt, aus dieser Nähe fiel Sebastian auf, wie jung er wirklich war. Zumindest die Hälfte seines Gesichtes, die nicht durch eine Metallprothese ersetzt worden war. Vielleicht war er noch nicht einmal volljährig. Von den meisten Zentralenmtigliedern stand mittlerweile eine Altersapproximation in der Datenbank, doch der Junge hatte dem Aufruf, das einzutragen, nie Folge geleistet.
„Ah und jetzt wo ihre Freindin d’Jusplerin weg is, gengan’s zu mia, damit i eanan huif bei eanene deppatn Pläne.“
„Herr Huber, ich wollte schon längst mal mit Ihnen sprechen. Ich habe mich nie wirklich für das Dialektmalheur entschuldigt, dass bei meiner Ankunft damals passiert ist. Wissen Sie, ich bin sehr dankbar, dass Sie mich von der Consultingagentur-Kontrolle befreit haben und ich rechne es Ihnen hoch an, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, hier zu bleiben, insbesondere den Kolleginnen Degor ZXP und Erzmagierin Welan. Es gab viel zu tun und leider bin ich der Konversation mit Ihnen ein wenig aus dem Weg gegangen. Außerdem: Wie Sie vielleicht wissen, hatte der Autor dieser Texte in letzter Zeit seinen Fokus auf anderen Projekten und es wäre schade gewesen, wenn diese Konversation hier so ganz unbeobachtet stattgefunden hätte. „
„Des is des Meta vo dem imma alle redn?“
„So ungefähr. Ich bin hier auch noch Laie. Jedenfalls: Es tut mir außerordentlich leid, dass meine erste Phase von so vielen Unannehmlichkeiten begleitet war, insbesondere für Sie persönlich. Ich übernehme die volle Verantwortung dafür. Ich hoffe, Sie können mir verzeihen.“
„Scho guad. I bin ned nachtragnd. I wui bloß mei Rua. Und i geh a ned weg. I hob nirgnds andas zum higeh.”
“Das ist schon mal beruhigend. Vorneweg: ich habe nicht die Absicht, Sie groß in unsere Strategiediskussionen einzubinden. Glauben Sie mir, mit der Erzmagierin, Kapitänin Daywar, Degor und dem Herrn Oberstudienrat habe ich genug adäquate Gesprächspartner. Nein, mir ist bewusst, dass sie am besten für Individualaufgaben geeignet sind.“
„Kenna Sie eigntlich bloß Wörta mit mindestens dreißg Buchstabn?“
„Gelernt ist gelernt würde ich sagen in diesem Fall. Und man kann jetzt auch nicht behaupten dass Sie sprachlich besonders anpassungsfähig sind. Wir kriegen das schon hin. Jedenfalls: Mir ist aufgefallen, dass Sie ein sehr guter Skifahrer sind.“
„Hob I lerna miassn. Wann I des ned kunnt hätt, hätts mi ganz schnei dabreslt.“
„Äh, ich glaube das letzte Wort müssen Sie mir dann doch nochmal erklären.“
„Dabreslt. I hätts ned ibalebt. I war gstuam.”
Franz Xavers Gesicht war ernst und trotzig. Sebastian überlegte genau, wie er seine nächsten Worte wählte.
„Verstehe. Ihre Fähigkeiten sind in jedem Fall beeindruckend. Wirklich, ich bin – in meiner Freizeit – selbst eine Weile Ski gefahren und was sie da alles können in so jungen Jahren. Sie können stolz darauf sein!“
„Hob i nie so gsehn. Aber danksche!“
„Ich hatte mich vor wenigen Tagen mit Kapitänin Daywar und Degor ausgetauscht. Elvira…, Frau Juspels hat uns so einige Aufzeichnungen hinterlassen, von Pfaden durch die äußeren Regionen der Schlaufe, aus denen uns diverse Messdaten nützen würden. Und viele dieser Pfade liegen in sehr winterlichen Gebieten. Kapitänin Daywar kann Ihnen Details nennen. Wir hatten uns gefragt, ob Sie bereit wären, die Erkundungsfahrten hier zu unternehmen.“
Franz Xavers Miene regte sich ein wenig. Er schien ernsthaft über den Vorschlag nachzudenken.
„I fahr eh vui Schi wann i ned da bin. Derf i amoi oschaun, was des fia Wege san?“
„Sicher. Eine Route hat mir Kapitänin Daywar auf diesem Modul mitgebracht. Darf ich mal kurz?“
Sebastian holte das vorbereitete Modul aus der Tasche und steckte es in den Rechner vor ihnen. Nach ein paar Bewegungen tat sich ein dreidimensionaler Pfad mit kompliziert aussehenden Verstrickungen vor ihnen auf. Franz Xaver betrachtete ihn nachdenklich.
„Des da kenn I. Da geht’s echt guad zum Fahrn.“
Sebastian lächelte instinktiv. Sie hatten gute Arbeit geleistet, eine Route vorzubereiten, von der sie wussten, dass der Junge schon mal in der Gegend unterwegs gewesen war.
„Könnten Sie dann einfach mal versuchen, die Messungen dort durchzuführen. Die Kapitänin würde sie mit allen nötigen Gerätschaften vertraut machen. Es würde uns wirklich sehr helfen!“
„Meinetwegn. I probier’s amoi.“
„Vielen Dank! Und noch etwas: ich bin mit den jüngeren Zentralenmitgliedern mittlerweile dazu übergegangen, uns beim Vornamen anzureden. Ich würde Sie ungern von diesem Zirkel ausschließen, jetzt wo wir mehr zusammenarbeiten. Darf ich Ihnen also das Du anbieten?“
„Vo mia aus. Du bist da äitare.“
„Sehr gut, Franz Xaver! Von dieser Vereinbarung sind unsere älteren Mitglieder natürlich noch ausgeschlossen. Oberstudienrat Öckel, Gosef Gaar, die Frau Erzmagierin, der Herr Zentralsortierer und Kapitänin Daywar. Aber ich hoffe, es wird die Arbeit dennoch ein wenig erleichtern.“
In diesem Moment betraten Simon Martin und Martin Simon die Zentrale. Franz Xaver sprang auf.
„Ah, Schichtwechsl! Vui Spaß eich. Und passts auf, sonst bringt eich da Sebastian no a extra Arbeit mit. I bered des Schifoadings mit da Kapitänin dann. Servus.“
Sebastian lächelte, während der Junge sich anzog und sich mit seinen Skiern auf den Weg machte. Es war schön zu sehen, dass Franz Xaver die Wertschätzung mit etwas mehr Offenheit zurückzahlte. Und es würde Sebastian gar nicht wundern, wenn er in nur wenigen Tagen mehr nützliche Dinge für die Zentrale erledigte als Simon und Martin zusammen.