Nachdem ich in letzter Zeit lange an der Zwergengesellschaft gebastelt habe, werde ich meine bisherigen homozentrischen Ausführungen kurz unterbrechen und mit den nichtmenschlichen Völkern weiter machen. Das System des Zwergenkönigreiches von Thorgurs Grat ist Sack-kompliziert aber ich hoffe, dass ihr euch von meinen sehr theoretischen Ausführungen nicht abschrecken lasst.
„Drei Seelen schlagen ach in meiner Brust“ - Die Gesellschaftsordnung von Thorgurs Grat
Vorbemerkung
Das Gesellschaftskonstrukt des Zwergenkönigreiches von Thorgurs Grat ist äußerst kompliziert und vielschichtig, was sich durch seine lange Geschichte erklären lässt. Es basiert auf dem Wunsch, die verschiedenen Zwergenstämme und Gilden in eine übergeordnete Staatsstruktur einzubinden.
Ideologische Grundlage der Gesellschaftsordnung von Thorgurs Grat sind die Lehren des Philosophen Urumin, der ca. 300 Jahre vor Gründung des Königreiches lebte. Obwohl in dessen Lehre viele überlieferte Bräuche der Zwergengesellschaft einflossen, versuchte er mehr, ein vollkommenes Ordnungssystem aufzubauen, weswegen die Gesellschaftsordnung des Königreiches nicht unbedingt für alle Zwergengesellschaften gültig ist.
Da Urumin vor der Existenz des Königreiches lebte, fehlt die Frage nach einem Zentralstaat in seinen Werken. Der Aufbau des Staates und seine Einbindung in das System Urumins wurde erst 500 Jahre nach Gründung des Königreiches mit dem „Allgemeinen Grundvertrag“ vollzogen, in dem sich die vorher rivalisierenden Stämme, Gilden und das Königreich auf gemeinsame und allgemein gültige Institutionen einigten.
Grundlagen
Die einzelne Person wird nicht als unteilbares Subjekt angesehen, sondern besteht aus mindestens zwei Seelenteilen, die voneinander unabhängig und autonom betrachtet und behandelt werden: Die „Ich-Person“, das eigentliche Individuum und mindestens eine, meistens aber zwei „Blut-Personen“, die das Individuum als Teil seiner Abstammungslinie identifizieren.
„Ich-Person“: Die Ich – Person bezeichnet das privat handelnde und schaffende Individuum. Als solches ist es selbstbestimmt und niemand anders als sich selbst verpflichtet und verantwortlich.
„Blut-Person“: Am besten könnte man die Blut-Person als den Teil einer Person beschreiben, der mit der Gesellschaft interagiert. Als Blut-Person ist das Individuum Teil seines Stammes und in diesem eingebunden. Im Gegensatz zur Ich-Person lebt die Blut-Person ewig und geht mit dem Tod in die Halle der Vorfahren des Stammes ein, wo sie zusammen mit dem Stammesvater über die Taten der Lebenden wacht. Die Stammesheiligtümer beinhalten weiträumige Ahnengalerien.
Warum also mehrere Blut-Personen? Ganz einfach: fast jeder Zwerg gehört mehreren Stämmen an, die verschiedene Aufgaben für die Gesellschaft erfüllen.
a) Der Stamm des Blutes: Die eigentliche Familie. In diesen Stamm wird man hinein geboren und mit diesem stirbt man auch. Die Position des Einzelnen im Stamm richtet sich nach der Abstammung, also der Verwandtschaftsnähe zum Stammesvater (also den Gründer des Stammes) und ist unverrückbar.
b) Der Stamm der Arbeit: Die verschiedenen Berufszweige der Zwergengesellschaft sind in „Stämmen der Arbeit“, also einer Art Gilde, zusammengefasst. Jedem Zwerg steht es frei, nach seiner (staatlichen) Grundausbildung eine Prüfung bei einer Gilde seiner Wahl abzulegen. Die Gildenväter entscheiden dann, ob der Proband in den Stammesverband der Gilde aufgenommen wird. Die Gilden regeln so das Arbeitsleben, sind aber nach Vorbild der Blutstämme organisiert, d.h. es gibt einen Stammesvater und die Hierarchie in der Gilde bzw. die verschiedenen Posten und Positionen sind analog zur Verwandtschaftslinie aufgebaut. Im Gegensatz zum Blutstamm kann man durch das Hinzugewinnen von Ehre (d.h. guter Arbeit) in der Verwandtschaftlinie auf- und bei Ehrverlust absteigen.
Mit den Eintritt in den Stamm der Arbeit erlöscht die Zugehörigkeit zum Blutstamm nicht. In der Regel ist also jeder erwachsene und arbeitende Zwerg Mitglied von zwei Stämmen, seinen Blutstamm und seiner Gilde.
c) Der Stamm des Königs: Dieser Stamm ist gewissermaßen ein Sonderfall, der aus der Notwendigkeit heraus geschaffen wurde, die staatliche Administration, zu der Behörden, Gerichte, Lehrer und Priesterschaft gehören, in das zwergische Gesellschaftssystem einzubinden und den Staat die Möglichkeit zu geben, mit den einzelnen Stämmen der Gesellschaft zu interagieren. Grundsätzlich bedeutet der Eintritt in den Stamm des Königs, dass die anderen Stammesverbindungen zeitweise aufgelöst werden. Bis auf den König und die Priester können jedoch alle Zugehörigen des Stammes des Königs aus diesem wieder austreten und werden in einer feierlichen Zeremonie wieder in ihre alten Stämme eingemeindet. Nach dem Tod geschieht das automatisch. Nur der König und manche Priester bleiben im Stamm. Der König ist immer Stammesvater. Deswegen gilt die Monarchie den Zwergen auch als dynastisch, obwohl die Könige eigentlich gewählt werden. Wird ein König abgewählt, dann gilt er für den Stamm des Königs rein rechtlich als tot und wird in die Ahnengalerie eingegliedert, was selbstverständlich auch eine Wiederwahl und weitere Tätigkeiten im Stamm des Königs ausschließt, wird aber als normale Person wieder in seine alten Stämme eingegliedert.
Ehre:Die Ich-Person ist alleiniger Träger der individuellen Ehre, eines weiteren sehr wichtigen Konzeptes der Zwergengesellschaft. Früher erhielt man Ehre durch große Taten, heute aber ist für Heldentaten im Zwergenreich wenig Platz, weswegen die individuelle Ehre sich heute vor allem durch gute Arbeit und Engagement für die Gemeinde auszeichnet. Ebenso kann man seine Ehre natürlich durch schlechte Taten verlieren. Ehre ist das Einzige, was das Individuum besitzt, weswegen das ganze Handeln und Schaffen des Individuums darauf ausgelegt sein sollte, seine Ehre zu bewahren und zu steigern.
Grundsätzlich gilt: Die Ehre der Ich-Person wirkt sich über die Vermittlung der Blut-Person direkt auf die Ehre des Stammes aus. Die Ich-Person ist deswegen immer Fundament der Stämme und des öffentlichen Geschehens. Umgekehrt gilt aber die Ich-Person als sakrosankt und es ist für die Stämme nicht möglich, in die Geschäfte der Ich-Person einzugreifen.