Noch so'n Oktoberding

  • Kapitel Achtzehn: In der Falle? Ha!


    Logbuch der SZR Perseus, Kommandierender Offizier Fuchs Ferrow. Datum weiterhin unbekannt.
    Wir arbeiten daran, herauszufinden, wie wir in die Gegenwart zurückkehren können. Leider ist Wassermolch Kaili noch mit Phantos im alten Kelda-Außenposten. Laut den Vorschriften für Zeitreise dürfen wir sie nicht in der Vergangenheit zurücklassen.


    Alles war aus Metall und nicht aus gewöhnlichem. Dieses Metall ließ nicht einmal Geister hindurch. Kaili hatte schon mehrfach vergeblich versucht, durch die Wand zu schweben.
    Nicht, dass das sinnvoll gewesen wäre. Sie konnte sich nicht allzu weit von Phantos entfernen und alle Räume und Korridore waren durch Türen verbunden. Die ganze Station war unglaublich praktisch aufgebaut, noch ein typisches Merkmal der Kelda.
    Computer mit Bildschirmen und Tastaturen gab es nicht. Das lag daran, dass die Kelda selbst immer in mechanischen Hüllen unterwegs gewesen waren, die sie nur einstöpseln mussten.
    Eine dieser Hüllen stand noch herum. Große Quader auf Rädern, vorne Stielaugen und ein Rüssel wie ein Staubsauger. In einigen, das wusste Kaili, steckten noch tote Kelda. Kleinere Geräte in derselben Form waren Serviceroboter.
    „Ich suche das Materiallager“, erklärte Phantos.
    Ihre Stimme, die Kaili telepathisch wahrnahm, wirkte unheimlich in der Stille des Vakuums.
    „Wahrscheinlich ist das im Zentrum“, vermutete Kaili. „Die Kelda legten großen Wert auf ihre materiellen Ressourcen.“
    Phantos nickte und bog nach rechts ab. Die Türen standen alle offen.
    Kaili folgte ihr und genau jetzt schloss sich die Tür hinter ihr, ebenso wie die drei anderen in diesem Raum. Licht, das ein Geist und die Königin der Nacht natürlich nicht brauchten, flammte an der Decke auf. Hüllen und Roboter erwachten.
    Und kreisten die beiden ein.
    Kaili ah auf die großen Saugrüssel. Saugen konnten sie im Vakuum natürlich nicht, aber wenn sich Kaili richtig erinnerte, hatten sie andere Möglichkeiten, Dinge anzuziehen. Und wenn schon die Wände geisterdicht waren …
    „Das ist eine der Fallen“, sagte Kaili unnötigerweise.
    „Ja“, antwortete Phantos. „Wie niedlich. In einer dieser Hüllen muss doch ein untoter Kelda stecken … das Metall ist wirklich einzigartig, ein Nekromant käme da nicht durch. Aber ich bin eine Göttin. Da ist der Kelda ja, was für ein hässliches Vieh. Ich lasse ihn ein paar Befehle eingeben und … na bitte.“
    All die Hüllen blieben stehen.
    „Sehr gut, jetzt kann ich auch gleich auf den Stationscomputer zugreifen.“
    Eine der Hüllen fuhr auf die Wand zu und verband ihren Rüssel mit etwas, das aussah wie eine altmodische Steckdose.
    Die Türen öffneten sich wieder und das Licht ging aus.


    Der nächste Raum war wieder eine Falle, dieses Mal eine noch bösartigere, die darin bestand, dass die Decke herunterkam um Eindringlinge zu zerquetschen. Da Phantos aber bereits im System war, schaltete sie die einfach ab. Der nächste Raum war auch schon das Materiallager.
    „Da haben wir es ja. Das Metall, mit dem sie alles gegen Magie und Ektoplasma isolieren, in seiner verwertbaren Form als Staub.“
    Phantos hielt ein zylindrisches Gefäß hoch.
    „Die nächste Zutat für mein Amulett. Aber zwei fehlen mir noch.“


    Dachs Dunkelfuß, der Erste Offizier der Perseus sah, wie sich der schwarze Schlauch wieder öffnete. Er hatte es schon einmal mit einem göttlichen Eindringling zu tun gehabt, damals, als er noch Sicherheitsoffizier gewesen war. Er wusste, dass man mit ihnen vorsichtig sein musste.
    Kaili kam zuerst aus dem Schlauch. Dann folgte die Göttin.
    „Erfolg!“, rief sie.
    „Dann sind Sie hier fertig und können uns wieder nach Hause schicken?“, fragte der Fuchs.
    Dunkelfuß hoffte es, aber er glaubte nicht daran. Es war nie so einfach.
    „Oh nein, ihr müsst mich erst noch an einen weiteren Ort bringen. Genau genommen muss ich zu euch nach Hause.“
    In Dunkelfuß' Fall war das der Mars, aber Phantos meinte wohl eher den Heimathafen das Schiffes.
    „Der nächste Planet auf dem ich die letzten beiden Dinge finde, die ich brauche, ist die Erde.“
    Götter waren nie einfach.

  • Kapitel Neunzehn: Das rotierende Zimmer


    Kaia erwachte schlagartig. Sie hatte wieder von dem blöden Elefanten geträumt.
    Und sie hatte Durst. Klar, sie hatte ja am Abend nichts mehr getrunken, nachdem sie im Wohnzimmer aufgewacht war.
    Kaum war sie aufgestanden, bereute die Rotkatze es auch schon. Warum war ihr so schwindelig? Dieses Mal lief nicht einmal Radio.
    Jetzt nicht umkippen. Einfach zur … nein, die Küche lag unten und die Treppe würde sie so nicht hinuntergehen. Ins Badezimmer, ja, da gab es auch Wasser.
    Wo war die Tür? Schwer zu sagen, wenn das Zimmer sich drehte …
    Moment, so schnell hatte sich ihr Zimmer aber noch nie gedreht, nicht einmal, als Kaia dieses Fieber gehabt hatte …
    Und jetzt … war es nicht mehr ihr Zimmer. Die völlig verschwommenen Wände hatten sich endgültig aufgelöst.
    Offensichtlich träumte sie wieder – hoffentlich lag sie nicht auf dem Boden – denn sie stand nun auf einer Straße, die sie nicht kannte.
    Und sie war nicht allein. Viele andere waren da, Katzen, Füchse, Wiesel, Fledermäuse … alles Säugetiere und alle in ihrem Alter. Und alle ebenso verwirrt wie sie.
    Und schwindlig war Kaia immer noch.
    „Es hat doch geklappt!“, rief eine Stimme, die der Katze bekannt vorkam. „Ich habe Kinder erreicht. Aber natürlich.“
    Aus dem Boden stieg eine Menschenfrau mit lila Haut und viel zu knapper Kleidung auf. Es sah nicht aus, als sei sie ein Geist oder etwas in der Art. Eher war es der Boden, der nicht ganz stofflich wirkte.
    „Gut, gut. Stellt euch alle im Kreis um mich auf … nein, nicht in einem Kreis, der wäre ja viel zu groß, bildet einfach Kreise um mich, ja?“
    Ohne nachzudenken, reihte sich Kaia in einen Kreis ein.
    „Jetzt hebt alle die Arme - genau. Und beugt euch nach vorne. Jetzt die Arme nach unten, greift in die Erde.“
    Kaias Pfoten gingen durch den Teer der Straße einfach hindurch. War sie ein Geist? Ach nein, sie lag ja eigentlich zuhause und schlief.
    „Und jetzt zieht die Erde zu euch hin. Reißt den Eingang zum Unterirdischen Sternenreich auf!“
    Kaia tat es. Bei ihr tat sich nichts, aber in der Mitte öffnete sich ein Loch aus dem sanftes Licht schien.
    Gleichzeitig erschien ein schwarzer Strudel in der Luft, aber da ihn sonst niemand beachtete, sagte Kaia auch nichts.
    Das Loch unter der Menschenfrau wurde größer, bis sie darüber schwebte, weil sie sonst hinein gefallen wäre.
    „Ja!“, rief sie. „Ich bin frei!“
    „Gut!“
    Ein Krokodil mit Fell war irgendwie erschienen. Da es direkt unter dem schwarzen Strudel stand vermutlich durch diesen.
    Es schubste Kinder zur Seite, als es auf die Frau zuging.
    „Dann kannst du mir ja meine Haare zurückgeben. Beziehungsweise was du daraus gemacht hast.“
    „Lass die Kinder in Ruhe!“, verlangte die Menschenfrau.
    „Hm. Könnte ich machen. Aber nicht umsonst.“
    Die Lilahäutige zuckte mit den Schultern.
    „Dann schicke ich sie eben wieder weg.“


    Kaia schlug die Augen auf. Sie lag nicht auf dem Boden. Sie stand. Sie hatte wirklich im Stehen geträumt. Unglaublich. Ihr war immer noch schwindelig. Und sie hatte Durst.
    Auf ins Bad.

  • Kapitel 20: Ratten hüten


    Logbuch der SZR Perseus, Kommandierender Offizier Fuchs Ferrow. Datum weiterhin unbekannt.
    Wir befinden uns in der Erdumlaufbahn. Unser Gast liegt wieder in seiner Raumkapsel, während die andere Kapsel nach wie vor entfaltet und mit den Schiffssystemen verbunden ist.


    Ferrow sah zu, wie die Kapsel eher aus dem Hangar fiel als flog. Phantos hatte gesagt, sie habe nicht vor zurückzukehren. Vermutlich erklärte das, wie die Kapsel überhaupt erst auf die Erde kam, wo man sie finden und der Perseusanvertrauen würde.
    Hier spricht DachsBlai. Wir haben die Kontrolle wieder. Und mein Team hat herausgefunden, wie wir den Zeitsprung rückgängig machen können. Wir müssen aber an den Ort des Sprungs zurückkehren.“
    Das war gut. Andererseits war diese Göttin nun auf der Erde und stellte sonstwas an. Das war zwar alles Geschichte und Zeitreisende sollten sich möglichst nicht einmischen, aber …
    „Kapitän an Brücke. Schicken Sie eine getarnte Sonde zu Phantos' Landeplatz.“
    Ist unterwegs,Fuchs.“, antwortete Kommunikationsoffizier Raven.
    „Gut. Ich komme auf die Brücke.“


    Als Ferrow die Brücke erreichte war auch die Sonde in Position und übertrug Bild und Ton. Auf dem Hauptbildschirm war zu erkennen, dass Phantos gerade ihre Kapsel verließ und zwei Einheimische ansprach.


    „Offenbar mögen mich die heimischen Tiere nicht“, sagte die Königin der Nacht.
    Den Eindruck hatte Krian in der Tat auch.
    „Aber … ich glaube, ihr habt etwas, das ich brauche.“
    Das war klar gewesen. Monarchen brauchten immer irgendetwas.
    „Und was wäre das?“, fragte Simka, ebenfalls misstrauisch.
    „Das eine hast du gleich dabei. Gibst du mir bitte den schwarzen Dolch in deiner Tasche?“
    Krian wusste, welchen Dolch sie meinte. Simka hatte ihn nach dem Kampf gegen Dracula als Andenken behalten.
    War das wirklich erst zwei Jahre her?
    „Nein, das tue ich sicher nicht“, antwortete Simka.
    „Na gut, ich muss wohl weiter ausholen. Auf einem fernen Planeten war ich die Göttin der Nacht. Die Leute dort fürchteten meine Zeit, weil sie dunkel und kalt war und baten mich um Schutz. Bis eine neue Göttin erschien. Sie gab ihren Anhängern und auch anderen Sicherheit, half ihnen, neue Bündnisse zu schmieden und wehrhafte Gemeinschaften zu gründen. Man brauchte mich kaum noch. Ich forderte sie heraus, wir kämpften und ich verlor. Ich musste den Planeten verlassen und mich auf einen Mond zurückziehen. Aber später fand ich heraus, wie ich meine Kräfte mit einem magischen Talisman verstärken kann und begann, die Zutaten dafür zu sammeln. Dein Dolch besteht aus einem verzauberten Material, das ich brauche. Bitte, gib ihn mir.“
    „Damit du eine hilfreiche Göttin vertreiben kannst? Lass mich überlegen … nein!“
    Mit einem Schritt war die Gottheit bei Simka. Krian richtete sein Schwert auf sie, was aus der Entfernung nicht viel brachte.
    Simka hingegen legte ihre Hand auf die Tasche mit dem Dolch.
    „Nein.“, wiederholte sie.
    „Gut, wie du meinst.“
    Noch ein Schritt und sie war auf dem Hügel.
    „Anlocken konnte ich die Ratten ja nicht. Vielleicht funktioniert es umgekehrt? Kinder der Nacht lauft!“
    Lautes Quieken war von jenseits des Hügels zu hören. Dazu das Fluchen des Rattenzüchters.
    „Da müssen wir wohl helfen“, entschied Simka.


    Fasziniert sah Dachs T'Cab zu, wie die beiden Ritter ohne sich abzusprechen links und rechts um die Rattenfarm herumrannten. Schneller laufen als die Ratten konnten sie nicht, aber da die Tiere spätestens an der Küste die Richtung ändern mussten, konnten sie ihnen den Weg abschneiden und sie zurück treiben.
    „Das sind Simka und Krian, oder?“, fragte Ferrow.
    „Ich denke schon“, antwortete T'Cab.
    „Ich will sehen, wie diese Sache ausgeht. Das ist eine Gelegenheit für Geschichtsforschung, die wir uns nicht entgehen lassen können.“
    Der Meinung war T'Cab auch.
    „He!“, rief Dunkelfuß. „Da war gerade wieder Phantos. Sie hat in Simkas Tasche gegriffen, als die Ratten sie abgelenkt hatten.“
    „Wirklich?“, fragte Ferrow.
    T'Cab musste auch zugeben, dass ihr das nicht aufgefallen war.
    „Ja, ging ganz schnell.“
    „Dann fehlt ihr nur noch eine Zutat, wenn ich das richtig verstanden habe.“


    Krian schloss das Gatter. Alle Ratten waren wieder da.
    „Wo ist Listamori?“, fragte der Züchter.
    Bis auf die natürlich. Die war ja schon vorher weggelaufen.
    „Die war nicht so loyal, wie behauptet“, sagte Simka. „Moment mal.“
    Die Katze griff in ihre Tasche.
    „Hab ich's doch geahnt. Der Dolch ist weg. Finden wir diese 'Königin der Nacht'.“

  • Kapitel Einundzwanzig: Reisen im Schlaf


    „Es war nicht billig“, sagte Crocodemon. „Aber ich habe die Wolle bekommen und sogar verarbeiten lassen. Hier.“
    Gilor sah auf die drei Decken und drei Kissen.
    „Kannst du mir den Plan noch einmal erklären?“, fragte er.
    „Also. Wir waren in allen Unterwelten, zu denen ich Zugang habe. Von keiner konnten wir die Königin der Nacht finden. Also muss sie auf einem Planeten ohne eine solche sein. Zum Glück können wir als Dämonen auch über die Traumebene reisen. Dazu müssen wir aber erst mal dorthin kommen. Und dazu nehmen wir dieses Bettzeug aus Herzwolle. Damit landen wir direkt dort.“
    „Aber doch nur im Traum“, wandte Gilor ein.
    „Du denkst noch zu sehr wie ein Sterblicher. Wenn ich sage, wir können über die Traumebene reisen, dann meine ich natürlich körperlich. Und jetzt: Gute Nacht!“
    Crocodemon legte sich auf die Wiese, bettete den Kopf auf eines der Kissen und deckte sich mit einer der Decken zu.
    Bladeface tat es ihm gleich.
    Das war doch vollkommen verrückt.
    Warum hielt sich Gilor noch an den Pakt? Was konnte ihn jetzt noch dazu zwingen? Crocodemon schlief und wenn er Recht hatte, würde er bald weg sein. Und ohne diese Bettwäsche aus Wolle die Inneren von Schafen wuchs (nebenbei bemerkt: igitt!) würde es ihm auch schwer fallen, zurückzukommen.
    Gilor konnte einfach gehen und sich um seinen eigenen Kram kümmern.
    Nur tat er das nicht. Weil er inzwischen selbst ein Dämon war und daher einen Pakt nicht nur einhalten musste sondern auch gar nicht anders konnte. So unsinnig es ihm auch vorkam, er legte sich hin und deckte sich zu.
    Und schlief augenblicklich ein.


    Der Boden war Schlamm. Dürre Bäume mit Gesichtern standen hier und da. Kleine Affen kamen aus den Bäumen, bliesen sich auf und zerplatzten.
    „Was ist das denn?“, fragte Gilor.
    „Mein Traum“, antwortete Crocodemon. „Was dagegen?“
    Der Krokodildämon malte mit den Finger irgendein Zeichen in den Schlamm und ein schwarzer Strudel erschien an dieser Stelle.
    „Da rein.“
    Bladeface gehorchte sofort. Gilor musste es ebenfalls tun. Er fiel nicht lange. Sehr schnell landete er auf … nichts. Oder eher, einem unsichtbaren Boden. Einem unsichtbaren Boden unter dem sich die Wiese erstreckte, auf der die drei Dämonen schliefen.
    Ein großer, schwarzer Strudel schwebte einfach über den drei. Aber es gab noch andere Strudel, hier und da.
    „Das sind alles Eingänge in Träume“, erklärte Crocodemon. „Unter jedem dieser Strudel schläft jemand. Aber diese Träume interessieren uns nicht. Wir brauchen ein Transportmittel um uns andere Planeten anzusehen.“
    Crocodemon schloss die Augen. Aus seinem Strudel stiegen die dürren Bäume auf. Sie verschränkten sich ineinander, verbogen und verflochten sich, bis sie ein Segelboot waren. Mit einer sich ständig erneuernden Mannschaft aus platzenden Affen.
    Mit einem Sprung schaffte es Crocodemon an Bord.
    Das Boot senkte sich etwas.
    „Jetzt kommt schon. Es gibt mehr Planeten ohne Unterwelt als mit. Unsere Suche könnte noch viel länger dauern als die letzte.“
    Und das mit einem Haufen platzender Affen? Großartig.
    Ohne etwas dagegen tun zu können, kletterte Gilor an Bord. Bladeface folgte. Dann legte das Boot ab.
    Als Gilor hinab sah, waren die Körper der Dämonen und der große schwarze Strudel spurlos verschwunden.


    Der Teil der Traumebene ohne Träumer war leer aber zum Glück klein. Bewohnte Planeten lagen hier demnach relativ nahe beieinander. Gilor hatte keine Ahnung, wie lange diese Bootssfahrt schon dauerte. Er hatte normale Planeten gesehen, aber auch Scheibenwelten, Hohlwelten, Riesenraumschiffe und diese seltsame Konstruktion aus Möbiusbändern, auf der irgendwie Leben existierte.
    Inzwischen hatte er sich sogar an die platzenden Affen gewöhnt. Sie schmeckten auch nicht übel.
    Dennoch war er froh, als er Crocodemon endlich rufen hörte: „Da ist sie! Auf diesem Planeten ist die Königin der Nacht!“
    Der Planet sah recht normal aus. Land, Wasser, haufenweise Traumstrudel.
    „Jetzt müssen wir nur noch eine einzelne Gottheit auf einem dich bevölkerten Planeten finden.“
    Hatte das denn nie ein Ende?

  • Kapitel Zweiundzwanzig: Kochen mit Haar


    Alanna, Küchenchefin des Göttlichen Palastes des Dunklen Mondes, war etwas nervös.
    Das hier war nicht irgendeine Pastete oder ein Auflauf. Das hier war eine Zutat für einen mächtigen magischen Talisman. Wenn das hier schief ging, war sie bald einer der Zombies, die unter dem Gebäude in den Minen arbeiteten.
    Die Haare kochten auf der richtigen Temperatur, der Sand aus der Wüste der Zeit war inzwischen flüssiges Glas und das Drachenblut … ja, das Drachenblut war ausreichend heruntergekühlt.
    Jetzt ganz vorsichtig das Wasser abschütten und die heißen Dämonenhaare in das eiskalte Drachenblut geben …
    Es zischte ein bisschen. Nun umrühren, damit sich die Haare gleichmäßig im Blut verteilten.
    Nur nicht zu schnell, sonst blieben sie noch am Löffel hängen.
    Wann sich die Haare verteilt hatten, war im undurchsichtigen und bei dieser Temperatur auch ziemlich zähen Drachenblut nicht zu erkennen. Aber Alanna hatte Erfahrung damit, wie sich Dinge verteilten, wenn man rührte. So viel anders als Fadennudeln in dicker Soße war das nicht – nur viel ekliger.
    Jetzt war es wohl richtig und nun kam der heikle Teil. Das flüssige Glas musste so auf das kalte Drachenblut, dass es eine Hülle darum bildete. Dazu musste sie das Drachenblut noch weiter herunterkühlen, damit es fester wurde, das Glas aber weiter erhitzen.
    Natürlich hatte Alanna dergleichen schon mit Schokolade gemacht, aber flüssige Schokolade war nicht annähernd so heiß wie flüssiges Glas.
    So , jetzt stimmte es. Alanna stürzte den Topf um. Das quasi-feste Blut blieb stehen. Sie walzte es mit dem Nudelholz ein bisschen aus, dann formte sie einen Ball. Natürlich musste der stehen bleiben, also stellte sie ihn in übrig gebliebenen Sand.
    Nun vorsichtig das Glas …
    Wo das Glas direkt auf das Blut traf, wurde es sofort zäher, der Rest lief weiter den Ball hinunter. Im richtigen Moment pustete Alanna den Sand weg, damit nicht zu viel davon mit eingeschlossen wurde.
    Das musste nun abkühlen, während das restliche Glas weiter flüssig bleib, schließlich war ganz unten noch eine Stelle frei.
    War es fest genug? Ja. Mit Handschuhen geschützt nahm Alanna die Beinahekugel und stellte sie umgedreht wieder in den Sand. Nun kam noch einmal flüssiges Glas von dieser Seite darauf.
    Fertig.


    Phantos besah die Kugel. Dann steckte sie sie in ihren metallenen Büstenhalter, wo sie irgendwie völlig verschwand.
    „Das hast du gut gemacht“, sagte die Königin der Nacht. „Ich werde nun auf eine längere Reise aufbrechen. Es ist gut möglich, dass du meine Rückkehr nicht mehr erlebst. Du bist doch irgendwie verwandt mit dem letzten König, oder?“
    „Das war mein Großvater …“, antwortete Alanna vorsichtig.
    „Gut, sehr passend, bis ich wiederkomme, bist du Königin des Dunklen Mondes.“
    „Was?“
    „Stimmt, das geht ja wahrscheinlich gar nicht. Wenn ich vor deinem Tod nicht zurück bin, vererbst du den Titel natürlich weiter. Nimm einfach meinen Thron, in der Schatzkammer liegt noch die alte Krone.“
    „Aber … wie soll ich denn …“
    „Du machst das schon. Ich muss los.“

  • Kapitel Dreiundzwanzig: Ruhe in Frieden, Bastard


    „Die Unterwelt aus der ich komme, hat sich vor langer Zeit von einer anderen Unterwelt abgespalten, dem Reich des Zwielichts. Da herrscht mein Großvater, Gragor.“
    Gilor nickte zu dieser Erklärung Crocodemons. Was hätte er auch sonst tun sollen.
    „All diese Unterwelten sind miteinander verbunden. Jede hat sich an einen anderen Planeten angehängt, wie ein Blutegel an den Fuß eines Wanderers.“
    „Schöner Vergleich. Aber wie sollen wir den richtigen Planeten finden?“
    „Das ist einfach. Wenn ich in der entsprechenden Unterwelt bin, kann ich spüren, ob die Königin der Nacht auf dem Planeten ist. Oder in unmittelbarer Nähe.“
    „Das klingt alles ganz durchdacht, aber eine Kleinigkeit hast du übersehen.“
    „Und die wäre?“
    „Ich gehe nicht in die Unterwelt. Ich gehe nicht in ein Loch voller Dämonen und werde da selbst zu einem, um dann alle Unterwelten nach einer Göttin abzusuchen. Pakt hin oder her.“
    „Meinetwegen. Wenn du nicht gehst, dann schicke ich dich eben.“
    Gilor begriff einen Moment zu spät, was das bedeutete. Crocodemon brauchte nicht einmal eine Waffe, sein gewaltiges Maul genügte.


    Gilor hatte nicht viele Freunde gehabt, aber die Gilde der Kopfgeldjäger bezahlte ein Begräbnis für jedes ihrer Mitglieder. Auch dann, wenn es, wie dieses Mal, nicht mehr viel zu begraben gab.
    Wie es den Bräuchen seines Volkes entsprach, waren Gilors Überreste in die kalte Tundra gebracht worden und wurden nun mit Steinen abgedeckt.
    „Das wäre es“, sagte Psy-Cora X, die Kopfgeldjägerin mit dem hypnotischen Blick, als sie den letzten Stein ablegte. „Ruhe in Frieden, Bastard.“
    „Sind wir fertig hier?“, fragte Ro-Gar, der blauhäutige Pirat, Gilors größter Rivale und Gelegenheitsliebhaber.
    „Wir müssen noch auf ihn trinken!“, fiel Ash Grey, der Pyromanin, ein.
    „Immerhin ein Teil, der Spaß macht“, urteilte Psy-Cora X. „Wer hat das Bier besorgt?“
    „Ich!“, rief Icer, der Jäger mit der eiskalten Hand, der die Flaschen kühl hielt. „Für jeden eine und natürlich auch für Gilor!“
    Er warf eine Flasche und traf den Steinhügel an dem sie natürlich zerbrach. Bier lief zwischen den Ritzen hinab.
    „Auf Gilor!“, rief Ash und nahm einen Schluck.
    „Auf Gilor!“, echoten die anderen Kopfgeldjäger.
    „Möge er in der finstersten Unterwelt auf uns warten!“, fügte Ro-Gar hinzu.


    Gilor öffnete die Augen. Er wollte atmen, aber da war überall Wasser und – wo war oben? Irgendwo musste doch oben sein!
    Da, da war Licht, nein, da war es!
    Gilor durchbrach die Oberfläche und schnappte nach Luft.
    Er musste an Land. Wo war Land? Da, aber was für welches!
    Das ganze Ufer schien ein einziger Stein zu sein, mit einer geriffelten Oberfläche. Er war gelb und rot gefleckt und hatte ab und zu Risse, aus denen schwarze Halme wuchsen, die in Fangblättern endeten. Und wenn Gilor das vom Wasser aus richtig sah, hörte dieser Boden dann einfach auf.
    Der Himmel war auch nicht beruhigend. Rote Wolken, durch die hier und da Licht schien und gelegentlich ein grünes Auge hinab blickte.
    „Jetzt komm schon raus!“
    Dass Crocodemon da war, war auch kein gutes Zeichen. Dennoch paddelte Gilor zum Ufer und trat an Land.
    Er merkte, dass er völlig nackt war. Besonders merkte er es an den Füßen, denn diese Riffelungen im Boden waren scharfkantig uns entsprechend unangenehm.
    Wie er nun feststellte, befand sich der trübe Tümpel, aus dem er gestiegen war, an der Spitze einer von vielen Felsnadeln, die durch unterschiedliche, alle nicht sehr vertrauenerweckend aussehende, Brücken verbunden waren.
    „Ist das die Unterwelt?“, fragte Gilor.
    „In der Tat. Keine Sorge, sie sieht nicht überall so aus. Und natürlich bleiben wir eh nicht hier, wir suchen ja andere Unterwelten.“
    „Dann bin ich tot?“
    „Du warst tot. Jetzt bist du wiedergeboren. Als Dämon.“
    Gilor sah an sich hinab und auf sein Spiegelbild im Wasser.
    „Ich sehe nicht anders aus.“
    „Ja, darum habe ich gebeten. Ich wollte mir kein neues Gesicht merken müssen.“
    „Und nun?“
    „Nun suchen wir alle verbundenen Unterwelten ab, bis wir die Königin der Nacht finden oder eben nicht.“
    „Nicht finden ist eine Option?“
    „Es kann sein, dass sie auf einem Planeten ohne Unterwelt ist. Oder auf gar keinem Planeten.“
    Gilor konnte es nicht fassen.
    „Ich könnte völlig umsonst gestorben sein?“
    „Nein, nein. Auch wenn wir sie über eine Unterwelt nicht finden, kommen wir auf diesem Weg am besten zu einem Planeten von dem aus wir sie anders suchen können. Den Einhornplaneten um genau zu sein, direkt am Reich des Zwielichts.“
    „Okay … da gehen wir also zuletzt hin?“
    „Nein, da gehen wir jetzt hin und holen Bladeface ab, der schuldet mir noch einen Gefallen.“
    „Wer ist nun wieder Bladeface?“
    „Er ist ein Dämon des Reiches des Zwielichts, also ein Kind Gragors und damit genau genommen mein Onkel. Oh, deiner natürlich auch. Wir sind ja jetzt Brüder.“
    Großartig. Gilor hatte sich schon immer ein haariges Krokodil als Bruder gewünscht.

  • Kapitel 24: Nur eine weitere Ausgrabung


    „Wir haben etwas!“
    Die Kojotin Kat Koyo sah zu der studentischen Hilfskraft, einer Bernsteinfarbenen Marsdächsin.
    Man hatte dem Bergungsteam der Universität von Yeovil für dieses Projekt Studenten der Universität von Belacka zur Verfügung gestellt. Wahrscheinlich, damit sie von den Besten lernten.
    Die Marsdächsin und der neben ihr hockende Regenwaldhund hatten tatsächlich etwas ausgegraben, ein Schwert nämlich. Die Klinge war verrostet, aber der Knauf war ein klarer, geschliffener Kristall, den der Hund soeben sauber gewischt hatte.
    „Die Tiefe kommt hin“, urteilte Kat. „Das könnte wirklich ein Schatzversteck der Ritter von Thaine sein, wie Jila vermutet hat. Dann müsste es wohl eingestürzt sein, was nicht verwunderlich wäre, wenn man das Alter bedenkt. Die Verstecke waren nie sehr groß, erweitern wir die Ausgrabung ein bisschen in alle Richtungen, dann sollten wir auf Mauerreste stoßen.“
    Die Studenten stöhnten auf. Wie sie ganz richtig vermuteten, hatte Kat gemeint, dass sie die Ausgrabung erweitern sollten, während das Bergungsteam den Fund untersuchte.
    Kat ging mit dem Schwert zu den anderen.
    „Was meint ihr?“
    „Eine Prunkwaffe“, urteilte Ket, Kats Zwillingsbruder. „Das ist durchaus etwas, das die Ritter von Thaine verstecken würden.“
    „Oder eine magische Waffe“, schlug Iska, das Schakalweibchen, vor. „Der Kristall könnte ein Fokus sein.“
    „Die würden die Ritter von Thaine sogar ganz sicher verstecken“, nahm Ket an. „Ich mache es mal ganz sauber, vielleicht ist irgendwo ein Zeichen eingeprägt.“
    Der erste Fund war aufgetaucht, wie so viele Funde auftauchten. Er war beim Pflügen dieses Feldes an die Oberfläche geworfen worden. Der Pflugroboter hatte den Fremdkörper dem Landwirt gemeldet und der hatte die Behörden informiert.
    Es handelte sich bei diesem ersten Fund um einen goldenen Orakelteller, wie er als Unterlage für ein Magisches Auge verwendet wurde.
    Die Ritter von Thaine waren bekannt dafür, dass sie magische oder besonders kostbare Gegenstände, die ihnen in die Hände gefallen waren, an sicheren Orten versteckt hatten. Und da das hier die Insel Thaine war, war es recht naheliegend gewesen, dass der Teller aus einem ihrer Verstecke stammte.
    Und nun war da das Schwert. Wer benutzte ein magisches Auge und trug ein Schwert? Kaum jemand. Es schien tatsächlich eine Art Sammlung zu sein.
    „Hi!“
    Kat drehte sich um und sah, wie Jila sich unter dem Absperrband hindurch duckte.
    „Habt ihr schon was Spannendes?“
    „Mehr oder weniger“, antwortete Ket und zeigte ihr das Schwert.
    „Uh. Sieht nach einer Spezialanfertigung aus. Von der Größe des Griffs her – vielleicht für einen Igel? Einen Piratenkapitän oder so?“
    Iska zuckte mit den Schultern.
    „Im Moment ist noch alles möglich.“
    „Da ist was!“, rief eine weitere Studentin, eine blaugraue Wölfin.
    „Mauer?“, rief Kat zurück.
    „Ne, ein kleines Ding. Moment.“
    Die Studentin kam herüber und gab es Kat.
    „Hm. Ich glaube, das ist der Griff eines Dolches.“
    Sie nahm einen der Pinsel und trug die Erde ab.
    „Ja, hier war mal eine Klinge. Aus einem schwarzen Metall. Wurde sauber abgetrennt.“
    „Mach mal da sauber, ich glaube, da ist was eingeritzt“, sagte Iska.
    Kat tat es und fand tatsächlich etwas.
    „Sieht aus wie ein Wappen. Zweigeteilt. Links ein Sichelmond und darunter ein …“
    Kat zählte im Kopf.
    „Ein achtzackiger Stern. Und rechts Streifen, abwechselnd dickere und dünnere.“
    „Jila?“, fragte Ket.
    Kat drehte sich zu Jila um und sah, was Ket meinte. Die gefleckte Katze riss die Augen weit auf.
    „Ist alles in Ordnung?“, fragte die Kojotin.
    „Wisst ihr nicht, wem dieses Wappen gehört?“, fragte Jila aufgeregt.
    „Nein …“
    „Vlad dem Dritten!“
    „Wem?“
    „Dracula!“
    Kat blinzelte. Wenn das … nein, Moment.
    „Das kann doch nicht sein. Dracula lebte in Taurania. Wie soll mitten in der Zeitlosen Dunkelheit sein Dolch hierher gekommen sein?“
    Jila zuckte mit den Schultern.
    „Weiß ich nicht. Aber das ist sein Wappen. Definitiv.“
    Kat dachte darüber nach. Es war nicht unmöglich. Nur sehr unwahrscheinlich.
    „Was ist das eigentlich für ein schwarzes Metall?“, fragte Iska. „Ist das Drittweltmetall?“
    „Nein“, sagte Jila. Als Katze konnte sie Drittweltmetall erkennen. „Das sollten wir den Geoarchäologen geben.“
    „Wir haben die Mauer!“, rief jemand.
    „Gut!“, rief Kat. „Grabt daran entlang, damit wir wissen, wie groß das Gebäude war!“
    „Hier ist noch was. Eine Art Kiste aus Metall!“
    Das war interessant. Das Bergungsteam begab sich zur Grube. Dort waren die Mauerreste inzwischen gut sichtbar und die Kiste wurde immer größer. Und … sargförmig?
    „Draculas Dolch und eine sargförmige Kiste?“, fragte Iska.
    Jila schüttelte den Kopf. „Dracula wurde erst '81 in Gilmid zerstört. Er soll danach nochmal wieder aufgetaucht sein, aber er kann nicht in einer Kiste liegen, die seit Jahrhunderten begraben ist.“
    Das leuchtete ein.
    „Sieht aus als wäre hier an der Seite eine Art Buchse“, meldete die Marsdächsin. „Für einen Stecker oder so.“
    Kat stellte sich die Zeitlini bildlich vor. Für die Zeitreisewelle war das Versteck zu alt, aber vielleicht war es ja lange genutzt worden? Oder das Ding kam von ganz woanders, wie auch der Dolch …
    „Das ist ein bedeutender Fund“, stellte jedenfalls Ket fest. „Den müssen wir sofort melden.“

  • Kapitel Fünfundzwanzig: Der beste Freund des Anthros


    „Hab ich's doch geahnt“, sagte Simka. „Der Dolch ist weg. Finden wir diese 'Königin der Nacht'.“
    „Wie denn?“, fragte Krian.
    „Ähäm“, meldete sich der Rattenzüchter zu Wort. „Darf ich darauf hinweisen, dass Ratten ausgezeichnete Spurenleser sind?“


    Ferrow verfolgte auf dem Bildschirm wie Simka und Krian der Ratte folgten, die der Spur Phantos' folgte.
    „Können wir feststellen, wo die Göttin ist?“, fragte er.
    „Ja, die erscheint deutlich auf den Sensoren“, antwortete T'Cab. „Sie ist am Strand.“
    „Können wir uns das ansehen?“
    „Eine zweite Sonde würde eine Weile brauchen, aber hier ist schonmal ein Bild von oben.“
    Der Bildschirm zeigte nun ein geteiltes Bild. Links die Ritter, rechts die Königin der Nacht.
    Die Königin hatte ein Loch in den Sand gegraben und heizte es offenbar magisch auf.
    Dann warf sie etwas hinein.
    „Koralle“, sagte T'Cab. „Muss sie am Strand gefunden haben.“
    Aus ihrem Metall-BH holte sie den schwarzen Dolch. Sie brach die Klinge ab, warf den Griff achtlos in den Sand und die Klinge in die Grube. Dann folgte das Metallpulver von den Kelda. In der Grube geschah etwas seltsames. Koralle sollte nicht schmelzen, aber irgendwie verflüssigte sie sich und mischte sich mit den Metallen.
    „Interessant. Die Koralle zerfällt und wird von der Metalllegierung eingeschlossen.“
    Nun holte die Göttin eine rot gefüllte Glaskugel hervor und … tauchte sie mit der bloßen Hand in das Metall.
    „Was wird das?“, fragte Ferrow.
    „Schwer zu sagen“, antwortete T'Cab. „Die Essenz überlagert jetzt alles.“
    Die Ritter näherten sich. Die Szene war nun aus zwei Perspektiven zu sehen und hatte wieder Ton.


    „Halt!“, rief Krian.
    „Gib mir den Dolch zurück!“, verlangte Simka.
    „Zu spät. Der Rest liegt da.“
    Die Göttin zog ihre Hand aus der Grube. Sie hielt ein unförmiges rotes Objekt.
    „So. Jetzt sollte ich auch eure Ratte unter Kontrolle bekommen.“
    Die Ratte war bereits sehr nervös. Jetzt wurde sie ruhig.
    „Ja! Es funktioniert! Komm zu mir.“
    Die Ratte lief zur Königin der Nacht.
    Krian hatte gar nicht mitbekommen, dass Simka ein Wurfmesser gezogen hatte.
    Jetzt flog es bereits und traf die Hand, die das rote Ding hielt.
    „Aua!“
    Das Ding fiel hinunter. Direkt vor die Schnauze der Ratte.
    „Nein!“, riefen alle, doch die Anziehungskraft des Objekts war wohl stärker als die Angst vor der Königin und der antrainierte Gehorsam. Die Ratte schnappte das Ding mit dem Maul und schluckte es hinunter.
    „Was passiert nun?“, fragte Simka.
    „Keine Ahnung. Die Ratte kann das Amulett unmöglich kontrollieren, es könnte irgendetwas tun.“
    Die Ratte zuckte. Sie pulsierte. Und dann wuchs sie.
    Sie wurde nicht einfach größer, ihre Haut schlug Wellen, blähte sich auf, Zähne fielen aus und wuchsen größer nach nur um wieder auszufallen.
    Die Ritter und die Königin wichen zurück.
    „Das habe ich nicht erwartet.“, gab die Königin zu.
    Die pferdegroße Ratte sah sie an. Sie wirkte … verwirrt. Und wütend. Und griff an.


    „Laut Vorschrift dürfen wir da nicht eingreifen, oder?“, fragte Krian.
    „Richtig“, bestätigte Dunkelfuß.
    „Die Ratte wächst weiter“, meldete T'Cab. „Ihr Gehirn aber nicht. Das wird eher chaotischer.“
    „Sie scheint nichts weiter zu versuchen, als die drei zu fressen“, bemerkte Dunkelfuß.
    „Ja, vermutlich ist der Jagdinstinkt das einzige, das noch richtig funktioniert. Inzwischen ist das Tier so groß wie ein LKW.“
    Jetzt tat es etwas, womit sicher niemand gerechnet hatte. Es packte Krian mit der Vorderpfote.
    „Wir wissen, dass er das überlebt, oder?“, fragte Ferrow.
    „Ja, sein Enkel hat ihn noch kennen gelernt“, bestätigte T'Cab. „Er kann noch nicht sterben.“


    Krian schlug auf die riesige Rattenpfote ein, die ihn hielt. Leider steckte sein Schwert schon in der Flanke des Nagetiers.
    Die gigantischen Zähne näherten sich und … entfernten sich wieder? Was tat die Ratte da? Sie würde ihn doch nicht in ihr Maul werfen, oder? Doch, genau das.


    Listamori beobachtete das Geschehen vom Dünengras aus. Wo vorher ihr Bruder gewesen war, war nun ein gefährlich riechendes großes Tier. Die furchterregende Frau und die beiden Anthros bekämpften es. Ein komisches Ding, das zu riechen aber nicht zu sehen war, schwebte herum.
    Das Raubtier versuchte, einen der Anthros zu fressen. Anthros mussten beschützt werden.
    Die Ratte lief los. Sprang auf das unsichtbare Ding. Sprang wieder. Warf den Anthro aus dem Weg. Wurde von riesigen Kiefern geschnappt.


    Krian konnte nur zusehen, als Listamori von dem früheren Artgenossen verschlugen wurde.
    Die Ratten waren wirklich sehr loyal.
    Plötzlich hielt das Rattenmonster inne.
    „Was ist nun los?“, fragte Simka.
    „Wenn die Ratte im Magen bei dem Amulett ist, beeinflusst sie es vielleicht“, vermutete die Königin der Nacht.
    Das Ungeheuer drehte sich um und lief ins Wasser.
    „He! Komm zurück mit meinem Amulett!“
    Ohne zu reagieren, schwamm die gigantische, groteske Ratte davon.
    „Wir kaufen diese Ratten für den Orden“, entschied Krian. „Auf jeden Fall.“
    Simka hob etwas vom Strand auf.
    „Nur noch der Griff …“, murmelte sie.
    „Das hole ich nie ein“, klagte die Königin. „Aber ich muss es versuchen!“
    Auch sie sprang ins Wasser und schwamm los.
    „Das war seltsam“, fand Krian.
    „Schnell zum Orden!“, rief Simka, als sei ihr gerade etwas eingefallen. „Wir müssen eine Taube zum Festland schicken!“
    Oh, natürlich!


    „Jetzt haben wir irgendwie doch eingegriffen“, fand Ferrow. „Aus Versehen.“
    T'Cab zuckte mit den Schultern.
    „Nun, wir haben Phantos auch erst hergebracht, ich denke, das geht in Ordnung.“
    „Behalten wir das Rattenungeheuer im Auge.“
    Maschinenraum an Brücke. Die Essenz in der Kapsel nimmt ab. Wir müssen los.“
    „Schade. Na gut. Bereitmachen für den Zeitsprung!“

  • Warnung: Vulgäre Sprache


    Kapitel Sechsundzwanzig: Dämonenhaut


    Gilor wollte gar nicht wissen, wie lange sie nach der Königin der Nacht gesucht hatten. Jetzt aber wussten sie sicher, dass sie sich auf keinem Planeten mit einer Unterwelt aufhielt.
    „Nun brauchen wir einen anderen Weg, sie zu finden“, erklärte Crocodemon.
    Und darum waren sie wieder hier, im Reich des Zweilichts, wo Opa Gragor herrschte und die Sicht dem Namen entsprechend schlecht war.
    „Dazu müssen wir natürlich aus der Unterwelt raus. Ein offenes Tor scheint es gerade nicht zu geben, aber sobald irgendein Idiot eine Dämonenbeschwörung durchführt, sind wir frei.“
    „Sicher? Sind wir dann nicht, ich weiß nicht, in einen Bannkreis eingeschlossen und müssen dem Beschwörer gehorchen?“, fragte Gilor.
    „Das sind nur Formalitäten. Ich bin schon so vielen Beschwörern entkommen … und mir noch keiner.“
    Der Dämon in Krokodilgestalt grinste, wie es eben nur Dämonen in Krokodilgestalt konnten.
    „Und solange warten wir einfach in diesem Halbdunkel?“
    „So ziemlich. Kann aber nicht zu lange dauern.“


    Eine gefühlte Woche später geschah es endlich. Rotes Licht hüllte Gilor ein und als es schwächer wurde, stand er … immer noch im Halbdunkel, aber diesmal in einem Wald. Und in einem Bannkreis. Und zwischen fünf … Einhörnern? Ponys? Einhornponys?
    „Das sind Ponyeinhörner“, erklärte Crocodemon flüsternd. „Obwohl, der schneeweiße da scheint halb Vampireinhorn zu sein.“
    „Vampireinhorn?“
    „Das hier ist der Einhornplanet, das sagte ich doch schon. Hier leben verschiedene Arten von Einhörnern. Ponyeinhörner, Vampireinhörner, Zebraeinhörner, Rieseneinhörner, Tintenfischeinhörner …“
    „Tintenfischeinhörner?“
    „Ruhe, Dämonen!“, verlangte das weiße Einhorn, das tatsächlich auffällig lange und spitze Eckzähne hatte. „Wir sind eure Meister, klar?“
    Ein lila Einhorn neben ihm kicherte.
    „Aber natürlich“, antwortete Crocodemon. „Wie können wir euch dienen.“
    „Ich will ficken“, sagte das lila Einhorn.
    Ugh, dachte Gilor. Bloß nicht.
    „Wir könnten Blubbernd und Schleimig machen oder Achtung vor dem Tiger oder … he, Das miesepetrige Krokodil würde doch total gut passen!“
    „Ebenholz!“, rief das weiße Einhorn. „Wir haben sie beschworen, weil wir die Haut eines Dämons brauchen. Für unsere Trommeln!“
    „Ja, aber wir haben gleich drei bekommen. Wenn wir einen häuten, können mich die anderen beiden doch immer noch von beiden Seiten nehmen.“
    Gilor fand beides nicht verlockend.
    Crocodemon räusperte sich.
    „Immer langsam. Noch haben wir keinen Pakt geschlossen. Ihr wollt einem von uns die Haut abziehen, in Ordnung. Aber die gibt es nicht umsonst.“
    „Schon klar, wir verkaufen unsere Seelen“, sagte ein rotes Einhorn. „Kein Problem, wir wollen sowieso in die Unterwelt.“
    „Ja, wir werden mit unserer Band berühmt und haben ganz viele Groupies und nehmen lauter Drogen und dann sterben wir an den Drogen und werden Dämonen und feiern in der Unterwelt einfach weiter!“, erklärte das lila Einhorn atemlos. „Das wird toll!“
    „Aber dazu brauchen wir erstmal Dämonenhaut um die geilsten Trommeln der Welt zu machen“, erklärte das weiße Einhorn.
    „Aus Dämonenhaut kann man besonders gute Trommeln machen?“, fragte Gilor.
    Davon hatte er noch nie gehört.
    „Keine Ahnung. Aber die würden halt voll gut zu unserer Musik passen.“
    „Wisst ihr überhaupt, wie man Haut gerbt? Oder eine Trommel bespannt?“
    „Äh, ne. Aber ihr seid ja zu dritt. Am besten macht ihr das alles. Der mit dem Messerkopf kann bestimmt gut Haut abziehen.“
    Gilor sah zu Crocodemon. Der musste doch eine Idee haben, oder?
    „Wessen Haut wollt ihr dann?“, fragte der. „Meine oder seine?“
    He!
    „Hm … welche wär denn besser?“
    „Nimm die Echse!“, rief Ebenholz. „Das Krokodil will ich behalten, das hat sicher nen riesigen Schwanz!“
    „Den habe ich wohl. Aber andererseits kann man mit meiner Haut natürlich mehr Trommeln bespannen.“
    „Nimm die Echse! Nimm die Echse!“, rief Ebenholz.
    „Ne, das Krokodil“, rief das rote Einhorn.
    „Wie entscheide ich das denn jetzt?“, fragte sich das weiße Einhorn laut.
    „Du könntest den Zufall entscheiden lassen. Du hast doch noch die Ritualkreide, mit der du diesen Kreis gezogen hast. Wenn du damit in den Kreis einen Würfel zeichnest, wird er echt und du kannst die Entscheidung auswürfeln.“
    „Echt?“, fragte das weiße Einhorn.
    „Au ja, das will ich sehen!“, verlangte das lila Einhorn.
    „Ich auch!“, riefen die übrigen drei gleichzeitig.
    Die rote Kreide schwebte einfach in den Kreis. Einhörner mit Telekinese, hm?
    Crocodemon schnappte sie aus der Luft.
    „Dumme Einhörner“, murmelte er und zog einen zweiten Kreis innerhalb des ersten um die drei Dämonen. Dann schlug er die Krallen in die Erde und hob den entstandenen gezeichneten Ring einfach hoch und warf ihn weg.
    Die Einhörner standen wie versteinert da.
    „Buh“, sagte Crocodemon.
    Und sie liefen.
    „Leider haben wir keine Zeit, sie einzufangen. Wir müssen ein paar Offenschafe finden. Und dann eine Nachtgöttin, wo immer sie sich auch versteckt. Trommeln aus Dämonenhaut, so ein Blödsinn.“

  • Kapitel Siebenundzwanzig: Die Zauberflöte


    „Du hast also das Amulett gleich wieder verloren. Und dann?“
    „Habe ich die Ratte verfolgt. Ich kann schnell sein. Aber sie hat das Festland dann doch vor mir erreicht und mich abgehängt. Keine Ahnung, wo die hin ist und wo mein Amulett dabei gelandet ist.“
    „Und du hast den Umringten Kontinent verlassen.“
    „Erstmal, ja. Ich wollte ein neues Amulett machen. Habe diesen Dracula gesucht, von dem der Dolch war. Aber die Dinge waren komplizierter, das war ja mitten in der Zeitlosen Dunkelheit und in Gilmid, wo Dracula lebte, war es noch bevor er den Dolch verloren hatte.“
    „Moment, aber er hat ihn doch auf dem Umringten Kontinent verloren, wie kann denn das sein?“
    „Nun, ich habe versucht, ein magisches Portal zu benutzen um nach Hause zu kommen. Ich konnte es aber nicht wirklich kontrollieren. Stattdessen landete Dracula, den ich vorgeschickt habe, erst auf einem fremden Planeten und dann auf dem Umringten Kontinent, aber früher als ich ihn losgeschickt habe.“
    „Und dann hast du Dracula geheiratet.“
    „Ja, das ergab sich irgendwie. Wir hatten dann auch eine Tochter.“
    „Ach.“
    „Ja. Er hatte ja schon zwei Töchter aus seiner ersten Ehe und eine adoptierte. Alle ursprünglich menschlich. Und einen Sohn mit dieser Monstergöttin Suthamal, aber der wohnte nicht mehr da.“
    „Die Töchter schon?“
    „Ja, die werden ja nicht mehr älter. Ewige Teenager. Du hast von den drei Bräuten Draculas gehört? Ja, da hat jemand was falsch verstanden.“
    „Ich verstehe. Und weder nach Hause zurückkehren noch ein neues Amulett machen hat richtig geklappt.“
    „Genau. Also wollte ich das alte wiederfinden. Ich habe mir eine Rakete gebaut und den Umringten Kontinent abgesucht. Keine Spur.“
    „Und, wenn ich mich richtig erinnere, wurde dann deine Tochter entführt?“
    „Moment, der Reihe nach. Also, wir haben uns getrennt – ein richtiges Eheleben hatten wir sowieso nicht, Pamina entstand durch, sagen wir mal magische künstliche Befruchtung – und ich habe Pamina in meinem Tempel aufgezogen. Dann wurde er vernichtet.“
    „Oh.“
    „Ja, und weil wir noch verheiratet waren, bekam ich das Sorgerecht für seine drei Mädchen. Zum Glück kann ich Vampire kontrollieren.“
    „Und dann wurde Pamina entführt.“
    „Genau, von Sarastro. Zum Glück haben meine drei Damen dann diesen Deppenprinzen Tamino angeschleppt, den ich nicht lange überreden musste, damit er sie zurückholt. Na ja, was heißt Glück. Hat er ja eigentlich nicht geschafft, mein Vogelfänger hat sie wiedergebracht. Der Prinz hat sich von Sarastro belabern lassen. Dabei hatte ich ihm extra die Flöte mitgegeben – die gehörte Draculas Sohn, damit hat er Ratten und Kinder hypnotisiert, ist ne andere Geschichte.“
    „Wie auch immer, Pamina war also wieder da, alles in Ordnung.“
    „Nicht so ganz.“
    „Nicht?“
    „Da war noch etwas. Der Siebenfache Sonnenkranz. Eine furchtbare Waffe gegen alle Geschöpfe der Nacht. Dracula hatte sie, aber weil sie nicht ihm gehörte sondern seiner Monstergesellschaft, habe ich sie nicht geerbt. Stattdessen bekam die Mumie sie zur Aufbewahrung.“
    „Die Mumie?“
    „Sarastro.“
    „Oh.“
    „Ich sah eine Möglichkeit, Sarastro loszuwerden und mir den Sonnenkreis unter den Nagel zu reißen, wenn ich Pamina wieder zu ihm zurückschicke. Diesmal bewaffnet.“
    „Oje.“
    „Und als sie nicht wollte, habe ich ihr gesagt, wenn sie es nicht tut, ist sie nicht mehr meine Tochter.“
    „Aua.“
    „Nicht mein bester Moment, ich weiß.“
    „Und dann?“
    „Nun, zum Glück ist Sarastros Diener Monostatos zu mir übergelaufen und hat mir geholfen, in Sarastros Tempel einzudringen. Nun, so wirkliches Glück war das auch nicht, denn wir wurden erwischt und dann kam Sarastro mit dem Sonnenkreis und der einzige Fluchtweg war ins Unterirdische Sternenreich.“
    „Und da kamst du aus eigener Kraft nicht mehr raus.“
    „Genau. Ich habe Monostatos verraten, wie man mich und die drei Mädchen, die waren auch dabei, befreien kann und mit Hilfe von König Tipheus hat er es auch geschafft. Aber das ging wieder schief und ich musste wieder fliehen. Und Monostatos und Tipheus sind beide gestorben, also konnte mir niemand mehr raushelfen.“
    „Bis du das Amulett wiederbekommen hast.“
    „Richtig. Jemand hat versucht, es zu benutzen und ich konnte Kontakt herstellen. Irgendwie ist es wohl auf dem Schwarzmarkt gelandet. Ich konnte es zu mir holen.“
    „Und dadurch sprichst du gerade mit mir und unterwirfst all diese Leute.“
    „Genau.“
    „Aber du musst die Leute wieder freigeben.“
    „Erst muss ich hier raus. Und dann brauche ich ein Raumschiff, um nach Hause zu kommen.“
    „Das geht so nicht. Du kannst die Leute nicht zwingen, dir zu dienen.“
    „Eigentlich schon. Ich bin eine Göttin.“
    „Aber nicht ihre Göttin.“
    „Vielleicht nicht … oh, es klappt. Der Ausgang öffnete sich. Danke fürs Zuhören, Dominian.“
    „Dafür bin ich doch da.“

  • Kapitel 28: Die schwebende Ratte


    Man hätte es eigentlich voraussehen können, fand der Zoowärter.
    Sicher, der Geist dieser Ratte hatte sich einen neuen Körper geschaffen, aus den eigenen Knochen und einem Haufen zu Schlamm vermoderten Fleisch. Und in diesem hatte er sich bisher wie eine Ratte verhalten. Aber Geister entwickelten sich weiter und so hätte es eigentlich keine Überraschung sein dürfen, dass dieser gelernt hatte, mit seinem selbstgebauten Körper zu schweben.
    Man hatte es aber nicht vorausgesehen und so hatte das Gehege kein Dach. Und nun, mitten in der Nachtschicht, schwebte die Schlammratte einfach über den Zaun und direkt auf den Wärter zu.
    Er kannte diese Ratte. Er fütterte sie regelmäßig. (Sie brauchte keine Nahrung, aber sie fraß einfach gerne und es kostete nichts, weil sie alles fraß, auch Abfälle aller Art.) Manchmal streichelte er sie. Aber immer mit Handschuhen und Nasenklammer.
    Er dachte daran, zu fliehen. Aber nein. Die Ratte war nicht feindselig. Nur sehr eklig. Weniger eklig als Jahre zuvor, da sie inzwischen Altpapier und Getränkedosen in ihren Körper integriert hatte und zudem der Fleischschlamm weiter kompostiert war, aber immer noch ziemlich eklig.
    Nein, er musste standhalten, sie freundlich begrüßen und in ihr Gehege zurück führen.
    Und da war sie. Ihre Schnauze war näher vor seinem Gesicht als je zuvor. Die Schnauze öffnete sich und … eine Zunge aus grünem, gammeligem Schlamm leckte über sein Gesicht.
    Der Wärter hatte keine Zeit, sich zu ekeln, denn plötzlich sah er … Dinge.
    Er sah, wie sich die Kiefer eines riesigen, grotesken Rattenwesens um ihn schlossen. Wie etwas in der Dunkelheit rot aufleuchtete. Wie er plötzlich das Rattenwesen war und um ihn herum winzige Leute.
    Er floh, ins Meer. Zur anderen Küste. Durch das Land, durch die Berge. Bis in eine verschneite Gegend.
    Er fühlte Dinge. Erst war es feucht und dunkel, dann fühlte er sich zerrissen. Er war das Rattenmonster doch gleichzeitig war das Rattenmonster etwas anderes, das mit ihm um die Kontrolle des Körpers kämpfte.
    Er musste die Leute beschützen. Weg von ihnen. Immer weiter weg. Aber es gab überall Leute.
    Die Berge hinauf. Nein, auch hier waren sie. Weiter in die Kälte, in den Schnee. Plötzlich, Übelkeit. Er erbrach sich auf einem zugefrorenen See. Im Erbrochenen lag ein unförmiges rotes Ding.
    Er war nicht mehr das Monster. Er war etwas in Wärme, Feuchte und Dunkelheit. Etwas Verwirrtes.
    Die Welt um ihn bewegte sich. Dann wurde sie langsamer. Blieb stehen. Alles wurde steifer und … kälter.
    Alles wurde Eis.
    Das Eis taute. Es gab wieder Licht. Da waren Leute. Er fand seine Knochen, die Knochen einer Ratte. Er fügte sie zusammen, umhüllte sie mit Schlamm.
    Er war wieder eine Ratte. Er begrüßte die Neuankömmlinge. Und sie brachten ihn hierher, in den Zoo …
    Die Ratte sah den Wärter an. Dann schien sie etwas zu bemerken. Sie stieg auf und schwebte davon in Richtung Norden.
    Der Zoowärter wusste, wo man die Ratte gefunden hatte. Und jetzt wohl auch, wie sie dorthin gelangt war. Was hatte es wohl mit dem roten Ding auf sich? War es verantwortlich für das Monster?
    Plötzlich fiel dem Wärter noch etwas ein. Es war eindeutig nicht seine Erinnerung, sie konnte nur der Ratte gehören. Jemand sprach sie mit Namen an.
    Listamori.

  • Kapitel Neunundzwanzig: Der andere Schuh fällt


    Aujilei Guss sah aus dem Fenster. Der Niansring war eine ruhige Straße. Sicher, es gab hier ab und zu Gangster, die sich versteckten, verbitterte Expartner, die Rachepläne schmiedeten, verrückte Wissenschaftler mit unethischen Projekten oder gewalttätige Geister, aber das war ja normal.
    Dass sich ein Loch im Boden öffnete aus dem eine lila Menschenfrau stieg, war nicht normal. Dass sie mit Leuten sprach, die offensichtlich nicht da waren, auch nicht.
    Es war ja nicht direkt unangekündigt. Die Straße war schon eine Weile seltsam. Aujilei selbst war plötzlich aus einem wirren Traum aufgewacht und hatte festgestellt, dass bei allen Nachbarn noch Licht brannte. Auch in den Kinderzimmern. Und dann waren die Speisemäuse in ihrem Käfig komplett durchgedreht und hatten sich gegenseitig gefressen. Das Telefon war auch plötzlich tot gewesen.
    Und nun diese Frau. Und … erschien da noch etwas? Plötzlich war dieses Skelett da, ein sehr großes Skelett. Den Kiefern nach gehörte es einem anthropomorphen Krokodil, aber die wurden normalerweise nicht so groß.
    Dann erschienen Organe. Muskeln und Sehnen. Adern. Endlich Haut. Und dann – Fell?
    „Mama, was ist hier los?“
    Aujileis zwölfjährige Tochter Suiana, wie sie eine Kreuzung aus Rot- und Polarfuchs, stand im Raum. Natürlich. Wenn alle anderen Kinder wach waren, war sie es auch.
    „Ich hab geträumt ich wär auf der Straße und da war ein lila Mensch und ein haariges Krokodil und jetzt sind die da draußen wirklich. Das ist nicht normal, oder?“
    „Nein. Nein, aber es liegt bestimmt nicht an dir. Eher an den beiden.“
    Aujilei bemerkte das rote Ding, das die Frau hielt. Sie kannte dieses Ding. Das war … ja, das war das Amulett im Squire-Soul-Museum gewesen. Warum hatte es jetzt diese Frau?


    „So, jetzt bin ich körperlich auf der Erde“, sagte Crocodemon. „Und du ja offenbar auch.“
    „Dank MEINEM Amulett, ja“, antwortete Phantos.
    „Da sind meine Haare drin, also ist es mein Amulett.“
    Phantos streckte ihre göttlichen Fühler aus. Da waren Kinder, aber die wollte sie nicht in den Kampf schicken. Da war ein Friedhof – oh, viele der Toten waren schon einmal erweckt worden. Perfekt.
    „Lege dich nicht mit einer Göttin an, Dämon.“
    Sie kannte Crocodemon natürlich. Sie hatte ja die Kopfgeldjäger auf ihn angesetzt – ihn und einige andere Dämonen mit ausreichend langem Haar. Aber er kannte sie nicht.
    „Du scheinst mir keine sehr mächtige Göttin zu sein!“
    Crocodemon lief los. Schneller, als die Toten kommen konnten. Was gab es hier noch? Irgendetwas passendes, Tiere der Nacht, Untote oder auch nur die Geister alter Gegenstände – oh, das war perfekt.


    Aujilei zuckte zusammen, als sie das Klopfen hörte. Sie hatte gebannte die beiden Gestalten auf der Straße beobachtet und nicht damit gerechnet, dass plötzlich etwas in ihrem Haus war.
    „Das kommt aus der Rumpelkammer“, sagte Suiana.
    Da brach die kleine Tür unter der Treppe auch schon aus den Angeln. Und auf dem auf dem Boden liegenden Türblatt stand … ein Schuh.
    Seine Sohle war vorne gelöst, sodass er ein großes Maul zu haben schien. Und sein Schnürsenkel peitschten durch die Luft wie Tentakel. Er hüpfte los, durch die Wohnung, gefolgt vom zweiten Schuh dieses Paares. Während sie sich der Tür näherten wurden beide größer und seltsamer. Hatten sie jetzt wirklich Zähne? Es sah ein bisschen so aus.
    Schließlich sprang der erste gegen die Haustür, die sich unter der Gewalt öffnete und beide Schuhe hüpften hinaus in die Nacht.
    „Waren das Opas alte Wanderschuhe?“, fragte Suiana.
    „Ja …“


    Crocodemon lachte, als er die Schuhe sah. Einer von ihnen kam auf ihn zu, mittlerweile groß wie eine Reitkatze, doch das war kein Gegner für ihn. Als er direkt vor dem Dämon landete, sprang der einfach auf die Spitze und weiter über den ganzen Lederkörper um direkt vor der Königin der Nacht zu landen.
    Und ihr mit einer Bewegung das Amulett zu entreißen.
    „So. Das sind jetzt meine Schuhmonster.“
    Mehrere Gestalten schälten sich aus der Dunkelheit des Parks, den diese Straße zu umlaufen schien.
    „Aber das sind immer noch meine Zombies“, sagte die Göttin.
    Ein lautes Fiepen ließ beide nach oben blicken. Am Himmel schwebte eine ziemlich große Ratte.

  • Kapitel Dreißig: Das läuft doch gut


    Die Ratte stieß plötzlich hinab wie ein Raubvogel und riss Crocodemon das Amulett aus den Händen um wieder in den Himmel zurückzukehren. Ein besonders vermoderter Zombie warf seinen Schädel und traf, das Amulett fiel wieder in Phantos' Hände. Die Ratte und Crocodemon versuchten gleichzeitig, es zu erbeuten und stießen heftig zusammen, was überall Schlamm verspritzte.
    Phantos nutzte die Gelegenheit um die Kontrolle über die Schuhe wieder zu übernehmen. Der inzwischen gigantische linke Schuh packte den vom Schlamm noch blinden Crocodemon und schluckte ihn herunter.
    Der versuchte dasselbe mit der Ratte, schaffte es aber nicht.
    Dann streckte die Ratte plötzlich ihren Hals unnatürlich aus und schnappte sich das Amulett erneut. Crocodemon entkam dem Schuh ganz einfach durch die Öffnung, auch wenn er dazu erst die Schnürsenkel abreißen musste, die versuchten, ihn aufzuhalten.
    Phantos packte das Amulett und versuchte, die Ratte selbst zu kontrollieren, die natürlich ihrerseits das Amulett benutzt um das zu verhindern. Dann griff auch Crocodemon zu.


    Drei Geister rangen um die Macht des Amuletts. Sie versuchten, die Schuhmonster zu steuern, die Zombies und einander. Schließlich ging der rechte Schuh unter der Kraft in Flammen auf. Den linken kontrollierte einen Moment lang niemand und er fraß einige Zombies, ehe er leblos umfiel. Die Zombies moderten unnatürlich schnell und zerfielen.
    Zwei weitere Dämonen materialisierten sich, ein Klingendämon und ein dämonischer Echsenmensch.


    Gilor staunte nicht schlecht bei dem Anblick. Crocodemon, die Königin der Nacht und … eine schwebende Ratte aus Schlamm hielten alle das Amulett fest. Sicher erwartete Crocodemon, dass er ihm half. Aber … er hatte nie zugestimmt, das Amulett zu besorgen. Nur seinen Auftraggeber.
    Er lief hinüber zu den streitenden. Dann packte er den Arm der Herrin der Träume. Sie wehrte sich dagegen, dass ihre Hand vom Amulett gelöst wurde, doch das hatte Gilor auch gar nicht vor. Er schob sie nur ein bisschen nach vorne, bis ihre Finger Crocodemons berührten.
    „So. Pakt erfüllt. Ich seh mich mal um, was es auf diesem Planeten zu saufen gibt.“
    Was ihn betraf, war diese Geschichte endlich vorbei.


    Verblüfft über den plötzlich aufgelösten Pakt ließ Crocodemon etwas lockerer. Phantos wohl auch, denn plötzlich zog sich der Hals der Ratte zusammen wie ein Gummiband. Sie verlor das Amulett, das auf einem Hausdach landete und wieder hinunterrollte. Phantos und Crocodemon sprinteten auf das Gebäude zu, sprangen, Crocodemon hatte das Amulett gleich, Phantos stieß es an und … ehe Crocodemon begriff, dass das Amulett in seinem Maul gelandet war, hatte er schon geschluckt.
    Der Dämon stand vor dem Haus und sah durch ein Fenster. Zwei Füchsinnen, dem Alter nach vielleicht Mutter und Tochter, sahen schockiert zurück.
    Crocodemon hatte das Amulett verschluckt. Dann war es jetzt seins, oder? Jetzt hatte er die Kontrolle!
    Fell rieselte von seinem Körper. Nach Kontrolle sah das nicht aus.


    Das konnte doch nicht wahr sein. Erst fraß ihr eine Ratte das Amulett weg, nun ein Dämon. Sah das Ding besonders lecker aus oder was?
    Phantos griff in ihren Büstenhalter und zog ihr Schwert hervor. Sie benutzte es eigentlich nie, aber manchmal musste man halt doch einen Dämon aufschneiden.
    Nur dass besagter Dämon, natürlich, nun größer wurde.
    Sein Hals wurde länger und er sank auf alle Viere. Flügel entfalteten sich auf seinem Rücken. Stacheln sprossen am Schwanz und Hörner auf dem Kopf.
    Und – spuckte er Feuer? Ja, er spuckte Feuer.
    Ein verdammter Drakon.


    Listamori sah eine Weile zu, wie die lila Frau gegen das Feuer speiende Ungeheuer kämpfte. Sie wusste, was sie tun musste. Sie hatte es schon einmal getan. In einem günstigen Moment tauchte sie hinab und ins Maul des Monsters. Durch die Speiseröhre, deren Dunkelheit sie als Geist nicht störte und deren Glitschigkeit sie kaum bemerkte, ging es in den Magen, dessen Säure ihr nichts konnte. Da lag das Amulett. Sie packte es und konzentrierte sich.


    Ratten sind ziemlich intelligent. Geisterratten sind noch intelligenter. Das heißt aber nicht, dass sie ein gutes Verständnis von Chemie haben. Und zum Beispiel wissen, was passieren kann, wenn ein Körper aus verwesender Biomasse sich im Magen eines Feuer speienden Dämons aufhält.


    Die Fenster waren ziemlich stabil. Sie waren früher öfter zerstört worden, deshalb hatte Aujileis Mutter irgendwann Panzerglas einbauen lassen. Und selbst das bekam nun Risse, als mindestens eine Tonne Drachenfleisch dagegen klatschte.
    Andere Bewohner des Niansrings hatten weniger stabile Fenster und man hörte den einen oder anderen Schrei in dem Angst und Ekel mitklangen.


    Phantos richtete sich auf. Von Crocodemon waren nur noch Fetzen übrig. Wo war da Amulett? Schwer zu sagen. Doch nun wo die offensichtliche Gefahr vorbei war, strömten die Leute auf die Straße. Die anthropomorphen Tiere, die hier als Leute durchgingen.
    „Das ist die Frau, für die ich in den Boden greifen musste“, rief ein Kind.
    „Die hat gesagt, wir müssen uns im Kreis um sie aufstellen.“
    „Wegen der stand ich in Unterwäsche auf der Straße!“
    Phantos bemerkte auch die Blicke einiger Eltern. Ihr Amulett konnte sie später suchen. Jetzt erstmal weg hier.


    Listamori hatte keinen Körper mehr. So konnte sie auch existieren, aber es war seltsam. Ungewohnt. Sie rief ihre Knochen zu sich. Langsam und aus mehr Stücken als früher sette sich ihr Skelett zusammen. Jetzt brauchte sie noch Muskeln und Haut. Zum Glück lagen genug Dämonenreste herum.


    Crocodemon hustete und wälzte sich ans Ufer. Das Ufer war aus Stein und hatte scharfkantige Rillen. Er war wieder zu Hause.
    Mist.


    Rot war die Farbe des nächsten Morgens. Blutrot war zum Beispiel die Geisterratte, als man sie nach kurzer Suche doch wieder in ihrem Gehege fand. Der Wärter, der die Nachtschicht gehabt hatte, war sehr erleichtert und hängte ein neues Schild an den Zaun. Ein Namensschild.


    Rot war auch der Niansring. Die Stadtreinigung arbeitete schon bald daran, denn es war ja nicht so, als hätte sie mit dieser Art von Verschmutzung keine Erfahrung gehabt.


    Hinter den Häusern auf dieser Seite des Niansrings lag der See. Auch sein Wasser war an diesem Morgen rot und das lag nicht an der aufgehenden Sonne.
    Doch tiefer unten, wohin das Blut noch nicht vorgedrungen war, lag auch etwas rotes. Ein unförmiges Ding.
    Ein Grundkriechfisch betrachtete es. Es war ungewöhnlich, aber nicht alarmierend. Also behandelte er es schließlich wie alles andere.
    Happs.

  • Kapitel Einunddreißig: Der Fisch robbt wieder


    Reboots.
    Reboots waren schwierig. Man musste nahe genug am Original bleiben, dass es nicht etwas völlig anderes war. Und sich weit genug entfernen, dass es nicht einfach dasselbe war.
    Die zweite Squire Soul kam natürlich nach der ersten, also war es eigentlich eine Fortsetzung. Aber sie hatte Dinge erlebt, die ihrer Vorgängerin auch schon passiert waren und völlig andere. Das hier war eins, das in erstere Kategorie gehörte.
    Es war der verdammte Fisch.
    Die Umstände waren anders. Dieses Mal kam er in der Maskennacht. Kugelfischlaternen und Plastikhaiskelette überall vor den Häusern, die Leute, die er jagte, waren verkleidet als Meereskreaturen oder Seefahrer.
    Es war auch nicht der gleiche Fisch. Dieses Mal war es ein Grundkriechfisch, der zum Riesen mutiert durch die Stadt robbte.
    Aber es war der Fisch. Ganz eindeutig.
    Reboot.


    „Für Vergangenheit und Zukunft aber vor allem die Gegenwart, die Strahlende Wächterin – Squire Soul!“
    Squire Soul zog ein Bein hoch und begann, sich auf einem Fuß zu drehen. Plötzlich hielt sie auch etwas in den Händen. Das Seelenzepter, einen goldenen Stab, auf dessen Spitze ein Herz aus rotem Glas oder Kristall saß.
    Ein roter Strahl schoss daraus in den Himmel.
    Das interessierte den Fisch kein bisschen.
    „Er jagt weiter den Eisbären im Quallenkostüm!“, rief Squire Cups. „Ich hole ihn da raus.“
    „Und wir kümmern uns um den Fisch!“, sagte Squire Swords und sah zu Squire Coins.
    „Kettenblitz?“, fragte die.
    „Kettenblitz.“
    Alle Squire Soldiers sahen genau aus wie ihre Vorgängerinnen. Das lag natürlich daran, dass das ohnehin nicht ihre richtigen Gestalten waren sondern nur die Formen, die die Öffentlichkeit sehen sollte. Geheimidentitäten waren wichtig.
    Squire Cups beschwor Wasserstränge aus beiden Kelchen, die sich zu einem dicken Seil vereinten. Damit zog sie den Eisbären aus der Gefahrenzone – mit dem Erfolg, dass der Fisch nur ein paar Nesselfäden des Quallenkostüms abbiss.
    „He! Bist du Squire Soul?“
    „Cups. Soul steht da und dreht sich.“
    „Ach ja. Cool. Kann ich ein Autogramm haben?“
    Cups zog den Eisbären noch einmal weg und stand nun selbst direkt vor dem Fisch. Verdammt, war der schnell.
    „Atmosphärische Ladung bereit!“, rief Swords.
    „Und hier kommt die Kette!“, ergänzte Coins.
    Ihre goldene Kette wickelte sich um die Brustflosse, mit der sich der Fisch gerade hochstemmte. Dann ließ Coins los und Swords griff das Metall.
    Der Fisch hielt im wahrsten Sinne des Wortes schockiert inne.
    „Cool!“, rief der Eisbär noch einmal.
    „Brauchst du eine Feuerwand?“, rief Batons vom nächsten Flachdach.
    „Wäre gut!“
    „Ich komme runter!“
    Batons sprang vor den Fisch und wirbelte ihre flammenden Schlagstöcke so schnell, dass sich irgendwie eine Barriere aus Feuer bildete. Der Fisch wich davor zurück. Dann schien er es sich anders zu überlegen und spuckte.
    Cups war schon auf dem Dach und zog mit dem Wasserseil den Eisbären in Sicherheit, als Batons auf derart brutale (und eklige) Art gelöscht wurde.
    „Ich klebe fest!“, erkannte sie.
    „Ich hab eine neue Ladung fertig!“, rief Swords und ergriff die Kette erneut.
    Wieder erstarrte der Fisch kurz. Dann schien er das Problem zu erkennen und drehte sich zu Swords um.
    Die hielt plötzlich ihre Schwerter in den Händen. Die im Vergleich zum Fisch lächerlich klein wirkten.
    „Seelenstoß!“
    Squire Souls Strahl direkt in die Kiemen ließ den Fisch herumfahren. Zum Glück hatte das den Gewässergrund bewohnende Tier keinen nennenswerten Schwanz oder Swords hätte es von den Füßen gefegt. So konnte sie den Fisch nun von hinten pieksen.
    Woraufhin sie doch noch von den Füßen geholt wurde, als sich der Fisch zu einem Ballon aufblies.
    „Ist das ein Kugelfisch?“, fragte Soul.
    „Nein, er mutiert nur“, erklärte Cups. „Vielleicht haben die Kugelfischlaternen einen Einfluss. Aber er hat keine Stachel. Noch nicht.“
    „Ich lass ihn platzen! Seelenstoß! Seelenstoß! Seelenstoß!“
    Der Fisch platzte natürlich nicht.
    „Wir müssen das rote Ding rausholen“, überlegte Cups. „Wie kriegt man etwas aus dem Magen eines Fisches?“
    „Mit Brechmittel?“
    „Das geht nicht, Grundkriechfische haben keinen … genau genommen haben sie da kaum etwas. Bei der Größe … das Ding sollte einfach rausfallen, wenn wir ihn am Schwanz aufhängen könnten.“
    „Aber er hat doch kaum einen Schwanz.“
    „Noch nicht. Rückzug!“
    „Ich klebe noch hier!“
    „Lebenswelle!“
    „Danke.“


    Zum Glück war die Gegend inzwischen leer. Alle waren vor dem Fisch geflohen und so richtete er vorerst nur Sachschaden an. Den aber in beachtlicher Höhe.
    Der Plan war fertig und bereit zur Umsetzung, ehe sich der Fisch Häusern näherte, deren Bewohner noch da waren.
    „Feuerball!“
    „Münzregen!“
    „Wasserspeer!“
    „Windstoß!“
    Vier der Squire Soldiers trafen den Fisch in denselben Kiemenbogen. Der blies sich wieder auf – und dieses Mal hatte er Stacheln.
    Sie liefen. Er nahm die Verfolgung auf.


    Die strategisch platzierten Haiattrappen (Haiskelette, Geisterhaie, zweiköpfig Haie, was es in der fischigen Nacht so gab), erfüllten ihren Zweck. Während er Cups, Batons, Swords und Coins verfolgte, wurde der Fisch nach und nach immer haiähnlicher. Was Coins nicht so lustig fand, als das riesige Gebiss nach ihr schnappte.
    „Da ist der AlChemie-Turm!“, rief Cups.
    AlChemie war geschlossen worden, nachdem der Chemiekonzern als Fassade der Diebesgilde enttarnt worden war und nun hatten verschiedene Firmen Büros im Turm. Auch das Logo war abmontiert worden, aber alle nannten ihn trotzdem noch den AlChemie-Turm.
    Squire Soul wartete in einem Fensterputzeraufzug, gerade so hoch, dass die anderen ihn mit einem Sprung erreichen konnten. Als alle da waren, ging es nach oben.
    „Okay, ist der Flaschenzug auf dem Dach fertig?“, fragte Coins.
    „Ist alles bereit!“, antwortete Soul. „Da ist der Haken, du musst nur noch die Schwanzflosse einfangen und die Kette einhaken.“
    „Nur noch. Ist klar.“
    „Leute?“, sagte Batons. „Wir sind hier nicht sicher.“
    Alle sahen nach unten. Der Fisch kroch gerade die Wand hoch.
    „Wir machen besser schnell!“, entschied Squire Soul.
    „Jetzt muss ich die Flosse von unten kriegen“, gab Coins zu bedenken.
    „Ich helfe dir!“, bot Cups an.
    Die beiden sprangen. Als sie hinter dem Fisch nach unten fielen, zeigte sich, dass er noch einige Kugelfischeigenschaften behalten hatte. Als er sich plötzlich aufblies, erwies es sich als äußerst praktisch, dass kugelfeste Kostüme auch Giftstachel abhalten konnten. Dennoch landeten die beiden Squire Soldiers hart auf den Schnauzen.
    Coins rappelte sich auf und sah nach oben.
    „Der Fisch ist schneller als das Fensterputzerding. Wir müssen uns beeilen.“
    Cups zog ihre Kelche und formte das Wasserseil. Coins zog die Kette. Das Wasser umgab die Kette und beide zusammen schossen nach oben.
    „Okay, ich mache die Schlinge“, entschied Cups. „Lass die Kette einfach dem Wasser folgen.“
    „Ich versuch's.“
    Die Kette stieg hoch nach oben und begann, sich um den Schwanz des Fisches zu wickeln. Mehrmals hing die Kette an einigen Stellen aus dem Wasser, nur um sich gleich wieder einzugliedern.
    Schließlich war sie um den Schwanz des Fisches gewickelt und hing sicher hinter der Schwanzflosse.
    „Jetzt noch zum Haken“, sprach Cups das Offensichtliche aus. „Da müssen wir noch genauer sein.“


    „Der Fisch hat uns fast!“, rief Batons.
    „Die Seile hoch!“, rief Swords.
    Alle drei sprangen an die Seile, die den Aufzug hielten. Und gerade rechtzeitig, ehe die Gondel von den Zähnen des Fisches zerfetzt wurde.
    Sie kletterten. Der Fisch robbte ihnen nach.
    „Lebenswelle!“, rief Batons.
    „Das ist meine Attacke!“, widersprach Soul.
    „Dann benutz sie. Die Fischspucke hat danach nicht mehr geklebt, das geht sicher auch bei den Flossen!“
    „Erst wenn die Kette am Haken hängt“, erinnerte Swords die beiden. „Sonst landet der Fisch da unten und dann ist die Kette zu kurz.“
    Der Fisch schnappte wieder zu und die Mädchen entkamen knapp.
    „Die Kette hängt!“, rief Swords.
    Soul versuchte, mit dem Zepter zu zielen, aber das war gar nicht einfach. Wenn sie es gut halten wollte, musste sie die Arme um das Seil schlingen und – oh nein, der Fisch!


    Entsetzt sahen Swords und Batons zu, wie Soul im Maul des Fisches verschwand. Die Zähne würde sie wahrscheinlich überleben, aber würde sie hinaus kommen, ehe sie erstickte? Und konnte sie von da drinnen noch etwas ausrichten?
    Ja. Goldene Wellen gingen von dem Fisch aus, er wurde ein bisschen kleiner und das gerade entstehende zweite Maul wuchs wieder zu. Und er fiel. Fiel hinunter und hing am Haken.
    „Wir sparen es uns, den Haken runter zu lassen und den Fisch rauf zu ziehen“, sagte Batons. „Immerhin.“
    „Dafür müssen wir Soul rausholen“, erwiderte Swords und ließ das Seil los.
    Beim Vorbeifallen rammte sie beide Schwerter in den aufgeblasenen Fisch und glitt hinunter. Am Haifischmaul angekommen stellte sie ein Schwert quer um über dem Mundwinkel stehen zu bleiben. Mit dem anderen versuchte sie, das Maul aufzuhebeln.
    Wie ihr auffiel passte sich der Fisch schon an die neue Lage an – langsam aber sicher wuchsen ihm Flügel.
    Keine Zeit für sanfte Methoden. Sie zog das Schwert aus dem Maul und stieß es mit aller Kraft in den Kiemenbogen.
    Der Fisch riss sein Maul auf und heraus fiel Squire Soul. Die Kiemen heilten bereits wieder und ehe sie es richtig bemerkte, stieß das heilende Fleisch auch schon das Schwert aus und auch Swords fiel.
    Sie landete neben Soul auf der Straße.
    „Jetzt noch durschütteln!“, rief Soul, die schon wieder stand.
    „Seelenstoß!“
    Der goldene Strahl traf den Fisch, Einmal. Zweimal. Und dann …
    „Da ist es!“
    Das rote Ding fiel vor den Squire Soldiers auf den Boden.
    „Und nun sorgen wir dafür, dass es keinen dritten Monsterfisch gibt. Seelensturmstoß!“
    Squire Souls staärkste Attacke traf das Objekt aus nächster Nähe. Sofort wurde es klar und nahm eine eckigere, kristallinere Form an. Dann zerfiel es zu durchsichtigem Staub.
    „Der Fisch wird etwas kleiner“, beobachtete Cups. „Und seine Haimerkmale bilden sich zurück, wir sollten zur Seite gehen.“
    Das taten sie und gerade rechtzeitig, bevor der riesige Fisch hinab fiel und, wieder weitestgehend in Gestalt eines Grundkriechfisches, auf die Straße klatschte.
    Er wirkte benommen aber nicht schwer verletzt.
    „Cups, kannst du seine Kiemen feucht halten?“, fragte Soul.
    „Bin dran“, erwiderte Squire Cups.
    Der Fisch schrumpfte noch ein bisschen, aber dann hörte er auf, sich zu verändern. Er war immer noch riesig, aber aggressiv oder hungrig wirkte er nicht mehr. Eher verwirrt und ängstlich.
    Die Minor Arcana warteten eine Weile. Vier von ihnen warteten, um genau zu sein. Während Batons ein Fenster einschlug und im Inneren des AlChemie-Turms nach unten ging. Als sie ankam, trafen auch langsam die Behörden ein.
    „Ein Monsterfisch für Sie“, begrüßte Squire Soul die Polizei. „Vielleicht können Sie ihn in einen Zoo stecken? Wie auch immer, wir müssen los.“


    Listamori lebte gerne im Zoo. Ihr Körper war inzwischen wieder hauptsächlich Erde und nicht Dämonenblut. Sie begriff inzwischen auch, was damals mit ihrem Bruder geschehen war und so erkannte sie, welches Schicksal den Fisch befallen hatte, der im neuen Baggersee nahe ihres Geheges untergebracht wurde.
    Sie schwebte über den Zaun und zu diesem See herüber und sah, wie der Fisch aus dem Wagen glitt und in die Tiefe sank.
    Sie schwebte hinab, ließ zu, dass sich die Erde im Wasser auflöste und stand als Skelett vor ihm.
    Der Fisch schnappte nach ihr und sie wich zurück. Sie sandte ihm ein paar Bilder und er blieb verblüfft liegen.
    Sie wusste nicht, ob er ihre Bilder verstand, aber er versuchte nicht wieder, sie zu fressen.
    Auf gute Nachbarschaft.

  • So, geschafft. Bis auf das eine Mal, als ich zu spät war, natürlich.
    Ich hoffe, die Handlung ist nachvollziehbar und ich habe nicht zu viele Logiklöcher drin. Ich hatte am Anfang selbst keine Ahnung, in welche Richtung das gehen würde.

  • Kapitel Eins: Kristall


    Der Kristall war größer als erwartet. Mehr als mannshoch ragte das blutrote Gebilde in der Mitte der Höhle auf.
    „Und nun?“, fragte Dimakia. „Den können wir nicht mitnehmen.“
    Die grau getigerte Katze leuchtete den Stein mit ihrer Taschenlampe an und erzeugte ein so unheimliches rotes Licht, dass sie sofort wieder aufhörte.
    „Das müssen wir auch nicht“, erwiderte Chich Choch.
    Die Klabauterfrau, ein langgliedriges, graues Amphibium, legte eine Hand auf den Stein. Dann sang sie ein paar Worte, die Dimakia nicht verstehen konnte. Schnell und zischend, mit nur einem Konsonant, der wie ‚ch‘ klang, und schwachen Vokalen, wie alle Wörter in der Sprache der Klabauter.
    Der Kristall sandte wieder das unheimliche Licht aus. Diesmal ohne dass ihn jemand anleuchtete.
    „Er ist erwacht!“, rief Chich Choch.
    „Wie schön“, sagte Arin, die canide Söldnerin, trocken. „Und was bringt uns das?“
    Dimakia konnte Arin keiner Spezies zuordnen. Sie sah etwas nach Schakal aus, etwas nach Kojote, etwas nach Regenwaldhund. Aber sie war groß, muskelbepackt und hatte kurzes, schwarzes Fell. Und blaues Haupthaar und lila Augen. Wie nichts, was Dimakia kannte.
    „Der Kristall wird uns nun die Informationen geben, die wir benötigen.“
    „Wie?“, fragte Lalique.
    Die menschliche Archäologin schien genauso wenig zu wissen, wie Dimakia. Von allen in der Gruppe war sie die einzige, die so viel von uralten Artefakten verstand wie die Katze, aber hier schien auch ihr das nicht zu helfen.
    Die Antwort kam überraschend vom Kristall selbst. An der Höhlenwand hinter ihm, im roten Licht, formte sich der Schatten eines dämonischen Gesichts. Nur die Augen und das Innere des Mundes blieben von Rot erfüllt.
    „Ihr sucht den Funken“, sagte es.
    Kam die tiefe Stimme wirklich vom Schatten oder vom Kristall? Trotz Katzenohren konnte Dimakia es nicht sagen.
    „Tun wir das?“, fragte Pia Tenaugen, die der zweite Mensch in der Gruppe war. Die etwas rundliche Einbrecherin hatte sich bisher nur beim Abstieg in die Höhle nützlich gemacht.
    „Ja“, antwortete Chich Choch.
    Wie üblich hatte sie mehr Informationen bekommen, als alle anderen.
    „Dann hört mir zu. Ich erzähle euch, was ihr wissen müsst.“
    Der Schatten verformte sich und statt des Gesichts erschienen die Umrisse mehrerer Personen.
    „Hört die Geschichte von der Dornenrüstung.“

  • Kapitel Zwei: Rüstung


    Es war einmal eine Feenkönigin, die lebte in Angst vor Verrätern an ihrem Hof. Nun halten sich die Feen streng an Regeln, die einen Verrat nicht leicht machen. So können sie nicht lügen oder aus dem Hinterhalt überfallen oder die höfische Etikette brechen. Was sie aber tun können ist, andere zum Duell um ihren Posten fordern und davor fürchtete sich die Königin.
    Sie brauchte jemanden, der an ihrer Stelle zu Duellen antreten würde, doch sie konnte niemandem an ihrem Hof trauen. Und so ging sie zu den Menschen.
    Sie beobachtete die Menschen, suchte nach einem, der stark genug war um für sie zu kämpfen aber bescheiden genug um den Thron selbst nicht zu wollen. Und sie fand einen.
    Damit dieser Mensch gegen Feenkrieger und -zauberer bestehen konnte, ließ sie ihm eine besondere Rüstung machen. Aus Bronze, gestärkt durch Feenstaub, geschmiedet in Drakonfeuer und bewehrt mit den Dornen der Rankendryade. Die Dornenrüstung wurde sie genannt und sie widerstand jedem Schlag und jedem Zauber und konnte jeden Feind mit den Armen umschlingen und mit den Dornen aufspießen.
    Und niemand wagte es, die Königin zum Duell zu fordern. Bis eines Tages der Mensch selbst die Herausforderung aussprach. Es war aber nicht wirklich der Mensch, der den Zweikampf forderte, sondern die Rüstung selbst, die durch ihn sprach. Die Königin konnte sich dem nicht verweigern und obgleich sie selbst eine mächtige Kriegerin und Zauberin war, starb sie doch auf den Dornen der Rüstung.
    Bevor aber die Rüstung den Thron besteigen konnte, gelang es dem Menschen, die Kontrolle zurückzuerlangen. Wissend, dass die Rüstung das nicht lange dulden würde, handelte er schnell und warf sie beide aus dem Fenster, sodass sie in den See, in dem die Burg stand, fielen und ertranken.
    Das aber ist nicht das Ende der Geschichte.
    Jahrhunderte später glaubte eine junge Archäologin das Grab gefunden zu haben, indem die Feen die Rüstung beigesetzt hatten. Als sie es öffnete fand sie Inschriften, die bestätigten, dass dieses Grab der Rüstung geweiht war, die, wenn auch nur sehr kurz, Königin des Feenvolkes gewesen war. Doch das Grab war leer. Die Rüstung und der Mensch waren nie geborgen worden, sondern auf dem Grund des Sees zu Schlamm zerfallen.
    Die junge Archäologin fürchtete sich. Was, wenn diese Entdeckung ihren Kollegen nicht genügte? Was, wenn ihre Förderer sie verließen, da es kein Fundstück gab, das man ausstellen konnte?
    Doch da besann sie sich darauf, dass sie die Rüstung genau studiert hatte und genau wusste, wie sie gemacht worden war. Und dass sie zwar keinen Feenstaub, kein Drakonfeuer und keine Rankendryade hatte, aber alle Mittel der modernen Technik, um diese Materialien zu ersetzen.
    Einige Monate später war die Rüstung fertig, brandneu und doch verfallen als sei sie hunderte von Jahren alt. Und die Welt der Archäologie, die Museen und Universitäten, alle waren begeistert.
    Und so folgte die Archäologin weiter diesem Pfad, fand legendäre Schätze und völlig unbekannte Artefakte, die sie in Wahrheit alle selbst geschaffen hatte.
    Als sie aber versuchte, die Existenz des Schneegeistes mit einem selbst gefertigten Altar zu beweisen, flog sie auf, denn der Schneegeist war eine junge Erfindung und einige, die ihn mitgestaltet hatten, lebten noch. Die Archäologin fiel in Schande und verbrachte Jahre im Gefängnis.
    Die Museen entfernten ihre Funde, verkauften oder versteigerten sie als Kuriositäten.
    Und so endete die neue Dornenrüstung als Requisit in einem Filmstudio.
    Doch was niemand wusste, war, dass die Dornenrüstung mehr war als ein Artefakt oder ein künstliches Wesen. Sie war der Prozess des Schmiedens, der Geist der Dornen, der Kampf und der Tod. Die Archäologin hatte die Rüstung nicht gefälscht. Sie hatte sie neu erschaffen.

  • Kapitel Drei: Gefäß


    Kaum dass das Gesicht seine Erzählung beendet hatte, sah Dimakia zu Lalique.
    Natürlich, begriff die. Dimakia hatte auch Archäologie studiert. Genau genommen musste sie sogar an der Uni gewesen sein, als die Schneegeist-Geschichte durch alle spezialisierten Medien gegangen war. Sie wusste genau, von welcher Archäologin in der Geschichte die Rede war.
    „Wie hilft uns das, den Funken zu finden?“, fragte Chich Choch, die offensichtlich nicht Bescheid wusste.
    „Ist der Funke in der Rüstung?“, vermutete Pia.
    Sie hoffte wahrscheinlich darauf, in ein Filmstudio einbrechen zu dürfen. Das lag ihr sicher eher, als Höhlen zu durchsuchen.
    „Um den Funken zu bekommen, braucht ihr sein Gefäß. Die Rüstung, oder auch nur ein Stück davon, ist ein Teil des Gefäßes. Ich bin ein anderer. Oder ein Stück von mir. Wenn ihr das Gefäß zusammengefügt habt, wird der Funke erscheinen.“
    „Und wie viele Teile sind es insgesamt?“, fragte Arin.
    „Lalique? Geht es dir gut?“, fragte Dimakia.
    „Woher weißt du das?“, fragte Lalique schon fast schreiend. „Woher kennst du mich?“
    Sie hatte nicht vorgehabt, das zu sagen.
    „Ich kenne euch alle“, antwortete das Schattengesicht. „Euch und viele andere. Ich bin verbunden mit den anderen Teilen des Gefäßes und allen, die je mit ihnen zu tun hatten oder noch haben werden.“
    „Wie viele Teile?“, wiederholte Arin ihre Frage, als sei gar nichts passiert.
    „Es gibt keine feste Zahl an Teilen. Viele Dinge sind Teile des Gefäßes, noch mehr können es werden. Und wie viele ihr braucht hängt ganz von euch ab.“
    Langsam hatte Lalique genug. Nicht nur der Kristall wusste mehr als sie, auch Chich Choch. Lalique wusste nicht einmal, was dieser ominöse Funke war.
    „Erzähle uns von noch einem Teil“, entschied die Klabauterfrau.
    „Sollten wir nicht erst die Rüstung holen?“, fragte Pia.
    Sie schien wirklich dringend aus dieser Höhle raus zu wollen. Lalique konnte es ihr nicht verdenken.
    „Und nach jedem Teil hierher zurückkommen? Nein, wir hören uns noch vier Stück an, dann besorgen wir erst fünf und dann kommen wir zurück und probieren aus, ob die und der Kristall zusammen ausreichen.“
    Lalique hatte keine Lust, noch mehr Geschichten zu hören, musste Chich Choch aber recht geben. Fünf war eine gute Zahl. Oder war die Idee dahinter, dass sie sich aufteilten und jede ein Teil besorgten? Wenn das so war, dann bekam sie hoffentlich nicht die Rüstung. Das Teil wollte sie nach Möglichkeit nie wieder sehen, besonders wenn es stimmte, dass es jetzt … in gewisser Weise lebte.
    „Hört die Geschichte vom Ewigen Knoten“, sagte das Gesicht.
    Warum sprach es erst jetzt? Hatte es Lalique absichtlich Zeit für ihre Gedanken gelassen? Konnte der Kristall ihre Gedanken lesen?
    Aber da begann der Schatten schon zu erzählen.

  • Kapitel Vier: Knoten


    Es war einmal ein Spion. Der beste aller Spione, der sich auf die Kunst der Verwandlung verstand wie kein anderer und gänzlich zu einer anderen Person werden konnte. Eines Tages wurde dieser Spion ausgeschickt in den Regierungssitz eines mächtigen Reiches. Er ließ sich unter falschem Namen als Hilfskoch einstellen, arbeitete sich hoch zum Chefkoch und bald zum Leibkoch des obersten Herrschers. In dieser Position hätte er ihn leicht töten können, doch das war nicht sein Auftrag. Stattdessen mischte er ein Schlafmittel in das Essen, das langsam und unauffällig wirkte. Der Herrscher schlief also ungewöhnlich tief in dieser Nacht und auch seinen Wachen fielen in späten Stunden die Augen zu. Und als der Herrscher am Morgen erwachte, da fand er ein Seil um seinen Hals. Als er aber schreien wollte, da hielt ihm sein Leibkoch den Mund zu und sprach:
    „In dieses unzerstörbare Seil habe ich einen Knoten gemacht, der sich niemals lösen, sondern nur enger werden kann. Er wird dich erwürgen, wenn du nicht tust, was ich dir sage.“
    Und für kurze Zeit kontrollierte der Spion eines der mächtigsten Reiche der Welt. Dann aber starb der Herrscher bei einem Attentat, und als man den Körper untersuchte und die Besonderheit des Seils erkannte, da fürchtete der Spion, man könnte ihn enttarnen, und floh.
    Den Knoten konnte tatsächlich niemand lösen, das Seil aber erwies sich als nicht völlig unzerstörbar und konnte unter großen Mühen durchgeschnitten werden. So schnitt man den Knoten heraus, um ihn weiter zu untersuchen.
    Ein Politiker aber, der fürchtete, nicht in der Gunst des neuen Herrschers zu stehen wie in der des alten, nahm den Knoten an sich, als er in ein fernes Land floh.
    Mit gestohlenem Geld wurde er dort ein reicher Geschäftsmann und verkehrte mit anderen reichen Geschäftsleuten. Und zwei dieser Geschäftsleute hatten gemeinsam eine Tochter.
    Das Mädchen war manchmal mit seinen Eltern zu Gast beim früheren Politiker und einmal sah es den Knoten und fragte danach. Und der Gastgeber erklärte, das sei ein verzauberter Knoten, den niemand lösen könne. Das Mädchen, das sich zu dieser Zeit mit Entfesselungskunst befasste, bat darum, es versuchen zu dürfen, doch er verbot es.
    Der Knoten ließ aber die Gedanken des Mädchens nicht los und so studierte sie die Villa, jedes Mal wenn sie zu Besuch war, die Alarmanlagen, die Schlösser. Und fand schließlich den Schwachpunkt, eines der Oberlichter in einem Flur direkt am Innenhof. Es trainierte Klettern und Schlösser öffnen und eines nachts brach es in die Villa ein.
    Es gelangte mühelos in den Flur und auch in den Raum, in dem der Knoten an der Wand hing. Der Plan war, den Knoten einzustecken und zu fliehen, doch als es ihn in Händen hielt, konnte das Mädchen nicht anders, als zu versuchen, ihn zu lösen. Stunden um Stunden saß es daran, doch schließlich zog es die letzten zwei Schlaufen durch einander und der Knoten wurde ein kurzes, glattes Seil.
    Das hatte aber zu lange gedauert, denn nun war der Besitzer der Villa schon wach und erwischte die Tochter seiner Geschäftspartner. Es gelang ihr, zu fliehen, doch er hatte sie erkannt.
    Und er nahm Rache. Er kündigte jede Zusammenarbeit mit den Eltern des Mädchens auf und brachte auch alle anderen dazu, nicht mehr mit ihnen zu arbeiten. Und bald waren sie keine reichen Geschäftsleute mehr und mussten alles weit unter Wert verkaufen.
    Sie waren noch wohlhabend genug, um ihr eigenes Haus zu besitzen, doch dem Mädchen genügte das nicht. Und wozu hatte es gelernt, wie man in Häuser einbrach? Und fortan stahl es von denen, die mehr hatten.
    Das kurze Seil aber hat es heute noch. Und würde es das Geheimnis des Knotens kennen, dann könnte es ihn wieder knüpfen.

  • Kapitel Fünf: Rabe


    Pia Tenaugen wusste, dass alle sie ansahen.
    „Ja“, gab sie zu. „Das Mädchen war ich.“
    „Dann hast du das Seil?“, fragte Chich Choch.
    „Ja. Aber ich weiß nicht mehr, wie der Knoten ging. Ich habe ihn nur gelöst.“
    Die Klabauterin zischte theatralisch und wandte sich wieder dem Kristall zu.
    „Wer kennt das Geheimnis des Ewigen Knotens?“, fragte sie.
    „Ich würde das Seil eigentlich lieber behalten“, gab Pia zu.
    „Der Spion machte den Knoten, doch gelernt hatte er ihn vom Raben“, erklärte das Schattengesicht.
    „Und wer ist das nun wieder?“, wollte Dimakia wissen.
    „Interessant, dass gerade du fragst.“
    Das Gesicht wurde zum Umriss einer Person. Humanoid, ja, wahrscheinlich ein Mensch. Und dann entfaltete die Form ein Paar großer Flügel.
    „Och ne“, sagte Dimakia. „Bitte nicht DER Rabe.“
    „Ebender“, bestätigte die geflügelte Gestalt.
    „Wer ist das?“, fragte Pia und fragte sich, was für ein Ding sie da eigentlich Jahrzehnte lang mit sich herumgeschleppt hatte.
    „Ein gefallener Engel aus dem Gefolge des Lichtbringers. Sitzt in Holles Hölle ein. Ein Arschloch.“
    „Würde er dir den Knoten zeigen?“, fragte Chich Choch.
    „Eher nicht.“
    „Das ist ein Problem, das wir noch lösen müssen.“
    „Oder auch nicht“, schlug Pia vor. „Wir könnten den Knoten weglassen und etwas anderes nehmen. Der Kristall hat gesagt, wir brauchen nicht alle Teile.“
    Sie war sich nicht sicher, ob sie das Seil weiter bei sich tragen wollte, aber auf keinen Fall wollte sie irgendeinen höllischen Knoten hinein machen.
    „In jedem Fall brauchen wir mehr Teile. Kristall, zeige uns das nächste!“
    „Na gut. So hört denn die Geschichte vom Geist der Muscheln.“
    „Vielleicht nicht gerade dieses Teil …“, sagte Chich Choch vorsichtig.
    Aber der Kristall ließ sich nicht aufhalten.

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