[Adventskalender-Spätergänzung] Sonnenwenden

  • Und hier kommt der Hai, der es nicht in den Adventskalender geschafft hat:


    Sonnenwenden


    Nua stellte legte das letzte der vielen Geschenke vor den Altar, der eine Nachbildung ihres Tempels, einer kleinen Stufenpyramide, war. Natürlich war der Altar selbst ein Geschenk, den die Rotkatze von den anderen Priesterinnen bekommen hatte.
    Die feierten heute im echten Tempel die Sommersonnenwende. Hier auf der Nordhalbkugel war es natürlich die Wintersonnenwende.
    Nicht, dass hier eines der Tempelrituale zu irgendeinem der beiden Feiertage stattfinden würde. Nur ein kleines Feiertagsgebet und ein Festessen.
    Und ja, für die Kinder gab es Geschenke. Das gehörte nicht zur Tradition der Rotkatzen, aber zu den verschiedenen Winterfesten, die hier in Yeovil gefeiert wurden, gehörte es immer.
    Es war die erste Wintersonnenwende mit Geschenken und dafür gab es zwei Gründe.
    Erstens hatte Nua ihre Töchter Kua und Kaia bisher immer mit nach Ctonia zum Tempel genommen um die Sommersonnenwende zu feiern. Da sie aber jetzt zur Schule gingen und das Schuljahr erst einige Tage vor der Wintersonnenwende endete, war dafür nicht genug Zeit.
    Zweitens hatte sie den beiden die Geschenke (mit denen Nuas Freunde, besonders ihre Ex, Jila, sie geradezu überschütteten) bisher immer Anfang Dezember zum Geburtstag gegeben. Doch nun war hier ja noch jemand.
    „Mama, dauert das noch lange?“, rief genau die vom Flur.
    Mea. Nuas älteste Tochter, die im Tempel aufgewachsen war, bis sie sie dieses Jahr nach Yeovil geholt hatte. Sie war im Juni geboren. Und das hieß, wenn es keine Geschenke zur Wintersonnenwende gab, stand sie mit leeren Händen da, wenn all die anderen Kinder stolz die Geschenke präsentierten, die sie zum Schneetag, zur Glockennacht, zum Venaxabend, zur Winterruhe oder zu Hainachten bekommen hatten.
    „Nein, bin gleich fertig!“, rief Nua zurück.
    Während der Wintersonnenwende paarte sich die Sonne in der langen Nacht mit anderen Gestirnen um neue Welten zu zeugen. Während der Sommersonnenwende hatte sie diese geboren und blieb besonders lange am Himmel um sie im Auge zu behalten. Dass hier Wintersonnenwende war, die Rotkatzen in ihren Tempeln aber Sommersonnenwende feierten, machte die Situation etwas verwirrend.
    Natürlich waren Nua die astronomischen Gründe bewusst, warum die Tage länger oder kürzer wurden. Und sie wusste auch, dass die Sonne nachts keineswegs frei hatte, denn irgendwo war immer Tag. Aber vielleicht war genau das der Grund, dass die Rotkatzen die Handlungen der Sonne zumindest symbolisch übernehmen mussten?
    In jedem Fall war laut dem Tempelkalender die Zeit der Geburt, nicht der Paarung, und obwohl hier auf der Nordhalbkugel Winter war, galt das immer noch.
    Entsprechend war der Altar mit den bemalten Kugeln geschmückt, die neue Planeten symbolisierten, wie bei der Sommersonnenwende, das Essen entsprach aber dem der Wintersonnenwende.
    Das Essen!
    „Jetzt?“, fragte Mea.
    „Gleich!“
    Nua musste noch die überbackenen Piranhas aus dem Ofen holen!


    Mea mochte fast alles an Yeovil. Besseres Fernsehprogramm, größere Schule, mehr Kinder in ihrem Alter. Eine große Stadt gleich vor der Tür, nicht erst Stunden entfernt. Sogar das kühlere Wetter gefiel ihr.
    Aber da war eine Sache, die sie störte. Genau genommen zwei.
    Und sie fingen beide mit K an.
    „Ich will ein neues WeirdBeast!“, rief Kua. Oder Kaia. Mea hatte sich nicht wirklich gemerkt, welche die marsrote und welche die ockerfarbene war.
    „Ich will bloß mehr Syst-Steine. Ist mir egal, welches Set, ich brauch mehr Steine für mein Schloss“, sagte die ockerfarbene.
    „Und ich will einen Elektroschocker“, behauptete Mea. „Um euch damit zum Schweigen zu bringen.“
    Die Kinder waren still und dachten vermutlich darüber nach, ob es möglich war, dass Mea einen Elektroschocker bekam.
    Natürlich hatte sie sich nicht wirklich einen gewünscht. Sie wollte etwas mit größerer Reichweite.
    „Fertig! Kommt rein!“


    Kua staunte. Das Esszimmer und das Wohnzimmer waren mit Topfpflanzen, Pappaufstellern von Dschungelbäumen und kleinen Statuen mit breiten Mündern und vielen Zähnen geschmückt. Eine Auflaufform mit überbackenen Piranhas und eine mit Raupenlasagne standen dampfend auf dem Tisch, umgeben von Palmblättern als Tellern. Ein goldenes Messer steckte in den Piranahas.
    Im Wohnzimmer stand die echte Palme, die sonst im Flur war, und der Altar stand nun direkt darunter in der Mitte des Raumes und es lagen bunte Kugeln darauf.
    Und davor stand ein ganzer Stapel von Geschenken.
    Kaia lief gleich dorthin, doch Mama hielt die rote Katze zurück.
    „Noch nicht. Erst gibt es Essen. Das wird sonst kalt.“
    Kua war das ganz recht. Beim Anblick der Piranhas bekam sie Hunger.


    Nua war froh, dass das Essen gut lief. Nur Mea nörgelte, dass die Piranhas beim Tempel besser schmeckten und da hatte sie ja auch Recht, schließlich waren sie dort frischer. Kua und Kaia stopften sich voll wie immer.
    „Jetzt Geschenke?“, fragte Kaia, als sie endlich fertig war.
    „Erst Nachtisch“, antwortete Nua.
    „Obstsalat?“, fragte Kua.
    Den gab es beim Tempel immer.
    „Ja, Obstsalat“, bestätigte Nua. „Leider habe ich keine frischen Mangos bekommen, aber alles andere ist drin.“
    Sie ging in die Küche um den Salat zu holen.
    „He, das ist meiner!“, hörte sie Kua rufen.
    „Du warst doch fertig!“, widersprach Mea.
    „Kaia war fertig, ich nicht!“
    „Mea, gib Kua den Fisch zurück!“, rief Nua ohne hinzusehen.
    „Zu spät!“, antwortete Mea. „Den esse ich schon!“
    „Dann teile ihn eben!“
    „Uh. Okay.“
    Nua dachte kurz nach. Mea war zwölf. Sie konnte ihr das goldene Messer anvertrauen, oder?
    „Und sei vorsichtig mit dem Messer!“, rief sie vorsichtshalber noch.
    „Ja ja!“
    Mit der Schüssel Obstsalat kam sie zurück.
    Kaias Blick war starr auf die Geschenke gerichtet, Kua und Mea aßen den letzten Piranha. Von der Raupenlasagne war natürlich noch mehr als die Hälfte übrig.
    Nua tat jedem etwas Obstsalat auf. Kaia schlang ihn sofort herunter, wohl weil sie endlich zu den Geschenken kommen wollte. Das fiel auch Mea auf.
    „Jetzt hetz' doch nicht so. Du hast neulich erst Geschenke bekommen. Bei mir ist es ein halbes Jahr her und ich kann warten.“
    „Deine Geschenke sind auch doof“, fand Kaia.
    „Gar nicht wahr.“
    „Wohl wahr.“
    „Gar nicht.“
    „Wohl.“
    „Wenn ihr so weiter macht, kommen wir nie zu den Geschenken“, mahnte Nua an.
    Das leuchtete Kaia wohl ein und sie aß weiter.


    Als alle fertig waren, durften die Kinder ihre Geschenke auspacken – wenn sie vorher ein Gebet zur Sonne gesprochen hatten.
    „Die Geschenke kommen doch gar nicht von der Sonne“, argumentierte Mea dagegen. „Die kommen von dir und deinen Freunden.“
    „Und mich und meine Freunde gäbe es ohne Sonne auch nicht. Sich bei der Sonne zu bedanken ist nie falsch.“
    Mea murmelte irgendetwas unverständliches vor sich hin und Nua ließ es gelten, während Kua und Kaia die traditionellen Gebete aufsagten.
    Dann begannen die Kleinen, nach Geschenken mit ihren Namen drauf zu suchen. Dabei gingen sie unterschiedlich vor. Während Kua alle ihre Geschenke zur Seite legte, riss Kaia gleich das erste auf.
    „Ja!“, rief sie. „Horngesicht! Der fehlte mir noch!“
    Es war gar nicht so einfach gewesen, zu dieser Zeit des Jahres noch einen Horngesicht (oder Mike Spike, wie er im Original hieß, wie Nua auf ihrer Suche herausgefunden hatte) zu bekommen. Sie verstand auch nicht, was der Reiz eines Styracosaurus mit einem menschlichen Gesicht auf dem Hinterkopf war.
    Kaia hingegen nahm sofort den Kopf ab und setzte ihn umgekehrt wieder dran, so dass das Menschengesicht vorne war. Gruselig. Nur ein Katzengesicht wäre schlimmer gewesen.
    „Das sieht alles nicht wie ein Luftgewehr aus“, fand indessen Mea nach äußerlicher Betrachtung der Geschenke.
    „Es ist auch keins dabei“, erklärte Nua. „Du kriegst keine Waffe. Das kann ins Auge gehen.“
    „Dann aber wenigsten Böller für Silvester.“
    „Gewissermaßen.“
    „Was soll das denn heißen?“
    „Ich sage dir doch nicht, was in den Geschenken ist. Pack sie selbst aus.“
    Kaia war schon bei ihrem nächsten.
    „Ein Hai?“
    Es war in der Tat ein kleiner Hammerhai. Er schien nicht aus Plastik zu sein, eher aus Stein geschnitzt, oder … aus Knochen?
    „Von wem ist das denn?“, fragte Nua.
    Kaia sah auf der beiliegenden Karte nach.
    „Dimakia.“
    Natürlich. Dieses Geschenk würde Nua im Auge behalten müssen. Am besten fragte sie Iska, was es sein konnte, die war schließlich auf Kunst spezialisiert. Es war sicher nicht gefährlich, so leichtsinnig war Dimakia nun auch nicht, aber es konnte … unerwartete Eigenschaften haben.
    Oder einfach gestohlen sein.


    Kinderfeuerwerk. Ein paar harmlose Kolibris, die ein bisschen Funken sprühend herum flogen und Feuerkreisel. Das war ja eigentlich klar gewesen.
    Mea griff nach dem nächsten eingewickelten Stück, das ihren Namen trug. Eins für Kaia lag direkt daneben. Niemand sah gerade hin … aber was immer es war, war sicher sowieso nichts für sie. Irgendein Kinderkram.
    Sie packte ihr eigenes aus und fand … ein WeirdBeast? Ja, so stand es auf der Packung.
    Es war eine Eule. Sowas Blödes.
    „Was soll ich denn damit? Ich sammle gar keine WeirdBeasts.“
    „Mach es auf“, sagte Mama. „Du wirst schon sehen.“
    Mea öffnete die Verpackung und zog die Plastikeule hinaus. Und nun? Moment, die ließ sich aufklappen …
    Innen war der Körper der Eule schwarz und voll mit silbrigen Stacheln. Das war eine Eiserne Jungfrau. Auf der Packung stand auch „Eiserne Eule / Iron Owl“. Na gut, das war schon irgendwie cool … Mea hatte noch ein paar alte Puppen, die da sicher gut reinpassten …


    Kaia riss das nächste Geschenk auf. Bisher hatte sie Horngesicht, einen Hai, zwei Bücher und eine Schachtel Bienenpralinen. Viele Geschenke waren nicht mehr übrig.
    Kua hatte ihre schon aufgehäuft aber einige für Mea waren noch vor dem Altar.
    Dieses hier war ein Syst-Set. „Im Land der Tausend Vulkane“. Mit einer als Drache verkleideten Lokomotive, zwei Lokomotivführern, einem kleinen Vulkan und einem Halbdrachen. Sah schon mal interessant aus.
    War da noch mehr für sie? Eins noch. Ein sehr kleines Ding, eingepackt in Papier. Hart. Sicher nicht in einer Verpackung.
    Kaia riss es auf.
    Ein Taschenmesser!
    „Kann ich das mal sehen?“, fragte Mama. „Von wem ist denn das?“
    Kaia gab ihr das Messer und sah auf das zerknüllte Papier.
    „Von Alika.“
    Mama klappte die Klinge aus.
    „Nicht sehr groß. Das geht in Ordnung, aber sei vorsichtig damit.“
    Sie gab Kaia das Messer zurück.
    „Ich habe auch eins“, meldete Kua.
    „Ich auch“, sagte Mea. „Ups, nein, meins ist ein Springmesser.“
    „Okay, das wird einkassiert“, entschied Mama.
    „Und die Kleinen dürfen Messer haben?“
    „Ich kauf dir auch eins. Aber nicht so eins, die Klinge ist zu lang und klappt zu leicht aus, damit verletzt du dich nur. Darüber muss ich auch noch mit Alika reden. Ein Springmesser für Zwölfjährige mag ja bei den Alonokatzen normal sein, aber hier eher nicht.“
    Widerwillig gab Mea das Messer ab und irgendwie fand Kaia das befriedigend.
    Sie suchte nach weiteren Päckchen mit ihrem Namen, fand aber keine. Offenbar war es das gewesen.
    Kua machte sich gerade erst daran, ihre zu öffnen, als es an der Tür klingelte.


    Nua wunderte sich. Heute hatte sie niemanden erwartet.
    „Mea, machst du mal auf?“
    „Ich bin noch beim Auspacken – uh, giftgrüner Lippenstift.“
    „Na gut, ich gehe.“
    Auf dem Weg zur Tür fragte sich Nua noch, von wem denn der Lippenstift sein konnte, aber als sie öffnete, war das schnell vergessen.
    Vor der Tür stand Jila, die Wildkatze mit dem Leopardenmuster, eine enge Freundin von Nua und außerdem ihre Ex.
    „Hi!“
    „Äh, hi. Was machst du hier?“
    „Na, ich bringe dir dein Geschenk!“
    Jila reichte Nua etwas, das eindeutig eine in Papier verpackte Flasche war.
    „Kann ich reinkommen?“
    „Sicher.“
    Jila steuerte gleich das Wohnzimmer an und begrüßte die Kinder. Nua packte erstmal die Flasche aus. Natürlich war es ein Wein, ein Winzlinger.
    Sie stellte die Flasche in die Weinkatze und ging ins Wohnzimmer.


    „Na hört mal, meine Geschenke habt ihr doch schon“, sagte Jila.
    Sie hockte mit den Kindern im Wohnzimmer.
    „Ich habe nur eurer Mutter was mitgebracht, das konnte ich ihr ja nicht vorher geben, sonst wäre es keine Überraschung mehr gewesen.“
    Eins ihrer Geschenk für die Kinder sah Jila auch schon, nämlich das Buch, das sie für Kaia gekauft hatte:Dynamit im Gehirn. Für Kua hatte sie Wie ich die Mitternacht erfand ausgesucht, aber Kua packte viel langsamer aus und war noch nicht dort angekommen.
    Mea malte sich gerade das Maul giftgrün an.
    „Wie sehe ich aus?“, fragte sie.
    Jila dachte über eine höfliche Antwort nach.
    „Als hättest du dich mit Waldmeisterpudding bekleckert“, fand Kaia.
    Mea fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    „Der schmeckt auch nach Waldmeister.“
    Sie sah auf den Stift.
    „Essbarer Lippenstift. Waldmeistergeschmack. Das erklärt das.“
    „Von wem ist der denn?“, fragte Nua, als sie dazu kam.
    Mea musste nachsehen.
    „Von Tante Nia.“
    Nua musste ein bisschen lachen.
    Jila kannte Nia. Sie war wahrscheinlich Nuas Schwester (bei den Priesterinnen des Tempels der Gefallenen Sonne war die Verwandtschaft oft etwas unklar) und hatte das Geschenk wohl mit der Post geschickt.
    „Da ist ja das Syst!“, rief Kua. „Am Ende der Welt. Mit Lokomotive, zwei Lokomotivführern und einem Scheinriesen in drei verschiedenen Größen. Das kann ich aber nicht gut für mein Schloss gebrauchen.“
    „Das ist auch nicht von mir“, sagte Nua.
    Kua sah auf das Schild.
    „Stimmt, von Kat. Dann kommt noch mehr Syst?“
    „Vielleicht.“
    „Warte mal“, sagte Kaia. „Wenn ich im Jahr nur zwei WeirdBeasts kriege, dann dauert das ja ewig, bis ich alle habe.“
    „Och, vielleicht kriegst du ja nächstes Jahr mehr“, sagte Jila.
    „Ja?“
    „Ich verspreche nichts.“
    „Ärgere die Kinder nicht“, mahnte Nua, immer noch lachend.
    Jetzt entdeckte Kua auch das Buch. Jila nahm erfreut zur Kenntnis, dass es ihr gefiel.
    Mea fand Jilas Geschenk ebenfalls …
    „Die Tartarus-Tastatur?“
    „Das ist ein Thriller“, erklärte Jila. „Sehr spannend. Besser nicht abends lesen, sonst liest du die ganze Nacht durch.“
    Nua zuckte mit den Schultern.
    „Es sind Ferien.“
    Jetzt packte Kua ein zweites Syst-Set aus. Einfach nur gemischte Bausteine.
    „Ja! Jetzt das reicht für einen neuen Turm!“
    Mea hingegen fand … eine Schachtel Bienen-Pralinen. Sie war nicht begeistert.
    „Hat Ket jeder von uns eine Schachtel Pralinen geschenkt?“
    Kua sah ihre Päckchen durch und fand das von Ket. Es hatte die richtige Form.
    „Ja. Sieht so aus.“
    Sie packte aber nicht dieses aus sondern ein kleines, unförmiges. Es war eine Stoffpuppe, wahrscheinlich eine Katze, die als Clown geschminkt war.
    „Was ist das denn?“
    Die Augen der Puppe leuchteten rot auf. Dann schoss einer ihrer Fäden aus dem handlosen Ende des linken Arms, wickelte sich um die Deckenlampe und zog die ganze Puppe hinter sich her nach oben.
    „Ist das von Dimakia?“, fragte Nua.
    „Ja.“
    „Wieso hab ich nichts von Dimakia?“, fragte Mea.
    „Weil sie dich gar nicht kennt“, nahm Nua an.
    „Dimakia war seit dem Sommer nicht mehr hier?“, fragte Jila.
    „Ne. Hast du sie gesehen?“
    „Ne, auch nicht. Aber aus dem Knast kann sie keine solchen Geschenke schicken, also ist sie wohl noch draußen.“
    Der Clown krabbelte nun an der Decke herum.
    „Wie krieg ich den da wieder runter?“, fragte Nua.
    Das wusste Jila auch nicht.


    Nua holte einen Besen und versuchte ein paar mal, den Clown von der Decke zu fegen. Dann hatte sie aber auch genug. Dem Ding würde schon irgendwann der Saft ausgehen, wie allen magischen Artefakten.
    „Och nö“, sagte Mea und hob ein Buch. „Ein Mädchen namens Handgranate. Das nehmen wir doch eh in der Schule durch.“
    „Aber dann hast du wenigstens die gebundene Ausgabe und nicht nur dieses komische Heft“, gab Nua zu bedenken. „Und guck, es ist sogar illustriert.“
    „Mir doch egal.“
    „Ich hab noch Der Oktopus im Springbrunnen“, rief Kua. „Das ist von Iska.“
    „Meins auch“, sagte Kaia und hob ihr Buch hoch. Es war Die Stadt der Tränenden Hühner, was auch immer das sein sollte.
    „Ich bau jetzt meine Lokomotive zusammen“, entschied Kua.
    „Au ja, ich auch“, rief Kaia. „Haben wir die gleichen Lokomotivführer?“
    „Glaub schon. Aber zeig mal den Drachen, den hab ich nicht.“
    „Dann zeig du mal den Riesen.“
    Mea setzte sich in den Sessel und beobachtete den Clown an der Decke.
    Nua ließ die Kinder allein und ging rüber ins Esszimmer. Jila folgte ihr.
    „Kann ich?“, fragte die Wildkatze und wies auf die Raupenlasagne.
    „Klar. Nimm den Teller, das ist meiner.“
    Jila nahm den Teller und ein großes Stück Lasagne.
    „Danke“, sagte sie und fing an zu Essen. Zwischen den Bissen sprach sie weiter:
    „Ich bin heute bei der Arbeit echt nicht satt geworden.“
    „Also hast du heute gearbeitet. Und bist schon fertig?“
    „Ja. Das war so eine Studentin aus reichem Hause. Wird ständig von ihren Eltern genervt, dass sie jemanden mitbringen soll. Also hat sie mich angeheuert um ihre Freundin zu spielen. Dann waren die Eltern aber solche Kotzbrocken … wollten mich ausfragen, bis sie dann die Nase voll hatte und alles verraten hat. Ich bin nur bis zur Vorspeise gekommen, dann warfen sie uns raus.“
    „Och.“
    „Sie tat mir so leid, dass ich ihr das Geld zurückgegeben habe.“
    Nua nickte. Das konnte sie gut nachvollziehen.
    „Wo ist sie jetzt?“
    „Wollte zu einer Feier mit ihren Freunden. Ich wollte lieber dir dein Geschenk bringen.“
    „Willst du über Nacht bleibe?“
    „Kann ich?“
    „Oh, die Kinder werden zu aufgeregt sein um zu schlafen, wir werden nicht viel Ruhe haben. Aber wenn du nicht mehr fahren willst, können wir mein Geschenk aufmachen.“
    „Klingt gut.“


    Der Clown saß nur noch da. Vielleicht hatte er sich wieder abgeschaltet.
    Hoffentlich bekam Mea nächstes Jahr auch etwas von Dimakia. Was wohl der Hai konnte?
    Sollte sie den Lippenstift jetzt essen? Oder aufbewahren und in der Schule tragen? Den musste man sicher im Kühlschrank aufheben und wenn die Kinder ihn da fanden, war er weg.
    Richtiger Lippenstift wäre ihr lieber gewesen.
    Aber die Eule war lustig. Mea stand auf. Sie würde jetzt hochgehen und ein paar alte Puppen zum Foltern holen.
    Sie ging vorbei an Mama und Jila, die bläulichen Wein tranken und sich in die Augen sahen. Jila würde definitiv über Nacht bleiben und sicher nicht im Gästezimmer schlafen.
    Dann ging sie die Treppe hinauf in Richtung ihres Zimmers.


    Nua bemerkete, wie Mea ging und wusste, was sie vorhatte. Es war normal, wenn Mädchen in ihrem Alter ihr altes Kinderspielzeug zerstören wollten, wirklich oder symbolisch. Dafür hatte sie ihr die Eule ja geschenkt. Kua und Kaia spielten indessen mit Syst. Sie hatten die größte Form des Scheinriesen mit jedem Fuß auf eine Lokomotive gestellt, als trüge er übergroße Rollschuhe.
    „Feiert ihr jetzt eigentlich Wintersonnenwende oder Sommersonnenwende?“, fragte Jila, als sie ihr Glas wieder auffüllte.
    „Irgendwie beides“, gab Nua zu.
    „Na dann.“
    Jila hob ihr Glas.
    „Frohe Sonnenwenden!“
    Nua lachte und hob ihr Glas ebenso.
    „Frohe Sonnenwenden!“

  • Beste Idee morgens eine Skelch-Geschichte zu lesen. Das war richtig toll :D
    Ich finds so schön über das Sonnenwendefest zu lesen auch wenn es die komplizierte Mischvariante ist. ^^ Ich kenn noch nicht alle Figuren, aber ich finds so cool wie die Freund*innen von Nua so am Leben teilnehmen. Und liebe die Geschenke, die Eiserne Eule, die Messer, die Artefakte, und wie die Kinder drauf reagieren. Ich liebe Jilas und Dimakias Berufe und ach freu mich einfach über die ganzen Details. Ich würd gern noch mehr Geschichten der Frauen lesen :)

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