Die Suche der Beschwerdeeichen
(Aus: Märchen, Legenden und Erzählungen aus dem Westland)
Einst, als die Träne noch jung war, kam eine Eiche aus dem Hügelland in ein Dorf. Sie war dick und knorrig und wirkte trotz ihrer ihrer Höhe irgendwie gedrungen. Ihre Äste hingen fast so herab wie bei einer Trauerweide und auf dem Dorfplatz begann sie knarzend zu klagen. Viele der Dörfler versteckten sich in ihren Häusern. Denn Eichen sind groß und klingen immer grummelig, weshalb es Menschen gibt, die sich vor ihnen fürchten. Um einen Baum, besonders eine Eiche, zu verstehen, braucht man Geduld und Erfahrung. Also schickte der Bürgermeister zum alten Waldbauern, der die Bäume am besten verstand und Zeit seines Lebens in ihrer Umgebung gelebt hatte. Als er den Platz erreichte, lauschte er der Eiche, hörte ihrem Knarzen und Flüstern ruhig zu und schwieg. Der Bürgermeister fragte, was der Baum denn habe. Der Waldbauer bat um Geduld, er müsse erst auf die Eiche hin hören. Er lauschte der Eiche, hörte ihrem Knarzen und Flüstern ruhig zu und schwieg. Wieder fragte der Bürgermeister nach dem Anliegen des Baums und wieder bat der Waldbauer um Geduld, er müsse erst auf die Eiche hin hören. Er lauschte der Eiche, hörte ihrem Knarzen und Flüstern ruhig zu und schwieg. Schließlich stellte der Bürgermeister zum dritten Mal seine Frage, was die Eiche denn bedrücke. Da antwortete der Waldbauer, der Eiche sei ihre Identität gestohlen worden. Sie würde sich nun nicht mehr von anderen Bäumen unterscheiden. Das verstand der Bürgermeister nicht und der Waldbauer bat um einen Tag Zeit.
Am nächsten Tag erklärte der Waldbauer: "Es kam vor langen Jahren jemand zu der Eiche. Er schlug einen Nagel in sie und die Eiche beschwerte sich. Sie fragte die Person, Eichen können ja die Geschlechter nicht unterscheiden, wieso sie ihr Schmerzen bereite. Die Person erschruk heftig und lief weg. Doch später kam jemand, der erklärte, dass die Eiche so prächtig sei, dass sie eine Identität verdient habe und hing eine hölzerne Tafel an den Nagel." Der Waldbauer hatte gefragt, was auf der Tafel stand, doch die Eiche verstand diese Frage nicht. Mit der Zeit wurde die Eiche stolz auf ihre Identität. Und so wuchs sie lange Jahre prächtig, stolz und glücklich am Platz ihrer Auszeichnung. Doch schließlich kam eine Person und nahm diexTafel weg. Sie riß auch brutal den Nagel aus der Eiche und hinterließ eine Wunde. Diese Wunde sah der Bürgermeister und ordnete an, sie mit Harz zu verschließen. Doch der Waldbauer meinte, dass dad nicht reiche.
Und so fragte der Waldbauer, ob eine neue Tafel an die Eiche gehängt wrden solle. Er bot an, sie mit Ketten an einen Ast zu hängen, damit die Eiche nicht verletzt werde. Am nächsten Tag verkündete er, dass die Eiche keine neue Identität wolle, sondern nur ihre eigene zurück haben wolle. Bürgermeister und Waldbauer konnten nur versprechen, dass sie Nachforschungen anstellen würden. Und fortan kam die Eiche jedes Jahr ins Dorf, klagte über ihre gestohlene Identität und beschwerte sich über die mangelnden Fortschritte bei den Nachforschungen. Als das Leidklagen der Eiche durch die Nachforschungen des Bürgermeisters bekannt wurden, wurden die sprechenden Eichen bald nur noch als Beschwerdeeichen bezeichnet.
Heute gibt es keine Beschwerdeeichen mehr. Manche sagen, wir hätten bloß keine Geduld mehr, ihnen zu lauschen. Andere berichten über düstere Holzfäller und intelligente Möbelstücke. Doch in dem Dorf wissen sie, dass irgendwann Gerüchte darüber ins Dorf gelangten, dass im Waldland Schilder an Bäume gehängt werden. Und so machte sich die Eiche mit ihren Freunden auf, um seine Identität jenseits des Gebirges zu finden. Es gibt verschiedene Geschichten darüber, ob sie sie fand oder ein leichtlebiger Elf ihr eine andere Identität untergejubelt hat. Zurück ins Westland kamen die Eichen nicht. Und wenn sie nicht gefällt wurden, dann wachsen sie noch heute.