Neuer Text aus meiner Welt - es dreht sich um die Religion in Imelaju - einigen von euch habe ich zu dem Thema schonmal einen alten Text zu lesen gegeben, und manche haben es natuerlich auch schon auf den Treffen aus meinem Munde gehoert...
Von der Fähigkeit, Eintopf herbeizuzaubern
Gespräch zwischen dem Weisen Träumer Tenaranggang
und Brija, einer ravenländischer Leichtmatrosin aus Jarran Ai' Polàns Mannschaft
Brija: „Ohne Euch beleidigen zu wollen, hoher Herr, aber ich kann Euren Glauben nicht verstehen. Unser Schiffspriester hat uns ja schon kurz nach unserem Aufbruch gewarnt, dass es am Rand der Welt Leute geben mag, die noch nichts von Ethariel gehört haben und irgendeinem schrecklichen Irrglauben anhängen. Nun ist mir ja – aber bitte sagt das nicht meinen Herren weiter – Ethariel und die gesamte Kirche herzlich schnuppe. Und ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit – ich habe bis jetzt jeden Morgen die Sonne im Osten aufgehen sehen, egal welch schlimme Sünde oder welch hevorragende Tat ich selbst oder sonstwer begangen hatte.
Aber Euren Glauben verstehe ich einfach nicht. Mag ja sein, dass sich irgendein Gott die Welt einfach nur ausgedacht hat – ich hab das mit Eurer Schöpfung mal so am Rande gehört, müsst Ihr wissen...
Aber: Wie kann die Wirklichkeit davon abhängen, was sich irgendein Mensch vorstellt? Wenn mein Magen leer ist und ich Hunger habe, dann kann ich mir noch so viel saftigen Braten und guten Eintopf vorstellen, satter werde ich auch nicht davon. Und egal wie sehr ich mir wünsche, dass ich noch eine Stunde länger schlafen könnte, die Sonne geht – wie ich schon sagte – jeden Morgen im Osten auf, und sie wartet nicht damit, nur weil ich mir das wünschen würde. Und zuguterletzt: Warum füttern die Menschen begeistert einen Haufen tattriger, runzliger Greise durch, die sich Priester nennen und den ganzen Tag nichts anderes tun als Rauschkräuter rauchen, völlig benebelt herumsitzen und grinsend in die Gegend zu starren?
Obwohl... das könnte man sich natürlich bei den Etharielspriestern auch fragen, und die grinsen nicht einmal, sondern gucken nur die ganze Zeit verdriesslich drein...
Äh... versteht mich nicht falsch, ich möchte Euch und Eure Kollegen natürlich nicht beleidigen, aber ein bisschen komisch ist das ja schon, müsst Ihr doch zugeben...“
Tenaranggang (lachend): „Mein Kind, du bist wirklich nicht nur von scharfem Verstand sondern auch von loser Zunge. Ich nehme an, dass du selbst schon weisst, welchen Ärger dir das einbringen kann, deshalb werde ich dich nicht warnen. Aber mir ist das nur recht, ich habe ohnehin im Augenblick die Nase voll vom salbungsvollen Gerede der jungen Mönche. Und ich freue mich über ein anregendes Gespräch.
Du hast ganz recht: Wir glauben, dass die Welt von einem mächtigen Wesen – wohl das, was ihr Gott nennt – geträumt wird; dass alles Wirkliche um uns und in uns geschaffen wurde, indem es sich jemand ausgedacht und vorgestellt hat.
Manche Schulen – insbesondere die im Kaiserreich – lehren, dass dieses Göttliche ein überirdisches, unerreichbares Wesen ist, das über der Schöpfung steht. Andere Schulen – gerade jene in der Neuen Republik – sind der Meinung, dass jeder Mensch und jedes Ding ein Gedanke des Göttlichen ist, dass also in jedem etwas göttliches ist, und dass der Geist des Göttlichen sich aus den einzelnen Gedanken, aus uns allen und der Welt um uns, zusammensetzt.
Diese unterschiedlichen Ansichten führten schon zu viel Streit, lauten Worten und auch Kämpfen – aber ich kann darüber nur lächeln. Woher nehmen die eifrigen Verfechter dieser Theorien ihr Wissen um das Wesen des Träumenden? Haben sie es schon getroffen? Nein. Sie haben nur sein Werk gesehen.
Anderseits... vielleicht haben sie das Träumende doch schon getroffen, denn einige weitere Schulen behaupten, dass es ständig in seinen Traum schlüpft und in Gestalt eines Menschen, eines Tieres oder eines Dings unter uns ist.
Dennoch finde ich, dass das kein Grund wäre, anderen den Kopf herunter zu schlagen.“
Brija: „Oh, ich finde, da habt Ihr ganz recht – unsere Etharielspriester mögen es auch überhaupt nicht, wenn jemand etwas über Gott sagt, was ihnen nicht passt. Aber Gott selbst scheint es nicht zu stören, jeden Tag geht – wie ich schon sagte – die Sonne auf, selbst wenn jemand am Abend zuvor die gotteslästerlichsten Reden geschwungen hat.
Aber... Hmm... es ist eine interessante Vorstellung, der Gedanke eines Gottes zu sein. Hehe.
Nun gut, soweit kann ich Euch noch folgen. Aber wie ist es nun mit den Träumen und Gedanken der Menschen? Nur weil ich mir etwas wünsche, geht es noch lange nicht in Erfüllung, oder?“
Tenaranggang: „Auf den ersten Blick nicht... Aber um das Wesen des Traums und der Welt zu verstehen, muss man schon etwas genauer hinsehen. Und die Wirklichkeit durch einen bloßen Gedanken zu verändern, das ist wirklich nicht einfach – manche betrachten es als die höchste Fähigkeit, die ein Mensch erreichen kann.
Dazu musst du wohl die Einteilung der Menschen in verschiedene Raju verstehen, was man in eure Sprache wohl am besten mit 'Stände' übersetzen könnte, was die Sache aber auch nicht wirklich trifft.
Jeder Mensch gehört nach unserem Glauben einem Raju an. Welchem Raju er warum angehört, und ob er in einen anderen Raju wechseln kann, das ist von Glaubensschule zu Glaubensschule unterschiedlich. Ich will es dir so erklären, wie die größte Schule der Neuen Republik es versteht. Dort kannst du im Laufe deines Lebens von einem Raju zu einem anderen wechseln, je nach deiner persönlichen Entwicklung, und es besteht auch keine so strikte gesellschaftliche Trennung zwischen den Mitgliedern mehr wie im Alten Reich.
Der unterste Raju ist der Louw, der machtloseste und zugleich der, der am meisten Mitglieder hat. Er besteht aus den Nicht-Träumern, aus den Leuten, die keine Träume haben oder zu schwach sind, ihre Träume auf irgend eine Weise in Wirklichkeit zu verwandeln. Es sind die Trägen oder die Ängstlichen, die sagen „Ich kann nicht...“ oder „Das geht nicht...“ oder „Das steht mir nicht zu...“. Die Masse der Louwit wird von den Leuten aus den anderen Raju gelenkt und geleitet.
Der Louw steht auch außerhalb der Einteilung in spirituelle und weltliche Raju, weil er das Sammelbecken für diejenigen ist, die nicht in einen der anderen vier Raju passen.
Der nächsthöhere Raju, der als der untere der zwei weltlichen gerechnet wird, ist der Sahir. Darin sind die Leute, die einen Traum, einer Vision für sich selbst und ihr Leben folgen. Zum Beispiel kann es das Ziel eines Sahir sein, der größte Sänger auf den Inseln zu werden, soviel Reichtum zusammenzutragen, dass er in einem Palast wohnen kann, oder irgendwann alle Inseln des Alten und des Neuen Reiches besucht zu haben. Einige Sahirit erfüllen ihren Traum irgendwann und werden danach lustlos und einfallslos wie ein Louw, aber die meisten suchen sich einfach ein neues, noch größeres Ziel, das sie anstreben können. In diesem Raju finden sich viele ehrgeizige Handwerker, Künstler und Händler.
Der nächste Raju, der obere der weltlichen, ist der Venal. Hier finden sich die Menschen, die nicht nur selbst einen Traum haben, sondern auch die Träume anderer beeinflussen können. Einige Venal sind haben eine Vision, die sie verwirklichen wollen, und sie inspirieren andere dazu, der gleichen Vision zu folgen. Diese sind Anführer, die andere Menschen lenken können und ihnen ein Ziel geben. Andere Venal besitzen schlicht das, was man wohl Charisma nennt – eine beeindruckende Ausstrahlung, die sie dazu benutzen können, andere zu beeinflussen, ohne dass sie sich zum Anführer einer Bewegung aufschwingen. In diesem Raju finden sich unter anderem militärische Führer, Inselvorstände Ratsmitglieder, Politiker und auch Aufrührer.
Ohne geistliche Ausbildung ist das die höchste Stufe, die man erreichen kann. Und soweit ich sah gibt es Leute aus all diesen Raju auch bei euch, auch wenn ihr sie vielleicht nicht so nennt.“
Brija: „Hmm... Das stimmt. Unser Kapitän zum Beispiel scheint mir ein Venal zu sein. Seine Ansprachen haben die Mannschaft zusammen gehalten, als das ganze Schiff schon nach Meuterei stank.“
Tenaranggang (nickend): „Ja, genau, so etwas meine ich.
Jedenfalls, die letzten zwei Raju sind die spirituellen, in die man aufsteigen kann, wenn man Priesterin oder Mönch wird, durch Meditation, durch Erfahrung, durch Erweiterung des Geistes und durch viel Üben.
Bevor ein junger Priester in einen sprituellen Raju aufsteigt, befindet er sich meist in einem der beiden weltlichen – schließlich muss man schon einiges an Zähigkeit, Disziplin und Willen aufbringen, um die Ausbildung eines Priesters durchzustehen, und dafür muss man fest an sein Ziel glauben. Einem Louw gelingt so etwas nur sehr selten, aber auch das wurde schon gesehen.
Der untere der beiden spirituellen Raju ist der Beshu. Der Beshu besteht aus Menschen, die sich selbst träumen können, die ihre eigene Wirklichkeit aufrecht erhalten. Es ist schwer zu erklären... Fast alle Menschen werden vom großen Träumenden in der Wirklichkeit gehalten, schlicht dadurch, dass es sich vorstellt, dass sie da sind. Die Beshuit jedoch werden durch ihre eigene Vorstellung in der Wirklichkeit gehalten. Auf den ersten Blick macht das keinen Unterschied – ob jemand nun existiert, weil jemand anderer ihn denkt, oder weil er sich selbst denkt, scheint egal zu sein. Erst auf den zweiten Blick gesehen, bemerkt man die ganze Tragweite dieser Fähigkeit der Beshuit. Indem sie ihre Vorstellung von sich selbst verändern, können sich selbst verändern, verwandeln, die Wirklichkeit ihres Seins umbiegen und ihr „Schicksal“ selbst bestimmen; ihr Leben währt so lange sie es wünschen – beziehungsweise solange sie es sich vorstellen können.
Erfahrene Priester können in diesen Raju aufsteigen, wenn sie in der Lage sind, sich selbst zu träumen.
Nun ist es nicht ganz einfach, festzustellen, wer in der Lage ist, sich selbst zu träumen, und wer nur herumspinnt. Eigentlich ist es gar nicht möglich, das festzustellen, nur der Träumer selbst kann es wissen. Das ist der Haken bei den sprituellen Raju... Und deshalb ist es leicht möglich, dass die ehrwürdigen Priester, die den ganzen Tag nur Rauschkräuter rauchen und grinsend in die Gegend starren, tatsächlich nur benebelte alte Tattergreise sind. Aber genausogut könnten sie zu den mächtigsten Wesen der Wirklichkeit gehören.“
Brija: „Oh.“
Tenaranggang (lachend): „Und mal ehrlich: Wenn du dein Dasein nach deinen Gedanken formen könntest, würdest du es nicht auch vorziehen, den ganzen Tag entspannt im sonnigen Innenhof eines Tempels zu sitzen und das Leben zu genießen?“
Brija (lachend): „Mit Sicherheit!“
Tenaranggang: „Nun, um aber auf die Raju zurückzukommen: Der höchste aller Raju und der zweite spirituelle ist der Awar. Nur wenige Menschen gehören ihm an, nämlich diejenigen, die nicht nur sich selbst träumen, sondern auch die Wirklichkeit anderer Menschen verändern können. Profan gesprochen sind es diejenigen, die sich einen leckeren Eintopf vorstellen und zur Wirklichkeit machen können. Ihre Macht ist nur begrenzt durch ihre Vorstellungskraft und durch die „Zähigkeit“ der Wirklichkeit. Die Zähigkeit der Wirklichkeit wird bestimmt durch die Vorstellung des Träumenden. Wenn man annimmt, dass der Geist des Träumenden aus einzelnen Gedankenfetzen, aus uns Menschen, besteht, dann muss ein Awar nur die Vorstellungen von genügend Menschen verändern, um die Wirklichkeit selbst zu verändern.
Jetzt ist der Himmel blau. Aber angenommen, ein Awar könnte genügend Leuten den Gedanken einpflanzen, dass der Himmel grün ist, dann würde sich der Himmel grün färben – und der Awar hätte die Wirklichkeit verbogen. Je mehr Menschen von der Wahrheit einer Tatsache überzeugt sind, und je fester sie daran glauben, desto zäher gestaltet es sich, diese Wahrheit zu verbiegen.
Was man ja im Übrigen schon an so profanen Dingen wie Gerüchten sieht: Je öfter eine erfundene Geschichte erzählt wird, und je mehr Menschen sie hören, desto wahrer wird sie. Und wenn sie erst einmal die Runde gemacht hat, dann ist es so gut wie unmöglich, sie den Leuten wieder auszureden. Es sei denn, man setzt eine noch haarsträubendere Geschichte an ihre Stelle.
Nun, und die Awar sind der eigentliche Grund, warum die Leute Priester versorgen, ihnen Opfer darbieten und sie – schlicht gesagt – durchfüttern: Die Menschen bitten die Awar im Gegenzug darum, die Wirklichkeit zu ihren Gunsten zu verbiegen. Dass ihr ungeborenes Kind gesund zur Welt kommen soll, dass die Ernte oder der Fang gut ausfällt und reicht, um alle zu versorgen, oder dass sie Glück in der Liebe haben. Solche Dinge, in den meisten Fällen.
Der Übergang zwischen dem Raju der Beshu und dem der Awar ist übrigens ein relativ fließender und nicht wirklich von außen feststellbar. Von daher wird den meisten alten Mönchen einfach pauschal Respekt entgegen gebracht.“
Brija (sich am Kopf kratzend): „Uff, das scheint mir alles ganz schön versponnen, wenn ich ehrlich sein darf.
Aber ist es denn wirklich so schwer nachzuweisen, dass ein Priester die Wirklichkeit umbiegen kann? Ich meine, wenn man ihn auffordert: 'Mach, dass in diesem leeren Topf Eintopf erscheint' und er das kann, dann ist die Lage ja ziemlich eindeutig. Oder wenn jemand zweihundert Jahre lebt, dann muss er ja auch ziemlich außergewöhnlich sein.“
Tenaranggang: „Das stimmt, aber dass so etwas geschieht und unabstreitbar nachweisbar ist, ist selten. Kaum einmal findest du jemanden, der bei so einem 'Wunder' selbst dabei war, und von dem du nicht vermuten musst, dass er sah, was er sehen wollte, oder dass er zuviel getrunken hat, oder sowas. Allerdings gibt es sehr viele, die vom Onkel der Großtante ihres Schwagers von solchen Wundern gehört haben.
Ich denke, das liegt daran, dass es leichter ist, die Wirklichkeit zu verbiegen, wenn etwas, das man geschehen lassen will, plausibel erscheint. Dadurch muss man die Vorstellungen und Träume der Menschen nicht so radikal verändern.
Man erzählt sich zum Beispiel die Legende von der Awar Ilarii, die gerufen wurde, um einen kranken Ratsherren zu heilen. Alle erwarteten, dass sie ihm die Hände auflegen und er gesund aus dem Bett springen würde. Aber sie griff nur in ihre Tasche, holte ein paar schleimige, grünliche Schnecken hervor, und befahl, dass dem Ratsherren ein Trank aus dem Saft dieser Tiere gebraut werden solle. Und davon genas er. Im Laufe von zwei Wochen, in denen er übrigens bestialisch aus dem Mund stank. Die meisten Anwesenden waren enttäuscht, dass Ilarii offenbar nicht in der Lage war, echte Wunder zu wirken, sondern bestenfalls eine kundige Heilerin. Und, dass sie so etwas profanes verwendet hatte, wie die ekligen Schnecken, die seit Monaten in den Obsthainen des Ratsherren herumkrochen.
Sehr erstaunt war allerdings der Beshu Urar, der auch anwesend war. Er hatte sein Leben lang die Tierwelt studiert und solche Schnecken noch nie zuvor gesehen.“
Brija: „Ah, wie überaus geheimnisvoll. Und ihr selbst? Wenn all die Mönche Euch so unterwürfig gegenüberstehen... könnt Ihr dann etwa selbst Eintopf herbeizaubern?“
Tenaranggang: „Äh... nein, ich wüsste nicht, wie das geht. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was genau sich hinter dem Wort 'Eintopf' verbirgt. Aber...“
Sein Gewand abtastend und eine Art Brotstange hervorziehend: „Ich habe noch etwas Bjirat dabei, falls du einfach nur Hunger hast.“