Eine kleine, atmosphärische Geschichte aus dem Haegemonia Szenario.
Falls sich jemand Gedanken um das verwendete 'Geld' macht, in Haegemonia wird mit Energie bezahlt. Chips und Cells sind Speichermedien, die eine Energiemenge über Jahre hinweg mit einer minimalen Verlustrate bewahren können (superfluide Plasmaspulen). Die Einheit ist NRG, wobei 1 NRG eine Kaufkraft von etwa 10 bis 20 €uro hätte - obwohl der Vergelich nicht zutreffend ist, da die Wertvorstellungen grundlegend unterschiedlich sind aufgrund des anderen Wirtschaftssystems.
ZitatAlles anzeigenPech gehabt
Ein nicht zu entwirrendes Gemisch unidentifizierbarer Gerüche schwängerte die verrauchte, schwere Luft und vereinte sich mit den warmen Schwaden weißlichen Dampfes aus der Küche. Sie verwandelten den verwinkelten Schankraum der kleinen Spelunke am Rande der Luftkuppel in eine diesige Waschküche, in der Einzelheiten schon nach wenigen Metern in ein dämmeriges Einerlei verschwammen.
Die Bedienung, eine nicht allzu hübsche, braunhaarige Enklave von vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig Jahren drehte lustlos zu dieser späten Stunde ihre Runden, sammelte Gläser und Geschirr ein und nahm vereinzelt noch Bestellungen entgegen.
Ein knappes Dutzend Gäste saß verteilt in einigen Gruppen an den Tischen oder der Theke und füllte die schneidend dicke Luft mit träger, belangloser Konversation. In kleinen Bergbausiedlungen wie Station 11 gab es selten Dinge von Bedeutung, die zu diskutieren der Mühe wert wären.
Eine Gruppe hagerer, totenköpfiger Tekten saß beisammen in der Nähe des Ausgangs. Ihre monotonen Stimmen drangen kaum bis zum nächsten Tisch und verklangen als formloser Akkord in der Hintergrundmusik der Musikbox.
Am anderen Ende des Raumes saß ein bärtiger Merkator mit einem schmierig aussehenden Enklaven und redete gestikulierend auf diesen ein. Das milchig-gelbe Licht der Leuchtkörper spiegelte sich in unregelmäßigen Flecken auf dem kahlen Schädel des Raumfahrers. Wahrscheinlich verhandelte er mit dem Enklaven eine legale oder weniger legale Lieferung, die er entweder los werden oder an Land ziehen wollte.
Die restlichen Gäste waren in der Hauptsache Enklaven.
Als die Tür aufschwang und noch einen späten Besucher einließ, wurde der Raum nicht nur gefühlt ein paar Kelvin kühler.
Der neue Gast trug eine grauschwarze Schutzkombi unter einem weiten, grauen Mantel. Schwarzer Dampf quoll unter der aufgeschlagenen Kapuze hervor, mischte sich mit der dunstigen Kneipenluft und sank in kleinen Wölkchen zu Boden. Einzig ein rotes Augenpaar blitzte aus der Schwärze darunter in den Raum, der Rest verschwand in gestaltloser Schwärze.
Kälte strahlte von dem Pech in den Raum aus, als er die Schenke mit federnden Schritten durchmaß. Das Zischen der Atemmaske lag drohend wie eine Schlange über den Köpfen der anderen Gäste. Zum Schutz gegen das Licht und die Hitze war fast jeder Zentimeter des tiefschwarzen Körpers mit Stoff umwickelt oder vom Schutzanzug bedeckt, um damit dem Pech zu helfen, seine niedrige Körpertemperatur zu halten.
Die Geräusche und Gespräche in der Taverne erstarben fast augenblicklich und schienen vor der leise zischenden Stimme des Fremden zu weichen.
„Wisk! Jetzt!“
Er stieß die Bedienung, die mit weit aufgerissenen Augen vor ihm stand grob mit der umwickelten Hand an, während die metallenen Spitzen seiner dreigliedrigen Klauenstiefel über den harten Plastikbelag des Bodens scharrten. Hastig eilte sie davon, um dem Pech den geforderten Alkohol zu bringen.
Der Pech selbst steuerte unumwunden einen frei stehenden Tisch an, an dem nur eine einzelne Person saß. Als sich das Raubtier in Menschengestalt in einen freien Stuhl fallen ließ, hob sich das fahle, fast weiße Gesicht. Das spärliche, dünne Haar klebte in schwarzen Strähnen an dem kantigen Schädel. In tiefen, dunklen Höhlen blitzten die großen, fast vollständig von dunkelgrauer Iris bedeckten Augen des Intrinsj dem Fremden entgegen.
Der Pech musterte einen Moment die schmalen Hände, die sich um ein hohes Glas bernsteinfarbener Flüssigkeit schlossen. Die funkelnden, roten Schlitze im Schatten der Kapuze zuckten freudig, als sie das leichte Zittern der Finger bemerkten.
Für die Pech war es nur natürlich, daß man ihnen mit Furcht und Argwohn begegnete – sie erwarteten nichts anderes. Schließlich waren sie Pech, die tödlichsten Geschöpfe, denen man im Zweikampf gegenüberstehen konnte. Die anderen Rassen des Trisystems hatten allen Grund dazu, Angst vor den Pech zu haben. Dieser Intrinsj bildete keine Ausnahme und würde leicht zu knacken sein.
Gan stand kurz davor, die endgültige Spur seiner Beute aufzunehmen.
Er lehnte sich zurück und zog seine Atemmaske herunter. Gan war nicht so arrogant anzunehmen, als Pech über alle Gepflogenheiten eines Gesprächs erhaben zu sein. Obwohl sich für sein Gegenüber nicht mehr Einzelheiten des nachtschwarzen Gesichtes offenbaren würden, so deutete das Entfernen der Maske eine gewisse Offenheit an.
Der Intrinsj starrte in die dunkle Öffnung unter der Kapuze. Nicht einmal Konturen zeichneten sich dort ab und selbst ein Scheinwerfer direkt darauf gerichtet würde kaum mehr zu Tage fördern. Der schwarze Dunst und die Haut des Pechs schluckten alles Licht ohne den geringsten Reflex zurückzuwerfen. Zusammen mit der niedrigen Körpertemperatur von höchstens 8 Kelvin über dem Gefrierpunkt machte das den Pech für die meisten Sensoren fast unsichtbar.
Gan verzog das Gesicht zu der Imitation eines Lächelns, das zarter besaitete Gemüter wohl in Ohnmacht hätte fallen lassen, hätte man die glitzernden Fangzähne nur etwas deutlicher sehen können. So zeigte sich nur eine Linie funkelnder Lichtreflexe im undurchdringlichen Schwarz.
„Ich bin Gan, der Kopfgeldjäger.“, eröffnete der Pech unbefangen das Gespräch. Irgendwie schien es ihm fast selbstverständlich, daß man selbst hier im tiefsten Hinterland von Beta mit dem Namen etwas anfangen konnte.
„Dann suchst du jemand.“, stellte der Intrinsj fest. Die Stimme tönte metallen, fast blechern.
Gan registrierte erfreut, daß der Intrinsj weder vom Alkohol zu sehr benebelt war, noch über ein zu schlichtes Gemüt verfügte. Es war schwer abzuschätzen, wie viel Wisk der Mann schon getrunken hatte. Gan stellte seine Wahl jedoch nicht in Frage. Der Intrinsj war der beste Ansatzpunkt. Er war allein, würde also weder Ablenkung noch Unterstützung erfahren und er war Intrinsj.
Innerlich schüttelte sich Gan bei der Vorstellung. Intrinsj waren schwach, immer auf Defensive bedacht und von zerbrechlicher Konstitution. Nicht, daß ein Enklave zäher war, doch waren diese Leute unmöglich kalkulierbar. Die Zahl möglicher Reaktionen, die bei Enklaven zu erwarten gewesen wären, überstieg das kontrollierbare Maß bei Weitem.
Tekten dagegen waren schlicht und gradlinig. Ihre Physis war noch schwächer, aber ihr Leidenswille war, wenn es ein Ziel zu erreichen galt, immens. Ein Merkator hätte Gan einigen Widerstand geboten und ohne eine hohe Entlohnung wäre er niemals bereit gewesen, Informationen zu teilen.
Er bedauerte, daß weder Ipsier, noch Elkryss in der Bar zugegen waren. Es machte eindeutig mehr Spaß, mit solchen Leuten zu spielen, als mit einem langweiligen Intrinsj.
Gan ermahnte sich dazu, bei der Sache zu bleiben. Er hatte keine Zeit für Vergnügungen. Hier ging es um Effizienz und da standen bei ihm Intrinsj neben Ichtys an erster Stelle. Er wandte sich wieder seinem von Wisk umnebelten Opfer zu und nickte bedächtig mit dem Kopf, bemüht, die ihm fremde Geste bedeutungsvoll wirken zu lassen.
„Einen Auftragsmörder. Soll sich hier in der Gegend aufhalten. Ser Batiste ist der Name.“
Mit einer beiläufigen Geste warf er ein paar E-Chips auf den Tisch. Etwa ein halbes Dutzend runder Plastikscheiben tanzten vor dem Glas des Intrinsj. Dieser runzelte die blasse Stirn und musterte die Chips.
Jeder trug fünf blau schimmernde Ringe, fünf Zehntel pro Chip.
„Warum sollte ich einem Pech“, er spie das Wort förmlich dem finsteren Gesicht unter der Kaputze entgegen, „für 3 lumpige NRGs irgendetwas sagen?“, der Kopf sank wieder nach vorn und der Intrinsj vertiefte sich wieder in seine Betrachtung des Wiskglases.
Der Pech war halb aufgesprungen und ragte drohend auf. Seine Hände zitterten leicht vor Erregung und schnappten in der Luft auf und zu. Die Geräusche der Bar erstarben und alle Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Tisch des Pechs und dem unverschämten Intrinsj, der es gewagt hatte, sein Angebot abzulehnen.
Dann ließ Gan sich wieder auf den Stuhl fallen, warf den Kopf in den Nacken und brach in ein infernalisches Gelächter aus, bei dem die Gläser und Flaschen an der Bar zu klirren begannen.
„Sehr gut, Intrinsj!“, Gan zog einen ganzen E-Block aus dem Gürtel und stellte ihn zu den Chips. Die Ladungsanzeige stand auf etwa der Hälfte. 50 NRGs waren ein ansehnlicher Preis, ein Wochenlohn in dieser Ecke Betas. Der Kopf des Intrinsj hob sich wieder und diesmal leuchtete so etwas wie Interesse in den tief liegenden Augen.
„Du suchst einen Intrinsj?“
Gan zuckte in einer vollendet menschlichen Geste die Achseln.
„Intrinsj, Enklave, Haleph – ihr Warmblüter seid doch alle gleich. Schwerfällig, zaghaft und ihr sterbt, wenn ich euch berühre. Außerdem habt ihr alle Angst vor mir.“
Der Mundwinkel des Intrinsj zuckte kurz.
„'Ser' ist ein beliebter Name bei uns. Ich selbst heiße auch so.“
Gan beugte sich vor und legte seine Hände vor sich auf dem Tisch zusammen. Sein Blick bohrte sich in die Augen des Intrinsj.
„Es gibt jetzt genau zwei Möglichkeiten, Intrinsj.“, zischte er leise und drohend.
„Entweder du nimmst mein Geld und mein Angebot an, oder du stirbst noch bevor du den Boden berührst. Ich bin Pech!“
Das Gesicht des Intrinsj zeigte keine Spur von Furcht oder Nervosität mehr. Ein spöttisches Lächeln wischte alle Unsicherheit aus den Zügen.
„Oh, Pech, richtig. Und du hast sicher vor gar nichts Angst, stimmt's?“
Gans Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Das Gespräch nahm auf einmal eine unerwartete Wendung.
„Nicht einmal vor euren Furien?“
Knallend krallten sich Gans Finger in die Ränder der Tischplatte, als Zorn und Furcht alle Vernunft und jeden Vorsatz hinweg spülten. Für jeden Pech war eine Furie, ein weiblicher Pech, gleichbedeutend mit ihrer größten Schmach und gleichzeitig das einzige, das sie mehr fürchteten, als alles andere. Furien waren noch stärker und schneller als Pech und hielten sie in der entwürdigenden Rolle des entbehrlichen Begattungshengstes.
Es knackte und knirschte vernehmlich, als sich Gans Haut unter der Erwartung von Schmerz zusammenzog und verhärtete. Er konnte diese Reaktion nicht unterdrücken, die unwillkürlich erfolgte, als ihn die panische Furcht vor einer Furie durchzuckte.
Gan würde diesen anmaßenden Intrinsj in kleine Fetzen reißen und danach über alle Gäste in der Bar herfallen. Irgendjemand würde ihm schon die gewünschten Auskünfte erteilen, während er in dessen Eingeweiden wühlte. Seine Venen zuckten wild, als sie sein Blut in wilden Kaskaden durch seinen angespannten Körper pumpten.
Seine Augen sprühten Tod, als er seinen Blick wieder auf den Intrinsj heftete. Im selben Moment jedoch weiteten sie sich vor Erstaunen. Seine durch die Wut gesteigerten Sinne ließen ihn alles wie in Zeitlupe sehen. Die Hand des Intrinsj zuckte gedankenschnell auf sein Gesicht. Gan wollte die Hände hochbringen und den – für ihn trägen – Angriff abwehren, aber er bekam seine verhärteten Finger nicht schnell genug aus der Tischplatte frei.
Als er es endlich schaffte, fühlte er etwas warmes, nasses in sein Gesicht klatschen und seine Augen blenden. Gleichzeitig flammte ein glühender Schmerz in seiner Kehle auf.
Statt die zurück schnellende Hand des Intrinsj zu fassen, griff sich Gan nur an die Kehle. Seine Zeitwahrnehmung stürzte unmittelbar wieder in die Normale zurück und er blinzelte durch den Wisk in seinen Augen.
Entsetzt starrte Gan auf sein Leben, das dampfend zwischen seinen Fingern hervor quoll. Immer wilder begannen seine Venen das Blut in sein Gehirn zu pumpen und gaben seine Glieder der allmählichen Lähmung preis. Das Blut allerdings gelangte nie ins Gehirn, sondern spritzte in immer größeren Mengen aus den durchtrennten Halsadern.
Vor Gans ersterbenden Augen ließ Ser Batiste die zersplitterten Reste des Glases achtlos auf den Tisch fallen und erhob sich langsam. Mit gemessenen Bewegungen sammelte er die Chips vom Tisch und vergaß auch nicht die Cell. Er steckte alles ein und warf noch einen letzten, verächtlichen Blick auf den Pech, dessen Kopf soeben vornüber in die violette Pfütze seines eigenen Bluts fiel. Er war tot, noch bevor seine Stirn die Tischplatte berührte.
Ser Batiste schüttelte belustigt den Kopf und beugte sich zu der Leiche hinab.
„Der gefährlichste Kämpfer zu sein reicht eben nicht, wenn man nicht in der Lage ist, sein Ziel zu erkennen.“
Das kalte Blut begann bereits stellenweise leicht zu schäumen, als es sich rasch erwärmte und die gelösten Gase freigab. Der Intrinsj schritt gelassen auf den Ausgang zu. Niemand behelligte ihn. Alle starrten noch fassungslos auf den toten Pech, den Inbegriff des Todes im Zweikampf.
Vor der Tür blieb Ser Batiste noch einmal stehen und legte das halbe Dutzend E-Chips in einem ordentlichen Stapel auf den Tisch der drei Tekten.
„Die nächste Runde geht auf Gan, den Kopfgeldjäger.“