Noch so'n Oktoberding

  • Kapitel Sechs: Geist


    Es war einmal ein Splitter blauen Edelsteins, der stammte aus einem verfluchten Land. Als dieses Land unterging, geriet der Splitter in die Schale einer Muschel. Und wie immer in solchen Fällen wuchs aus dem Splittereine Perle. Der Fluch aber veränderte die Muschel und auch die Muscheln der Umgebung. Sie wurden größer und aggressiver, ihnen wuchsen Zähne und Tentakel. Und da die Muschel größer wurde, wurde es auch die Perle, von der ein blaues Leuchten ausging.
    Die Muscheln vermehrten sich und bald näherte ihre Kolonie sich einem Dorf von Meermenschen. Also bekämpften die Meermenschen die Muscheln, doch selbst wenn sie mal eine töten konnten, gelang es nur unter Verlusten.
    Schließlich unternahmen die Meermenschen den Versuch, die Ursache des Problems zu finden. Ihre Expedition entdeckte die Perle, die in der größten aller Muscheln, groß wie ein Wal, steckte.
    Sie wussten, dass ihr blaues Licht nichts gutes sein konnte, und unter großen Mühen gelang es ihnen, die Perle zu brechen.
    Die Perle zerbarst in einem großen Knall und zerriss die Muscheln und die Meermenschen.
    Die Muscheln aber existierten in einer geisterhaften Form weiter, verschmolzen zu einem Wesen.
    Lange Zeit später hatte eine Meerhexe eine Schülerin. Sie waren Klabauter und die Hexe lehrte ihre Schülerin die alte Magie von Tönen und Worten. Doch obwohl sie ihr die Lieder zum Beschwören von Geistern beigebracht hatte, verbot die Hexe ihrer Schülerin, es allein einzusetzen.
    Als die Hexe aber einmal nicht da war, versuchte die Schülerin es doch. Und obgleich sie nur einen kleinen, ungefährlichen Geist beschwören wollte, erschien der Geist der Muscheln.
    Der Geist zog alle Muschelschalen, die es im Haus der Hexe gab (und das waren viele) zu sich und formte sie zu einem aufrechten Körper mit langen Armen. Und obwohl die Schülerin es versuchte, konnte sie den Geist nicht kontrollieren und musste fliehen, als er sie angriff.
    Der Geist verließ das Haus der Hexe und wütete im Klabauterdorf. Sein Körper wurde stetig größer, da er alle Muscheln, die er fand, in sich aufnahm. Die Klabauter bekämpften ihn, aber auch zerbrochene Schalen bleiben Teil des Körpers und so war der Kampf aussichtslos.
    Die Klabauter flohen und der Geist zerstörte das Dorf, bis die Hexe zurück kam und ihn mit einem einzigen Wort bannte.
    Sie unterrichtete ihre Schülerin nicht mehr weiter und die musste fortan allein lernen.

  • Kapitel 7: Fan


    Arin verstand inzwischen, wie diese Sache funktionierte.
    „Bist du die Schülerin?“, fragte sie Chich Choch.
    Die Klabauterfrau zischte.
    „Natürlich bin ich das.“
    „Warum erzählt uns der Kristall unsere eigenen Geschichten?“; fragte Pia Tenaugen. „Es muss doch Teile des Gefäßes geben, die nichts mit uns zu tun haben.“
    „Er versucht, uns zu manipulieren. Er kann uns nicht belügen und keine Auskunft verweigern, aber er ist nicht unser Freund.“
    „Was ist er?“, fragte Arin.
    „Darf ich euch nicht sagen.“
    „Kristall, was bist du?“
    Der Kristall schwieg.
    „Kleine Korrektur“, sagte Chich Choch. „Er kann MIR keine Auskunft verweigern. Weil ich ihn geweckt habe.“
    „Brauchen wir unbedingt den Geist der Muscheln oder tut es auch eine der Muscheln, aus denen sein Körper bestand?“, fragte Dimakia Johal.
    „Ihr versteht es inzwischen“, sagte das Gesicht an der Wand. „Eine Muschel genügt.“
    „Bloß sind die Muscheln von damals längst zu Sand zermahlen“, sagte Chich Choch.
    „Kannst du den Geist noch einmal beschwören?“, fragte Lalique Schiller. „Wenn wir Muscheln besorgen, meine ich.“
    „Oh, herbeirufen kann ich ihn schon. Aber ich habe nie gelernt, wie man ihn wieder wegschickt.“
    „Frage doch den Kristall, wie es geht“, schlug Arin vor. „Der wird es wissen.“
    „Das ist eine gute Idee. Ich werde es tun, wenn ihr weg seid, um die übrigen Teile zu besorgen. Ich will nicht, dass ihr mithört.“
    Chich Chochs Zauberworte hatten die seltsame Angewohnheit, dass man sie sofort wieder vergaß. Arin war sich nicht sicher, wie man sie jemandem beibringen konnte. Aber wenn der Kristall sie so sagen konnte, dass Chich Choch sie behielt, dann würden sie sie wahrscheinlich alle behalten können.
    Was eigentlich nützlich klang. Arin würde versuchen, mitzuhören.
    „Mir reicht das langsam“, sagte Pia Tenaugen. „Ich bin Einbrecherin. Ich wurde angeheuert, um einzubrechen und zu stehlen. Nicht um meine Vergangenheit offenlegen zu lassen und meinen Besitz herzugeben.“
    „Was soll das heißen?“, fragte Chich Choch. „Willst du uns verlassen? Oder mehr Geld?“
    „Ich will, dass du die Karten auf den Tisch legst. Was ist der Funke? Was ist dieser Kristall? Und wer ist unser Auftraggeber?“
    „Nichts davon darf ich dir sagen.“
    „Ich will es aber wissen. Nur weil du der größte Fan unseres mysteriösen Gönners bist, müssen wir das nicht auch alle sein.“
    „Sie hat ein Argument“, fand Dimakia Johal. „Das letzte Mal, als ich keine Ahnung hatte, was mein Auftraggeber eigentlich will, stellte sich heraus, dass er das Zeug, das ich für ihn gestohlen habe, brauchte um einen Haufen Leute umzubringen und dadurch selbst unsterblich zu werden. Um ihn aufzuhalten musste ich Dinge tun, die ich nie wieder tun will.“
    Arin merkte sich das. Dimakia Johal war interessanter, als sie gedacht hatte.
    „Ich kann jede von euch mit einem Wort schlafen legen“, warnte Chich Choch.
    „Dann liege ich nutzlos rum“, warf Pia Tenaugen ein. „Auf die Art kriegst du zwar das Seil, aber nicht meine Hilfe.“
    „Ich kann Arin befehlen, dir weh zu tun. Du bist vielleicht nur fürs Einbrechen angeheuert. Sie nicht.“
    Alle sahen zu Arin.
    „Das stimmt“, sagte sie. „Standard-Söldnervertrag. Und wenn ich den breche, finde ich nie wieder Arbeit.“
    Aber natürlich hätte sie selbst auch gerne mehr gewusst.
    „Abgesehen davon bin ich kein ‚Fan‘ unseres Auftraggebers“, stellte Chich Choch richtig. „Er hat mir nur ein verdammt gutes Angebot gemacht.“
    Sie wandte sich wieder an den Kristall.
    „Erzähle vom nächsten Teil.“
    „Gerne doch“, antwortete der Kristall.
    Sein Licht hatte wirklich einen ungewöhnlich blutähnlichen Farbton. Außer Arin schien das nur Chich Choch nicht zu stören.
    „Das nächste Teil ist die Uhr des Alchimisten.“


    (Diesmal ist die Verbindung zum Prompt wirklich sehr dünn geraten. Aber ich konnte beim besten Willen keinen Ventilator sinnvoll unterbringen.)

  • Kapitel Acht: Uhr


    Es war einmal ein Alchimist, der war außerdem ein Uhrmacher. Und so schuf er spezielle Legierungen, mischte eine besondere Batterieflüssigkeit und baute daraus eine Uhr, wie es sie noch nie gegeben hatte. Es war nur eine kleine Taschenuhr, doch sie konnte mehr, als die Zeit nur zählen. Sie konnte sie sparen.
    Wann immer der Alchimist Zeit hatte, die er nicht brauchte, stellte er die Uhr vor und übersprang diese Zeit einfach. Die Uhr aber speicherte die Zeit. Und immer wenn der Alchimist keine Zeit hatte, die er brauchte, stellte er die Uhr zurück und sprang zurück in der Zeit. Er konnte aber höchstens so weit zurück, wie er zuvor vor gesprungen war.
    Nun war der Alchimist eine sehr simple Person. Er hatte keine Familie und keine Freunde, er tanzte nicht und spielte nicht. Alle Freude fand er in seiner Arbeit. Und so kam es nur selten vor, dass er Zeit brauchte, aber oft, dass er Zeit übrig hatte. Und die Uhr lud sich mit mehr und mehr Zeit auf.
    Da der Alchimist so viel Zeit übersprang, alterte er langsamer als alle anderen. Weil er niemanden besonders gut kannte, kümmerte ihn das nicht, aber irgendwann bemerkte er doch, wie sich die Welt um ihn veränderte. Während er noch genauso arbeitete wie immer, hatten andere Alchimisten ihre Methoden längst weiterentwickelt oder sich zur Ruhe gesetzt und neuen Alchimisten mit neuen Ideen ihre Werkstätten überlassen. Und so verlor der Alchimist Kundschaft.
    Aber das machte ja nichts, dachte er. Denn da er nicht essen musste, wenn er Zeit übersprang, brauchte er nicht viel Geld. Und so übersprang er nun noch mehr Zeit als zuvor.
    Die Batterie der Uhr aber konnte nicht unendlich viel Zeit speichern und irgendwann war sie voll und es ging nur noch zurück, nicht mehr vorwärts.
    Weil der Alchimist aber nicht zurück wollte, mischte er eine neue, größere Batterie. Als er sie aber in die Uhr einbauen wollte, da beschädigte er die alte Batterie und die Zeit floss hinaus. Sie traf aber nicht ihn sondern nur die Uhr selbst, die in die Vergangenheit verschwand. Und so sehr er sich auch bemühte, gelang es dem Alchimisten doch nicht, sie noch einmal zu bauen.
    Die Uhr landete in einer Zeit, als der Alchimist gerade nicht da war, weil er genau diese Zeit übersprungen hatte. Es war aber eine Kundin da, und als sie die Uhr erscheinen sah, gefiel sie ihr und sie steckte sie ein. Sie legte Geld auf die Werkbank und ging. Und da sie nie hörte, dass der Alchimist seine Uhr suchte (denn er hatte sie ja zu der Zeit noch), behielt sie sie.
    Als die Kundin starb, verkauften ihre Erben die Uhr. Und so ging sie durch viele Hände, ohne dass jemand ihr Geheimnis entdeckte, denn es war nie nötig, sie zu stellen. Bis die Uhr einem kleinen Kind in die Hände fiel, das zum Spaß an den Zeigen drehte. Weiter und immer weiter drehte es den Stundenzeiger und sprang so vorwärts durch die Zeit. Die Eltern des Kindes waren sehr besorgt, als es verschwand und erleichtert, als es wieder auftauchte. Das Kind, das die Uhr nicht verstand, behielt sie. Weil aber die Batterie beschädigt war, konnte sie die Zeit nicht speichern und es ging immer nur vorwärts, nie zurück.
    Wie der Alchimist alterte nun auch das Kind langsamer als alle anderen und bei dem Kind fiel es den Leuten auf. Eines Tages wollte das Kind wissen, was die Uhr tat und öffnete sie mit einem Schraubenzieher. Dabei löste es aber eine Feder aus und nun flogen die Zeiger nur so über das Ziffernblatt und als die Uhr endlich wieder stehen blieb, waren Jahrzehnte vergangen.
    Die Eltern des Kindes wohnten längst nicht mehr in diesem Haus und auch sonst war alles anders als zuvor. Die Nachbarn waren andere und viele Häuser ebenso. Und das Kind war verzweifelt und wollte die Uhr fortwerfen, aber besann sich, dass es ohne sicher nie zurück konnte.
    Mit der Uhr gelang es ihm aber auch nicht und so wuchs das Kind auf der Straße auf und wurde zäh und pragmatisch. Und als eine geheimnisvolle Lehrerin unter den Straßenkindern solche suchte, die ihre Ausbildung überleben konnten, da fand sie das Kind mit der Uhr, und weil sie ihm Essen und Obdach bot, nahm es an. Und so lernte das Kind, das eigentlich kein Kind mehr war, Kämpfen und Überleben und vieles mehr, und als es das konnte, vermietete die Lehrerin es als Söldner.
    Als das Kind aber erwachsen war, ging es fort um sich eigenständig als Söldner zu verdingen. Es trug die Uhr stets bei sich, fand aber ihr Geheimnis nie heraus und benutzte sie nur in wenigen Notfällen, wenn es keinen anderen Weg gab, zu entkommen. Bis die Uhr eines Tages brach.
    Und da niemand sie reparieren kann, funktioniert sie auch heute nicht.

  • Kapitel Neun: Druck


    Niemand musste etwas sagen. Alle wussten, dass Arin das Kind gewesen sein musste. Das mit der Uhr war allerdings interessant, fand Dimakia.
    Aber woher kam eigentlich dieser Druck auf ihren Ohren?
    „Muss die Uhr funktionieren?“, fragte Chich Choch den Kristall.
    „Nein, das muss sie nicht. Das könnte sie auch nicht. Es ist nicht nur eine Feder gebrochen, diese Feder hat auch die Batterie weiter beschädigt. Selbst wenn es gelänge, die Feder auszutauschen, würde alle Zeit sofort wieder aus der Uhr fließen und sie würde gar nichts tun. Nicht ohne eine neue Batterie.“
    „Dann haben wir zumindest ein Teil schon. Vorausgesetzt, dass sich Arin nicht so anstellt, wie Pia.“
    „Die Uhr kostet extra“, sagte Arin. „Sie ist eh kaputt, aber umsonst gebe ich sie nicht her.“
    Arins Stimme klang jetzt anders. Tiefer. Und auch die Körperhaltung … plötzlich begriff Dimakia, warum der Kristall immer nur „das Kind“ gesagt hatte.
    „Woher kommt eigentlich dieser Druck?“, fragte Lalique.
    „Ich spüre nichts“, sagte Chich Choch.
    „Du lebst auch unter Wasser“, wandte Arin ein. „Aber ich spüre es auch. Steigt der Luftdruck?“
    „Ja“, sagte der Kristall. „Das ist ein Nebeneffekt meines Lichts. Solange ich aktiv bin, steigt der Luftdruck in dieser Höhle an.“
    „Ist das gefährlich?“, fragte Chich Choch.
    „Noch nicht. Aber in ein, zwei Stunden könntees euch Schwierigkeiten bereiten.“
    „Dann sollten wir den Kristall erst maldeaktivieren“, fand Pia.
    „Noch nicht“, widersprach Chich Choch. „Wir hören uns noch eine Geschichte an, dafür reicht die Zeit auf jeden Fall. Dann deaktiviere ich den Kristall und wir besorgen die Teile des Gefäßes.“
    „Du hast leicht reden. Du spürst das ja nicht.“
    „Niemand hat gesagt, dass dieser Job Spaß macht.“
    „Na gut“, sagte Arin.
    Er – ja, Dimakia war sich sicher, dass Arin jetzt gerade ein Mann war – zog gerade seine Kleidung zurecht. Die praktische Outdoor-Kleidung war von Anfang an eher Männergröße gewesen (Arin war auch als Frau eben ziemlich groß) aber jetzt wirkte sie passender. Und die Brüste waren … nein, sie waren noch da. Arin war kein Gestaltwandler. Sie fielen jetzt nur weniger auf.
    Was aber immer mehr auffiel, war der Druck.
    „Ich bin auch dafür, dass wir jetzt eine Pause machen“, sagte Dimakia.
    „Das sagst du nur, weil deine Geschichte als nächste kommt“, vermutete Lalique.
    Daran hatte Dimakia noch gar nicht gedacht. Das konnte so peinlich werden.
    „Kristall, das nächste Teil“, befahl Chich Choch.
    „Gut. Dann erzähle ich euch nun vom Plektrum des Schicksals.“
    Vom was? Dimakia konnte sich nicht erinnern, je ein Plektrum in den Händen gehalten zu haben, ganz zu schweigen von einem irgendwie wichtigen.
    Das Schattengesicht begann.

  • Kapitel Zehn: Plektrum


    Es war einmal ein Zauberer, der wollte sich einen mächtigen Teufel unterwerfen. Als er den Teufel herbei rief, erwies sich dieser aber als zu stark. Er zerbrach den Bannkreis und packte den Zauberer, dem er drohte, ihn in die Hölle mitzunehmen.
    Ein junger Schmied aber sah die Not des Zauberers und griff den Teufel mit seinem Hammer an. Er schlug ihm einen Zahn aus. Dadurch geschwächt ließ der Teufel den Zauberer los, der den Zahn aufhob und ihn benutzte, um den Teufel zu verbannen.
    Zum Dank für seine Rettung machte der Zauberer aus dem Zahn ein magisches Plektrum, das den Schmied zum besten Lautenspieler der damaligen Welt machte.
    Das Plektrum ging danach durch viele Hände, von Lautenspielern bis zu Gitarristen und machte jeden Besitzer zum erfolgreichen Musiker.
    So auch eine junge Frau, die Leadsängerin und Gitarristin einer Band war. Die Band war erfolgreich, doch es gab Streit und die Leadsängerin steig aus. Ihre Managerin gab ihr eine neue Band, doch sie wollte den erfolgreichen Namen der alten band weiter benutzen und das ging nur, wenn diese band aufgab. Deshalb lauerte sie mit ihrer Band ihren früheren Kolleginnen auf um sie zu überfallen.
    Auf der Reise zu einem Konzert fand die alte Band indessen mehrere Begleiter, ein Groupie, eine junge Sängerin und ein Geist, und erlebte mit diesen Abenteuer, die sicherlich eine viel interessantere Geschichte wären als diese hier. Als sich nun die Bands begegneten, waren ihre früheren Freundinnen nicht so hilflos, wie die Leadsängerin gehofft hatte.Und so einigten sich beide Bands auf einen friedlichen Wettkampf um den Bandnamen.
    Mit ihrem Plektrum hätte die Leadsängerin sicherlich gewonnen. Sie kam aber nicht dazu es einzusetzen, denn der Geist war in der Lage, die Macht des Plektrums zu erkennen und stahl es unbemerkt.
    Und so gewann die alte Band den Wettkampf und behielt den Namen. Und die neue Gitarristin dieser Band benutzte fortan das Plektrum und die Band wurde erfolgreicher als je zuvor.


    (Ja, die Einleitung ist komplett geklaut. Der Prompt war „Pick“, ich konnte nicht widerstehen.)

  • Kapitel Elf: Sauer


    Chich Choch sah Dimakia an. Wer war sie wohl in dieser Geschichte? Soweit Chich Choch wusste, hatte sie nie gesungen oder ein Instrument gespielt. Also das Groupie?
    „Seht mich nicht alle an“, sagte die graue Katze. „Ich war da nicht dabei.“
    „Ach komm schon“, sagte Pia. „Du kannst es ruhig zugeben. Haben wir auch alle.“
    „Es gibt aber nichts zuzugeben. Ich war nie in einer Band, ich war nie Groupie und ich war ganz sicher kein Geist. Zauberer oder Schmied übrigens auch nicht.“
    „Dann warst du der Teufel?“, fragte Lalique scherzhaft.
    „Es würde erklären, warum du einen Engel kennst, der in der Hölle sitzt“, meinte Pia.
    „He! In der Hölle war ich nur beruflich!“
    „Das Muster ist aber eindeutig“, sagte Chich Choch. „Jede von uns war bisher in einer Geschichte, nur du nicht.“
    „Na und? Was weiß ich, was das soll. Und außerdem platzt mir gleich das Trommelfell, mach endlich den Kristall aus!“
    „Dafür wäre ich auch“, stimmte Arin zu.
    „Wenn niemand von uns weiß, welche Band gemeint ist, finden wir das Plektrum nicht“, sagte Lalique. „Aber der Kristall muss Chich Choch Informationen geben, also muss es jemand von uns wissen.“
    „ICH WEISS ES ABER NICHT!“
    „Wenn du nochmal so schreist, lege ich dich schlafen!“, drohte Chich Choch.
    Natürlich würde sie das nicht tun. Sie brauchte Dimakia wach. Obwohl … wenn sie sie erst mal hypnotisierte und dann in ihre Träume eindrang … aber jetzt gerade war die Katze zu aufgebracht um sich hypnotisieren zu lassen.
    Und ging gerade weg.
    „Was wird das?“
    „Was schon? Ich klettere wieder rauf. Lange halte ich den Druck hier unten nämlich nicht mehr aus.“
    Sie machte sich an den Aufstieg, indem sie sich an einem der Seile festhielt, an denen sie auch hinunter geklettert waren, und sich mit den Beinen an der Höhlenwand abstützte.
    „Sie war das Groupie“, sagte Pia leise. „Und das ist ihr peinlich.“
    „Nein“, widersprach Arin. „Der Kristall hat das Muster gebrochen um uns aus dem Konzept zu bringen.“
    „Aber seine Geschichte muss doch eine Information für uns erhalten.“
    „Und danach können wir ihn ja fragen. Aber nicht jetzt, denn mir wird der Druck auch zu viel.“
    „Mir auch“, gab Lalique zu.
    „Ja. Ebenso“, sagte Pia.
    „Na gut.“
    Chich Choch gab nach. Sie spürte zwar nichts, aber wenn sich die anderen da einig waren, war es wohl ein Problem.
    Sie legte die Hand auf den Kristall und sprach die Formel zum Deaktivieren.
    Das Licht erlosch.
    „Der Druck ist noch da“, sagte Lalique.
    „Er wird mit der Zeit weggehen.“
    „Dann gehen wir erstmal hoch.“
    „Meinetwegen.“


    Als Chich Choch am Höhlenausgang ankam, hatte Dimakia im Basislager schon den Tisch aufgebaut und goss gerade eine der Trockenrationen mit Milch auf.
    „Verdammt!“, schrie sie. „Jetzt ist auch noch die Milch sauer!“

  • Kapitel Zwölf: Unbeweglich


    Dimakia stand abseits des Lagerfeuers und lehnte sich an einen der wenigen Bäume, die am Berghang wuchsen.
    Sie hatte lieber die Trockenration mit saurer Milch runtergewürgt, als zusammen mit den anderen zu kochen. Auch wenn was immer die da zusammengerührt hatten, ganz gut roch.
    Arin kam auf sie zu. Mit zwei Schüsseln.
    „Was willst du?“, fragte Dimakia.
    „Dir was zu Essen bringen. Du kannst mir nicht erzählen, dass du schon satt bist.“
    Die Katze seufzte und nahm eine Schüssel. Kidneybohnen aus der Dose. Mit ein bisschen Fisch, wie es aussah. Chich Choch konnte immer Fisch auftreiben, wenn es Wasser in der Nähe gab.
    „Ich weiß, dass du die Wahrheit gesagt hast“, sagte Arin. „Ich glaube durchaus, dass du lügen kannst, aber das vorhin war echt.“
    „Danke.“
    Dimakia begann zu essen. Es war tatsächlich gut.
    „Außerdem ist es völlig einleuchtend, dass der Kristall Konflikte zwischen uns schürt“, fuhr Arin fort. „Chich Choch hat es ja selbst gesagt. Er ist nicht unser Freund.“
    „Hmja, aber … irgendwie soll uns die Geschichte einen Hinweis geben, oder?“
    „Wenn Chich Choch meint, dass es so funktioniert. Die Band war ja offenbar auch erfolgreich, kennt sie wirklich niemand von uns?“
    Dimakia überlegte. Nein, diese spezielle Geschichte kannte sie von keiner Band. Oder zumindest erinnerte sie sich nicht. Man hörte eine Menge wilde Geschichten über viele Bands. Ein paar waren sicher sogar wahr, aber wer merkte die sich schon alle?
    „Ich weiß gar nichts. Jila wüsste es vielleicht. Sie war wirklich mal Groupie. Aber eigentlich ist es mir auch egal. Das komische Gefäß und der Funke können mich mal. Ich würde am liebsten gehen.“
    „Und dann müsste ich dich aufhalten. Tut mir leid, du weißt ja.“
    „Dein Vertrag, ja.“
    „Sieht so aus als würden wir beide hier feststecken.“
    Eine Weile aßen die beiden schweigend.
    „Also …“, sagte Dimakia schließlich. „… fluide?“
    „Ja“, antwortete Arin. „Und du trans, oder?“
    „Ja.“
    Wieder schwiegen beide eine Weile.
    „Wissen die anderen das?“, fragte Dimakia schließlich.
    „Ich glaube, es ist ihnen noch nicht aufgefallen. Chich Choch weiß es vielleicht. Unser Auftraggeber bestimmt. Ich bin ja nicht eben unbekannt.“
    „Ich auch nicht. Ich war mal nackt in Wicked Archeologist. So wie darin sehe ich inzwischen nicht mehr aus, aber ich kann es ja schlecht verschwinden lassen.“
    „Erstaunlicher Weise erkennt man mich oft trotzdem nicht.“
    „Hm?“
    „Ich meine, groß, schwarz, blaues Haar, lila Augen. Man sollte meinen, man erkennt mich, oder? Aber Leute die mich nicht kennen, oder die mich nur flüchtig kennen, haben oft keine Ahnung, wer ich bin, selbst wenn sie von mir gehört haben. Bis ich mich dann vorstelle.“
    „Hm … meinst du, es hängt damit zusammen …“
    Es gab eigentlich keinen Grund, es nicht deutlich auszusprechen. Aber etwas hielt Dimakia zurück.
    „Das hilft sicher. Wer mich bisher als Frau kennen gelernt hat, erkennt mich manchmal als Mann nicht, und umgekehrt. Sogar Leute, die mich nackt gesehen haben, merken manchmal nichts.“
    „Obwohl du keinen Penis hast?“
    „Oh, ich habe einen.“
    „Oh. Entschuldige, ich nahm an … wegen der …“
    „Ich habe die komplette Ausstattung, von Geburt an. Willst du sie sehen?“
    Oh. Ein unerwartetes aber interessantes Angebot. Dimakia wählte ihren besten Flirtton.
    „Dafür sollten wir aber ins Zelt gehen.“
    „Ja, das sollten wir. Übrigens sind meine caniden Merkmale sehr ausgeprägt. Es könnte also vorkommen, dass ich, ähm, stecken bleibe.“
    „Das klingt doch spannend.“
    „Wenn das so ist, mein Zelt oder deins?“


    (Gerade noch so geschafft.)

  • Kapitel Dreizehn: Dach


    Pia Tenaugen konnte nicht schlafen. Das lag sicher auch an den eindeutigen Geräuschen, die aus Dimakias Zelt kamen.
    Jemand öffnete den Reißverschluss von außen.
    „Kann ich bei dir schlafen?“, fragte Lalique. „Ich teile mein Zelt sonst mit Dimakia, aber da ist gerade kein Platz und ich will nicht zu Chich Choch.“
    „Komm rein.“
    Lalique zerrte ihren Schlafsack ins Zelt und kroch hinein. Eine Weile sahen die beiden Menschenfrauen an die Decke.
    „Du stiehlst dann wahrscheinlich die Rüstung aus dem Filmstudio, oder?“, fragte Lalique.
    „Ich denke schon, ja. Du musst mir vorher beschreiben, wie sie aussieht.“
    „Wie willst du rein kommen?“
    „Übers Dach. Ich gehe meistens übers Dach.“
    „Und das war nie ein Problem?“
    „Selten. Ich meine, ab und zu gab es mal Kameras da oben, die ich übersehen hatte. Meistens aber nicht.“
    „Nein, ich meinte eher … gab es mal ein Problem mit … na ja, einem Dach, das dich nicht tragen konnte? Oder einem schlecht befestigten Seil, oder …“
    „Du meinst, ich bin zu dick, um über Dächer in Häuser einzusteigen.“
    „Nein. Also … offensichtlich ja nicht, aber …“
    „Nein, ich hatte damit nie Probleme, meine Ausrüstung ist gut und in einem Haus, dessen Dach mich nicht trägt, gibt es garantiert nichts zu holen. Wenn man sowas überhaupt als Haus bezeichnen kann.“
    „Tut mir leid, ich wollte nicht … ich war nur neugierig.“
    „Du hast gesehen, wie ich vom Höhleneingang nach unten gestiegen bin. Und wieder hoch.“
    „Ja, du hast ja recht. War ne blöde Frage.“
    Es wurde plötzlich ruhiger.
    „Oh, klingt als wären sie fertig“, sagte Lalique.
    „Willst du dann wieder zurück, sobald Arin bei Chich Choch ist?“
    Natürlich hatte Chich Choch die Söldnerin bei sich im Zelt. Abgesehen davon, dass niemand außer Arin bei Chich Choch schlafen wollte.
    „Ungern. Kann ich hier bleiben?“
    „Klar. Aber ich könnte schnarchen. Wenn ich auf dem Rücken liegend einschlafe.“
    „Macht nichts. Ich will jetzt nicht wieder in das Zelt in dem die gerade … du weißt schon.“
    Plötzlich wurde es wieder lauter.
    „Offenbar sind sie eh noch nicht fertig“, urteilte Pia.
    Sie sah wieder eine Weile an die Decke, bis ihr etwas einfiel.
    „Müssen wir die Rüstung überhaupt stehlen? Ich meine, wenn du sie einmal neu erschaffen konntest, kannst du das vielleicht wieder.“
    „Vielleicht. Wenn es zwei zur selben Zeit geben kann.“
    „Andererseits breche ich lieber in ein Filmstudio ein, als mit in die Hölle zu gehen um diesen Raben zu treffen, der mir einen Knoten in mein Andenken macht.“
    „Dann gibst du es her?“
    „Ich hoffe, ich bekomme es zurück. Aber ja. Bleibt mir ja nichts anderes übrig, sonst macht Arin mich fertig.“
    „Tut sie doch jetzt schon.“
    „Wenn das noch lange geht und ich gar nicht mehr schlafen kann, ja.“
    Wieder schwiegen beide eine Weile.
    „Was meinst du, wie sie es machen?“, fragte Lalique plötzlich.
    „Hm?“
    „Ich meine, hat Dimakia noch ihren … du weißt schon …“
    „Weiß ich nicht. Geht mich auch nichts an.“
    „Du hast doch öfter mit ihr gearbeitet. Warst du nie neugierig?“
    „Nein. Ich kenne natürlich das Bild, aber seitdem hat sie ja einiges machen lassen. Also hat sie ihn wahrscheinlich nicht mehr, aber es ist mir eigentlich auch egal. Ich will ja nichts von ihr.“
    „Was ist denn?“
    „Ich finde es irgendwie … übergriffig darüber zu spekulieren.“
    „Du brichst in Häuser ein. Erzähl du mir nichts von übergriffig.“
    „Na gut, aber … ich weiß nichts, ich muss das auch nicht wissen und ich will auch nicht herum raten.“
    „Na gut.“
    Dimakia quietschte besonders laut.
    „Also wenn das nicht bald aufhört, dann steig ich denen mal aufs Dach“, sagte Lalique.
    „Das wäre ein Dach, das mich wirklich nicht tragen könnte“, sagte Pia amüsiert. „Und dich ganz sicher auch nicht.“

  • Kapitel Vierzehn: Zecke


    Es war einmal eine Göttin, die war zuständig für Insekten und Spinnen, Tausendfüßer und Krebse und alles andere, das auf sechs oder mehr Beinen krabbelte. Man betete zu ihr um die Heuschrecken von den Feldern fern zu halten, um sich vom Stich eines Skorpions zu erholen oder um große Hummer zu fangen. Oder man betete schlicht um Schutz und Gesundheit, wenn man selbst jemand war, der in ihr Ressort fiel.
    Nun geschah es einmal, dass eine Zecke sich in eine Maus verbissen hatte. Bevor sie sich aber daran satt trinken konnte, fing ein Fuchs diese Maus und verschlang sie.
    Die Göttin sah das und rettete die Zecke aus dem Schlund des Fuchses, um sie dann auf ihre eigene Haut zu setzen.
    Und so trank die Zecke vom göttlichen Ichor und wurde groß und mächtig.
    Als die Zecke schließlich größer war als die Göttin selbst, nahm sie sie ab und setzte sie zurück auf die Erde.
    Die Zecke verdaute den Ichor über Jahre. Dann wartete sie auf neue Beute, aber natürlich kam kein Tier vorbei, das ausreichend groß war. Und so biss die Zecke in die Erde selbst und sog ihre Kraft auf und die Pflanzen der Umgebung wurden verzerrt und aggressiv, bis sie vertrockneten und starben. Und die Erde selbst bebte und Magma trat an die Oberfläche.
    Das sah die Göttin und versetzte die Zecke in Schlaf, damit sie nicht das ganze Land zerstörte.
    Doch die Zeugen des Vorfalls begannen, die Zecke selbst als Gottheit anzubeten und um sie herum entstand ein ganzes Dorf, das ihr diente.
    Lange Zeit schlief die Zecke, bis eines Tages ein feindliches Heer kam, das sie mitnehmen wollte, um sie als Waffe zu verwenden. Da erwachte sie und begann, wieder von der Erde zu trinken und die wahnsinnigen Pflanzen, die Erdbeben und die Vulkanausbrüche schlugen das Heer in die Flucht. Dieses Mal griff die Göttin nicht ein und das Land wäre sicherlich zerstört worden, hätten nicht zwei Helden, ein Mensch und ein Greif, den Kampf aufgenommen.
    Es dauerte lange, doch es gelang ihnen, den Panzer der Zecke zu durchstoßen und das gewaltige Tier zu töten. Die Überreste blieben im Dorf und liegen dort größtenteils noch heute. Den Stechrüssel jedoch benutzte ein riesenhafter Jäger aus dem Dorf als Speer und verkaufte ihn schließlich für viel Geld an einen Besucher, der derlei Dinge sammelte.
    Er besitzt ihn heute noch und stellt ihn in seiner Villa aus.

  • Kapitel Fünfzehn: Helm


    „Was machst du hier unten?“, fragte Pia Tenaugen, als sie zusammen mit Lalique auf dem Höhlenboden ankam.
    „Wonach sieht es denn aus?“, fragte Chich Choch. „Ich befrage den Kristall weiter.“
    „Alleine?“, fragte Lalique Schiller.
    Ja, es war eine blöde Frage. Das wusste sie selbst.
    „Offensichtlich. Mir macht der Druck ja nichts.“
    „Ich dachte, wir haben genug Teile“, wandte Pia ein.
    „Wir können immer noch mehr brauchen. Das Problem ist, dass wir Pia für zwei brauchen. Das Filmstudio und die Villa des Sammlers. Drei wenn das Plektrum irgendwo eingeschlossen ist.“
    „Zur Rüstung ist mir was eingefallen“, sagte Lalique. „Kristall, zählt es als Teil des Gefäßes, wenn ich ein Stück der Rüstung noch einmal herstelle?“
    „Wenn du es gut machst, ja“, antwortete das Schattengesicht an der Wand.
    „Könntest du das hier machen?“, fragte Chich Choch.
    „Das sollte kein Problem sein. Was ich nicht dabei habe, gibt es hier in den Bergen. Ich müsste mir halt eine Schmiede aufbauen.“
    „Was willst du machen? Einen Handschuh?“
    „Der würde lange dauern. Viele kleine Teile. Aber der Helm der Rüstung ist ziemlich simpel.“
    „Gut. Bau deine Schmiede auf, besorge was du brauchst, mach den Helm. Und du gibst mir dein Seil.“
    Pia seufzte und gab nach. Sie zog das Stück Seil heraus, das sie in ihrer Tasche hatte.
    „Wir müssen aber noch lernen, wie der Knoten geht.“
    „Darum muss sich Dimakia kümmern, die kennt den Raben. Mit etwas Glück kann sie ihn anrufen und muss nicht in die Hölle um ihn zu besuchen.“
    „Dimakia ist immer noch in ihrem Zelt“, sagte Lalique. „Arin ist auch da. Die beiden schlafen sicher noch, sie waren ja ziemlich lange wach.“
    „Habe ich mitbekommen“, sagte Chich Choch. „Ich konnte dabei wunderbar entspannen.“
    Oookay … richtig, Klabauter hielten nicht viel von Privatsphäre.
    „Wie auch immer, was machst du noch hier? Wir brauchen dich für nichts anderes, geh und bau deine Schmiede auf. Du kannst ruhig Dimakia und Arin wecken, wenn du Hilfe brauchst.“
    Das würde Lalique auf jeden Fall tun.
    Sie machte sich an den Aufstieg. Zeit, einen Helm zu schmieden.

  • Kapitel 16: Kompass


    Es war einmal ein Piratenfürst, der hatte einen Cousin, den er verdächtigte, hinter seinem Thron her zu sein. Er machte ihn zum Kapitän eines seiner Schiffe und sandte ihn auf die gefährlichsten Beutezüge, auf dass er dabei umkomme. Doch der Kapitän bewältigte jede Aufgabe. Er stellte sich jedem Seeungeheuer, plünderte jede noch so wehrhafte Festung und schreckte vor keiner Seeschlacht zurück. Selbst die entwürdigende Aufgabe, alle Katzenklos der Flotte zu entleeren, erfüllte er auf elegante Art.
    So gewann er Schätze und Anhänger und der Fürst sah die Gefahr durch ihn wachsen und wachsen.
    Und so heuerte er den Seedrachen an, um das Schiff seines Cousins mit Mann und Maus zu versenken.
    Der Seedrache war eine gewaltige Kreatur, ähnlich einer riesenhaften Schlange und ganz aus Metall. Mit seinen Zacken konnte er Schiffe aufreißen ohne auch nur an die Oberfläche zu kommen und aus seinem Maul Kanonenkugeln schießen.
    Als sich der Seedrache aber dem Schiff näherte, da sah der Kapitän gerade auf seinen Kompass und bemerkte, dass dieser nicht nach Norden zeigte. Da wusste er, dass sich eine große Masse aus Metall näherte und da er kein Schiff sehen konnte, wusste er auch, wer es war.
    Er nahm eine Harpune, sprang ins Meer und fand dort den Meerdrachen.
    Er schwamm zu einem der Augen, rammte die Harpune zwischen zwei Panzerplatten und stemmte das linke Auge heraus. Wasser lief in den Seedrachen und er musste an die Oberfläche kommen.
    Als er nun zu sehen war, schossen die Piraten mit ihren Kanonen auf das Ungeheuer.
    Es richtete sich auf um seine eigenen Kanonen gegen die Piraten zu verwenden, doch der Kapitän war noch auf seinem Kopf und als es das Maul öffnete, stieg der Pirat hinein und riss alle Kanonen aus ihren Halterungen.
    Die Diener des Seedrachen stürmten aus seinem Rachen heran um den Eindringling zu töten, doch der wehrte sich nach Kräften und benutzte die Harpune wie einen Kampfstab um seine Feinde ins Meer zu werfen, oder, wenn sie weniger Glück hatten, auf die stählernen Zähne des Drachen.
    Irgendwann kamen aber keine Feinde mehr, sondern der Seedrache ließ schwarzen Rauch aufsteigen und den Piratenkapitän zu ersticken. Also sprang der selbst ins Meer und ließ sich zurück an Bord seines Schiffes ziehen. Er lud eine Kanone mit einer besonderen Kugel, die aus Glas war und gefüllt mit dem schwarzen Blut eines Seeungeheuers, das er als eine seiner Aufgaben erlegt hatte, und schoss damit genau auf das Maul des Seedrachen.
    Die Kugel zerbrach und das schwarze Blut lief den Rachen hinunter und ließ das Eisen, das es berührte, rosten und zerfallen.
    So verletzt wandte sich der Seedrache ab und floh.
    Der Kapitän, der wohl wusste, wem er diesen Angriff zu verdanken hatte, versammelte seine Anhänger und zog mit einer Flotte zum Sitz seines Cousins, des Fürsten. Als er aber ankam, war der Fürst schon geflohen und der Thron leicht zu nehmen.
    Der neue Fürst ließ den Kompass, der ihn gerettet hatte, auf seine Flagge setzen und bewahrte ihn in seinem Tempel des Neuen Gottes auf, wo er noch heute liegt.

  • Kapitel Siebzehn: Zusammenstoßen


    Als Arin erwachte, lag Dimakia noch bei ihr. Sie hatte kein Problem damit, auszuschlafen. Wenn irgendetwas geschah, würde sie sehr schnell aufwachen, dieser leichten Schlaf war ihr über Jahre antrainiert worden. Dimakia hingegen schien ziemlich tief zu schlafen. Vermutlich konnte Arin aufstehen, ohne sie zu wecken.
    Sie schob den Kopf der Katze ein Stück von sich weg, dann richtete sie sich vorsichtig auf, soweit das Zelt es erlaubte. Sie zog sich an und öffnete den Reißverschluss am Eingang.
    Als sie aus dem Zelt stieg, lief Lalique Schiller genau in sie hinein.
    Und fiel um.
    „Aua. Du bist ja hart wie Stein.“
    „Das nennt man Muskeln. Wolltest du zu Dimakia?“
    „Auch. Aber ich brauche generell etwas Hilfe. Ich muss eine Schmiede aufbauen und habe eine Liste mit Sachen, die ich brauche.“
    „Du willst die Rüstung noch einmal schmieden.“
    „Nur den Helm, aber, ja. Sollte uns einiges an Aufwand sparen.“
    „Dann geht was wohl schneller, wenn Dimakia auch hilft.“
    Arin steckte den Kopf wieder in das Zelt.
    „Dimakia?“
    „Hm?“
    „Es gibt Arbeit.“
    „Schon?“
    „Ja.“
    „Komm gleich.“
    Arin wandte sich wieder Schiller zu.
    „Sie kommt gleich.“
    „Gut, es gibt da nämlich noch eine Sache.“
    Arin konnte sich denken, was es war.
    „Der Rabe?“, fragte sie.
    „Ja.“
    Arin befand sich in einer leichten Zwickmühle. Einerseits war sie gerne diskret, was frühere Aufträge betraf. Andererseits würde es diesen Auftrag wesentlich simpler machen, ein kleines Detail zu verraten.
    „So, da –“
    Dimakia kam aus dem zelt und stieß genau gegen Arin, die immer noch davor stand.
    „Oh, tut mir leid“, sagte die Söldnerin und ging zur Seite.
    „Heute Nacht warst du weicher. Also, bis auf … du weißt schon.“
    „Da war ich auch entspannter.“
    „Kannst du den Raben anrufen?“, fragte Schiller.
    „Bitte was?“, fragte Dimakia zurück.
    „Anrufen. Damit wir nicht in die Hölle müssen.“
    „Nein. Natürlich nicht. Man kann doch nicht einfach in der Hölle anrufen.“
    „Aber man kann ihn irgendwie beschwören, oder?“
    „Er darf da nicht raus. Und ich habe auch keine Ahnung, wie man sowas macht.“
    „Dann musst du wohl zu ihm.“
    „Och ne.“
    „Was ist?“, fragte Arin. „Hast du ihm etwas gestohlen?“
    „Nein, ich habe etwas für ihn gestohlen. Er hat keinen Grund, sauer auf mich zu sein. Ich kann ihn nur absolut nicht leiden und die Hölle auch nicht. Die ist schrecklich. Lauter Dämonen, die die verdammten Seelen und einander quälen, das will ich nicht nochmal sehen.“
    „Ich lieber auch nicht“, murmelte Arin.
    „Du warst auch schon mal da?“
    „Leider. So ist das, wenn man für den Höchstbietenden arbeitet.“
    „Tja, du wirst wohl auch wieder hingehen müssen, denn wenn du mich nicht den ganzen Weg im Auge behältst, gehe ich da nicht hin.“
    Dimakia wollte wirklich nicht noch einmal in die Hölle. Und Arin auch nicht. Ihr Eigeninteresse kollidierte hier ganz massiv mit ihrer beruflichen Diskretion.
    Na gut. Ein kleines Detail konnte sie ja wohl preisgeben.
    „Ich soll das eigentlich nicht verraten. Aber wir brauchen den Raben nicht. Ich beherrsche den Ewigen Knoten.“
    Die anderen beiden Frauen glotzten Arin an.

  • Kapitel Achtzehn: Mond


    Chich Choch sah auf ihre Liste. Rüstung – Lalique kümmerte sich darum. Knoten – sie hatten das Seil, der Knoten selbst erforderte einigen Aufwand, aber es war machbar. Der Geist der Muscheln – wenn sie eine Muschel besorgte, konnte Chich Choch ihn herrufen. Vielleicht war er hier, wo es keine anderen Muscheln gab, sogar ungefährlich? Die Uhr – hatte Arin, also gar kein Problem. Das Plektrum des Schicksal – befand sich im Besitz einer erfolgreichen Band. Die Informationslage war eher dünn. Der Zeckenspeer – im Besitz eines Sammlers. Auch eher dünn. Der Kompass – in einem Tempel des Neuen Gottes, also vermutlich auf dem Lebenden Ozean. Wo es aber mehrere hundert davon gab.
    Bei den letzten hatte Chich Choch gar keine andere Wahl, als zu versuchen, genauere Informationen aus dem Kristall herauszuholen.
    Dazu ein Stück des Kristalls selbst – das ließ sich leicht machen.
    Aber war das genug?
    Chich Choch hatte keine Lust, jetzt zu fragen. Sie sprach das Wort, das den Kristall wieder schlafen ließ.
    Dann stieg sie nach oben. Sie hatte in ihrem Zelt natürlich eine kleine Wanne mit Salzwasser, in der sie schlief, aber sie hatte keine Lust ins Lager zu den anderen zu gehen. Stattdessen ging sie zum Fluss und legte sich in die Strömung. Süßwasser. Nicht ideal für ihre Haut, aber auch kein Problem.
    Im Wasser treibend sah Chich Choch zum Himmel und sang das Lied des Mondes.
    Und da erschien er auch, am helllichten Tag und nur sichtbar für sie. Groß und golden stand der Mond am Himmel und auf ihm lag, selbst von der Erde aus sichtbar, die Sternenschildkröte und lauschte dem Lied, auch wenn sie in Wahrheit nur ein Gebirge war.
    Und als sie so den Fluss hinab trieb und das Lied des Mondes für die Sternenschildkröte sang, da kam Chich Choch ein Gedanke.
    Wenn all diese Dinge als Gefäß für den Funken dienten, hatten sie dann ein gemeinsame Eigenschaft, die sie auszeichnete? Sie hatten die Uhr, den Kristall und bald den Helm der Rüstung. Wenn es Chich Choch gelange, den gemeinsamen Nenner zu finden, konnte sie andere Dinge finden, die passten, ohne den rätselhaften Anweisungen des Kristalls folgen zu müssen.
    Chich Choch hörte auf zu singen und bedankte sich beim verblassenden Mond. Dann steig sie ans Ufer.
    Sie war ein gutes Stück abwärts getrieben, also musste sie um zum Lager zu kommen jetzt den Berg hinauf steigen.
    Bergsteigen … vielleicht sollte sie einmal den Mond besuchen und die Sternenschildkröte besteigen. Wenn der Auftraggeber es erlaubte. Leider hatte er sie vollkommen in der Hand.

  • Kapitel Neunzehn: Schlaufe


    Dimakia brauchte nicht lange, um eins und eins zusammen zu zählen. Arin war nicht sehr alt, aber dank der Vorwärtssprünge in der Zeit trotzdem schon lange im Geschäft. Sie (und dann eben auch er) passte das eigene Aussehen schnell aber eindeutig an, wenn das Geschlecht wechselte. Sie hatte gerade zugegeben, auch schon in der Hölle gewesen zu sein. Und sie beherrschte den Ewigen Knoten.
    „Du bist der Spion, oder?“
    „Ja. Ich habe für die Hölle gearbeitet und den Staatspräsidenten der Karal-Republik mit dem Knoten kontrolliert. Keine schöne Aufgabe, aber … Vertrag ist Vertrag, wie ich vielleicht schonmal erwähnte.“
    „Und wenn er dir nicht gehorcht hätte, hättest du ihn getötet?“
    „Hätte ich dann tun müssen, ja.“
    Dimakia schluckte.
    „Und … hast du mal jemanden getötet?“
    „Das ist Dienstgeheimnis. Ich kann nicht ‚ja‘ sagen, weil man das gegen mich verwenden kann. Ich kann aber auch nicht ‚nein‘ sagen, weil potentielle Kunden mich nicht für harmlos halten dürfen.“
    „Ich bin aber niemand, der dich anklagen will und auch keine potentielle Kundin. Ich bin die Frau mit der du gerade die Nacht verbracht hast!“
    „Tut mir leid. Keine Ausnahmen.“
    Dann würde Dimakia eben in Zukunft wieder alleine schlafen. Noch einmal wollte sie keine bösen Überraschungen erleben.
    „Da kommt Pia“, sagte Lalique, sichtlich erleichtert über die Ablenkung.
    „Hallo Leute“, sagte Pia. „Habt ihr Chich Choch gesehen? Sie ist plötzlich abgehauen.“
    „Ne“, antwortete Lalique.
    „Hast du das Seil?“, fragte Arin.
    „Äh, ja, warum?“
    „Gib her. Ich mache den Knoten.“
    „Du?“
    „Du willst es nicht wissen“, versicherte Dimakia der Einbrecherin. „Gib ihr einfach das Seil.“
    Pia tat das.
    Arin sah es an.
    „Ziemlich kurz, aber es sollte reichen. Wie war das noch … so zusammen, hier drüber, hier drunter, dann diese Schlaufe, da ein Vorknoten, durch die Schlaufe, nochmal durch, hier ziehen, dann da rum und hier nochmal … fertig.“
    Dimakia sah das Ergebnis an. Es war ein Knoten. Irgendwie.
    „Ja, das ist er“, bestätigte Pia.
    „Natürlich kann er bei diesem kleinen Stück nur begrenzt enger werden, bevor das Seil alle ist und er sich wieder auflöst.“
    „Na, das wird er hoffentlich nicht müssen“, fand Lalique. „Damit haben wir das erste Stück. Dimakia, Pia, ich habe eine Liste von Sachen, die ich für den Helm brauche. Arin, du hilfst beim Aufbauen.“
    Gut. Dann kam Dimakia erstmal von Arin weg. Aber irgendwann würden sie darüber wohl reden müssen.


    (Ist das geschummelt, eine Schlaufe in einen Knoten einzubauen? Hm ...)

  • Kapitel Zwanzig: Spross


    Es waren einmal Geistwesen, die kamen von der Anderen Seite und formten sich Körper aus Fleisch und Pflanzen um im Diesseits bleiben zu können. Und so entstanden die ersten Feenwesen. Einige, die besonders viel pflanzliches Material verwendet hatten, wurden die Dryaden, gebunden an lebende Pflanzen und selbst aus Blatt und Holz. Und wie Pflanzen vermehrten sie sich auch, durch Blüten und Samen oder Ableger. Und doch blieben sie Feen und konnten ihre Verbindung und damit auch die Beschaffenheit ihrer Körper ändern. Und so breiteten sich die Dryaden auf mehr und mehr unterschiedliche Pflanzen aus.
    Doch wie bei allen Feenwesen wurde die Verbindung zur Anderen Seite mit jeder Generation schwächer. Irgendwann verloren die Dryaden die Fähigkeit, sich von ihren Pflanzen zu lösen und mit anderen zu verbinden und so waren die separaten Dryadenarten entstanden.
    Rankendryaden nennt man jene, die mit der Nachtrosenranke verbunden sind. Ihre Körper sind menschenähnlich geformt, wie die aller Dryaden, doch während Baumdryaden sich bei Gefahr in Rinde hüllen, sprießen auf der Haut von Rankendryaden in Notfällen Dornen. Immer Dornen haben sie an jenen rankenartigen Tentakeln, die sie anstelle von Haaren auf dem Kopf haben.
    Mit diesen Tentakeln hat es noch eine besondere Bewandtnis. Während andere Körperteile der Dryade zu einer neuen Dryade wachsen können, wenn sie abgetrennt und eingepflanzt werden, tun die Ranken das nicht. Stattdessen wächst aus einem solchen Spross eine Dryadenrosenranke, die der Nachtrosenranke ähnelt und wie diese lila Blüten bildet, deren Nektar aber blutrot ist und auch blutroten Honig gibt, wenn Bienen ihn verarbeiten.
    Die Dryadenrosenranke ist nicht häufig, kommt aber an vielen verschiedenen Orten vor, an denen einmal Rankendryaden gewesen sind.
    Und wenn man die Dornen einer Rankendryade braucht, aber nicht bekommen kann, sind Dryadenrosendornen ein guter Ersatz.


    „Aua!“, rief Dimakia. „Natürlich braucht Lalique das dornigste Gestrüpp, das auf diesem Berg wächst!“

  • Kapitel Einundzwanzig: Unklar


    Als Chich Choch zum Lager zurück kam, bauten Lalique Schiller und Arin gerade die Schmiede auf.
    „Wie kommt ihr voran?“, fragte sie.
    „Die Schmiede ist gleich fertig“, erwiderte Lalique. „Dann muss ich noch ein bisschen vorbereiten und natürlich auf die restlichen Zutaten warten.“
    „Was ist mit den anderen Dingen?“
    „Ich habe den Knoten und die Uhr“, sagte Arin. „Aber die Uhr kostet.“
    „Ich habe natürlich kein Geld mitgenommen, aber ich sorge dafür, dass du angemessen bezahlt wirst.“
    Arin hielt ihr die Uhr hin.
    Als Chich Choch danach griff, packte Arins andere Hand ihr Handgelenk.
    „Wenn ich nicht bekomme, was ich will, dann mache ich dich verantwortlich. Ich gebe diese Uhr nicht gerne her.“
    „Ist das eine Drohung?“
    „Allerdings ist es das.“
    „Na gut. Wie viel soll es denn sein?“
    „Fünftausend Zirei sollten reichen.“
    Chich Choch glotzte die Söldnerin an.
    „Fünftausend. Für eine kaputte Uhr.“
    „Fünftausend. Für eine kaputte Uhr. Ja oder nein?“
    „Ja, ja. Ich sorge dafür, dass du fünftausend bekommst.“
    „Gut.“
    Und wenn das nicht funktionierte, was konnte ihr so ein Pelztier schon anhaben? Arin konnte weder zaubern noch unter Wasser atmen.
    Vermutlich nicht.
    Die Hundeartige ließ das Handgelenk der Klabauterfrau los.
    Die nahm die Uhr.
    „Du hast gesagt, ihr habt auch den Knoten? Konntet ihr mit dem Raben sprechen?“
    „Ich habe das Problem gelöst. Details gibt es nicht.“
    Dem würde Chich Choch noch nachgehen. Unter Hypnose redeten alle.
    Arin reichte ihr den Knoten.
    „Gut, dann probiere ich nun etwas aus.“


    Chich Choch saß wieder vor dem Kristall. Sie legte eine Hand auf ihn, den Knoten und die Uhr hielt sie in der anderen. Dann schloss sie die Augen und sang.
    Sie fühlte die Objekte, den Kristall stärker als die anderen. Sie sah sie vor ihrem geistigen Auge aufleuchten. Aber sie waren verschwommen, undeutlich. Sie konzentrierte sich. Etwas Magie steckte in jedem, aber das allein konnte es nicht sein. Der Kristall war ein magisches Wesen, die Uhr hatte eine magische Batterie, auf dem Knoten lag ein spezifischer Zauber. Keine Verbindung erkennbar. Auch die Materialien waren völlig unterschiedlich. Aber Moment … da war etwas. Etwas extrem unscharfes, schwer zu definierendes. War das Ektoplasma? Nein … aber es war irgendwie ähnlich …
    Chich Choch konnte es nicht einordnen. Aber sie hatte die Gemeinsamkeit gefunden. Das musste sie suchen.
    Sie sang lauter, öffnete ihren geist für Einflüsse aus der Umgebung. Nein, da war nichts anderes derartiges in der Nähe. Jedenfalls noch nicht.
    Oder … Moment, doch. Eins konnte sie ganz deutlich spüren, aber wo …
    Nein, das konnte nicht sein.
    Chich Choch weckte den Kristall.
    „Kristall … bin ich ein möglicher Teil des Gefäßes?“
    „Aber ja“, antwortete das Gesicht aus Schatten. „Ich habe mich schon gefragt, wann ihr darauf endlich kommt.“

  • Kapitel Zweiundzwanzig: Offen


    Das Feuer wurde langsam heiß genug. Das richtige Metall hatte Lalique da und da kamen ja auch Dimakia und Pia mit den Zusatzstoffen.
    „Das ist eine … sehr offene Schmiede“, fand Dimakia.
    „Ja, natürlich. Woher hätte ich denn Wände nehmen sollen?“
    „Und müsstest du aus dem Metall nicht erst eine Art Rohling machen?“, fragte Pia. „Worin willst du das denn schmelzen?“
    „Tu ich bereits, mit Campingkocher.“
    „Der wird so heiß?“
    „Natürlich nicht. Aber seine illegalen Explodiumbatterien.“
    Dimakia, Pia und auch Arin machten ein paar Schritte rückwärts.
    „Die werden nicht explodieren, die heißen nur so. Glaube ich.“
    Der Wecker klingelte.
    „Gut, die Bronze ist fertig. Ich gieße sie in die belackanische Weltraumpfanne, die hält das aus. Wenn das Metall etwas abgekühlt ist, mache ich aus dem Klumpen erst eine Platte und dann einen Helm. Dann brauche ich auch die Dornen. Aber gebt mir schon mal den Flusssand.“
    „Damit simulierst du den Feenstaub?“, vermutete Dimakia.
    „Ja, genau. Und natürlich habe ich kein Drakonfeuer zum Schmieden, aber der Treibstoff aus unserem Heli tut es auch.“
    Alle machten noch ein paar Schritte zurück.
    „Jetzt stellt euch nicht so an. Das Feuer ist ja offen, da kann nichts explodieren.“
    „Ich hole für alle Fälle den Feuerlöscher“, sagte Arin und ging los.
    Für eine Söldnerin ein bisschen übervorsichtig, fand Lalique.
    Sie ging zum Schmelzofen, den sie aus Natursteinen aufgebaut hatte und gab den Sand hinein.
    Dann nahm sie den unteren Verschlussstein hinaus und ließ die Bronze in die Pfanne fließen.
    Ein lauter Knall ertönte im Inneren des Ofens, die Steine wackelten und das noch vorhandene Metall wurde über die Pfanne hinweg geschleudert.
    „Offenbar explodieren sie doch. Gut, dass der Schmelzofen oben offen ist, sonst wären die Steine durch die ganze Gegend geflogen.“
    „Du bist doch vollkommen irre“, fand Pia.
    „Wieso, hat doch geklappt. Daraus schmiede ich uns jetzt den Helm.“
    Niemand wollte mithelfen. Sobald die Temperatur stimmte, machte sich Lalique an die Arbeit.
    Die Bronze flach zu klopfen war noch einfach. Einen Halm daraus zu formen war schon schwieriger, vor allem ohne richtigen Amboss.
    Und natürlich war es richtig kompliziert, die Dornen einzusetzen.
    Aber schließlich war es geschafft.
    Lalique zog mit der Zange den dampfenden Helm aus dem Wasser.
    „Er sieht natürlich nicht so alt aus wie das Original. Und ich habe ihn offen gelassen, ohne Visier. Wenn das nicht reicht, mache ich halt noch eins. Sollte aber.“
    Arin war als einzige noch dabei und sie hörte nicht zu. Sie war damit beschäftigt, mit dem Feuerlöscher die Esse zu löschen. Und die kleinen offenen Feuer, die um die Esse herum entstanden waren.
    Wie gesagt, übervorsichtig.

  • Und auch dieses Jahr bin ich wieder gescheitert. Aber ich kann ja nicht einfach aufhören, also ...


    Kapitel Dreiundzwanzig: Leck


    Chich Choch hoffte, dass es mit der Süßwassermuschel, die sie gefunden hatte, funktionierte. Na ja, mit der Schale. Die Muschel selbst hatte sie natürlich gegessen.
    Nun suchte sie den richtigen Ort für die Beschwörung. Die Hütte ihrer Lehrerin war direkt an einem Leck gebaut gewesen, einem kleinen Durchgang zur Geisterwelt also, durch die Ektoplasma in die Welt der Sterblichen tropfte. Etwas ähnliches gab es hoffentlich auch hier.
    Die Klabauterfrau setzte sich neben den Fluss, schloss die Augen und …
    Was hatte da gerade so geknallt? Das war doch vom Lager gekommen … ach, egal. Gerade wenn da gerade das Schmieden des Helms gescheitert war, brauchten sie den Geist ja umso dringender.
    Chich Choch schloss die Augen wieder. Und sang.
    Es gab kein Leck in der unmittelbaren Nähe. Aber es strömte etwas Ektoplasma von einem weiter entfernten Leck heran. Und recht viel davon sammelte sich … in der Höhle mit dem Kristall. Ja, natürlich.
    Chich Choch stand auf und ging los.
    Als sie am Lager vorbei kam, sah sie die Schmiede, in der Lalique ganz allein am Helm arbeitete.
    „Wo sind denn die anderen?“, fragte sie.
    „Weiß ich auch nicht. Sie wollten nicht bleiben, weil die Batterien im Schmelzofen explodiert sind.“
    „Ich bin hier“, sagte Arin, die gerade mit einem Feuerlöscher ankam. „Ich behalte das hier alles im Auge.“
    Der Helm war in Arbeit, sie hatten die Uhr und den Knoten, der Kristall war kein Problem. Mit dem Geist also fünf.
    Chich Choch stieg hinab in die Höhle, in der der Kristall inaktiv wartete.
    Sie legte die Muschel auf den Boden und zeichnete mit Wasser den Bannkreis in den Staub.
    Dann setzte sie sich hin und sang.
    Das letzte Mal hatte sie nicht gezielt den Geist der Muscheln herbei gerufen. Dieses Mal wollte sie aber genau das tun. Sie musste sehr präzise sein mit ihren Tönen.
    Gelang ihr das? War das … nein, da kam der falsche Geist. Chich Choch wehrte ihn ab. Da. Das war der richtige.
    Der Geist fuhr in die Muschel. Alles Ektoplasma in der Höhle ballte sich um diese zusammen und nahm eine Gestalt an, die Gestalt einer größeren Muschel voller Zähne.
    Nichts weiter geschah. Die Muschel lag einfach im Bannkreis. Um sie mit den anderen Teilen zusammenfügen zu können, musste sie die Erscheinung zerstreuen, aber das hatte Zeit bis dahin.
    Jetzt wollte sie erst einmal nach dem Helm … Was war das denn?
    Die Muschel streckte etwas aus, etwas wie einen Muschelfuß, aber länger und tentakelartiger. Streckte ihn … durch eine winzige trockene Stelle im Bannkreis. Mist.
    Der Fuß musste nicht den Boden berühren, denn Geister waren unabhängig von normaler Materie. Er hielt sich einfach an nichts fest und die Muschel sprang aus dem Kreis.
    Wenn es der Geist zum Fluss schaffte … nein, sie Chich Choch musste ihn jetzt einfangen.

  • Kapitel Vierundzwanzig: Ausgestorben


    „Vor gar nicht allzu langer Zeit glaubte man noch, die Schlangenmenschen seien ausgestorben. Mittlerweile weiß man, dass es sie noch gibt, aber nur auf anderen Planeten, auf die sie damals geflohen waren, als die Erde zu kalt für sie wurde. Auf der Erde gelten sie nach wie vor als ausgestorben. Und das schon vor Millionen von Jahren, vor so langer Zeit, dass die Kolonien auf fernen Planeten nichts mehr von ihrer Herkunft wussten. Aber heute haben wir einen Gast, der behauptet, dass es sie noch gibt. Begrüßen sie bei mir Dr. Horst Kurz!“
    „Vielen Dank. Ja, richtig, ich bin überzeugt davon, dass es die Schlangenmenschen heute noch auf der Erde gibt.“
    „Nun sind Sie ja Doktor der Physik. Warum beschäftigen Sie sich da mit den Schlangenmenschen?“
    „Nun, dazu ist es eher zufällig gekommen. Sie wissen ja, dass man damals in Achtzigern in Süddoofland eine Schlangenmenschen-Ruine fand, die erstaunlich gut erhalten war. Mir kam es seltsam vor, dass sie Millionen von Jahren alt sein sollte.“
    „Also haben sie sie untersucht.“
    „Ja. Also, nein, nicht persönlich. Aber ich fand Quellen, die das getan hatten und deren Ergebnisse von der offiziellen Altersbestimmung abweichen. Demnach sind die Ruinen gerade mal dreitausend Jahre alt.“
    „Davon liest man in den einschlägigen Zeitschriften nichts.“
    „Sie meinen solche Klatschblätter wie Wicked Archaeologist? Ich bitte sie. Die sind doch alle gleichgeschaltet. Und dahinter stecken natürlich die Schlangenmenschen selbst.“
    „Richtig, darum geht es ja in ihrem Buch ‚Sie sind überall und Sie sind wahrscheinlich auch einer‘.“
    „Exakt. In diesem Buch lege ich dar, wie die Schlangenmenschen unsere Gesellschaft unterwandert haben.“
    „Interessant. Und woher wissen sie von dieser Unterwanderung?“
    „Nun, wenn man erst einmal die gleichgeschalteten Massenmedien ausblendet findet man zahlreiche Zeugenaussagen über gestaltwandelnde Schlangenmenschen in hohen Positionen. So viele, dass es kein Zufall sein kann.“
    „Haben Sie mit einigen dieser Zeugen selbst gesprochen?“
    „Nein, das war mir leider nicht möglich. Sie misstrauen Wissenschaftlern, was ja auch durchaus verständlich ist. Die Wissenschaftsgemeinschaft ist ja offensichtlich von den Schlangenmenschen unterwandert.“
    „Und haben sie selbst je einen Schlangenmenschen gesehen? Einen, der seine Gestalt ändern konnte, meine ich.“
    „Nun, ja, gewissermaßen. Wenn man genau hinsieht erkennt man Anzeichen, etwa in unserer Kanzlerin, Frau Spiegel.“
    „Hm. Und warum sind Sie so sicher, dass es sich um irdische Schlangenmenschen handelt? Es ist ja nicht so, als ob das den außerirdischen Schlangenmenschen nicht zuzutrauen wäre.“
    „Oh, die haben ganz sicher damit zu tun. Aber diese Schlangenmenschen leben schon sehr lange unter uns. Seit lange vor dem Erstkontakt mit den außerirdischen Schlangenmenschen.“
    „Woran machen Sie das fest?“
    „Nun, abgesehen von der nur dreitausend Jahre alten Ruine gibt es noch sehr viel jüngere Geschichten über Begegnungen mit Schlangenmenschen in Form von Märchen und Sagen. Der Begriff taucht dort nicht auf, doch viele der Schlangen und Lindwürmer dort sind in der Beschreibung eindeutig als Schlangenmenschen zu erkennen.“
    „Und was glauben sie, planen die Schlangenmenschen?“
    „Ich denke, sie kontrollieren auch Mandala und sind für seine aktuelle politische Entwicklung verantwortlich. Sie wollen bei uns einen ähnlichen Überwachungsstaat einführen, wie es ihn dort gibt.“
    „Wie passt das damit zusammen, dass Kanzlerin Spiegel immer gegen Überwachungsmaßnahmen gestimmt hat?“
    „Reine Tarnung. Spiegel ist nur das Gesicht, die Entscheidungen werden woanders getroffen.“
    „Und ist es nicht so, dass sie sich selbst noch vor kurzem für Überwachungskameras in den Innenstädten und die Überwachung der Telefonleitungen Verdächtiger ausgesprochen haben?“
    „Nein, das ist ein Gerücht. Ich bezog mich lediglich auf die verstärkte Überwachung perianischer Terrorverdächtiger, niemanden sonst.“
    Dimakia schaltete den Fernseher aus. Der einzige Sender, den man rein bekam, war dieses komische Programm aus Karnstein und da lief nur Mist wie diese Show in der ein irrer Physiker Blödsinn erzählen durfte.
    Sie war Archäologin. Sie kannte die Ruine und sie war zwar außergewöhnlich gut erhalten, aber definitiv Millionen von Jahren alt. Die irdischen Schlangenmenschen waren ausgestorben. Wirklich.
    „Beschäftigt dich irgendwas?“, fragte Pia.
    „Nein, ich ärgere mich bloß über den Blödsinn da.“
    „Quatsch. Du bist schon den ganzen Tag komisch drauf. Es geht um Arin, oder?“
    „Nein.“
    „Doch. Ihr habt heute Nacht gevögelt und jetzt habt ihr euch gestritten.“
    „Nicht direkt gestritten, es ist nur … heute Nacht hab ich ihm vertraut – ja, ihm, heute Nacht war Arin ein Mann – und heute Morgen erfahre ich dann, dass sie jemand ist, dem man auf keinen Fall vertrauen sollte.“
    „Oh. Das war die Sache, die ich gar nicht wissen will, ja?“
    „Ja.“
    Die beiden schwiegen eine Weile.
    Dann sagte Dimakia: „Das letzte Mal, als ich dem Falschen vertraut habe, ist beinahe ein ganzes Zwergenvolk in Thon ausgestorben.“

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!