I. Multiversales Konzil - Imelaju von Wykar


  • Funken schlug das sich in der Leere öffnende Aug, ein Stern in gleißend goldenem Licht, der sich über dem ewig Marmorboden selbst ersann, wuchs und inne hielt, als seine Größe die gemeiner Wykarianer übertraf. So sank das kalte Feuer herab, bis es den Boden berührte, leuchtete in das Herz des Säulenringes, auf dem die Anhörung stattfinden sollte, und beendete den Pfortendienst des anwesenden Konzilmitgliedes. Fünf mächtige Säulen ragten hier hinauf in die Ewigkeit: Zwischen zweien fand die Pforte ihren Platz, während auch die hohe Bank jedes hohen Mitglieds von zwei Säulen gesäumt dem Befragten keinen Raum zur Flucht ließ. Fünf? Es war noch ungewiss, wie viele sich dem Ruf anschließen sollten und leere Plätze könnten die Autorität des ersten bereits untergraben. So wuchsen drei der Säulen, die dem Portal gegenüberstanden, langsam ineinander und ließen nur Platz für ein weiteres Mitglied dem Anwesenden gegenüber, dem zur rechten das Portal brannte. Sollten die anderen sich ihren Platz selbst in die Wirklichkeit zerren..


    Im Schatten seiner Bank begann der Anwesende die vorgelegten Dokumente zu betrachten. Wissend, dass später ankommende Konzilmitglieder seine jetzt gesprochenen Worte trotz derzeitiger Abwesenheit vernehmen würden, stellte er seine Fragen und Gedanken in den Raum: "Zwei klassische Motive: Ein Gott, dessen Existenz für das das Leben seiner Schöpfung in die Abstraktion entgleitet, und der Wunsch des Schöpfers sein Werk mit Leben zu beschenken, mit einer Existenz, die von der eigenen unabhängig überdauert. Nun müssen wir den träumenden Gott wohl nicht erwecken, um ihn zu verhören. Wer sich seinen Fängen noch nicht entrissen hat, kann noch in seinem Geiste zu uns sprechen. Etwa diese Matrosin, Be.. Brija? Selbstverständlich unter der Annahme und Überzeugung, dass der Gott noch weilt."


    Gedankenverloren studierte er weiter die Schriften.. "Awar und Beshu sind gefährliche Gäste. Bewahrheitet sich ihre Religion, greifen ihre Kräfte das Wesen dieses Konzils an. Das Konzept von Wirklichkeitsblasen ist ihnen nicht fremd und mit ihren Erinnerungen an uns könnte dies, wenn wir sie in ihre Welt zurückgelassen, zur Veränderung der ihnen eigenen Welt durch unsere Betrachtung dieser führen. Wir brauchen eine Kopien der zu Befragenden, die die ihren Erinnerungen eigene Welt nicht wieder betreten werden, oder aber Autorität durch ein höheres Korrektiv, den träumenden Gott?"


    Wohl ward ihm, als er von der Sonne hörte, die auch bei den Nachbarn Wykars Verehrung fand als Herz aller Existenz, doch weiter zu Wykar: "Zum Schisma nun, dass die Wesenheit unerreichbar göttlich alles erträumt, oder aber Schwarmwesen aus dem Geiste aller ist, gereicht das den geistlichen zum Streit, zur Spaltung gar? Die Idee ein Individuum zu sein wohnt sicher vielen Wykarianern inne, der Gedanke aus einem ungelenkten Neuronenschwarm und der aus neuralen Prozessen gebildeten Schwarmintelligenz zu bestehen könnte wohl so manchen in eine Existenzkrise stürzen. Wie steht es mit dem Zugeständnis der Existenz auf höherer Ebene, gibt es eine Existenzkrise wenn keine höhere Ordnung über das Wohl aller wacht, oder aber wenn es heißt man sei im eigenen Schicksal einer solchen ausgeliefert? Nun, vielleicht treibt diese Furcht ja schon zur Trennung."


    "Das Träumende.. ist es eins, oder werden wir alle Teil davon, die wir die Welt betreten? Versucht die Welt sich durch unsere Existenz zur eigenen zu verhelfen? Evolutionär durchaus aggressiv im existenziellen Wettstreit mit den anderen Welten.. aber zu den für Wykarianer wesentlichen Fragen:
    1. Beshu und Awar sind für ein Jahr in Felskammern zu sperren, versiegelt und ohne Wasser, Nahrung, Sauerstoff. Ist das nicht die einfachste Prüfung gegen Hochstapelei? Konventioneller Mord möge gar schneller sein. Gibt es einen Grund sie zu bewahren, zu wenige Awar und zu groß die Hoffnung, der Placebo-Effekt durch Opfergaben an Hochstapler, der die Wirklichkeit dann doch dreht?
    2. Wesen, die sich selbst erträumen, sind nicht auf ihre Heimatwelt angewiesen. Was verhindert ihre Flucht in eine andere Welt? Waren diese bislang unerreichbar? Sind ihre Nachkommen zu selbigem in der Lage, oder einzig Schüler? Gilt es eine Schule über die Welt zu etablieren, eine Philosophie, die ihrer Welt Stabilität bringt und sie als Lebensraum etabliert?
    3. Gibt es soziale Ungerechtigkeit in ihrem Land? Existenzen, deren Fähigkeiten so gering sind, dass ihren Wünschen und Bedürfnissen keine Beachtung geschenkt wird? Was unterscheidet einen Louw von einem Fisch? Oder sind alle in ständigem Diskurs um das Wesen ihrer Welt, da die vielen Stimmen doch zur Einigkeit finden müssen?
    4. Haben die Wächter der Welt Einfluss fern ihrer Inseln? Sind die Nachbarn in ihrer Existenz bedroht, wenn die Awar ihre eigene bewahren und so ihre eigenen Narrativen vorziehen müssen? Verschwinden Nachbarn?
    5. Hat die Welt sich nicht der Träume beraubt, wenn doch jeder Traum ihrer Erhaltung dienen muss?"


    Ein fernes Donnern brachte das Wesen aus seinen Gedanken, war jemand unterwegs? - "Fürwahr, es wird Zeit sich mit den wichtigen Dingen eines solchen Konzils zu beschäftigen: Der Sitzordnung!"

  • Wie eine Gummihaut unter zwei zerrenden Haenden verformte sich die Leere in der Mitte des Saals - bis sie endlich zerriss und einer weitere Gestalt Einlass gewaehrte: einer hageren, sehnigen, etwa fuenfzigjaehrigen Frau in einer abgenutzten kurzen Robe. Mit einem schnellen Blick zurueck vergewisserte sie sich, dass sich der Riss hinter ihr wieder geschlossen hatte, dann sah sie sich kurz nach den bereits Anwesenden um.
    Schulterzuckend wandte sie sich schliesslich an den Stern In Goldenem Licht: "Entschuldige, ich bin wohl etwas spaet dran. Hab ich die anderen schon verpasst? Ich soll hier wohl Antworten zu komplexen Fragen der Realitaet geben. Man nennt mich meist Marun-Si - und wie kann ich dich ansprechen?"
    Sie kratzte sich kurz am Kopf, als ihr die bereits gestellten Fragen retroaktiv in den Ohren klangen. Dann lachte sie trocken: "Und glaub mir, Veraenderungen durch mich an meiner Heimatwelt nach externer Betrachtung hier sind wirklich das geringste Problem, dass die Welt im Moment hat... Ausserdem waer es nicht das erste Mal, dass Einfluss aus anderen Realitaeten einsickert."


    "Was nun das Schisma anbelangt... ich denke, man darf nicht so naiv sein, es zu sehr aus religioeser und zu wenig aus politischer Sicht zu sehen. Ein paar Geistlichen gereicht alles und nichs zu wochenlangen Diskussionen - aber das ist nicht mehr als graue Theorie, solange es nicht auch unter Normalsterblichen um Macht und Einfluss geht. Brenzlig wird es, wenn die Frage nach der "Ordnung der Welt" zur Frage nach der Ordnung der Gesellschaft wird. Wer schwimmt oben und wer geht unter? Wer hat das Sagen und wem wird nicht zugehoert? Wem ist es durch die "Ordnung der Welt" gegeben, zu herrschen?
    Natuerlich gibt es eine gesellschaftliche Krise, wenn keine hoehere staatliche Ordnung ueber das Wohl aller wacht sondern beispielsweise jeder frei ist, sich auf Kosten seines Nachbarn zu nehmen, was ihm beliebt. Und das wird fuer viele Leute zur existentiellen Krise.
    Zur Spaltung kam es, weil der Kaiser, der sich auf das Unerreichbare Traeumende beruft, einen betraechtlichen Anteil seiner Untertanen nicht mehr ueberzeugen konnte, dass er allein entscheiden kann. Weil sie meinen, selbst ein Teil des Staates und des Traums zu sein und deshalb einen - wenn auch noch so kleinen - Einfluss darauf haben koennen und sollen.


    Im uebrigen machen sich die allerwenigsten meiner Landsleute Gedanken um Neuronenschwaerme, schlicht weil sie noch nie von so etwas gehoert haben. Die Idee der Isimiju Minejta Tsive ist natuerlich eine sehr aehnliche, bezogen auf das Traeumende."

    Roald Dahl, Revolting Rhymes, Little Red Riding Hood and the Wolf:
    The small girl smiles. One eyelid flickers. / She whips a pistol from her knickers. / She aims it at the creature's head / And bang bang bang, she shoots him dead.
    A few weeks later, in the wood, / I came across Miss Riding Hood. / But what a change! No cloak of red, / No silly hood upon her head.
    She said, "Hello, and do please note / My lovely furry wolfskin coat."

  • Ein sonderlich erhabenes Bild bietet das zweite Konzilmitglied nicht, als es durch das Portal schlendert als wäre dieses nicht mehr denn ein weiterer Torbogen, den es zu durchschreiten gilt. Der Blick des Halbelfen ist auch nicht nach vorne gerichtet, den säulenumsäumten Ort zu betrachten, sondern vielmehr auf die bereits leicht zerfledderten Schriftstücke in seiner Hand. Die wallende Robe, die ihn eigentlich als Mitglied dieser illustren Runde sublimieren sollte, hängt léger über die Schultern - offen, sodaß die abgetragene Reisekleidung darunter die Aufmerksamkeit etwaiger Blicke direkt auf sich ziehen kann.


    "Ah?" Der einzelne Laut, als sein Blick sich im Gehen doch noch von seiner Lektüre hebt und den dreieckigen Ort in sich aufnimmt. Kurzes Schweigen folgt darauf, abgelöst erst von einem leisen Murren, dann von: "Hatte ich mir größer vorgestellt."


    Die Gestalt mit dem lautenartigen Instrument auf dem Rücken tritt an der Frau vorbei auf die Säule gegenüber des Portals zu - oder besser gesagt auf die beiden Säulen, denn wenn man den eigenen Blickwinkel ein wenig verändert kann man deutlich erkennen, daß es sich nicht um eine einzelne handelt. Eine optische Täuschung vielleicht, remediert erst durch eben jene Verschiebung des Blickwinkels, in welchem die zweite Säule sich nicht mehr hinter der ersten versteckt halten kann? Oder hat sich die Säule eben wieder aufgespalten, so wie sie sich zuvor aus dreien zusammengesetzt hat? Was auch immer der Ursprung sein mag, in dem relativ schmalen Raum dazwischen findet jedenfalls eine weitere Bank Platz, und auf eben dieser einen Augenblick später der Neuankömmling. Wobei der es sich auf dem Pult bequem macht, welches unter normalen Umständen als Ablagefläche für jene Schriftstücke dienen sollte, die er stattdessen weiterhin in Händen hält.


    "Grüße, Grüße!" Mit einem breiten Lächeln gen des "Besuches" tippt er gegen die Krempe des Federhuts, welcher wohl der Hauptgrund dafür ist, daß die Kapuze seiner feierlichen Robe mäßig zeremoniell im Nacken ruht, statt auf seinem Haupte. Ein knappes Nicken noch gen seines Kollegen, ehe sich der Blick erneut auf das Geschriebene konzentriert.


    "So, so. Die Welt in ihrer Gesamtheit erträumt? Und wer genug Willen und Vorstellungskraft hat, um sich selbst etwas zu erträumen - und als Awar dann das nötige Charisma, um genug andere Leute zu überzeugen - dessen Möglichkeiten sind eigentlich nur durch sich selbst beschränkt, ja?" Ein kurzer Blick geht hinüber zu Marun-Si, dann zum Portal, und ein leises Grinsen beginnt die Lippen des Konzilmitglieds zu umschmeicheln.


    "Ich persönlich wüßte ja schon, was ich..." Die Oberfläche des Tores beginnt sich zu bewegen, fein geschwungene Konturen schälen sich heraus - zwei Rundungen zuerst, gefolgt vom restlichen Körper der vollbusigen Schönheit, welche sich mit tänzelnder Anmut ihren Weg zu den beiden Säulen bahnt.


    "Genau das, ja, genau das!" Schmunzelnd klopft der "Würdenträger" neben sich auf das Pult, eine deutliche Einladung an die deutlich jüngere der beiden anwesenden Damen, welcher diese auch sogleich folgt. Offenbar muß sie wohl aus ärmlichen Verhältnissen stammen, denn viel Stoff trägt sie nicht am Körper - nur die notwendigsten Stellen sind notdürftig verhüllt. "Hier, halt mal, Süße," meint er vergnüglich zu seiner frisch verwirklichten Assistentin und reicht ihr das Gros an Zettelwerk hinüber, sodaß nur ein einzelnes Blatt in seiner Hand verbleibt.


    "Also, wie der da drüben schon meinte, den Träumer selbst muß man nun nicht unbedingt persönlich aufwecken, also freut es mich umso mehr, Euch stattdessen hier willkommen heißen zu dürfen, Frau Marun-Si. Zumal wir ja nicht mal wissen, ob es nun ein Träumer ist, oder eine Gemeinschaft aus Träumern." Kurz überfliegt er die Zeilen, sieht dann fragend hinüber zu der Awar. "Wie genau grenzen die Anhänger der Schwarm-Theorie die Gesamtheit des Träumenden denn ab? Glauben sie, daß nur die Bewohner von Kaiserreich und Republik diesen Schwarm bilden, oder alle Bewohner Eurer Welt? Außerdem schließe ich mich der Frage an, ob man als Außenstehender ebenso Teil davon werden könnte, oder ob die Fähigkeit zum materiellen Träumen den Eingeborenen vorbehalten bleibt."


    Auch die namenlose Assistenin blättert sich gemütlich durch die restlichen Aufzeichnungen, beschränkt sich in ihrem Beitrag zum Konzil im Moment jedoch darauf, hübsch auszusehen.


    "Wegen einer Beeinflussung des Konzils würde ich mir jetzt auch keine Gedanken manchen..." Er winkt beiläufig ab. "Im Zweifelsfall: Platz in unserer Mitte für neue Konzilmitglieder ist immer, nicht wahr? Aber sagt mal..."


    Einen Moment lang ist er etwas abgelenkt, als die Unbekannte neben ihm das Bein wechselt, welches beim Sitzen überschlagen ist, dann widmet sich der Halbelf wieder seiner Abschrift. "... könnt Ihr diese Realität hier überhaupt beeinflussen, oder beschränkt sich diese Fähigkeit nicht vielmehr auf Eure eigene Welt?"


    "Eine interessante Frage, welche jedoch zumindest in Teilen bereits beantwortet wurde," macht sich zum ersten Mal seine Begleitung verbal bemerkbar. "Die Weise Träumerin..." Lächelnd neigt sie dieser den Kopf entgegen, ein freundliches Zeichen der Ehrerbietung. "... vermag zumindest bereits eine Konnektion zwischen den Realitäten zu erzeugen, wie sie zuvor eindrucksvoll bewiesen hat."


    "Äh..."


    In Ermangelung eines produktiveren Einwurfes ihres Nebenmannes fährt sie an die Awar gewandt fort: "Viel mehr würde mich in dieser Hinsicht die Art des Einflusses interessieren. Uns liegt die Niederschrift eines Gespräches zwischen Awar Tenaranggang und seiner Schülerin vor, in welchem er von einer Heilung durch die Awar Ilarii spricht. Deren Eingriff in die Realität geschah auf recht subtile Art und Weise, was hinsichtlich der Theorie durchaus sinnvoll erscheint, daß die Überzeugungskraft der Umstehenden das Wirken vereinfacht - oder aber sogar erst möglich macht? Wie verhält es sich da mit dem eben demonstrierten Riß in der Realität, erschwert eine solch offensichtliche Veränderung das Wirken eines Awar?"


    Schweigend schält sich das zweite Konzilmitglied aus seiner Robe, um diese resigniert seiner "Assistentin" zu reichen. Offenbar hat er sich damit abgefunden, daß ihm seine eigene Schöpfung den Platz im Konzil abgeluchst hat.


    Diese wendet sich inzwischen zur anderen Bank hin: "Gibt es nebenher bereits Pläne bezüglich der Verifizierung getätigter Aussagen? Stehen uns Möglichkeiten zur Verfügung, zwischen den einzelnen Abstufungen von Wahrheit zu unterscheiden? Können wir festmachen, ob eine Aussage der Realität entspricht, ob der Examinand einer Fehlannahme anhängt, oder ob es sich gar um einen malevolenten Manipulationsversuch handelt?" Neuerlich neigt sie den Kopf dabei Marun-Si entgegen. "Bitte verzeiht, eine allgemeine Frage, welche keineswegs Mißtrauen Euch gegenüber zum Ausdruck bringen soll."


    Die Robe wird angelegt, ganz ihrer Bestimmung entsprechend sogar geschlossen, dann wird die Kapuze über das wallende Haar gezogen und letztendlich nimmt die nun züchtig verhüllte Unbekannte auf der Bank Platz. Den so frei gewordenen Abschnitt des Pultes nutzt sie zum Aufbreiten der Aufzeichnungen, inklusive des Blattes, das sie dem Barden kurzerhand aus der Hand zupft. Zuletzt hängt sie dann noch ein kleines Kärtchen mit der Aufschrift "Annawyl Frwyth" an die Kante der Ablagefläche.


    "Und interessiert uns dies überhaupt?" Die Frage nun wieder an die Konzilmitglieder gerichtet - gleich ob bereits anwesend, oder später hinzukommend. "Ist es von Bedeutung, wie viel Wahrheit hinter einem Glauben steckt, oder ist vielmehr von Bedeutung, welche gesellschaftliche Auswirkung dieser auf die Bewohner einer Welt hat?"

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • Wenige Minuten zuvor...


    Ein Mann in weiß gekleidet findet sich in den Hallen des multiversalen Konzils wieder. Etwas älter, was sein weißer Bart vermuten lässt, doch kann man das Alter wirklich nach solchen Kriterien beurteilen? Er wirkt verwirrt, schließlich hat er einen anderen Raum hinder jener Tür erwartet. Dennoch wirkt der Versammlungsraum vertraut, als ob er hier hingehöre. Nach kurzer Überlegung erinnert er sich daran, an einem Konzil teilnehmen zu sollen. Nun denn, wenn er schon da ist ... doch um sicher zu gehen, hält er sich im Verborgenen und beobachtet, was im Zentrum des Geschehens vor sich geht...


    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~


    Jetzt:


    "Ein sehr komplexes Thema", sagt er, als er aus dem Schatten zu den anderen Konzilmitgliedern geht, "welches uns alle interessieren sollte! Träume werden in vielen Welten als Verarbeitung vergangener Erlebnisse gesehen, in anderen Welten wiederum haben sie prophetische Bedeutungen, und dann gibt es Welten, in denen man die sogenannten Traumwelten betritt, um ... einfach um Dinge zu tun! Welchen Zweck der Traum des Träumers hat, ist hier die entscheidende Frage, und inwiefern er den Traum beeinflussen kann! Weiß er denn, dass er träumt?"


    Als die anderen Konzilmitglieder ihn anschauen, als käme er nicht von hier, beschließt er, sich vorzustellen. "Mein Name ist Natarek. Falls Ihr mich noch nicht kennt." Dann wendet er sich an den Barden: "Der Theorie von mehreren Träumern stand ich erst skeptisch gegenüber, doch dann fielen mir die Traumwelten ein, die ich bereits gesehen habe, was -- in Bezug auf mehrere Träumer -- die Frage aufwirft: Handelt es sich um eine Traumwelt? Wenn nicht, wie sind die Träumer miteinander verbunden, dass verschiedene Träume eine Welt ergeben?"


    "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Erträumen von Ablenkungen zu unterlassen sein sollte, wenn wir hier ernsthaft arbeiten wollen. Da mache ich keinen Unterschied Assistentinnen, Bäumen oder Achterbahnen, die uns aufgabeln und drei Minuten später magenentleerend wieder absetzen! Aber da Eure Assistentin selbst auch wichtige Beiträge zu leisten scheint, sehe ich darüber hinweg. Solle es dabei bleiben!"


    Er nimmt Platz. "Ihr erwähntet auch die Frage, ob man als Bewohner einer geträumten Welt auch Einfluss auf die Außenwelt hat. Nun, das halte ich für unwahrscheinlich! Ich habe zwar von Leuten gehört, die Einfluss haben auf Welten, die nicht die ihren sind, doch mit Träumen ist das anders. Man beweise mir das Gegenteil, wenn dem nicht so ist!"


    Damit ist er still und überlässt das Wort dem nächsten Konzilmitglied, das zu sprechen wagt. (Er war natürlich nicht der Typ, der anderen ihre Meinung verbot oder sie am Sprechen hinderte. Doch schätzte er manchmal die Situationen falsch ein und hielt seine Aussagen für so überwältigend, dass seine Gegenüber eine Denkpause bräuchten, um Argumente zu sammeln.)

  • Marun-Si schmunzelt kurz, als sie die Rede des selbstbewussten Alten hoert und wirft dann amuesiert ein: "Ich denke nicht, dass ich mich mit dem Beweisen des Einflusses von Ertraeumtem auf Aussenstehende aufhalten werde. Schliesslich waere ein solcher Beweis ein Zirkelschluss - daher muss ich das den anderen Anwesenden ueberlassen.
    Aber komisch, dass ihr das Ertraeumen von Ablenkungen erwaehnt. Ich persoenlich glaube ja, dass das Traeumende meine Welt aus genau diesem Grund ertraeumt hat: als Ablenkung von seiner sonstigen Existenz, als Unterhaltung, als Rueckzugsort. Ihr werdet mich also verstehen, wenn ich mich meiner Natur als Ablenkung gemaess zuerst der Ablenkung zuwende."


    Damit dreht sie sich freundlich laechelnd Annawyl Frwyth um: "Zu eurer Frage wie sich mein Auftritt beziehungsweise Eintritt in dieses Konzil mit der Theorie der Realitaetsveraenderung durch Plausibilitaet vereinen laesst... Als gute Awar sollte ich wohl keine Chance ungenutzt lassen, euch an meine unumschraenkte Macht glauben zu lassen, die nicht mal von so etwas wie Plausibilitaet beschraenkt ist. Davon koennte ich ja nur profitieren.
    Aber ich nehme an, euch ist leider auch schon aufgefallen, dass in einem Multiversalen Konzil ein Riss in der Realitaet nun auch nicht unplausibler erscheint als ein redender Stern. Ihr seid hier zusammen gekommen, gerade um das Wesen meiner Realitaet und vielleicht auch der Realitaet an sich zu diskutieren. Um euch Rede und Antwort zu stehen musste ich ja meine Realitaet verlassen. Das Ungewoehnliche ist hier plausibel."


    "Vielleicht", fuegt sie zwinkernd hinzu, "habt ihr durch eure Erwartung mein Erscheinen erst ermoeglicht oder es herbeigefuehrt?"


    "Was nun eure naechste Frage angeht, die geradewegs aus 'Grundlagen der Erkenntnistheorie' zu stammen scheint: welche Informationsquellen habt ihr denn ueber meine Welt zur Verfuegung? Wenn ihr keine zweite, unabhaengige Quelle habt, dann wird es wohl duerftig aussehen mit dem Verifizieren, oder? Mal sehen, ob noch ein Awar vorbeikommt."


    "Eure letzte Frage trifft einen wichtigen Kern meiner eigenen Forschungen und Ueberlegungen. Wie ihr euch vielleicht denken koennt, neige ich eher dazu, der Wahrheit, die einer Idee beigemessen wird, relevanter zu finden als die objektive Wahrheit - so es ueberhaupt eine gibt. Die gesellschaftlichen Auswirkungen eines Glaubens formen ja die Realitaet mit, in erheblichem Masse. Und dennoch liegt natuerlich auch nicht unwesentliche Macht darin, Ereignisse ausloesen zu koennen, egal ob jemand daran glaubt oder nicht. Der Segler, der erfolgreich die widrige Stroemung ueberwindet und von hinter dem Horizont zurueckkehrt, obwohl alle glauben, dass das voellig unmoeglich waere - der ist ja schon auf bestem Weg zum Beshu."

    Roald Dahl, Revolting Rhymes, Little Red Riding Hood and the Wolf:
    The small girl smiles. One eyelid flickers. / She whips a pistol from her knickers. / She aims it at the creature's head / And bang bang bang, she shoots him dead.
    A few weeks later, in the wood, / I came across Miss Riding Hood. / But what a change! No cloak of red, / No silly hood upon her head.
    She said, "Hello, and do please note / My lovely furry wolfskin coat."

  • Nun wendet sich Marun-Si wieder dem Goldenen Licht zu:
    "Lass mich noch einmal auf eine deiner frueheren Fragen zurueckkommen:
    Das Träumende.. ist es eins, oder werden wir alle Teil davon, die wir die Welt betreten?


    Ich verstehe den Gegensatz nicht ganz. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ist der Wald eins oder sind die Pflanzen und Tiere darin ein Teil davon? Der Wald und der Traum bestehen aus Teilen und ihr Zusammenwirken erschafft mehr als die Summe der Teile. Teilweise ermoeglicht das Zusammenwirken erst das Leben der Einzelnen. Es gibt Geschoepfe, die den Wald verlassen koennen, ohne zu sterben, und es gibt welche, die koennen das nicht. Es gibt Wesen, die koennen den Wald betreten, obwohl sie nicht aus ihm stammen. Alle veraendern den Wald, so dass er nicht mehr der gleiche ist, nachdem sie ihn betreten oder verlassen haben.


    Aber klaert das in irgendeiner Weise deine Frage?"


    Nach einer kurzen Pause faehrt sie fort:
    "Und dann deine naechste Frage: Versucht die Welt sich durch unsere Existenz zur eigenen zu verhelfen?
    Auch diese Frage verstehe ich nicht ganz. Deine These ist, dass meine Welt nicht eigenstaendig existieren kann sondern nur durch eure Diskussion in diesem Konzil?
    Wo soll ich ueberhaupt anfangen, solche Fragen zu beantworten? Ihr koennt ja keinem Wort trauen, das ich sage, wenn dem wirklich so ist. Aber warum seid ihr dann eigentlich hier? Ich dachte zur Diskussion ueber meine Welt - wenn sie aber erst durch euer Zusammenkommen erschaffen wird, warum seid ihr ueberhaupt zusammen gekommen? Oder haltet ihr euch fuer einen Pantheon, der gerade eine Welt schoepft?"


    "Was deine Idee angeht, hochrangige Priester in Felskammern zu sperren, um ihre Wundertaetigkeit zu pruefen: ist das in euren Welten ueblich oder wird es dort als blasphemisch oder geschmacklos betrachtet?
    Wo ich herkomme ist das kein gefahrloses Unterfangen - die Anhaenger der Priester werden sicher nicht freundlich darauf regieren. Davon abgesehen wird es natuerlich ziemlich desastroes, wenn jemand eine solche Pruefung ueberlebt - dann hat man ihm unantastbaren Status verschafft. Aber Ueberleben in versiegelten Felskammern ist etwas, was viele Leute nicht alltaeglich beschaeftigt, Macht hingegen schon. Und Macht kann man wohl am besten demonstrieren, indem man Macht ausuebt."


    Schweigend verharrt Marun-Si nun und wartet ab.

    Roald Dahl, Revolting Rhymes, Little Red Riding Hood and the Wolf:
    The small girl smiles. One eyelid flickers. / She whips a pistol from her knickers. / She aims it at the creature's head / And bang bang bang, she shoots him dead.
    A few weeks later, in the wood, / I came across Miss Riding Hood. / But what a change! No cloak of red, / No silly hood upon her head.
    She said, "Hello, and do please note / My lovely furry wolfskin coat."

  • Eine gewisse Zeit, die jedem der Teilnehmer wohl unterschiedlich lang vorkam, hingen die Worte der Awar im Raum. An einem Punkt, der sowohl am Rand als auch in der Mitte der Raumes zu sein schien, manifestierte sich eine aquamarinblaue Form, ein spiralförmiges, durchscheinendes Band. Es zuckte, zog sich unsicher wirkend etwas zusammen und formte sich dann zu etwas, von dem es zu glauben schien, die Anwesenden würden es als Ihresgleichen anerkennen: Ein Zylinder, an dem oben eine Kugel angehängt war, und von dem sich vier dünne Fortsätze abzweigten. Sprechen konnte er nicht und doch kamen in die Köpfe Worte, die von der aquamarinblauen Kontur auszugehen schienen.


    "Etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist, hat mich hier hergeführt. Mir scheint es eine Art von Traum zu sein. Ich, Gonrhin, komme mir hier wie das Schwächste unter Starken vor, verzeiht meine Ungeschicktheit in Räumen wie diesen."


    Es entstand eine Pause, der Neuankömmling begann, ohne es zu merken, sich mit Annawyls Assistentin zu überschneiden.


    "Der Träumer von Wykar scheint mir jemand zu sein, dessen Welt so hoffnungslos ist, dass er sich eine ganz Neue erträumen muss. Denn warum würde er sonst, wenn er so mächtig ist, nicht alle Energie darauf verschwenden, seine eigene Welt zu verändern? Meint Ihr, diese Tatsache hat Auswirkung, wie der Geist der Träumenden auf Wykar gestaltet ist? Dass sich also der Träumer eine Welt wünscht, die die dort Träumenden selbst verändern können? Diesen Wunsch könnte ich nur zu gut nachvollziehen."


    Gonrhin schien die Worte nun direkt auf Marun-Si zu fokussieren:


    "Habt Ihr manchmal Angst, dass andere Träumer eure Macht bemerken? Und bemerkt Ihr die Präsenz anderer Träumer eurerseits? Und verwendet Ihr Energie darauf, fern von Wykar eigene Traumwelten zu erschaffen, die ihrerseits nuee Träumer hervorbringen könnten?"


    Die Präsenz von Gonrhin wird schwächer, auch seine Form hat sich zu einem langgezogenen Oval vereinfacht. Doch es wartet wohl auf eine Antwort.

    Und manchmal, manchmal, reimt sich irgendwas auf "od"


    Unterschätzen Sie niemals das dramaturgische Potential eines Kopfbahnhofes!

  • Annawyl lehnt sich etwas zurück und betrachtet aufmerksam die Awar, während die anderen ihre Fragen stellen. Erst als ein Moment der Stille eingekehrt ist, meldet sie sich ihrerseits wieder zu Worte. "Einige der Fragen machen mich nun doch auf einen Punkt neugierig, den ich für mich bisher noch nicht bestätigt oder widerlegt finde. Es wird hier mehrmals davon ausgegangen, daß das Wirken eines Awars wiederum im Traum geschieht oder während eines solchen zumindest stärker wird."


    Sie zückt ihre Schreibfeder und setzt dazu an, ein leeres Pergamentstück mit Aufzeichnungen zu befüllen, ohne dabei den Blick von der Befragten abzuwenden. "Mein Verständnis bisher war mehr, daß der Träumer - ob nun physische Wesenheit oder abstrakte Quelle des Traumes - es ist, der träumt, während die Awar im Wachzustand die Fähigkeit besitzen, diesen Traum mehr oder minder subtil zu formen. Ist dies denn nun ein bewußter Vorgang, oder doch etwas, wofür man als Awar ebenso in Träume versinken muß?"


    Ein leises Murren entringt sich der Kehle des Barden, als ihm die Sitznachbarin kurzerhand auf die Finger klopft, um ihn vom Zurück-Klauen der Aufzeichnungen abzuhalten, ansonsten aber dominiert ein paar Herzschläge lang Stille den Säulenabschnitt der beiden. Dann: "Es ist natürlich bedauerlich, daß es uns derzeit noch an Möglichkeiten fehlt, einzelne Aussagen zu verifizieren - aber man kennt mich gemeinhin als recht gutgläubiges Wesen, von daher vertrete ich die Ansicht, daß jede noch so gebogene und verdrehte Wahrheit, an die eine Gruppe von Leuten glaubt, immerhin näher an der Realität liegt als komplettes Unwissen. Gehe ich falsch in der Annahme, daß sich diese Sichtweise durchaus auch auf Euren Glauben anwenden läßt, vor allem eben unter dem Blickwinkel, daß der Glaube an einen Umstand diesen bereits an sich näher an die Wahrheit heranrückt?"


    Und mit einem Lächeln, das selbst unter der Kapuze noch deutlich dem Gast entgegenstrahlt, fügt sie hinzu: "Was natürlich nicht heißt soll, daß ich einem zweiten, möglicherweise konträr denkenden Vertreter Eures Glaubens nicht mit Freuden entgegenblicken würde. Gerade aus einer Diskussion läßt sich oft wunderbar irgendwo in der Mitte der Kern der Wahrheit herauslesen, sodaß solche teils aufschlußreicher enden können als so mancher gut recherchierte Vortrag. Hättet Ihr denn eine Präferenz, welchem 'Gegenspieler' Ihr Euch da gerne stellen würdet - und würdet Ihr uns denn die Ehre erweisen, diesen später noch hinzuzurufen?"


    Ebenso freundlich wird dann auch dem neuesten Mitglied zugenickt, wohl in der Hoffnung, daß die Geste trotz der offensichtlichen physischen Unterschiede verstanden wird.

    Bring me your soul, bring me your hate
    In my name you will create
    Bring me your fear, bring me your pain
    You will destroy in my name

    - Les Friction, Dark Matter

  • In der Mitte des Saales verstaerkt sich ein leichter Lufthauch zu einem kleinen Strudel und ploetzlich hoert man einen Gespraechesfetzen von vor einiger Zeit, bevor das temporale Windhoeschen wieder in sich zusammenfaellt:


    Zitat

    Wie genau grenzen die Anhänger der Schwarm-Theorie die Gesamtheit des Träumenden denn ab? Glauben sie, daß nur die Bewohner von Kaiserreich und Republik diesen Schwarm bilden, oder alle Bewohner Eurer Welt?


    Marun-Si oeffnet ungeruehrt des Phaenomens den Mund zur Antwort und guckt dann ploetzlich verdutzt, ein wenig als wuerde ihr ploetzlich ein kleines, harmloses aber unerwartetes Tierchen ueber den Ruecken krabbeln. Dann fasst sie sich wieder und spricht:
    "Hoechst interessant. Gerade wollte ich antworten, dass allgemein die gesamte Welt mit allen Bewohner als Produkt des Traeumenden gilt. Und dann bemerkte ich, dass es seit gerade eben und seit vielen Jahren eine etwas abgeschiedene Insel namens Periviluhin gibt auf der die Sekte der Areviluhei lebt. Sie halten alle Nicht-Mitglieder - beziehungsweise alle Leute, die nicht als Neugeborene einem komplexen Ritual der Durchtrennung der 'Geistigen Nabelschnur' unterzogen werden - fuer das, was andernorts 'philosophische Zombies' genannt wird. Und dementsprechend haben Auswaertige dort keinerlei Rechte, koennen straffrei getoetet oder verletzt werden - und werden von den Bewohnern als gruselig und feindlich betrachtet. Dass das enorm praktisch fuer den Machterhalt ihres Anfuehrers ist, brauche ich wohl nicht zu erwaehnen..."


    Dann wendet sie sich Gonrhin zu und legt nachdenklich den Kopf auf die Seite, als sie ueber seine Fragen nachdenkt: "Warum das Traeumende nicht seine Welt veraendert? Nun, vielleicht weil meine Welt ertraeumen aus irgendwelchen Gruenden einfacher ist als seine Existenz zu veraendern? Davon abgesehen zweifle ich derzeit an der Welt-in-der-Welt-in-der-Welt-Hypothese, die dem Ganzen zugrunde liegt. Denn wenn unser Traeumendes in einer anderen Welt lebt, wird dann diese Welt wieder von einem anderen Traeumer getraeumt? Und in wessen Traum lebt dann dieser? Vielleicht sind es ja tatsaechlich, wie man anderswo sagt, Elefanten - oder Traeumende - bis ganz nach unten... Oder auch traeumende Elefanten.


    Aber vielleicht ist auch unser Traum, unsere Welt, die einzige Ausdrucksform der Existenz des Traeumenden und es hat gar keine 'eigene Welt', wie du es nennst.


    Und ueber die Gruende des Traeumenden zu spekulieren ist zwar mitunter unterhaltsam, im Grossen und Ganzen aber eine akademische und oft eine gefaehrliche Angelegenheit - zu viele Menschen projizieren ihre eigenen Vorstellungen auf das Traeumende und schreiben ihm Wuensche zu, die ihrem eigenen Vorteil dienen. Daher ist eine wichtige Faehigkeit, die es auf dem Weg zum Beshu zu erlernen gilt, diese Zuschreibungen von allen Seiten zu betrachten und zu enttarnen - damit man den Traum um sich herum spueren kann, und nicht nur die Waende des eigenen Geistes oder den Kaefig des Dogmas."


    Sie macht eine kurze Pause und scheint konzentriert eine Antwort formulieren zu wollen. Dann zuckt sie seufzend die Schultern und sagt:
    "Was die Wahrnehmung anderer Beshu und Awar (ich gehe davon aus, dass du diese meinst) oder ueberhaupt des Traums angeht - die ist sehr schwer zu beschreiben. Ich koennte mit einem Blinden stundenlang ueber Farbe diskutieren, aber ich fuerchte, der Kern der Sache bliebe ihm verschlossen.
    Drum belasse ich es bei einer einfachen Umschreibung: man kann andere Beshu wahrnehmen durch die oft subtile Wechselwirkung mit ihrer Umgebung - so wie wenn man einen Fels unter Wasser nicht direkt sehen kann, ihn aber durch die veraenderten Wellenbewegungen um ihn herum bemerkt. Und je mehr Erfahrung man damit hat, desto genauer kann man Lage und Groesse und sonstige Eigenschaften abschaetzen. Und oft kann man einem Laien gar nicht so genau erklaeren, woher man es weiss - weil diese Faehigkeit eben aus Erfahrungen gelernt werden muss.


    Angst, von anderen Beshu bemerkt zu werden, habe ich im Allgemeinen nicht. Genausowenig, wie ich normalerweise Angst habe, von anderen Menschen bemerkt zu werden. Wahrscheinlich sagt das aber nur etwas ueber meine Persoenlichkeit und Lebenserfahrungen aus. Andere Awar koennten durchaus versuchen, mir das Leben schwer zu machen - und dann bliebe mir vielleicht nur der Rueckzug in meine eigene Globule, in der allein mein Geist die Realitaet bestimmt.
    Das erscheint vielen im ersten Augenblick als sehr reizvoll, ist meiner Erfahrung nach jedoch eine auf die Dauer sehr langweilige Angelegenheit. Die allermeisten Menschen wollen und suchen die Verbindung zu anderen Menschen und somit zum - ich tituliere es mal als 'Grossen Traum' - und ich bin da keine Ausnahme."


    Nun breitet sich ein verschmitztes Grinsen auf ihrem Gesicht aus:
    "Was das hervorbringen neuer Traeumer angeht: die einfachste Moeglichkeit dazu macht - idealerweise - einige Minuten viel Spass, zumindest der Frau neun Monate Scherereien, ist dann jahre- bis jahrzehntelang recht anstrengend aber wie ich hoere auch sehr beglueckend. Man kann einigen Einfluss auf den Geist des neuen Traeumers nehmen, letztlich ist er aber eigenstaendig und wird einen immer wieder ueberraschen. Das eine haengt notwendigerweise mit dem anderen zusammen.


    Wie du bemerkst ist das die einfachste Moeglichkeit - und die ist schon anstrengend. Deshalb ist den Meisten alles Andere viel zu aufwaendig. Ich fuer meinen Teil kenne mich damit nicht wirklich aus."


    Nun wendt sich Marun-Si wieder Annawyl zu:
    "Ich bin nicht sicher worauf deine Frage abzielt, ob ein Awar 'wach' sein muss oder 'in Traeumen versinken', um zu 'wirken' - beziehungsweise ob sie aus unserer Sicht ueberhaupt gross Sinn macht. Was vor allem daran liegt, dass mir nicht ganz klar ist, was du als 'wach' bezeichnest.


    Die Veraenderung des Traums kann beabsichtigt oder unbeabsichtigt erfolgen und auch fuer ersteres ist es egal, ob man im Bett liegt oder auf der Strasse steht. Ist das Antwort genug?


    Was deine Annahme angeht: Oft ist es so, und doch laesst sich das Wesen des Traums - oder wie du es nennst: der Realitaat - nicht in simplen Saetzen ergruenden. Mitunter kann man ihn biegen und mitunter schnellt er zurueck wie ein umgebogener Baum. Letzteres besonders dann, wenn man Dinge zu 'wissen' meint, die gerade nicht zum Traum passen. So kann man eine Sekte gruenden, der man erklaert, dass jedes Mitglied fliegen kann, wenn es von der Heiligen Klippe springt. Ob man damit nahe genug an der Realitaet liegt, erfaehrt man dann, wenn man in der Luft ist."

    Roald Dahl, Revolting Rhymes, Little Red Riding Hood and the Wolf:
    The small girl smiles. One eyelid flickers. / She whips a pistol from her knickers. / She aims it at the creature's head / And bang bang bang, she shoots him dead.
    A few weeks later, in the wood, / I came across Miss Riding Hood. / But what a change! No cloak of red, / No silly hood upon her head.
    She said, "Hello, and do please note / My lovely furry wolfskin coat."

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