Rillis Speedbastel-Sammelthread

  • @Lyrillies : Bist du dir sicher, dass nicht doch irgendwelche Erlebnisse in überfüllten Zügen oder besonders langweilige Bahnreisen eine Inspiration waren? :)

    "Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen."
    - Douglas Adams, "Das Restaurant am Ende des Universums"

  • :D Ja leider ist das tatsächlich so. Die überfüllten Züge oder langweiligen Bahnreisen wären eine schönere Inspiration, aber ich habe 40 von den 60 Minuten über abstruse Sportarten nachgedacht und verschiedene Konzepte, was man irgendwie realistisch in fahrenden Zügen spielen könnte, verworfen.

  • Achtundneunzigstes Speedbasteln am 2. Oktober 2019


    Thema: Pech


    Welt: Linie U29/U5


    Inspiration: 50°39′1″ N, 7°6′31″ E - 1996




    Die Station Pech, W.



    Weit am östlichen Rand der Linie U29/U5 liegt dort, wo die Linie einen scharfen Knick nach Süden macht, eine kleine Haltestelle. Diese Haltestelle hat einen ganz besonderen Namen: Sie heißt "Pech, W." - die Besonderheit dieses Namens liegt aber nicht nur in der Bedeutung des deutschen Wortes Pech, sondern auch darin, dass der Name dieser Station jedem Lebewesen, dass dort ein- oder aussteigt (oder aus dem Fenster der Bahn heraus drauf guckt) automatisch in seiner Sprache angezeigt wird. Die Bedeutung ist dabei stets die gleiche, egal welches Wort die entsprechende Sprache dafür hat: Pech.
    An Pech, W. ist allerdings bei weitem nicht nur der Name etwas Besonderes, denn hier ist der Name Programm: Pech ist eine Station, wie sie nur aus kindlichen Alpträumen erwachsen kann. Die ganze Station befindet sich im Untergrund und ist umgeben von schlammigen Tunnelwänden, die sich hoch über den Dächern der Häuser zu einer ebenso dunklen Decke wölben, die stets den Eindruck erweckt im nächsten Moment einzustürzen. Die daran hängenden Neonleuchten sorgen für unveränderliches Zwielicht. Die an dieser Station vorhandenen Häuser wurden lieblos zusammengewürfelt und drängen sich scheinbar willkürlich aneinander. Dazwischen führen kreuz und quer die Schienen der Züge hindurch. An den Seitenrändern dieser Schienen gibt es Bürgersteige, kaum breit genug für die Kinder, die in Pech das Gewicht der ganzen Welt in ihren Schulränzen mit sich tragen. An einigen viel zu seltenen Stellen führen auch hohe, gebogene Brücken über die breiteste, den Ort zweiteilende Schiene. Diese Brücken sind genauso schmal wie die Bürgersteige und haben keine Geländer.
    Die Häuser sind alle in einem schmutzigen Weiß gestrichen, das vom Ruß der Züge längst Grau geworden ist. Zum Schutz gegen den Dreck (so sagen es die Erwachsenen) haben zudem viele der Gebäude einen dunkelbraunen Streifen in Bodennähe, ungefähr so hoch wie ein sechsjähriges Schulkind. Die Fenster sind meist mit Vorhängen oder Rolläden verschlossen.
    Neben den Kindern gibt es in Pech auch Erwachsene - sie sind groß und eilig und haben keine Gesichter. Auf der südlichen Seite der Hauptschiene gibt es ein Loch, in das manchmal jemand hinwein fällt. Dann stehen die Erwachsenen oft darum herum und starren gesichtlos auf die Person im Loch. Sie helfen nicht.
    Es führt kein Weg aus Pech heraus, außer der Bahn.

  • die Besonderheit dieses Namens liegt aber nicht nur in der Bedeutung des deutschen Wortes Pech, sondern auch darin, dass der Name dieser Station jedem Lebewesen, dass dort ein- oder aussteigt (oder aus dem Fenster der Bahn heraus drauf guckt) automatisch in seiner Sprache angezeigt wird.

    Jetzt fände ich es interessant, wenn eine Person da durchkommt, in deren Muttersprache das Konzept von Glück oder Pech schlicht nicht existiert... und dann auf der Anzeigetafel ein langer Satz mit einer umständlichen Erklärung, die kaum verständlich ist.^^


    Creepy Station. Gerade die viel zu schmalen geländerlosen Steige... kenn ich auch aus Träumen, mit Treppenhäusern. Und ich hab tatsächlich mittlerweile manchmal in der U-Bahn Angst, auf die Schienen zu kippen, einfach weil mein Gleichgewichtssinn immer schon mies war, und wenn ich müde bin...

  • Neunundneunzigstes Speedbasteln am 16. Oktober 2019


    Thema: Krankenhäuser
    Welt: Linie U29/U5
    Inspiration: Thema + Welt = ??? ... :idee:




    Ergebnisse der Fahrgastumfrage von Anno Dazumals


    Die Bahnen der Linie U29/U5 waren nicht immer so pünktlich, wie sie es heutzutage sind. Vor ziemlich langer Zeit (wie lange genau kann in den Archiven der Administration eingesehen werden, natürlich nur nachdem alle notwendigen Formulare und Anträge ausgefüllt wurden!) war die Situation sogar ziemlich unangenehm. Ständig fielen Züge aus oder verspäteten sich, die Strecken waren gesperrt, und und und. Ein signifikanter Faktor, der zu diesen Unannehmlichkeiten führte, waren Fahrgastunfälle: Mal blieb jemand in der Tür stecken, mal rutschte jemand aus, mal bekam jemand ein Kind, mal hatten Fahrgäste einfach besonders unsinnige Ideen, und ab und zu führten auch beliebte Sportarten wie Rikki Tikk zu Unfällen - was besonders ärgerlich war, denn eine Unterbrechung der Spiele aufgrund von medizinischen Notfällen hatte oft erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf!
    Zu damaligen Zeiten gab es an jeder Station einen oder mehrere umfassend ausgebildete Ersthelfer, der allerdings nur dann nützlich waren, wenn ein Unfall direkt an einer Station passierte. Was nicht oft vorkam. Aus diesen und einer ganzen Menge anderen Gründen wuchs die Unpünktlichkeit auf ein unerträgliches Maß, und die Administration sah sich gezwungen, zu reagieren. Also startete die Administration eine sehr ausführliche Fahrgastbefragung, deren Fragebögen aus mehreren dutzend Seiten bestanden. Die grundlegende Frage kann jedoch im Nachhinein auf folgenden Satz reduziert werden: "Wollt ihr lieber pünktliche Züge, oder vernünftige medizinische Versorgung?"


    Die Antwort der Fahrgäste fiel eindeutig aus.


    Seitdem gibt es an den Stationen der Linie keine Ersthelfer mehr, dafür aber in jedem Waggon der Züge der Linie U29/U5 einen Erste-Hilfe-Kasten. Dieser Erste-Hilfe-Kasten ist für jeden Fahrgast zugänglich und mit einfachen Bedienungsanleitungen für die darin enthaltenen Materialien versehen, damit jede Person im Notfall helfen kann, egal ob medizinisch geschult oder nicht. In dem Erste-Hilfe-Kasten sind außerdem eine ganze Reihe von Dingen enthalten, die wir aus solchen Kästen üblicherweise nicht kennen. Unter anderem eine Knochensäge (für Fahrgäste, die teilweise in der Tür stecken bleiben), eine Geburtszange (für, naja, offensichtliche Fälle), eine Zwangsjacke (diverse Anwendungsmöglichkeiten), ein stufenverstellbarer Zahnbohrer (kinderleicht in der Anwendung!), Stöpsel in verschiedenen Größen (für unerwünschte Veräußerungen, egal wo), und natürlich den aufgrund von strengsten Hygienestandards vorgeschriebenen Druckwasserreiniger mit beigemischtem Desinfektionsmittel. Man muss sich ja an die Vorschriften halten.
    Ob die Pünktlichkeit der Bahnen mit Anwendung dieser Maßnahme gestiegen ist, sei dahingestellt - aber die Leute haben zumindest das Gefühl, etwas gegen die Verspätungen tun zu können.

  • Hundertstes Speedbasteln am 18. Oktober 2019


    Thema: Pflanzen im Trockenen
    Welt: Linie U29/U5
    Inspiration: Ich: *murmelt drei Minuten lang 'Pflanzen im Trockenen!' vor sich hin* - Platy: *kichert weil ich wie eine hängende Platte klinge* - Ich: "Pflaaaanzen im Trock-en-en!" Platy: "Plants in the Dry!" *kichert noch mehr* - Ich: Oooooh!



    Zugnummer 3
    Auf der Linie U29/U5 fahren sehr, sehr viele Züge/Bahnen. Manche sind schon sehr alt, manche nagelneu, manche irgendwo dazwischen. Einige sind für Rikki Tikk optimiert, andere für verschiedenste Konzerte, und ein paar sind sogar auf die Bedürfnisse von Fahrgästen ausgerichtet! Natürlich hat jeder einzelne Waggon eine Wagennummer, und jede einzelne Bahn eine Seriennummer um sie voneinander zu unterscheiden. Dies ist in vielerlei Hinsicht wichtig, zum Beispiel für die Roll-in Roll-out Konzerte, die nur in Bahnen mit bestimmten Nummern stattfinden, aber auch für Reparaturen und andere Dinge.
    Die älteste noch fahrende Bahn der Linie U29/U5 hat die Nummer V9-24-LB77-3. Abgekürzt ist diese Bahn bekannt unter der "Zugnummer 3", und bekannt ist sie deshalb, weil sie sich signifikant von allen anderen Bahnen auf der Linie unterscheidet: In der Zugnummer 3 wachsen Pflanzen. Und zwar viele Pflanzen. Wenn man die Bahn betritt, hat man das Gefühl plötzlich in einem Urwald zu stehen: Hinter den Türen wird man von einem Vorhang aus Efeu empfangen, auf dem Boden und den Sitzflächen wächst dichtes Moos. Haltestangen und -griffe sind von oben herab hängende Lianen, die Decke eine Landschaft aus Gräsern, Moos, Sukkulenten, und Farnen.
    Der Grund, warum in Zugnummer 3 so viele Pflanzen wachsen, war usprünglich ein ganz pragmatischer: Die Luftqualität in den alten Bahnen war so miserabel, dass die damalige Administration etwas dagegen unternehmen musste, und ein paar simple Toppflanzen schienen der billigste Weg zu sein. Das half allerdings nur bedingt, und es wurden andere lösungen gefunden. Die Pflanzen hingegen wurden umfunktioniert: Die Administration der zweiten Ära der Zugnummer 3 befand, das allgemeine Stresslevel beim Bahnfahren sei zu hoch, und man müsse Ausgleichsmöglichkeiten schaffen. Also nahmen sie die Topfpflanzen, etwas Erde und noch mehr Pflanzen, und schufen einen Freizeitpark in der Zugnummer 3. Eine Weile lang war dieser auch recht beliebt, wurde jedoch nicht ausreichend gepflegt und über die Jahre daher etwas schmuddelig und dreckig. Eine noch spätere Administration entschied schließlich, diesen Schandfleck könne man so nicht akzeptieren, und machte daraus ein kostenpflichtiges Museum für seltene Flora. Diese Idee hatte keinerlei Erfolg, die Leute nahmen lieber die nächste Bahn statt für die halbtoten Pfänzchen in der Zugnummer 3 auch noch extra zu bezahlen. So fuhr die Zugnummer 3 eine ganze Weile lang durch die Gegend und wurde immer wieder umfunktioniert und neu erfunden - die Pflanzen aber blieben.
    Die aktuelle Administration hatte ihre ganz eigene Idee, was man mit diesem Kuriosum tun könnte und vermarktet die Zugnummer 3 derzeit als modernste Technologie zur Reinigung von Flüssigkeiten, was heißt: insbesondere von Fahrgastschweiß. Viele Menschen auf engem Raum schwitzen auch viel, was meist unangenehme Gerüche und eine hohe Luftfeuchtigkeit mit sich bringt. Die Pflanzen in der Z3 wurden genetisch leicht angepasst und nehmen die Feuchtigkeit auf, filtern alle unerwünschten Stoffe heraus und produzieren so reinstes Trinkwasser. Zumindest lautet so die Aussage der Administration. Man kann dieses Wasser sogar kaufen, es wird an ausgewählten Stationen entlang der Linie zu einem den herstellungskosten angemessenen Preis verkauft. Die Administration ist sehr stolz darauf.
    Tatsächlich hat diese Maßnahme den Effekt, den eine viel frühere Administration angestrebt hat, und die Luft ist in der Zugnummer 3 nun deutlich angenehmer als in den meisten anderen Zügen. Allerdings ist die Z3 dafür deutlich unbequemer, und meist ist die Kleidung nach eienr Fahrt mit der Zugnummer 3 doch recht schmutzig. So bleibt alles beim alten.

  • Hundertviertes Speedbasteln am 18. März 2020


    Thema: Linde am Thurm
    Welt: Linie U29/U5
    Inspiration: Die Wörter sind in ihrer Bedeutung zu stark vorbelastet, davon muss ich mich befreien, also mache ich "Der Linde" und "Das Thurm" daraus.



    Was ist ein Linde?
    Selbst die Züge der Linie U29/U5 müssen von Zeit zu Zeit gewartet, gesäubert, oder auch einfach für die Nacht* abgestellt werden. Das passiert zugegebenermaßen nicht allzu oft und wenn, dann natürlich nicht an den normalen Haltestellen (wer weiß, was die Fahrgäste dann mit dem Zug anstellen würden?!), sondern in bestimmten, eigens dafür eingerichteten Streckenabschnitten. Diese werden als Linde bezeichnet. Ein Linde zeichnet sich üblicherweise dadurch aus, dass von einem normalen Streckenabschnitt abgehend plötzlich ganz viele parallele Gleise auslaufen um möglichst viele Züge dort abstellen und parken zu können. Das Ganze sieht aus der Vogelperspektive ungefähr aus wie eine Menora.
    Insgesamt gibt es auf der Linie U29/U5 nur recht wenige Linden, was natürlich daran liegt, dass die Züge möglichst selten stillstehen oder ausgetauscht werden sollen. Das lohnt sich ja sonst finanziell nicht. Um also unerwünschten Stillstand der Züge zu verhindern, baut man einfach weniger Linden.


    Was ist das Thurm?
    Das Thurm ist die Bezeichnung sowohl für ein Event, als auch für den mit diesem Event untrennbar verknüpften Streckenabschnitt. Aber zunächst mal zum Event: Der Anlass, der zur jährlichen Begehung dieses Events geführt hat, ist eigentlich ein dramatischer und trauriger: Viele, viele Administrationen vor der jetzigen ist im Berliner Streckenabschnitt der Linie U29/U5 mal ein Zug entgleist. Es war die insgesamt zwölfte Zugentgleisung der Geschichte der Linie, inzwischen ist man bei 62 angelangt. Dazu muss man wissen, dass der Berliner Streckenabschnitt auf hohen Bögen gebaut ist - wenn dort ein Zug entgleist fällt er seitlich an den Schienen weit, weit hinunter ins Ungewisse. Die damalige Administration sprach deswegen auch stets von "vermissten" Passagieren und weigerte sich, den Fall genauer zu untersuchen oder den Angehörigen "Schadensersatz" (bzw. Schmerzensgeld) zu zahlen. Das führte natürlich zu heftigem Unmut, den die Administration damals zunächst mit einem jährlichen Gedenktag an das Unglück zu besänftigen versuchte. Dieser Gedenktag wurde als "Das Thurm" bekannt.
    Unabhängig vom Ausgang des Streits blieb dieser Jahresgedenktag bestehen. Allerdings waren irgendwann alle Angehörigen verstorben, die Geschichte geriet zunehmend in Vergessenheit und den Fahrgästen wurde die bis dahin breits als traditionell angesehene Veranstaltung zu langweilig. So nahm die Geschichte ihren Lauf, dass aus einem ursprünglich tragischen Gedenktag irgendwann eine groß angelegte Spaßveranstaltung wurde. Diese Spaßveranstaltung wiederum wurde immer beliebter, die Teilnehmer forderten immer mehr Aktionen, Aktivitäten, und Abenteuer, und die Administration kam zunehmend in Zugzwang und hatte ihre liebe Not, dem nie endenen Hunger nach Action der Fahrgäste nachzukommen.
    Es begab sich allerdings, dass vor gar nicht so furchtbar langer Zeit eine reisende Person, die nicht nativ von der Linie U29/U5 stammte, an der Festlichkeit des Thurm teilnahm und absolut begeistert war. Wie aber so viele andere, hatte diese Person auch das Gefühl, dem Event fehle noch der letzte Kick. Die Person recherchierte also ein wenig zu den Ursprüngen der Festlichkeit, verstand aber leider die Hintergrüne falsch... Heraus kam, dass dies Person der Linie U29/U5 ein sehr großzügiges Geschenk machte, nämlich einen eigens für das Thurm gebauten Streckenabschnitt! Dieser Streckenabschnitt, heutzutage selbst als Thurm bekannt, zeichnet sich dadurch aus, dass die Gleise auf hohen Steinbögen gebaut sind und wechselweise seeeehr hoch in die Höhe führen, nur um dann sturzartig in die Tiefe zu führen. Manche würden es als Achterbahn bezeichnen. Das wäre auch gar nicht falsch, denn es gibt sogar einen Looping. Auch über die Zahl zwölf stolperte der*die Gönner*in wohl, denn von nun an wurden immer zwölf Züge der Linie aneinander gehangen und fuhren in einer langen Schlange die aufregende Thurm-Strecke ab.


    Der Linde am Thurm
    Auch eine so rasante, ereignisreiche und aufregende Strecke muss natürlich irgendwann ihr Ende finden. Um Platz zu sparen und die Züge möglichst schonend aber schnell zu entschleunigen, wurde am Ende des Thurms also ein Linde angebaut. Aber dem Fest angemessen musste dies natürlich ein besonderer Linde sein! So wurden raffiniert konzertierte Weichen eingebaut, die die neun Zugteile in Sekundenbruchteilen voneinander trennen und auf die einzelnen vom Hauptgleis abgehenden Gleise führen sollen. Diese Gleis-Verzweigungen verlaufen -untypisch für ein Linde- auch nicht parallel, sondern fächern in komplexen, organisch wirkenden Strukturen vom Hauptgleis auf, sodass der Eindruck einer sich öffnenden Blüte (oder der eines verästelten Baumes) entsteht.




    *Nacht bedeutet in diesem Fall schlicht und ergreifend das zeitliche Ende des von diesem spezifischen Zug befahrenen Streckenabschnitts.

  • Hundertundneuntes Speedbasteln am Pfingstmontag, 06.06.2022

    Das Thema: Naturdenkmäler


    Welt: Weltenlinie U29/U5


    Inspiration: Spaziergänge mit unserem Hund, anno dazumals


    Die alte Kastanie

    Irgendwo relativ weit im Westen der Linie gibt es einen Streckenabschnitt, der ziemlich langweilig wirkt. Jedenfalls ist da immer sehr wenig los, die Stationen sind klein, kaum jmand steigt ein oder aus, und gefühlt zieht sich dieser Abschnitt immer ein bisschen zu lang. Auf diesem Abschnitt gibt es eine kleine Station namens Karottenhausen Looping. Die Station selbst ist äußerst unspannend: es handelt sich um eine kleine Schlaufe in den Schienen, eben wie ein seitlich liegender Looping - daher natürlich auch der Name. In der Mitte des Loopings steht ein abgeranztes, mit Graffiti beschmiertes Wartehäuschen. Die Schienen sind umrandet von ein bisschen Gestrüpp mitsamt dem obligatorisch darin verstreuten Müll und einer kleinen Einfassung aus Beton. Die Schienen liegen auf einem kleinen Hügel und damit ein paar Zentimeter höher als das flache Umland. Weil dort nie jemand ein- oder austeigt ist der Weg, der theoretisch vom Looping zu der einige Meter entfernt liegenden Siedlung führt, fast vollständig überwuchert und man muss sich durch das Gestrüpp kämpfen, um die Station überhaupt verlassen zu können. Auch ist der Weg nicht geteert, er sieht eher aus wie ein Trampelpfad, der von der gelangweilten Dorfjugend, Alkoholikern und Überschneidungen dieser beiden Gruppen genutzt wird. Die Siedlung sieht auf die Ferne so aus als bestünde sie aus recht frisch gebauten Kataloghäusern ohne jeglichen Charakter.

    Von diesem Trampelpfad führt ein noch viel schlechter sichtbarer Trampelpfad ab, der links an der Siedlung vorbei ins Niemandsland führt. Folgt man diesem Pfad (was niemand jemals tut) kommt man zunächst durch einen ungesunden, im besten Sinne langweiligen Nadelwald, und landet anschließend in einer nicht mehr genutzten Sandgrube. Klettert man hier die steilen Hänge hinauf und folgt dem fast unsichtbaren Pfad weiter, führt er einen durch einen nun hübschen und sehr kleinen Laubwald mit einer einzelnen Lichtung, auf der ein verschlossener, bunter Wohnwagen steht. Davor summen Bienenstöcke. Weiter geht's durch den Wald und zuletzt stößt man nun endlich auf einen kleinen Bach. Hier endet der Pfad. Entlang des Baches verläuft aber ein geteerter, recht gepflegter Weg. Theoretisch kann man diesen zwar in beide Richtungen entlang gehen, eine starke Intuition wird jeden dort landenden Wanderer (also niemanden), aber nach links ziehen. Der Weg ist recht unspektakulär, aber hübsch und vermittelt eine gewisse entspannte Gemütlichkeit. Dem Weg kann man nun eine ganze Weile lang folgen. Nach vermutlich etwa einer Stunde oder zwei (so genau ist das nicht nachvollziehbar) erreicht man in dieser platten, von Feldern und dem Bach begrenzten, Umgebung einen sehr großen, knorrigen Baum: die alte Kastanie. Die alte Kastanie ist sehr offensichtlich DIE alte Kastanie, die ALTE Kastanie und die alte KASTANIE. Dieser Baum ist ein absolut eindeutiger Orientierungspunkt in der Umgebung. Unter der alten Kastanie steht eine Bank, einfach nur eine Holzbank mit leicht abgesplitterter Farbe.

    Sollte irgendjemand es jemals von der Linie bis dorthin schaffen, wird die Person sich dort sicher für ein Weilchen ausruhen. Nach einer Weile werden in beiden Richtungen einige wenige Personen erkennbar: Manche fahren Fahrrad am Bach entlang, manche gehen spazieren, andere sind mit ihren Haustieren unterwegs. Passieren sie die Person bei der alten Kastanie, grüßen sie freundlich und gehen ihres Weges - und unbemerkt von dem einstigen Fahrgast der Linie U29/U5 verändert sich langam die Umgebung. Die Felder werden kultiviert, es gibt Kuhweiden, hier und da stehen einzelne Bauernhöfe herum. In der Ferne nach rechts hinweg verändert sich Karottenhausen: die Siedlung verschwindet, stattdessen sehen näher am Bach nun krumme Fachwerkhäuser um einen Dorfplatz herum. Nach links hinweg sieht man in der Ferne eine kleine Brücke und die nächste Ansammlung von Häuschen. In dem gleichen Maße, wie sich die Umgebung verändert, vergisst die Person an der alten Kastanie die Linie U29/U5, bis sie sich an kein Leben und keine Welt außerhalb von Karottenhausen und der Umgebung der alten Kastanie mehr erinnert. Diese Persn wird niemals auf die Linie zurückkehren.

  • Boah, ich mag die Beschreibung des Weges so sehr. Dadurch, dass alles irgendwie halbvertraut langweilig und leicht verfallen ist, hab ich es richtig bildlich vor Augen, als wäre ich selbst gerade dort entlanggegangen.


    Ich will jetzt auch sowas basteln.^^

  • #119 Wochen-Speedbasteln, 19.04.2024 - 28.04.2024

    Das Thema: Gesetz // Chaos, gedankenlose, Honig, Nudelsuppe, Spirale, Winden


    Welt: Weltenlinie U29/U5


    Inspiration: "Die offensichtliche Idee ist langweilig, ich brauch was besseres!"



    Exakt auf der Mitte der Linie U29/U5 liegt eine kleine Wartungsplattform neben den Schienen. Es gibt keine Haltestelle und auch sonst nichts in der Gegend. Die Wartungsplattform ist ca. 70cm breit und 1,20m lang und hat ein dünnes Gitter zur Begrenzung an zwei Seiten. An der dritten, der langen Seite, ist die Plattform zu den Zügen hin offen, so dass man theoretisch aus der Bahn dorthin aussteigen kann. Auf der vierten, der kurzen Seite geht eine Treppe hinab. Zunächst sieht man diese Treppe kaum, denn es ist eine sehr steile, völlig schmucklose Wendeltreppe, deren kalte Metallstufen sich spiralförmig unter der Plattform nach unten winden. Vor der Treppe hängt eine Metallkette mit einem Schild: "Zutritt verboten".

    Dieser Teil der Strecke verläuft unterirdisch und unbeleuchtet, nach oben, unten, links und rechts sieht man nur Dunkelheit. Nicht mal die Wände kann man erkennen. Überhaupt sieht man nur deswegen etwas, weil eine winzige, schwache Neonröhre an der Plattform befestigt ist - sonst würde man auch die nicht sehen. Die Natur der Wartungsplattform und die Umgebung sagen sehr deutlich aus, dass dies ein selten genutzter, zweckmäßiger Ort für Angestellte der Bahn oder der Administration ist, und dass Fahrgäste dort nichts verloren haben. Da die Bahn dort nicht anhält, steigt auch nie jemand aus.

    Wie es aber so ist, gibt es eben doch Individuen, auf die ein solcher Ort irgendeine Faszination ausübt. In unregelmäßigen und üblicherweise recht weit auseinanderliegenden Zeiträumen kommt es vor, dass jemand neugierig wird. Was ist das für eine Plattform? Warum steht sie dort im Nichts? Wofür ist sie da? Und wohin führt die Wendeltreppe? Manchmal staut sich die Faszination an, die fragenden Gedanken werden mit jeder Fahrt lauter, der Sog der Treppe stärker. Manchmal ist es aber auch ein unerwarteter Schlag, wie ein Blitz, ein lauter Ruf: WOHIN FÜHRT DIESE TREPPE? In diesen Fällen kommt es vor, dass Fahrgäste versuchen, auf die Plattform zu gelangen. Ziehen sie die Notbremse, werden sie keinen Erfolg haben. Andere Fahrgäste mit klarem Verstand werden sie vom Verlassen der Bahn abhalten, Sicherheitspersonal wird dazwischen gehen, oder die Türen werden einfach blockiert. Einige wenige aber schaffen es tatsächlich. Sie schleichen sich aufs Dach der Züge oder erwischen einen der wenigen Wagons mit Fenstern, die sich öffnen lassen und aus denen sie herausspringen können. Meist sind es Leute, von denen man so etwas nicht erwarten würde - gepflegte Menschen mittleren Alters, die einen gesetzten und vernünftigen Eindruck machen. Leute, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Es sind jedoch nie mehrere Personen gleichzeitig, jede wagt den Sprung allein.

    Hat man es auf die Plattform geschafft, steht man nun vor dem Schild mit der Aufschrift "Zutritt verboten". Dieses Schild ist an sich nichts besonderes - einfach ein leicht verbogenes, offensichtlich recht altes Metallschild - aber die Aussage ist eindeutig. Es braucht keine langen Paragraphen oder Erklärungen für dieses Schild. Das Schild ist Gesetz. Wer es auf die Plattform geschafft hat, hat das Gesetz bereits hinter sich gelassen und lässt daher nach einem leichtem Schaudern und dem Gefühl, dass es kein Zurück mehr gibt, auch das Schild hinter sich.

    Die Wendeltreppe verändert sich nicht, wenn man einmal den Fuß auf die erste Stufe gesetzt hat. Sie bleibt kalt, metallisch, zweckmäßig. Sie trägt einen hinunter ins Dunkle, immer weiter hinab, ohne selbst mehr zu sein als ein Mittel zum Zweck. Stufe um Stufe geht man weiter hinab, bis die Schienen irgendwann zunächst aus dem Sichtfeld verschwinden, dann aus den Gedanken und schließlich aus der Erinnerung. Niemand hat je das Ende erreicht.

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