Chroniken, Geschichtsschreibung

  • Holla mal wieder....


    jetzt habe ich meine Tharon-Blätter und Dateien nach deren Herbstschlaf wieder herausgekramt und möchte nun endlich die Geschichte schreiben, und zwar aus den Augen und vom Wissensstand einer bestimmten Region aus. Ich habe mir überlegt, wer alles schreiben kann, seit wann schriftlich überliefert wird, also wer seit wann "Geschichte schreibt". Dies sind bei mir die staatlichen Chroniker, die Mönche und die wenigen aus der meist ungebildeten Bevölkerung, die die mündlich überlieferten Mythen, Mären und sonstiges niederschreiben.


    Der einzige, der nicht schreiben kann, bin jedoch ich!!!!!!!!!!!!!!!
    Ich überlege mir gerade krampfhaft, nach welchem Schema ich vorgehen soll.

    Schema 1 wäre, alle kleinen Zeitabschnitte (z.B. Jahrhunderte) der Geschichte einzeln der Reihe nach abzuarbeiten (mit allen Folgen, Risiken und Nebenwirkungen) und so aufbauend und in der reellen Reihenfolge "Geschichte zu schreiben".
    Problem: Spontane Ideen, die nicht direkt auf die letzten Geschehnisse passen, können kaum eingearbeitet werden; der Prozess ist außerdem sehr langwierig und kann schon bald trocken und zwanghaft werden. Allerdings ist dieses Schema wohl auch das, das zu den realistischsten Ergebnissen führt.... hm.


    Schema 2 wäre, die Geschichte rückwärts zu schreiben, also vom heutigen Stand der Dinge auszugehen und jeweils die Ursachen und so weiter abzuklappern.
    Problem: Ziemlich umständliche Technik, vermutlich auch unrealistische Wirkung.


    Schema 3 wäre dann noch, alle paar Tage eine neue Idee an irgendeiner Stelle in der Geschichte einzuwerfen und deren Folgen abzuarbeiten.
    Problem: Man kann leicht durcheinandergeraten, muss also alle nachfolgenden Ereignisse überprüfen und eventuell den neuen Begebenheiten nach aktualisieren
    oder ganz wegstreichen.


    Schema 4: Schemen 1-3 aber mit Zufallsgenerator und Ereignistabellen. Ist einfacher, wirkt am Ende aber sehr unkreativ, monoton und einfach nur unrealistisch.


    Schema 5: Ich spiele irgendeine Version von Civilization
    und übertrage die Ereignisse in meine Welt.
    Problem: Die Hintergründe und Gegebenheiten sind ganz andere und können eigentlich nicht übertragen werden, ohne dass es langweilig und unkreativ klingt. Ist ja auch unkreativ.


    Also.
    Was sind Eure Erfahrungen bezüglich der Geschichtsschreibung? Habt Ihr mit einem meiner aufgelisteten Schemen schon gute, bzw schlechte Erfahrungen gemacht? Zu was könnt Ihr mir evtl. raten, zu was nicht?


    Weiterhin frohes Weltenschaffen.

  • Könntest du nicht ein lockeres Raster aufbauen?

    Also, dir einige bestimmte wichtige Eckpunkte überlegen, die auf jeden Fall chronologisch nacheinander kommen.
    Und zwischendrin kannst du dann nach Lust und Laune füllen. Wieviel Zeit dazwischen vergeht, mußt du ja nicht von Anfang an festlegen.


    Damit bleibt deiner Kreativität genügend Spielraum, und du weißt doch ungefähr, woran du dich halten mußt, damit Ereignis XY stattfinden kann. Außerdem macht es Spaß, daran zu kniffeln, was alles passieren muß, damit es stattfinden kann!


    Und wenn du mal grad an einer Stelle nicht weiterkommst, läßt du es in deinem Kopf vor sich hin gären und schaffst zuerst an einer anderen Stelle weiter. Das hat bei mir gut geklappt, weil nach einer Weile alles irgendwie zu einem Ganzen zusammenwächst.


    Der Schlüssel zu allem sind natürlich deine Völker. Du mußt versuchen, herauszufinden, warum sie handeln, wie sie handeln. Und der Schlüssel dazu liegt in den Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit gemacht haben.
    Es ist wie ein Puzzlespiel :)

  • Ich komme aus dem RPG-Lager. Und ich stehe dazu. 8) Meine Welt hat den Sinn zu erfüllen, dass man auf ihr gut rollenspielen kann. Und deshalb habe ich - wie vermutlich fast alle hier - mit den Gegebenheiten der dortigen Gegenwart angefangen, so wie es meinen Wunschvorstellungen entspricht. Nichts Neues soweit.


    Was die Geschichte angeht, so hatte ich auch dort einige Einzelaspekte im Kopf, die ich gerne drinhaben wollte. Ich wollte ein nicht mehr bestehendes Menschenreich auf dem Hauptkontinent, und ebenso ein einstmals mächtiges Elbenreich (damit man heutzutage auch schön uralte Ruinen erkunden kann und so ;D ), die Lebensweise der Zwerge sollte in der Geschichte glaubhaft begründet sein, die aktuellen Landesgrenzen mussten geschichtlich Sinn ergeben und einige Details mehr.


    Mit anderen Worten: Ich habe die Geschichte so gedeichselt, dass dabei genau das herauskam, was ich wollte. Das erforderte stellenweise einige Glättungen, damit bestimmte Geschichtsereignisse nicht gar so krampfhaft "gestellt" wirken, und das bereitet mir hier und da heute noch Kopfzerbrechen.


    Ich bin chronologisch vorgegangen, was sogar ganz gut geklappt hat, und das obwohl ich an manchen Stellen den Geschichtsverlauf nicht "natürlich fließen" ließ, sondern ihn in die Richtung lenkte, die ich brauchte. Man muss da etwas flexibel bleiben und ggf. auch seine Vorstellungen leicht abändern, damit alles plausibel bleibt. Oft kommen einem beim Schreiben der Geschichte auch ganz neue Ideen, und es gibt so hübsche Nebenprodukte wie geschichtlich begründete Sprichwörter und Redensarten, die sich dabei ganz automatisch ergeben - Geschichte schreiben kann Spaß machen! :)

    Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen.
    - Kurt Tucholsky über Rudolf Steiner

  • Hallo zusammen :)


    Ich gehe ziemlich ... äh ... wissenschaftlich vor <fg>


    D.h. mir fällt irgendwas mehr oder weniger Dummes ein, das ich meistens aus der Sicht eines Zeitgenossen niederschreibe. Dann -- *persona wechsel* -- ist es an mir, diese "Quelle" zu interpretieren und in den bestehenden zeitlichen Rahmen einzuordnen.


    Dabei kommt es natürlich zu Widersprüchen. Und?


    Guck dir einfach die Geschichtsschreibung Terras an -- wieviel davon stimmt, wieviel ist zusammen geschustert? Ich meine dabei nicht mal bekloppte Theorien a la Illig oder diese amüsanten Pyramiden-Atlantis-UFO-Heinis ... nee, ich meine ganz normale, knochentrockene, quellenkritische Forschung.


    Das Nette dabei ist: Kann ich ein Ereignis in der niedergeschriebenen Form zu dem Zeitpunkt nun überhaupt nicht mehr brauchen ... tja, dann war das wahlweise eine Fälschung oder der Autor hat im Suff geschrieben oder neue Erkenntisse der Historiographie verlangen eine neue Bewertung dieser oder jener Quelle.


    cya :)
    Martin "vi"

    "There are two major products that came out of Berkeley: LSD and UNIX. We don't believe this to be a coincidence. "
    Jeremy S. Anderson

  • Ich stimme Sturmfaenger 100% zu.
    Ich hab eine Zeitlinie, mit die wichtigste Epochen und Ereignisse.
    Dazu soll noch eine Liste mit Kaiser, Koenige usw. kommen *faul sei*. Dann kannich pro Epoche oder pro Ereigniss eine Seite schreiben. Die kleine Einzelfaellen koennen dann als "Footnote" in die Geschichte reingeschrieben worden.


    Dann haben alle Regionen noch eigene Geschichten, aber das ist nicht so richtig dokumentiert, das scheibe ich einfach da rein, wo es noetig ist; jedoch mit einem Blick auf die Grosse Geschichte im Zeitlinie.

  • "Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat" (Napoleon)



    Also warum nicht ein Ereignis auf etwas begründen, was eigentlich nicht sein kann, weil andere Ereignisse von Zensoren wegretuschiert wurden? (Das wäre die beste Entschuldigung für das Schema Nummer drei, wo es möglicherweise unterschiedliche Quellen gibt. Meiner Meinung nach das Schema, mit dem ich die besten Ergebnisse erzielt habe, auch wenn es ganz schön viel Rumgepfriemel ist.)

  • Man muß klar unterscheiden:


    Die Geschichte, wie die Völker sie wahrnehmen, und so wie sie wirklich passiert ist.


    Ich finde vor allem das letztere wichtig, zumindest am Anfang des Weltenbastelns. Irgendeiner muß ja den Überblick behalten, und das wäre dann unsereiner.
    Bei mir schreibe ich ganz klar hin, was wirklich passiert ist, und dann schreibe ich noch dazu, was Volk A oder B von diesem Ereignis mitgekriegt hat, und was es seither denkt.
    Klar, die andere Methode ist bequemer.
    Und wenn man Aussagen von Augenzeugen und Historikern der eigenen Welt als Mittel benutzt, um einem Homepagebesucher die Geschichte klarzumachen, finde ich es auch OK so.
    Nur darf man nicht den Überblick verlieren.

  • Ich bin auch wie bereits erwähnt vorgegangen:
    Als erstes wurden Eckpfeiler errichtet, dann nach und nach das ganze mit Fleisch gefüllt und nebenbei auf Stimmigkeit geachtet.


    Die inhaltliche Vielfalt ergab sich oft durch Spielererkenntnisse im Rollenspiel oder durch geschichtliche Hintergründe meiner Abenteuer.


    Herausgekommen sind 4 Zeitalter, von denen das Erste kaum beschrieben ist (zu alt) und die Infos erst im Laufe der Zeitleiste zunehmen und sachlicher werden.


    Stress zwischen Elfen und Zwergen ist auch auf NORN gegenwärtig, doch warum das so ist, erfährt man erst, wenn man die Geschichte zeitalterüberspannend betrachtet.


    Ich empfehle Dir wirklich, zuerst die Eckpfeiler zu errichten. Fülle danach die Lücken - aber laß Dir genug Spielraum übrig, damit Du später nicht so eingeengt bist.


    Wichtig ist auch natürlich, wie bereits erwähnt, daß Du beachtest, was die verschiedenen Chronisten wohl als aufschreibwürdig befanden. Ein Mönch würde wirtschaftliche Flauten wahrscheinlich nicht unbedingt katalogisieren, wohl aber den Fund einer Reliquie im Jahre... Außerdem würde er bestimmte Ereignisse von großer Bedeutung (Hungersnot, Krieg) wohl auch als Zeichen seines Gottes interpretieren, was eine geschichtliche Aufzeichnung verwässern könnte.


    Oder mache eine sachliche, chronologische Geschichtsbeschreibung, wie der Leser sie nur kennt, nicht die Bewohner.


    In beiden Fällen würde ich nicht im Jahre 0 oder der Gegenwart beginnen und mich dann chronologisch durchbeissen. Da verheddert man sich leicht und muß später im wahrsten Sinne des Wortes mit den Folgen leben. Suche Dir Eckpfeiler hier und dort und fange an, sie immer mehr auszuarbeiten, mal hier, mal da - die Lücken dazwischen verschwinden so mit der Zeit und passen besser zueinander. %-)

  • So, nochmal vielen Dank für Eure Tipps, ich bin jetzt ganz gut in Fahrt gekommen mit meiner Geschichte und habe es nun so gehalten: Erst habe ich die wichtigsten Ereignisse (vor allem wissenschaftliche Entdeckungen usw) als Eckdaten eingetragen, und angefangen, um dieses Gerüst ganz grob die Weltgeschichte zu spinnen (das hab ich eigentlich schon vor ein paar Monaten gemacht, war dann aber unzufrieden, jetzt habe ich es doch als Gerüst wieder übernommen). Dann habe ich mich entschlossen, zunächst auf das Königreich Gundrien zu fokussieren, und die Geschichte der anderen Länder weiter umnebelt zu lassen.
    So habe ich dann den Teil der Weltgeschichte, der für Gundrien eine Rolle spielt übernommen, und chronologisch ab der grauen Vorzeit mit weiteren gundrischen Einzelheiten gefüllt, die für den Großteil der Restwelt uninteressant sind. Das habe ich so bis ins Jahr 1 (Tod eines bedeutenden Gelehrten und Zeitenwende) durchgeführt. Dann war es mein Plan, die Zeit bis ins Jahr 500 mit Kriegen und ähnlichem zu füllen, wurde aber irgendwie abgelenkt und habe stattdessen letztendlich die Entwicklung der Religion ausgearbeitet.
    Als nächstens versuche ich mich dann endlich an jenen Kriegen, und so fülle ich nach und nach eine bestimmte Ära (z.B. die Zeit zwischen 500 und 1000, auch Zeitalter der Wissenschaften genannt) mit einem bestimmten Themenkomplex (Kriege in dieser Zeit, Stadtgründungen, sonstige Ereignisse dieses Zeitalters) und lasse mir dennoch Platz für weitere Ideen.
    Denn diese sprudeln zumindest jetzt wieder, wo ich wieder am Basteln bin.... nur am Anfang einer solchen Bastelphase steh ich immer vor einem großen Fragezeichen......naja, ich hoffe, spätestens im Frühling Euch die ersten Ergebnisse meiner Welt präsentieren zu können. Nur soviel sei verraten: Es gibt weder Elfen noch Orks! ;D Naja, aber ähnliches Zeux :)

  • Jaja, die Geschichtsschreibung... [Blockierte Grafik: http://www.gomeck.de/smilie/smilie-sigh.gif]


    Mein Sorgenkind *g*


    Ich habe etwas andere Voraussetzungen und habe damit so meine Probleme (abgesehen davon, daß ich den Arsch nicht hochkriege).


    1. die Welt ist nicht mittelalterlich, sondern begann im Jahre Null bereits mit hochtechnologischem Wissensstand. Ergo= die Geschichtsschreibung ist von Anfang an detailliert und exakt. Natürlich werden später Ursachen und Hintergründe vertuscht, wie es auch auf der Erde geschieht, aber die reinen Fakten (im Jahre x griff Land y Land z an und eroberte es und rief 2 Jahre später die Unabhängigkeit aus) sind in Bild und Ton dokumentiert, es gibt keine Sagen und Mythen.


    2. Ich habe die Länder vor dem Planeten geschaffen. *g*
    D.h. ich habe dort z.T. Geschichtsschreibung, mal mehr, mal weniger, manchmal unsinnig, so daß ich es eh noch ändern möchte.
    Das jetzt alles zusammen zu bringen, stell ich mir sehr schwierig vor. Im Prinzip habe ich eine vorgegebene Start- Endposition, zu der ich mit der Geschichtsschreibung schlußendlich kommen muß.


    Und dabei habe ich noch nicht mal große Eckpfeiler, die im Kopf rumgeistern, nur eben diverse geschichtliche Ereignisse, die ich mal den einzelnen Ländern auf den Leib geschrieben habe... (in der Regel aber auch nur sehr oberflächlich gehalten)

  • Hallo Leutz


    Ich bin durch meine Arbeiten an meinem Projekt auf ein kleines Problem gestoßen das etwas Fingerspitzengefühl erfordert und eher für die Leute interessant sein sollte, die ihren Welten selbst eine ausgereifte Geschichte geben


    Mein Problem ist, dass ich gerne über meine Welt eine Gesamtchronik mit Erläuterungen schreiben will.
    Also eine Zeittafel, in der die wichtigsten Daten zusammen mit der Möglichkeit, näheres nachzuschlagen, geschrieben steht


    Ich möchte nämlich eine solche Chronik verfassen und damit im Prinzip meine Geschichten bilden
    Weil ich ein interessantes Konzept für meine Welt und den Geschichten habe


    Also frage ich euch: Wie würdet ihr das an meiner Stelle angehen?

    Ich denke, ein gewisser Aspekt des Weltenbauens ist die Vision
    Die Vision von einer Wunschwelt, in der man seine Zeit verbringen möchte
    oder in der man ganz leben will, wie es bei mir der Fall ist ...

  • Mal gespannt ob's irgendwie hilfreich wird:


    Ich hatte irgendwann eine knappe Gesamtchronik und etwas ausführlichere Völkerchroniken. Der einzige fixe Zeitpunkt in alledem war jedoch "die Flut" als einschneidendes Ereignis. Die große Chronik, welche die Ereignisse in einer großen Zeitleiste zu einer Geschichte verbindet, hatte ich da noch nicht. Das war mir bislang noch zu gruselig, da ich die weltübergreifende Konsistenz so noch nicht habe und mich überdies nicht gerne mit "Instanzierungen" der Welt aufhalte. Also ich habe mich noch nicht wirklich damit beschäftigt Charaktere oder Orte/Städte zu schaffen oder auch nur zu benennen.


    Wie würde ich das angehen?
    Ich würde bei den Völkerchroniken anfangen. Die sind bei mir oft zweigeteilt, manchmal dreigeteilt:

    • (Optional eigener Punkt) Ursprungsmythos
    • Die vergangene Lebensart, also wie Leute fernab der Kernkultur noch leben und wirtschaften und was als traditionell gilt.
    • Eine modernere Strömung, was der Zeitgeist momentan so hergibt, auch technologisch und in Wirtschaftsformen.

    Hier geht's erstmal um eine Art inneren Generationenkonflikt um einfach darzustellen, dass die Völker nicht starr sind, sondern auch Entwicklungen durchmachen.


    Diese Völkerchroniken würde ich weiter ausbauen. Also z.B. in einer Zeitleiste der Herrscherdynastien, relevanten historischen Ereignisse und Entwicklungen.


    Wenn die wesentlichen Völkerchroniken dann zusammengeschrieben sind, würde ich gucken, wo man die in Relation setzen kann. Also z.B. darstellen, dass eine technologische Entwicklung, eine Religion oder geistige Schule sich über mehrere Kulturräume verbreitet. Einige herausragende Ereignisse können aus den Völkerchroniken dann auch in die übergeordnete "Weltchronik" wandern, wenn sich mehrere Völker dann eben dazu verhalten müssen. Ansonsten sind da eher Natur- und Magiephänomene beheimatet.


    Insgesamt soll die Zeitleiste auch Kausalitäten und Motive zu verdeutlichen und ggf. lokale Ereignisse in einen historischen Kontext stellen. Und gerade in der perspektivischen Chronik sind einige Unklarheiten und bewusste Lücken ggf. auch interessanter als alles auszufüllen. Einmal kann man auf eher langweilige Namensaufzählungen sicher irgendwie verzichten, und zum anderen auch wichtige Ereignisse aus längeren Kausalketten einfach weglassen um zur Spekulation zu motivieren. Ggf. eben auch mit einigen Hinweisen auf diese Ereignisse an anderer Stelle.


    Und beim Verbinden der unterschiedlichen Chroniken kann man auch gleich perspektivisch arbeiten. Anstelle einer allgemeingültigen Weltchronik gibt es unterschiedliche Auslegungen/Daten von den unterschiedlichen Chronisten. Schön wäre hier beispielsweise ein Eintrag "Sonnensturmjahr" in einigen astronomisch bewanderten Völkern, während die meisten übrigen für dieses Ereignis der Zeitleiste keinen Eintrag haben.


    Darstellung
    Von der Weltpräsentation her bietet die Chronik natürlich eine weitere Herausforderung. Eine senkrechte Zeitleiste mit Hoverups/Popups/Links zu den textlichen Ereignissen fällt mir jetzt als leichter umsetzbares ein. Das erinnert sehr an eine Tabelle, in der die erste Spalte eben die Jahre runterzählt und ggf. ein paar Sprünge hat, während nebendran verschiedene Aufzeichnungen zu besonderen Ereignissen des Jahres verlinkt sind. Eher einfach umzusetzen, aber schön aufgearbeitet vlt. nicht unbedingt. Vor allem, weil mir hier weiterhin das perspektivische wichtig wäre.


    Historische politische Karten und ggf. auch historisch geographische sind vom Aufwand dann ggf. nochmal ein Riesenthema.

  • Das sind interessante Fakten und Methoden, die du da nennst.
    Ich mache das auch so ähnlich, nur gefielen mir meine Chroniken nie so sonderlich.
    Sie waren immer so .. naja, so simpel.
    Ich wollte halt immer eine schöne Chronik haben für mein Volk mit anschließenden Erläuterungen, aber naja, da muss ich halt gucken, wie ich deine Methoder gut umsetzen kann, wenn ich mal mit meiner Spezies weiterkomme. Denn die wird eine Mammutaufgabe, weil ich so viele Dinge drin haben möchte. Eine Spezies, die alles sein kann, ein wirklich prfektes Volk, das in naher Zukunft wieder degenerieren wird, weil sie so weit entwickelt ist, dass sie in ihrer Galaxie kaum noch etwas Neues findet ...


    Auf jeden Fall danke ich dir für deinen Input

    Ich denke, ein gewisser Aspekt des Weltenbauens ist die Vision
    Die Vision von einer Wunschwelt, in der man seine Zeit verbringen möchte
    oder in der man ganz leben will, wie es bei mir der Fall ist ...

  • Zwei Gesichtspunkte


    1. Die Herangehensweise von oben nach unten:


    Eru hat schön erklärt, wie man von den einzelnen Erscheinungen hin zu einer Geschichtsdarstellung nutzt und das dann auch noch durch Einbeziehung von In-World-Texten und In-World-Wissenschaftsgeschichte gestaltet, wenn diese Vereinfachung erlaubt ist.


    Du kannst natürlich auch umgekehrt vorgehen:


    Du hast ja schon eine grobe Entwicklung skizziert und damit ein Grundgerüst. Ordne nun, was Du hast in das Grundgerüst. Wo Dir Unterpunkte fehlen, kannst Du sie hinzufügen. Dazu, was gestaltet werden kann, gibt es im Netz verschiedene Listen, aber Du kannst auch eine eigene Liste nach Deinen Vorlieben zusammmenstellen.


    2. Betrachtung der Geschichtsschreibung:


    Es gibt unterschiedliche Arten der Geschichtsschreibung und ich denke, Du meinst hier nicht die literarische Gattung Chronik, sondern allgemein eine Geschichtsdarstellung. Doch ist eine Betrachtung hilfreich, dabei zu erkennen, was wir dank Hyperlink für Möglichkeiten haben.


    Dabei ist das Ziel nicht, dass eine Darstellung komplex wirkt, sondern, dass die Geschichte einer fiktiven (oder der realen) Welt komplex werden kann, ohne dass die Übersicht verloren geht. Ein großer Teil des Geschichtsstudiums besteht darin einzelne Aspekte kennenzulernen, die dann zur Interpretation herangezogen werden können. Wirklich kompetente Aussagen kann ein Historiker nur bei seinen Spezialgebieten machen. Meist kommen dann noch ein oder zwei Steckenpferde in anderen Zeitabschnitten und/oder die Regionalgeschichte seiner Heimat hinzu. Theodor Mommsen hat mal in etwa gesagt, dass es die Kunst des Historikers sei, so zu tun, als wisse er überall Bescheid. Das wird auch oft von ihm erwartet, ist aber natürlich für ihn gar nicht möglich.


    So etwas nachzubilden dauert, wenn es nicht geplant wird, entsprechend lange Zeit. Doch gibt es auch den Weg, sich eine Struktur aufzubauen, die man füllen kann, wodurch Du dann aber die Welt in vielem von der Geschichte her betrachtest. Um zu sehen, wie das geht, ist es hilfreich, wenn ich ein Bisschen von dem erzähle, was der Geschichtsstudent im ersten oder zweiten Semester lernt. Damit es nicht zu lang wird, folgt es in einem weiteren Post.


    Ich leide an Schlaflosigkeit. Wenn ich unverständlich schreibe, liegt es vielleicht an der Müdigkeit, also einfach nachfragen. Was ich meine wird aber erst am Ende klar werden, wenn ich alles verbinde.

  • Dafür, was "Chronik" ursprünglich meint, müssen wir ins Mittelalter schauen. Zu Beginn sogar ins Altertum. (Den Links zu folgen ist nicht notwendig, aber falls es jemanden interessiert, mag er dort weiterführendes finden, zumal ich mich hier auf das für die Zwecke des Threads Nützliche beschränke und auch hier und da vereinfache.)


    Chronos war die Bezeichnung für den Gott der Zeit und auch für die Zeit selbst. Chronik ist also etwas, dass sich mit der Zeit beschäftigt. Soweit zur Etymologie. Insofern die Chronik also in Prosa die Geschichte eines Zeitraums in chronologischer Reihenfolge knapp oder ausführlich darstellt, kann man den Begriff natürlich auf vieles beziehen.


    Doch hat man eine Chronik wohl immer schon als "die ordnende Beschreibung der Zeiten" (Egon Boshof, Mittelalterliche Geschichte, in Boshoff, Düwel, Kloft, Grundlagen des Studiums der Geschichte - Eine Einführung, Köln, Weimar, Wien 1994, S. 117. Ich versuche, mich wo möglich nur darauf zu beziehen.) verstanden, Isidor von Sevilla(~560-636) schreibt von der "temporum series", der Abfolge der Zeiten. Die Chronik des Eusebius (~264-340) stellt in seiner Chronik die Geschichte als Heilsgeschichte dar und ordnet sie entsprechend. Hieronymus (~347/48-420), der letzte große antike Philologe, hat diese Chronik übersetzt, sie bis 378 fortgeführt und sie so dem lateinischen Westen zugänglich gemacht, wodurch sie dem Mittelalter zum Vorbild wurde. Die Einzelheiten darzustellen wäre zwar auch für den Weltenbastler interessant, doch hier ist der Raum nicht. So nenne ich hier nur die Einteilung der Geschichte in die Lebensalter des Menschen von der Kindheit bis zum Greisenalter und Otto von Freising (+1158), dessen "Chronica sive historia de duabus civitatibus" (dt.: Chronik oder Geschichte der beiden Staaten) Vielen als Höhepunkt mittelalterlicher Geschichtsschreibung gilt. Mit den zwei Staaten, oder besser Gemeinwesen, da der Staatsbegriff damals erst wieder entstand, sind das himmlische und das irdische Reich gemeint und so reicht die Chronik von der Schöpfung bis zum jüngsten Gericht. Nein, da steht nicht, wann Bayern München das nächste Mal nicht Deutscher Meister wird. Das jüngste Gericht schließt nur als Vision das Werk ab. Im Mittelalter hat man dann irgendwann wieder kleinere Dinge als eine Weltchronik als nützlich empfunden und schuf Länder-, Stadt-, und später Familienchroniken. Hier ist die Ordnung natürlich nicht universal. Aber oft steht doch eine Ordnungsvorstellung wie der Aufstieg einer Dynastie oder einer Stadt im Hintergrund, Doch ist auch ganz schlicht überliefert, dass "auch klain ding zu wissen je zu zeitten auch zu nutz und guttem raichen mag." Thema war dann der betrachtete Ausschnitt. Wer eine prachtvolle Weltchronik sehen will, schaue sich ein Digitalisat der Schedelschen Weltchronik, vom Ende des Mittelalters und schon gedruckt, an. Verschiedene Links sind in dem verlinkten Wikipedia-Artikel zu finden. Von einer Handschrift ist im Artikel zur Chronik des Otto von Freising ein Digitalisat verlinkt. Wer statt Latein Niederdeutsch bevorzugt, mag dem Link in dem Artikel zur Sächsischen Weltchronikfolgen.


    Aber es gab auch andere Arten der Geschichtsscheibung. Da die Osterberechnung nicht so einfach war, benutzte man Ostertafeln, auf denen die Ostertermine aufeinanderfolgender Jahre verzeichnet waren. Irgendwann begannen Mönche wichtige Ereignisse des Jahres in der Zeile des Jahres hinter dem Ostertermin zu vermerken. Schließlich war da noch Raum und das teure Pergament so noch benutzbar. Zunächst waren das kurze Notizen, klassisch etwa "Abbas obiit." (dt.: "Der Abt ist heimgegangen (ins Paradies).") Mit der Zeit wurden diese jährlichen Aufzeichnungen, nach dem Lateinischen Ausdruck für das Jahr Annalen (die im Artikel auch behandelte antike Annalistik ist ein anderes Phänomen, das ich deutlicher von der mittelalterlichen Annalistik abgesetzt hätte) genannt, immer ausführlicher. So sind zur Geschichte der Karolinger die sogenannten Einhardsannalen eine wichtige Quelle. Aber auch kürzere Formen hielten sich weiterhin. So heißt es zum Sieg Heinrichs I. über die Ungarn bei Riade an der Unstrut in den Corveyer Annalen zu 933 bloß "Ungariorum exercitus ab Heinrico rege interfectus est" (dt.: "Ein Ungarisches Heer wurde von König Heinrich vernichtet"). Der Annalistik (auch der Antiken) ist gemein, dass die Darstellung annalistisch ist, d.h, die Ereignisse Jahr für Jahr dargestellt werden. (Vgl. Boshoff wie oben, S. 119-121, für das noch Folgende S.122-127.)


    Auch Heiligen- und Herrscherbiographien kannte das Mittelalter als erzählende Quellen. Am bekanntesten wohl die Vita Caroli magni (Leben Karls des Goßen) des Einhard, Leiter der Hofschule Karls. Bei den Biographien standen spätestens seit Sueton die chronologische und die thematische Darstellung im Widerstreit. Teils wurden sie kombiniert.


    Auch die Schicksale von Völkern waren Thema. Bei Frühmittelalterlichen Schriften bezeichnet man sie als Origines gentes (Völkerursprünge), da sie mit dem Thema begannen, woher ein Volk kommt, wie es entstand und das oft auch den Hintergrund für die spätere Darstellung abgibt. Wichtige und ausführliche Beispiele sind da die Sachsengeschichte Widukind von Corveys und die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus.


    Dann gab es im Mittelalter noch die "Gesta" (Neutrum Plural / Sächlich Mehrzahl). Damit werden Tatenberichte, in der Regel von Äbten und Bischöfen und mit dem "Liber pontificalis" (dt.: "pontifikalisches oder päpstliches Buch") auch der Päpste aufgezeichnet. Es bezieht sich aber immer auf die Aufeinanderfolge der "Chefs" der jeweiligen Institution. Zugrunde liegen ursprünglich Akten. Es wird genannt, wieviel Kirchen, Klöster und Bischöfe der Bischof geweiht hat, wieviel Spenden er eingetrieben hat, etc. Später wird das dann ausführlicher. "res gestae" könnte man in etwa mit "getane Dinge oder Sachen" übersetzen. In der Spätantike entwickelte sich daraus das Substantiv gesta, in etwa mit Akten oder Akte zu übersetzen. Da die ersten Informationen dieses Typs aus solchen Akten entnommen wurden, nannte man dann auch diese Form der Geschichtsschreibung so. Oft wird einfach und vereinfachend mit "Taten" übersetzt, was auch nicht falsch ist, da bei einer Übersetzung ja auch die Zielsprache im Auge behalten werden muss, aber die Entwicklung doch etwas außer acht lässt.


    Bevor ich erkläre, warum ich hier die erzählenden Geschichtsquellen des europäischen Mittelalters hier vergleichsweise ausführlich thematisiere, muss ich noch drei weitere wichtige Aspekte benennen. Das folgt im nächsten Post.

  • Höhepunkt der antiken Geschichtsschreibung ist Thukydides Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Es setzt bis heute Maßstäbe für die Geschichtsschreibung. Punkt. Der darin enthaltene Melierdialog ist einer der großen Texte der Menschheit. Für viele das Beste, was jemals über das Gewissen geschrieben wurde. Die Athener begehen einen Völkermord an den Meliern (den Bürgern von Melos) und schieben die Schuld den Meliern zu, weil sie sich den Athenern nicht unterwerfen wollten. Die Gefallenenrede des Perikles nach dem ersten Kriegsjahr ist fast ebenso berühmt, bis heute viel von Politikern zitiert, aber in vielen Argumenten schon seit über 2000 Jahren von der chinesischen Philosophie als Kriegstreiberei entlarvt, auch wenn das im Wikipedia-Artikel zu kurz kommt. Ich erwähne das hier, weil der Dialog so nicht stattfand und die Rede so nicht gehalten wurde. Thukydides hat sich die Worte ausgedacht.


    Moment - so einer soll "bis heute Maßstäbe für die Geschichtsschreibung" gesetzt haben? Ja, hat er. Denn er hat zu Beginn seines Werks seine Methoden erklärt und sich als einer der wenigen daran gehalten. Die Kapitel 20-22 des ersten Buches sollte jeder lesen, der sich mit dem Thema Geschichtsschreibung befassen will. (Im modernen Druck sind das etwa zwei Seiten, da die Antiken Kapitel am ehesten unseren Abschnitten entsprechen.) Kapitel 22 ist das berühmte Methodenkapitel des Thukydides. Dazu gehörte aber auch, dass er Reden, die damals weder mitstenographiert noch aufgenommen werden konnten, selbst mit den Argumenten entwarf, die er selbst gebracht hätte. Wo heute ein Historiker kommentiert, steht in der alten Geschichtsschreibung oft eine Rede oder ein Dialog. Darum benutzt Caesar bei Ariovist die indirekte Rede und quält damit bis heute jeden Lateinschüler: Da sie es so gewohnt waren, waren alle Zeitgenossen, für die es geschrieben wurde, versucht, das nicht als Caesars Interpretation zu verstehen, obwohl Caesar es natürlich so schrieb, wie er es wollte, dass es gewesen war. Für uns ist das recht offensichtlich, aber der römischen Oberschicht war die entsprechende Stilistik in der Schule eingepaukt worden. Thukydides beschreibt auch schon die Befragung von Augenzeugen. Dazu war er aber auch in einer sehr günstigen Position. Zum einen hatte er selbst Athener Truppen geführt, zum anderen war er während seiner Verbannung nach Sparta gegangen, so dass er die handelnden Personen beider Seiten kannte. Solche Besonderheiten gibt es bei jeder Art der Geschichtsschreibung und teilweise muss man jeden Autoren einzeln behandeln.


    Das macht z.B. Dieter Flach, Römische Geschichtsschreibung, Darmstadt 1998. Meiner Meinung nach die beste Einführung in die Römische Geschichtsschreibung, die auch einen Rückblick auf die Griechische enthält, wo auch zu Thukydides nachgelesen werden kann. Hier möchte ich nur kurz Cassius Dio und Tacitus ansprechen.Cassius Dio beschriebt recht ausführlich die Varusschlacht und teilweise ist jeder Halbsatz kontrovers diskutiert worden. Dabei ist gut bekannt, dass die näheren Beschreibungen des dunklen germanischen Waldes, des schlechten germanischen Wetters und der typischen Landschaften des nördlichen Barbaricums - Berge, Sümpfe, Wälder - keinen historischen Gehalt haben, sondern nur das Typische zeigen sollen. Das gilt auch für Schlachtbeschreibungen. Die Einzelheiten bestehen nur aus der Schilderungen von Bildern, die in jeder Schlacht vorkommen. Nur ein übergeordnetes Bild kann als der Realität entnommen werden. Das hängt einfach daran, dass das antike Publikum das erste kunstvoll erwähnt wissen wollte und man bis heute keine Technik gefunden hat, eine Schlacht wirklich zu Beschreiben. Man kann sich auf Ausschnitte beschränken, auf Einzelheiten, die Bilder zeigen, wie sie in jeder Schlacht vorkommen oder den groben Ablauf schildern. Und bei der Schilderung eines Ausschnitts steht man dann in der Regel vor demselben Problem. Alles gleichzeitig geht nicht, was Schlachtbeschreibungen bis in die Neuzeit schwierig zu interpretieren sind. Der Laie versteht dann oft nicht, warum ein Historiker etwas verwirft, was in der Schilderung plausibel ist, oder ganz sicher von etwas ausgeht, was kaum angedeutet ist: Das ist eben der Ausfluss dessen, dass diese Schildrungen seit langem immer wieder untersucht wurden und man -auch aus der Entwicklung- analysiert hat, wie die Geschichtsschreiber bei so etwas vorgingen. Ein anderes Thema sind innere Motive. Wenn jemand es nicht erzählt hat, kann das niemand Wissen. Eine der berühmten Schilderungen des Tacitus beschäftigt sich mit einem Inneren Monolog des Titus. Titus war von seinem Vater, dem Feldherrn Vespasian, der gerade für Rom den Jüdischen Krieg führte, nach Rom geschickt, um dem neuen Kaiser Galba zu huldigen. Auf dem Weg erfuhr Titus, dass Galba gestürzt war. Nun lässt Tacitus Titus einen inneren Kampf ausfechten, ob er zu seiner Geliebten Berenike eilt, da sein Auftrag sinnlos geworden ist, oder zum Vater, um ihm vom Sturz des Kaisers zu berichten. Jeder kannte den Ausgang des Vierkaiserjahres: Vespasian wurde Kaiser und Titus, der, als sein Vater um den Thron kämpfte in der Levante blieb, und Jerusalem eroberte, wobei der Tempel abbrannte, folgte ihm auf den Thron. Und jeder kannte die Beziehung des Titus zur Königin Berenike und den unglücklichen Ausgang. Hier nutzt Tacitus um die Person des Titus positiv zu besetzen, die Schilderung aufzulockern und ein etwas heikles Thema einzuführen, dass er nicht vermeiden kann. Wegen solcher Stellen galt Tacitus als sehr unzuverlässig. Aber wenn man ihn in die Reihe der senatorischen Geschichtsschreiber stellt, lässt er sich recht gut interpretieren. Denn er hebt sich am ehesten durch seine literarische Qualität ab. Mit ihm endet die Zeit des klassischen Lateins, bei ihm spricht man noch von silberner Latinität. Für den Historiker heißt das, dass man sich anschauen muss, was die Besonderheiten der senatorischen Geschichtsschreibung sind -zu der auch noch der erwähnte Cassius Dio gehört- sind und was die Eigenheiten des Tacitus. Was sind seine Motive, was berichtet er zuverlässig, wo schmückt er aus, was ist der Form der Kunstprosa geschuldet? Das ist dank der Vorarbeit vergangener Zeiten heute alles recht leicht nachzulesen.


    Da ich mich nicht zwischen Dio und Tacitus entscheiden konnte, muss ich den dritten Punkt in den nächsten Post verschieben. Nun, so brauche ich pro Post auch nur ein Buch benennen.

  • Bevor ich den Zusammenhang herstelle, will und muss ich dann noch Europa verlassen und Konfuzius zitieren:


    "Zi Zhang fragte, ob man über zehn zurückliegende Generationen Bescheid wissen könne. Der Meister sprach: "Die Dynastie Yin richtete sich in der Sittlichkeit nach der Dynastie Xia; was sie hinzugefügt oder weggelassen hat, kann man wissen. Die Dynastie Zhou richtete sich in der Sittlichkeit nach der Dynastie Yin; was sie hinzugefügt oder weggelassen hat, kann man wissen. Sollte jemand die Dynastie Zhou fortsetzen, und wäre es für hundert Generationen - man kann wissen."
    (Lun Yu 2, 23)


    Dies führe ich auch deshalb an, weil es einen Grund zeigt, warum kurze Geschichtsdarstellungen oft so einfach erscheinen. Die genannten Dynastien umspannen für Konfuzius die gesamte Geschichte. In China geht man davon aus, dass mit den Xia ein Reich, bzw. eine Kultur gemeint ist, die von ungefähr 2.200-1.800 v. Chr. belegt ist. Also ca. 1700 Jahre vor Konfuzius und damit deutlich mehr Generationen als 10. Wieso sieht er das so einfach?


    Er konzentriert die Geschichte auf die Geschichte des Zusammenlebens in Familie und Staat und er geht davon aus, dass diese Probleme immer gleich bleiben. Das ist natürlich in der Realität nicht so und beim Basteln sollte, wer es realistisch gestalten will, darauf achten, dass es sich ändert. Dies muss ich betonen, da ich hier die mittelalterlichen Quellen vorstelle und diese ebenfalls ein recht statisches Weltbild haben. Zudem zeigt es, dass eine Geschichtsdarstellung, wenn man sie genügend einschränkt immer recht einfach wirken. Es ist dann entkleidet von Zusammenhängen und Hintergründen. Und natürlich sehr vereinfacht und damit verfälscht.


    Nun hat aber niemand Zeit eine komplette Weltgeschichte zu entwerfen. Schau Dir nur die Bände an, die Tolkien dazu hinterlassen hat, bzw. in die sein Sohn die hinterlassenen Notizen geordnet hat. Das ist natürlich weit von einer kompletten Weltgeschichte entfernt. Es birgt aber eine Fülle an Geschichten und Literatur und eine sehr genaue Sprachgeschichte, immer verbunden mit den Geschichten, die die Geschichte von Mittelerde ausmachen. Und durch diese Beschränkung und der "Beleuchtung" oder "Benutzung" dieser Aspekte wirkt das alles so reich. Noch zwei Tricks gibt es bei Tolkien, der irdischen Geschichte abgeschaut. Wie die Bibel ist der Bericht teilweise sehr beschränkt, bekanntlich der Grund, warum moderne Leser oft enttäuscht vom Simarillion sind. Das andere ist ein literarischer Trick: Es wird angedeutet und der Leser vollendet das Bild des angedeuteten selbst. Natürlich je nach eigener Art und Sozialisierung. Solange dieselben Geschichten bekannt sind die Tolkien kannte, wird das oft sogar in seinem Sinn geschehen. Aber schlimm ist es nicht, wenn jemand mit anderem Hintergrund andere Vorstellungen hat.


    (Hubert Schleichert, Klassische chinesische Philosophie - Eine Einführung, Frankfurt a.M.² 1990 ist eine gute Einführung in das Thema, falls jemand dazu nachlesen will. Das hat aber eigentlich kaum mit dem Threadthema zu tun, ich nenne es hier zum Beleg für Konfuzius Geschichtsbild und die zitierte Übersetzung stammt daraus.)


    Im nächsten Post dann zum Aufbau einer Darstellung einer Weltengeschichte.


    EDIT: Homer könnte ich zum Thema auch noch zitieren, aber ich habe jetzt schon ein schlechtes Gewissen wegen des langen "Vortrags".

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