Sageninterpretation 3: Das Volk der Wächter

  • Vor tausenden und abertausenden von Jahren, als noch keine Monde oder Sterne die Nacht erhellten, lebten die dreizehn Urahnen der Tiere in der Steppe: Löwe, Bär, Rabe, Eldor, Büffel, Schlange, Luscin, Hase, Ratte, Frosch, Wolf, Adler und Affe.
    Durch die Steppen streiften auch die Morgentau-Menschen, so rein und zart, so strahlend schön, so schwach und flüchtig wie der Tau, der morgens auf den Gräsern liegt.
    Die dreizehn Tiere erfreuten sich an ihrem Anblick und machten es sich zur Aufgabe, sie vor allem Unbill der wilden Natur zu schützen. Doch nicht nur schön anzusehen waren die Morgentau-Menschen, sie hatten einen starken Geist und konnten gar wundersame Dinge tun. Doch eingedenk ihrer schwachen Körper waren sie den Tieren dankbar für deren Schutz und so lebten sie lange Jahre in Frieden miteinander.
    Doch nach einem schier endlos scheinenden Zeitalter des Glückes und des Friedens wurden die Morgentau-Menschen auf einmal vom Unglück heimgesucht: Immer des Nachts, wenn völlige Finsternis herrschte, verschwanden nach und nach mehr von ihnen. Und mit jedem einzelnen der verschwand, erschien ein winziger leuchtender Punkt am nächtlichen Himmel. Nacht um Nacht verschwanden mehr von ihnen und mehr und mehr Lichtpunkte erschienen des Nachts. Die Morgentau-Menschen flehten die Tiere um Hilfe an, denn es wollte nicht weit entfernt an den nächtlichen Himmel verbannt werden. Die Tiere versprachen, über die Morgentau-Menschen zu wachen, denn sie wollten ihre Freunde nicht verlieren.


    Und so wachte zwölf Nächte lang jeweils ein anderes Tier über die Morgantau-Menschen und kein einziger verschwand in dieser Zeit. Am dreizehnten Tag kam die Reihe an den Affen. Der Affe begann während seiner Nachtwache zu überlegen: „Warum soll ich die Morgentau-Menschen beschützen? Je weniger sie werden, desto heller wird die Nacht. Ich habe Angst in der Dunkelheit und sieh nur, wie schön die Lichter am Himmel funkeln!“ So starrte er verträumt in die Nacht, und je länger er starrte, um so mehr Sterne blinkten nach und nach auf.
    Als der Affe ermüdet die Augen schloss, öffneten sich am Firmament zwei große weiße Augen. Die anderen Tiere erwachten bei dieser plötzlichen nächtlichen Helligkeit und befürchteten das Schlimmste. Vergeblich suchten sie nach den Morgentau-Menschen, sie fanden aber nur den selig schlummernden Affen vor. Voller Wut beschuldigten sie den Affen, nicht auf die Morgentau-Menschen aufgepasst zu haben. Der Affe konnte die Wut der anderen Tiere nicht verstehen und wies immer wieder darauf hin, wie wunderschön doch die Sterne und die Monde den nächtlichen Himmel erhellten. Da jagten ihn die anderen Tiere voller Wut und Zorn davon. Der Affe schwor daraufhin Rache.
    Am nächsten Morgen sahen die anderen Tiere voller Entsetzen, wie große, kräftige affenähnliche Wesen, pervertierte Karikaturen der alten Morgentau-Menschen, die Steppen durchstreiften und überall wo sie vorbeikamen, Chaos und Zerstörung hinterließen. Sie machten sich auf, den Affen zu suchen. Adler und Rabe erblickten ihn mit ihren scharfen Augen, Luscin betörte ihn mit ihrem Gesang, der pfeilschnelle Eldor fing ihn zusammen mit dem Hasen ein, die Schlange fesselte ihn, der Frosch belegte ihnn mit einem Bannzauber und Bär, Wolf, Ratte und Löwe zerrissen ihn schließlich gemeinsam. Alle Tiere zusammen fraßen das Fleisch des verräterischen Affen und hofften nun, seine Macht gebrochen zu haben. Das zweite weiße Auge am Firmament färbte sich mit dem Blut des Affen rot. Doch die wilden haarigen Kreaturen lebten weiterhin in den Steppen.


    Und so erschufen die zwölf Tiere jeweils ein Menschenpaar, geformt nach ihren Vorstellungen und ausgestattet mit den jeweils besten Eigenschaften der Tiere. Und sie nannten diese neuen Menschen DalRé – die Harten Menschen – ein wildes, sarkes, zähes und kriegerisches Volk. Die Dalré sahen es als ihre höchste Aufgabe an, ein Volk der Wächter zu sein und die Kreaturen des Affen zu bekämpfen, zu vernichten oder zumindest aus den heiligen Landen der tierischen Ahnen zu vertreiben. Denn wenn die Kreaturen des Affen vernichtet sein würden – so hofften die Tiere – würden die Morgentau-Menschen wieder zurückkehren können.

  • Interessante Geschichte.


    Zwei Typos:

    Zitat

    Die Morgentau-Menschen flehten die Tiere um Hilfe an, denn es wollte nicht weit entfernt an den nächtlichen Himmel verbannt werden

    .
    denn "sie wollten nicht", oder? Oder "Das Volk der Morgentau-Menschen" oder so?


    Zitat

    der Frosch belegte ihnn mit einem Bannzauber


    ihn


    Und zum Inhaltlichen:
    Irgendwie hatte ich im Verlauf erwartet, dass die haarigen Affenkreaturen sich dann zu den Menschen entwickeln, wir wir sie kennen (na oder zumindest so ähnlich). ;)


    Was für Kreaturen sind Eldor und Luscin? Habe auf deiner Seite geschaut, aber weiß ja garnicht wonach ich da suchen soll. Und gerade wenn es neben so gewöhnlichen, bekannten Tieren steht, die auch die Erde bewohnen, möcht ich doch gern wissen, wie ich sie mir vorzustellen habe.


    Beim Eldor geh ich davon aus, dass es eine (schnelle) Antilope ist? (Forenspoiler). Aber Luscin - etwas was singen kann. Ein Vogel? Für tatsächliche Interpretation bin ich leider grad zu überarbeitet.

  • Eine kurze Interpretation des Textes aus der Perspektive von Halkein Wolkhal, etwas unfreiwilliger Geschichtenweitererzähler von den Dracheninseln - also, falls du nichts gegen In-eigener-Welt Interpretationen (in Form von Halkeins Ideen für eine angemessene Adaption) hast :hops:


    Lass dir mit der Auflösung ruhig Zeit - sag bitte was, wenn du eine Interpretation aus einer anderen Perspektive von der Welt oder aus meiner eigenen haben willst. ;D

  • Interpretation durch Ot'to sn So'cho'rtr'zthrn, eines der angesehensten Literaten der klassischen Epoche aus Chton's'chr:


    Und manchmal, manchmal, reimt sich irgendwas auf "od"


    Unterschätzen Sie niemals das dramaturgische Potential eines Kopfbahnhofes!

  • Ein Ausschnitt aus dem Notizbuch von Irina Zareth‘mej, Jadesha te Sjacha.
    (Irina Zareth, aus dem Stamme Mejcasth, Herrin/Königin über Sjacha)


    Wie gesagt, handelt es sich um einen Notizbucheintrag, deshalb etwas wirr.

  • Dr. Uthaljen, Professor der Philosophie, interpretiert in seinem Wahl-Kurs „Philosophie in der Literatur“ ein Werk einer Sammlung, die ihm vom Landesschulrat empfohlen wurde [der Text in den Klammern ist von seinen Schülern gesprochen]:

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