QuoteOriginal von Kira
Snikker stelle ich mir klein und süß vor, schon vom Namen her, klingt wie eine Verniedlichung von "Sneaker".
Hm, mir kommt da was anderes, vor allem, wenn der Name in der Genitivform benutzt wird...
QuoteOriginal von Kira
Snikker stelle ich mir klein und süß vor, schon vom Namen her, klingt wie eine Verniedlichung von "Sneaker".
Hm, mir kommt da was anderes, vor allem, wenn der Name in der Genitivform benutzt wird...
Um hier mal den Gerüchten entgegenzuwirken, meine Dämonentorer seien nur gefühllose, bösartige Metzelmonster, zu nichts fähig, an dessem Ende nicht eine Leiche steht, hier mal eine Geschichte voll Liebe, Lust und Leidenschaft. Ähm - na gut, zumindest ohne Gemetzel. Ok, also, keine toten Menschen.
Katheste Barmesisti Tarainaweti Miret Stadtwache zu Ticaftis
Eine Stunde vor Sonnenaufgang erwachte in Kathestes Haus das Leben. Das heisst, ihre Sklaven, zwei Frauen und ein Mann, bereiteten sich auf den Tag vor. Ihr selbst genügte eine halbstündige Meditation als Ruhephase.
Sie sah von dem Folianten auf, den sie diese Nacht in den Ruinen gefunden hatte. Ein guter Fund. So langsam nahm ihre Bibliothek einen ganz ansehnlichen Umfang an.
Die Kerzen, die den Tisch erleuchteten waren fast runtergebrannt. Nun gut, bis heute Abend würden da neue stehen, und bis dahin brauchte sie diese ohnehin nicht mehr.
Eine Sklavin betrat das Studierzimmer mit der Nachricht, dass das Bad vorbereitet sei. Katheste quittierte diese mit einem Nicken. Sie stellte den Foliant in das Regal, bevor sie das Zimmer verließ. Ihre Bücher ließ sie von niemandem, ausser ihr selbst berühren. Mit der Folge, dass sie diese gelegentlich selbst abstauben musste, aber das nahm sie in Kauf.
Im Vorraum hatte sie ein paar Schädel aufgestellt. Einer davon, besonders exponiert angebracht, fiel ihr dabei ins Auge. Sein Besitzer war ein Ork gewesen, beinahe doppelt so groß wie sie selbst.
Vor einigen Jahren, als sie nach Ticaftis gekommen war, wäre es fast zu erheblichem Streit mit einigen Einwohnern gekommen, die ihr die ihr zustehende Position in der Stadt nicht zugestehen wollten. Als sie jedoch ein anrückendes Orkrudel im Alleingang auslöschte, waren ihre Gegner verstummt. Sie lächelte den Schädel an. Das hatte er sich verdient, hatte er es ihr doch erspart, innerhalb der Stadt ein Blutbad anrichten zu müssen. Ihre Ausbildung und der Krieg hatten sie gelehrt, Menschen zu töten. Schnell, und ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden. Was jedoch nicht bedeutete, dass sie es gerne tat.
Im Bad wartete bereits Kathestes zweite Sklavin. Sie ließ sich ihre Kleidung abnehmen und schritt in das Becken. Waschen musste Katheste sich allein, wenn sie dieses Bad benutzte. Das Becken hatte eine direkte Verbindung zum Fluss, deswegen hatte sie ihren Sklaven verboten, hineinzusteigen. Das Risiko war einfach zu groß. Zu leicht konnten Flussvipern, giftige Kröten oder sonstiges schädliche Getier hineingeschwemmt werden. Es waren gute Sklaven und Katheste wollte sie nicht durch eine
unbedachte Bewegung verlieren.
Als Katheste vor einigen Jahren in Ticaftis angekommen war, war die Stadt in einem Zustand, der es unmöglich machte, zwischen freien Bürgern und Sklaven zu unterscheiden. Deshalb hatte sie einfach drei ausgesucht, die ihr gefielen. Sie hatte ihre Wahl nicht bereut.
Katheste ließ sich Seife und Badeöl reichen, und machte sich daran sich zu reinigen. Danach ließ sie sich abtrocknen. Geräusche aus dem Speisesaal verrieten ihr, dass das Morgenmahl bereit war, doch zuvor leistete sie sich einen weiteren Luxus. Den Nebenraum des Bades hatte sie als Massagesaal herrichten lassen, und zweimal täglich ließ sie sich von ihrem Sklaven mit duftenden Ölen durchkneten. Er verstand sich darauf, und war zudem seit langer Zeit der einzige Mann, dem sie erlaubte, sie zu berühren, ohne sich an ihr die Finger zu verbrennen. Wörtlich.
Nach der Massage ließ sie sich von ihren beiden Sklavinnen ankleiden.
Ihr Morgenmahl bestand aus den gleichen Zutaten, wie das der meisten übrigen Bürger Ticaftis: Gerste, Voshella und Trockenobst. Was hauptsächlich daran lag, dass es in der Stadt kaum etwas Anderes gab. Fisch mochte sie um diese Tageszeit nicht, und Fleisch, für Weiden war kein Platz im von der Stadt aus überwachbaren Gebiet. Von den letzten wagemutigen Burschen, die sich gelegentlich zur Jagd in die Wälder gewagt hatten war keiner zurückgekehrt. Sollte Katheste also einmal Lust auf einen Braten bekommen, musste sie selbst jagen.
Katheste wurde von einer ihrer Sklavinnen bedient, die Andere war mit dem Sklaven in der Küche. Katheste war aufgefallen, dass er besser arbeitete, wenn sie in seiner Nähe war, und bisher hatten die Beiden ihr keinen Anlass gegeben, sie auseinanderzuhalten.
Nach dem Essen ließ sie sich ihre Rüstung anlegen. Frisch poliert. Nicht, dass das magische Material dieses nötig hätte, aber es sah einfach besser aus. Außerdem waren drei Sklaven ohnehin zu viel, um ständig mit diesem Haus beschäftigt zu sein. Da konnte sie ihnen auch ein paar überflüssige Aufgaben zuweisen.
Als Katheste schließlich das Haus verließ stand die Sonnenscheibe bereits vollständig am Horizont. Gerade noch rechtzeitig, um sich von der Nachtschicht die Ereignisse der Nacht berichten zu lassen.
An ihrem Platz in der Wachstube standen frische Blumen. Katheste musste nicht raten, um zu wissen, von wem sie kamen. Sie kam nicht umhin zuzugeben, dass ihr diese Art der Zuwendung gefiel. Also achtete sie darauf, den Jungen nicht vollständig zu entmutigen. Und vielleicht ließ sie sich ja doch eines Tages verführen. Wenn auch seine Chancen schlecht standen. Seit dem Fall des Dämonentores, vor gut fünfzig Jahren, hatte sie keinem Mann mehr gefallen wollen.
Einer der Nachtwachen hatte eine Gestalt in den Ruinen gesehen. Doch nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, dass dies Katheste gewesen war. Der Mann musste sehr gute Sinne haben, dass er die Dämonenwächterin bemerkt hatte. Katheste machte sich eine Notiz, ihn auf die Waldseite der Stadtmauer versetzen zu lassen, wo diese Eigenschaft dringender gebraucht wurde.
Der Vormittag verlief ansonsten Ereignisfrei.
Ihr Mittagsmahl nahm sie mit einigen Stadträten ein, die sich mit ihr über das beste Vorgehen zur Beseitigung der Ruinen berieten. Noch waren diese zu gefährlich, um dort unüberwacht Arbeiter hineinzuschicken. Wachen von der Stadtmauer abzuziehen wäre aber fahrlässig. Mit dieser Diskussion verging auch ein großer Teil des Nachmittags. Eine Unterbrechung gab es, als eine blutrote Wolke über dem Ozean gesichtet wurde. Katheste konnte keine unmittelbare Bedrohung feststellen, ließ sie aber beobachten. Gegen Abend war die Wolke wieder verschwunden.
Schließlich konnte Katheste die Räte überzeugen, dass es wichtiger war, ein Stück Wald zu roden, um eine längere Vorwarnzeit zu haben, wenn aus diesem bösartige Kreaturen kamen.
Bevor sie in ihr Haus zurückkehrte kontrollierte Katheste nochmals die Verteidigungsanlagen. Erst, als sie sich versichert hatte, dass es nirgends Probleme gab trat sie den Heimweg an.
Auf dem Markt sah sie einen Stand, der frisches Obst hatte. Katheste nahm sich erfreut einige Früchte mit. Der Händler würde sie dem Rat in Rechnung stellen. Vor einiger Zeit hatte dieser eine Steuer eingeführt, um Kathestes Unterhalt zu finanzieren. Katheste war das ganz recht, schließlich bewachte sie ja alle Bürger Ticaftis, nicht nur die paar Händler, von denen sie sich nahm, was sie haben wollte.
Kathestes Haus wäre auch für einen völlig Fremden in Ticaftis nicht zu übersehen gewesen: Zwei Stockwerke plus Dachgeschoß, die Vorderfront komplett geschwärzt, mit wenigen Ausnahmen. Türstock und -Sturz waren übergroßen ausgebleichten Knochen nachgebildet. Als Türklopfer grinste dem Ankömmling ein gusseisener Schädel mit schwerem Eisenring im Mund entgegen. Darüber war über ein Stockwerk hoch ein bemaltes Relief des Wappens vom Dämonentor angebracht. Der rote Dämonenkopf verriet jedem, woher der Bewohner dieses Hauses stammte. Keine sonstigen Verzierungen waren hier angebracht. Keine Fenster waren auf dieser Seite des Hauses.
Die Häuser zu beiden Seiten waren verlassen und zeigten Verfallserscheinungen, als ob dieses Haus selbst eine zersetzende Wirkung auf sie ausübte. Der Vorplatz des Hauses war frisch gefegt. Als sich bei Kathestes Annäherung die Türe öffnete spiegelte sich der Flur im frisch polierten schwarz des Marmorbodens. Kein einziges Staubkorn störte den Eindruck perfekter Sauberkeit.
Katheste war mit ihren Sklaven zufrieden.
In der Gewissheit, dass der Straßendreck entfernt sein würde, bis sie später in die Ruinen aufbrach, schritt Katheste in das Ankleidezimer. Dort ließ sie sich von ihrer Sklavin die Rüstung abnehmen und stattdessen ein einfaches Kleid anziehen. Danach war das Abendmahl für sie bereitet. Fisch in leichter
Kräutersoße mit Voshella.
Nach dem Essen ließ sie sich waschen, und abermals massieren. Wieder angekleidet ließ sie sich einen Schutzumhang aus schwarzem Samt reichen. Sie hatte diesen irgendwann auf ihren Streifzügen durch Deghon gefunden. Er schützte längst nicht so gut, wie ihre Rüstung, doch war sie darin deutlich beweglicher, und das war in den Ruinen wichtiger als massiver Schutz. Auch ließ sie ihr Speer zurück, stattdessen nahm sie einen Spieß, der sie nur knapp überragte, sowie ein eine Elle langes Messer. So ausgestattet machte sie sich auf den Weg.
Die Kreaturen der Ruinen hatten schnell gelernt, ihr auszuweichen, oder fanden den Tod an ihrem Spieß. Katheste setzte ihre Suche nach nützlichen Gegenständen dort fort, wo sie am Vortag den Folianten gefunden hatte. Doch ausser zerstörten Tiegeln und kaputter Laboreinrichtung war dort nichts weiter zu finden. Einige Stunden setzte sie systematisch ihre Suche fort, zerstörte einige magische Fallen, die teilweise absichtlich vom vormaligen Hausbesitzer zum Schutz gegen Einbrüche angebracht, teilweise durch Fehlfunktion von Artefakten oder Kampfmagie zufällig entstanden waren. Ein armlanger Tausendfüßler biss sich an ihrem Stiefel fest. Ohne großes Aufsehen rammte Katheste ihm ihr Messer durch den Kopf. Noch im Sterben durchdrangen seine giftigen Zangen Kathestes Stiefel, mit dem einzigen Ergebnis, dass er dadurch einen Schutzzauber auslöste, der ihn zu einem Aschehaufen verbrannte.
Die Kreaturen der Ruinen stellten für die Stadt keine Gefahr dar. Die Meisten davon würden die Ruinen nicht verlassen. Und wenn, dann in Richtung der Wildnis, nicht in die belebte Stadt.
In dieser Nacht fand Katheste nichts mehr von Bedeutung. Zwei Stunden nach Mitternacht kehrte sie zurück, um ihre Studien fortzuführen. Sie würde ihren Beitrag leisten, wenn das Dämonentor neu erstand. Tief in sich spürte sie, dass der Wächter noch lebte. Was auch immer ihn aufhielt, eines Tages würde er die Überlebenden zusammenrufen und das Dämonentor in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.
Katheste war bereit.
Tolle ... Dämonenfrau? Jedenfalls gefällt mir ihr Volk.
Was mir auch gleich aufgefallen ist: die sorgt sich ja um ihre Bediensteten. Doch etwas ungewöhnlich ... Man gewöhnt sich schnell dran. Was ist denn Voshella? ... klingt interessant.
Schöne Geschichte.
Welche Welt war das jetzt? Liest sich jedenfalls wirklich gut.
Das ist eine gute Beschreibung. Gefällt mir echt.
Eine Frage hab ich da noch. Bei der Massage schreibst du, daß der Sklave der einzige ist, den sie an sich ranläßt, ohne daß er sich die Finger verbrennt. Mit der Anmerkung "wörtlich". Heißt das, daß sie brennt?
Gruß Felicitas
QuoteOriginal von Kira
Tolle ... Dämonenfrau? Jedenfalls gefällt mir ihr Volk.
Die Dämonentorleute sind das magische Gegenstück zu den Cyborgs der SciFi. Mit dem feinen Unterschied, dass Cyborgs nicht zwingend gute Techniker sein müssen, die vom Dämonentor aber allesamt große Magier sind.
QuoteWas mir auch gleich aufgefallen ist: die sorgt sich ja um ihre Bediensteten. Doch etwas ungewöhnlich ... Man gewöhnt sich schnell dran.
Ungewöhnlich nur, wenn man ausschließlich das griechisch/römisch/amerikanische Bild vor Augen hat. Ich habe ein paar andere Vorbilder herangezogen.
Mit Bediensteten meinst Du ihre drei Sklaven, oder?
QuoteWas ist denn Voshella? ... klingt interessant.
http://www.5sl.org/~bretscher/…CTION00071000000000000000
Ja, eine neue Homepage ist in Arbeit.
Weiter oben in diesem Thread ist der Tagesablauf eines Voshellapflanzers in der gleichen Stadt.
QuoteSchöne Geschichte.
Danke.
QuoteOriginal von Latsi
Welche Welt war das jetzt?
Swyrtr. Um genau zu sein, in Ticaftis.
QuoteLiest sich jedenfalls wirklich gut.
Danke.
QuoteOriginal von Felicitas
Das ist eine gute Beschreibung. Gefällt mir echt.
Danke.
QuoteBei der Massage schreibst du, daß der Sklave der einzige ist, den sie an sich ranläßt, ohne daß er sich die Finger verbrennt. Mit der Anmerkung "wörtlich". Heißt das, daß sie brennt?
Sie brennt normalerweise nicht. Es würde eher sowas passieren, wie mit dem Tausendfüßler geschehen ist. Sie ist mit einigen Schutzzaubern belegt (ausgestattet? Wie sagt man da?), die deutlich schneller und kräftiger auslösen können, als einem unbeherrschten Lüstling lieb sein kann.
Ps.: Könen wir eventuelle weitere Swyrtrbezogene Fragen in den Swyrtrthread auslagern?
Also sind sie Produkte des Dämonentors und verstehen auch was davon. Oder?
Ja, ich meine die Sklaven. Afaik hat sie doch eh keine anderen.
QuoteWeiter oben in diesem Thread ist der Tagesablauf eines Voshellapflanzers in der gleichen Stadt.
Den muss ich mir doch gleich mal ansehen.
QuoteOriginal von Kira
Also sind sie Produkte des Dämonentors und verstehen auch was davon. Oder?
Hier entfernen wir uns doch etwas weit vom Thema dieses Threads. Also in Kürze (ausführlicher bei Interesse im Swyrtrthread): Das Dämonentor war Ausbildungsinstitut für Kampfmagier und gleichzeitig Regierungssitz des Torlandes. So genannt aufgrund seiner Geschichte und einer eigentümlichen Felsformation der unmittelbaren Umgebung.
Also lässt sich sagen: Ja Katheste ist ein Produkt des Dämonentores und kennt sich hervorragend damit aus.
QuoteJa, ich meine die Sklaven. Afaik hat sie doch eh keine anderen.
Es ließe sich auch die Ansicht vertreten, Katheste sähe die ganze Stadt als ihr hörig an. Sie nimmt sich, was sie haben will, das schließt Menschen nicht aus.
Wobei das, wie man der Geschichte vielleicht entnehmen kann, auch nicht unbedingt das schlechteste Los ist, das jemanden dort treffen kann.
Okay, jetzt hab ich aber genug. Danke!
QuoteOriginal von Hans
Ungewöhnlich nur, wenn man ausschließlich das griechisch/römisch/amerikanische Bild vor Augen hat. Ich habe ein paar andere Vorbilder herangezogen.
Och, die Römer sind doch schon ganz gute Vorbilder: Haussklaven waren (im Gegensatz zu Landwirtschafts- oder gar Minensklaven) mehr oder weniger Teil der Familie, erledigten wichtige Geschäfte für den Pater Familias, unterrichteten die Kinder und wurden gelegentlich sogar adoptiert.
Das aber nur als Einwurf zwischendurch. Meine eigene Alltagsbeschreibung kommt, sobald meine Welt in Grundzügen steht.
Deneg, einfacher Junge aus Angayuun, Hauptstadt des Seebundes auf Zilin, Lemna
Deneg wird früh wach - es ist allein die Gewohnheit, die ihn dazu bringt. Seit er zwölf ist, steht er jeden morgen so früh auf.
Lautlos gleitet er von der schmalen Pritsche und schleicht sich am Bett seiner Mutter vorbei, greift nach Wickelrock und Hemd und tappt in den Hauptraum ihres Hauses. Der Wind hat aufgefrischt und während er sich anzieht und dann lustlos den Kamm durch sein Haar quält, lauscht er dem leisen Murmeln der Wellen unter dem Fußboden. In ein paar Jahren schon wird das Haus abgerissen werden und man wird neue Pfähle einschlagen, wo alte verrottet sind - bis dahin ist er jedoch erwachsen und kann sich und seiner Mutter sicher ein neues Haus kaufen. Er verdient ja jetzt schon sein eigenes Geld.
Er wickelt sich das blaue Leinenband, das ihm Avini, die Schülerin der Blaufärberin aus Solannari, geschenkt hat um die Stirn und verknotet es halbherzig um den wirren Haarknoten an seinem Hinterkopf, dann schleicht er sich aus dem Haus. Kein Grund, seine Mutter zu wecken, sie ist ohnehin immer so müde...
Gannad wartet schon auf ihn, den Rücken an die Wand neben der Tür gelehnt, nackte Füße lässig am Knöchel überkreuzt. Kaum steht Deneg auf dem Steg vor dem Haus stößt Gannad sich von der Wand ab.
Er begrüßt ihn grinsend und wünscht einen guten Morgen und Deneg nickt - obwohl der Morgen noch kaum zu sehen ist. Nur ein sehr fahles Halblicht, das kaum Schatten wirft, erhellt die Stege und auf Pfählen liegenden Bretterwege Angayuuns, als sie zum inneren Rand der Stadt wandern.
Auf dem Weg halten sie an einem der Eimer, die die Gerber und Färber an die Häuserecken stellen, und erzählen sich dumme Witze, während sie in die schon reichlich gefüllten Behältnisse pinkeln. Gannad ist immer öfter bei den Seilern und Netzmachern aus Solannari und schwört, dass sie die dreckigsten Mäuler des ganzen Seebundes haben. Den Kostproben nach zu schätzen muss Deneg zustimmen, aber er schnieft nur und grinst gelassen, als würde er all die dummen Sprüche schon kennen.
Die Boote legen soeben an die Stege an, als sie die letzten Häuser der Stadt erreichen. Leinen werden geworfen und zwischen den anderen Jungen winken Gannad und Deneb mit den Armen, versuchen größer und älter zu wirken, als sie sind.
Einer der Fischer, den sie schon gut kennen, wirft ihnen die Leine zu und sie helfen, das Boot an den Steg zu ziehen. Und dann beginnt die harte Arbeit - Eimer voll noch zappelnder, glitschiger Fische von Bord hieven und zu den Verkaufsständen schleppen, wo ein müder und etwas missmutiger Aufseher alles beobachtet und halbherzig in ein Stück geglätteter Birkenrinde kratzt. Dann müssen sie die nassen, schweren Netze aus dem kleinen Gefährt zu den Trockengestellen schleppen, wo sie sie unter den wachsamen Augen des Fischers ausbreiten. Die rauhen Hände des Mannes wandern über die Maschen, suchen nach Löchern.
Die beiden Jungen warten, bis er ihnen endlich ihre Münzen zuwirft.
Sie waschen sich an einem der Stege weiter südlich und beäugen die Mädchen, die - weit vorgebeugt - Wäsche im Wasser einweichen und dann auf die blankpolierten Bretter der Stege schlagen und mit flachen Hölzern den Saft der Managus-Pflanze hinein prügeln. Wenn sie den Saft wieder auswaschen, entstehen Blasen auf dem Wasser wie bei starkem Regen und einige der Mädchen bespritzen sich mit Wasser und setzen sich die Blasen auf die in Tüchern hochgebundenen Haare.
Gannad ruft ihnen ein paar der bei den Seilern aufgeschnappten Sprüche zu und entweder sie kichern oder sie schleudern mit den Holzschlegeln Wasser zu ihm herüber. Deneg grinst nur und schüttelt den Kopf, löst das Band aus den Haaren und taucht den Kopf ins Wasser. Als er ihn wieder hebt, wirft eines der Mädchen ihm einige Stengel es Managus-Krautes zu.
Sie ruft ihm zu, er solle sich mal ordentlich sauber machen, und die anderen Mädchen kichern wieder. Er wird sie nie verstehen, aber er reibt die fleischigen Blätter in sein Haar und genießt den frischen Duft.
Anschließend schlendern er und Gannad zu einem der Märkte und balancieren von einem Boot zum nächsten, halten zwischendurch an Stegen mit echten Ständen an oder beugen sich über eines der kleinen Gefährte, um die Waren näher zu begutachten - so als könnten sie sie tatsächlich kaufen. Die Händler lassen sie gutmütig gewähren und eine dickliche Frau schenkt ihnen sogar zwei Äpfel, die sie mit lautem Dankeschön bis auf den Stiel verschlingen.
Deneg kauft schließlich Brot und den harten, aber würzigen Kuhmilchkäse der Bergvasallen und bringt beides nach Hause, verabredet sich vorher mit Gannad, nach Mittag einem der Prozesse zuzuhören.
Seine Mutter ist schon lange weg, als er das Essen in ihr Heim bringt. Sie arbeitet bei einer der reichen Familien, wäscht Kleider und reinigt die Böden. Fünf Boote soll die Familie haben und die Waffen des Hausherren liegen auf einem Bärenfell im Hauptraum, hat seine Mutter erzählt.
Er kehrt zurück zu einem der Märkte, diesmal aber nicht um zu kaufen, oder so zu tun. Laut ruft er, dass er jung ist und kräftige Arme hat und gerne hilft. Schließlich trägt er für eine reich aussehende Dame, die sich ihr Haar rot gefärbt und in einen fast durchsichtigen Seidenschleier gewickelt hat, die Einkäufe zu ihrem Haus. Mehrere Katzen und zwei kleine Kinder begrüßen sie dort und mit einem Lächeln drückt sie ihm eine kleine Münze in die Hand. Mit einer Verbeugung und einem Zwinkern zu den Kindern macht er sich auf den Weg zum Verhandlungsplatz von Gamadir.
Gannad hat ihm einen Platz auf einer Strebe freigehalten, die zwei Häuser am Rande des Platzes verbindet. Deneg schwingt sich mühelos hinauf und hat einen guten Blick über die versammelte Menge - und den Redner, der schon mit seinem Vortrag begonnen hat.
Er und Gannad johlen ebenso laut wie die anderen, während der Redner in aller Länge und Breite Abstammung, Lebensart, Aussehen und Geruch sowie Verhalten des Angeklagten bemängelt. Sie lachen über die eingestreuten Anekdoten, bewundern den wundervoll mit Mustern bestickten Rock des Mannes und wie er sich hält und mit der Stimme den weiten Raum füllt.
Sein Gegner ist fast noch besser und beginnt mit einigen scharfen Spitzen gegen den ersten Redner, um dann Abstammung, Lebensart, Aussehen und Geruch sowie Verhalten des Angeklagten bis aufs Höchste zu preisen und mit großen Worten die schrecklichen Umstände darzulegen, die zu dem Missverstädnis der Anklage geführt haben.
Der Angeklagte selber wird dabei kaum beachtet, aber ein Blick auf den Mann lässt Deneg grinsen - er ist ebenso von der Redekunst der beiden Kontrahenten auf der Bühne gefesselt wie das Publikum. Einzig der Richter wirkt fast ein bisschen gelangweilt und spielt abgelenkt mit dem beschnitzten Stab, der seine Position kenntlich macht.
Als die Reden vorbei sind, springen Deneg und Gannad von dem Balken und verlassen den Platz - sie sind noch zu jung zum Abstimmen und wenn sie einer der Aufseher erwischt, wie sie trotzdem schreiend die Hände in die Höhe strecken und mitgezählt werden wollen, setzt es einiges. Das kennen sie schon zur Genüge.
Statt dessen beschließen sie, nachdem Deneg für die Münze der reichen Frau zwei gegrillte Fische für sie erstanden hat, zu Masaril hinauszuschwimmen. Beide ziehen sich aus, wickeln die Kleider in ihre Stirnbänder und schnüren sie sich als kleine Bündel auf dem Kopf fest.
Mit der Übung aller Jugendlicher Angayuuns bewegen sie sich mühelos durch das Wasser und erklettern das schroffe Ufer der Insel der Namen. Die Gedenksteine ihrer Väter liegen nahe beieinander und sie lehnen die Köpfe an ihre rauhen Oberflächen, während sie in der inzwischen schon wieder sinkenden Sonne trocknen. Sie erzählen sich, wie er wohl war, der Kriegszug gegen die Dammali, wie Gannad sagt.
Damay, verbessert ihn Deneg. Wenn, dann muss man eine Geschichte richtig erzählen und die seltsamen Tiere-reitenden Menschen aus dem Osten nennen sich selber Damay und nicht Dammali - und alle gebildeten Menschen des Seebundes nennen sie ebenso.
Natürlich haben ihre Väter die Damay zurückgeschlagen und den Bund mit den Assabilen im Osten des Reiches aufrecht erhalten. Sie sind so großartig und tapfer gestorben wie sie gelebt haben, wie echte Krieger der Nation vom See Angayuun... Deneg träumt von seiner eigenen Zukunft. Jederzeit kann wieder der Krieg kommen und das Heer aufgestockt werden. Dann hätte er seine eigenen Waffen und müsste nicht an den Kämpferschulen mit großen Augen zusehen. Jungen wie er werden nur die untersten Ränge, für die höheren muss man sich die teuren Lanzen und Schwerter und vor allem die Rüstungen kaufen können - aber dennoch, so könnte man einen Namen gewinnen, an den sich andere erinnern.
Sie seufzen und küssen schließlich die Namenszüge ihrer Väter auf den Steinen, bevor sie wieder zum Ufer schlendern.
Eine junge Frau legt dort gerade mit ihrem Boot an und bricht in Gelächter aus, als sie die beiden sieht - immer noch nackt und mit den Haaren offen, ihre Kleider als Bündel unter dem Arm. Deneg wird rot, aber Gannad ist sogar unverfroren genug, noch eine Pose einzunehmen und die noch eher schmächtigen Muskeln eines noch wachsenden jungen Mannes zu demonstrieren.
Die junge Frau schüttelt den Kopf und die beiden Jungen ziehen sich an, als sie anbietet, sie auf dem Rückweg in ihrem Boot mitzunehmen.
Am Ufer warten sie, während die Frau Zwiesprache mit einem der Gedenksteine hält. Sie bleibt nicht lange und ist recht still, als sie zurückrudert, die beiden Jungen im Heck des Bootes kauernd.
Bevor sie jedoch die Stadt erreichen, bessert sich ihre Laune wieder und sie beginnt zu summen. Wo sie sie absetzen soll, fragt sie, und die beiden antworten wie aus einem Mund: Dasamarri.
Denn, wenn auch Gamadir die reichen Häuser und besten Redner hat und Solannari die besten Färber und schönsten Frauen - Dasamarri ist der Stadtteil mit den größten Helden. Sie lacht und setzt sie an den Stegen gegenüber den Pfählen ab.
Die Gefangenen hocken dort, einige trübsinnig auf den Enden ihrer Pfähle balancierend, andere auf grob darauf festgezimmerten Plattformen hockend. Es befindet sich sogar jemand in einem kunstvoll bestickten Rock darunter - ein Reicher, der unablässig zum Wächterturm hin schreit, dass dies ungerecht ist und ein Missverständnis und er sich großzügig zeigen würde...
Die beiden Jungen rufen Beleidigungen und Obszönitäten hinüber, bis der Redner vor Wut puterrot angelaufen mit wedelnden Armen ins Wasser stürzt. Sein verblüfftes Gesicht mit dem sich lösenden Haarknoten ist so herrlich seltsam, dass sie vor Lachen beinahe in die Knie gehen.
Inzwischen ist die Sonne jedoch hinter den Bergen verschwunden und beide müssen früh aufstehen, wenn die Fischer wieder mit ihrem Fang einlaufen. Sie verabschieden sich mit der gelangweilten Lässigkeit, die sie von den Älteren abgucken, und alleine wandert Deneg nach Hause.
Seine Mutter schneidet Brot und Käse auf und fragt ihn nach seinem Tag, lobt ihn dafür, den Namen seines Vaters besucht zu haben. Aber auch sie ist müde und bald gehen sie beide ins Bett, warten auf den nächsten Tag in Angayuun.
Keris O'Ban, 14 Jahre, Lehrling bei dem Magieschmied Meister Jarres in Parath, Galhadan, Gaia
Keris O'Ban stand schon am frühen Morgen auf. Die alten Glocken der Martaiuskathedrale schlugen gerade die fünfte Stunde und die ersten fahlen Sonnenstrahlen krochen wärmend über den metropolischen Horizont. Alles war noch neu und ungewohnt für Keris, der sonst nur das Leben auf dem Bauernhof seiner Eltern in der Baronie Annundor kannte. Der immerwährende Lärm der Stadt, der sogar die Nacht zum Tag machte, die bunten Illusionsbilder, die mit kostspieligen, magischen Projektoren in die Luft projiziert wurden und für allerlei Tant, Werk und Zerstreuung warben, das Ratten der Gasleitungen, die zu den unzähligen Laternen der Stadt führten und diese beleuchteten und das ewige Dröhnen der Skifftriebwerke, die zu jeder Tages- und Nachtzeit am Himmel verkehrten ließen ihn kaum Schlaf finden. Nichtsdestotrotz war es nun Zeit für ihn aufzustehen. Gähnend, räkelnd und ein bisschen quängelnd streckte er sich und kroch aus dem harten, für seine Verhältnisse recht weichen, Strohbett heraus. Kurz hielt er seinen Kopf unter die für ihn recht befremdliche Konstruktion der Dusche, die für ihn immer ein sprudelnder Quell von Fragen war: Warum wollen die Leute hier Regen im Haus haben? Warum baut man so etwas nicht über die Getreidefelder, wenn mal der Regen ausbleibt?
Nach dem Waschen zog er sein derbes Leinenhemd und seine braune Leinenhose mit vielen nützlichen Taschen an und streifte sich seine lederne Hosenträger über. Darüber streifte er noch seine einfache Weste und knöpfte diese zu. Die Haare versuchte er erst gar nicht in Ordnung zu bringen. Die waren einfach viel zu störrisch und außerdem wollte er keine kostbare Frühstückszeit für diese zickige Unkraut auf seinem Kopf vergeuden. Zum Schluss zog er noch rasch die schweren Arbeiterschuhe an, die er von Meister Jerris am ersten Tag erhalten hatte, verlies sein schlichtes, aber praktisches Zimmer und eilten einen Stock nach oben.Tante Sionna lebte schon seit vierzehn Jahren in Parath. Ihre Pension ging ganz gut und warf genug Geld ab, um angenehm leben zu können. Diese befand sich im sechsten bis elften Stock des Gorewenturmes im Sourangeviertel im südlichen Randgebiet der Kaiserstadt. Nicht unbedingt das luxuriöseste Viertel, aber hier gab es nicht viele Verbrechen, die Stadtmiliz sorgte für Ruhe und Ordnung und der Weg ins Zentrum und den großen Märkten war nicht weit. Anders für Keris, der netterweise bei Tante Sionna für geringe Unkostenerstattung und durch gutes Zureden von Keris Vater und Sionnas Bruder, Duncan O'Ban, hier übernachten durfte, denn die Werkstatt von Meister Jerris lag am Nordende der Kupferstraße, der pulsierenden Hauptverkehrsader der Schlotstadt, wie das Manufakturenviertel genannt wurde. Und das war am Nordostende der Innenstadt von Parath und somit nahezu am anderen Ende der Stadt. Keris musste sich also beeilen, wenn er rechtzeitig zum Arbeitsbeginn bei der Werkstatt sein wollte.
Sionna erwartete ihren Neffen schon in ihrem Speisesaal, der im elften Stockwerk lag. Einer ihrer Angestellten hatte schon den Frühstückstisch gedeckt und da Keris ja ihr Neffe war, durfte er bei ihr am Tisch sitzen. Sionna war mit ihren 36 Jahren noch recht jung und genau das Gegenteil zu ihrem 12 Jahre älteren Bruder Duncan. Während dieser lieber auf dem Hof ihrer Eltern in dem Dörfchen Braeksten lebte, Roorbacks und anderes Getier züchtete und den Acker bestellte, wollte Sionna schon immer in die Stadt. Und schließlich hatte sie sich mit 22 Jahren so viel Geld im Rasthof "Am Lehmpfad" von Vetter Carrit verdient, dass es für den Aufbau ihrer eigenen Existenz in Parath reichte. Nun besaß sie eine fünfstöckige Herberge in luftiger Lage, hatte acht Angestellte unter sich und verdiente ein gutes Geld. Nur zu einem hatte es in ihrem recht jungen Leben noch nicht gereicht: Für einen liebenden Ehemann und für die Gründung einer Familie. Um so mehr freute sie sich, dass nun ihr 14jähriger Neffe nun bei ihr lebte, um wenigstens ein Mitglied ihrer Familie bei sich zu haben.
Keris begrüßte Tante Sionna wie es sich gehörte mit zwei Wangenküssen und erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden. Dann begab er sich zu Tisch und begann mit dem Frühstück. Sionna hingegen las lieber im frisch gelieferten "Parath Herold" über die Ereignisse des letzten Tages und trank dabei ein paar Schluck stark gesüßten Zikatee. Keris hingegen konnte mit dem bitteren, gelben Gebräu nur sehr wenig anfangen und blieb lieber bei seiner Ghengimilch, gebratenen Eiern, Pocbackschinken von seines Vaters Hof und salziger Käse von den Küstengebieten Annundors. Dazu gab es noch duftendes Krambrot von Bäcker Tiwyer aus dem zweiten Stock des Gebäudes.
Nach dem eiligen Morgenmahl packte sich Keris noch ein paar Brote ein, verabschiedete sich höflich von Tante Sionna und eilte aus der Pension.
Sein langer Weg führte zunächst über mehrere Brücken und Stege in Richtung Stadtmitte. Da er kein Geld für Transportskiffs ausgeben wollte, blieb ihm nur der knapp einstündige Fußmarsch. Da er aber den Weg nun schon einige Male gegangen war, kannte er schon einige Abkürzungen, wie er schneller ans Nordende der Schlotstadt gelangen konnte. Um diese Uhrzeit waren die Brücken noch relativ menschenleer. Die ersten Geschäftsinhaber nahmen neue, frische Waren auf, einige Stadtmilizen patrouillierten und warteten auf ihre ersehnte Ablösung, ein paar Obdachlose krochen aus ihren Verstecken und suchten sich ein einen Platz um ein paar Kupferstücke zu erbetteln und ein paar Gläubige machten sich auf zur nächsten Kapelle, um ihr tägliches Morgengebet anzustimmen. Noch war die Luft in der Stadt relativ frisch von der langen Nacht, doch schon bald würde sie sich mit Rauch und Staub aus den Schloten und Schornsteinen der Häuser und Manufakturen erfüllen.
Als Keris den Hauptmarkt erreicht hatte, verlies er über unzählige Treppenstufen die Himmelswege und folgte nun der Hauptstraße Richtung Norden. Hier, am Boden, war schon viel mehr Gewimmel und Gewusel als auf den doch ruhigeren Plattformen. Einige der Geschäfte, Läden und Marktstände haben schon eröffnet und verkaufen frische Gemüse, Obst, wohlriechende Kräuter und duftendes Brot, Eier, Speck und abgehangenes Rauchfleisch, weiche und harte Lederwaren, allerlei Pflanzen und Tiere, Leinenstoffe, Maschinenteile, Werkzeuge und Haushaltsgeräte, mechanische Uhren und prall gefüllte Pfeffersäcke. Passanten und Leute, die gerade auf dem Weg zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause waren, erledigten hier rasch ein paar Einkäufe, nahmen noch beim Zeitungsjungen an der Ecke eine Ausgabe des "Parath Herold" mit und machten sich dann weiter auf den Weg. Ein paar Droschken mit teilweise recht abenteuerlichen Zugtieren und -maschinen preschten über die Marktstraße und einige Skiffs knatterten lautstark über die Köpfe der Passanten hinweg. So erwachte Parath an nahezu jedem Tag auf. In der Hauptfiliale von Snails war gerade Schichtwechsel und die Verkäufer und Verkäuferinnen der Nachtschicht machten sich mit übermüdeten Augen auf den Weg zu ihrem weichen Bett. Die ersten Prediger hatten sich schon eingefunden, um das Volk mit wirren Reden über die Götter und Dämonen vollzuschwallen und davon zu überzeugen, dass sie sich auf dem Weg ihres seelischen Untergangs befinden. Ein Junge nagelte einige Plakate auf eine Holzsäule, um auf die anstehende Wahl des Stadtrates hinzuweisen und irgendwo erbrach sich ein Betrunkener und schlief in seinem Erbrochenen ein, welches schließlich von einem streunenden Hund aufgeleckt wurde.
Keris verlies zügig den überfüllten Hauptmarkt, vorbei an den würzig riechenden Ständen und Buden und die Hauptstraße entlang einem anderen, unangenehmeren Geruch entgegen. Nach einigen Minuten strammen Marsches erreichte er schließlich den Hafen und mit ihm den fischigen Gestank des großen Flusses. Jeden Tag kamen hier unzähligen Schiffe von Osten oder Westen an, lieferten Tonnen von Waren ab oder nahmen entsprechend wieder Tonnen mit. Unterhalb der steinernen Kais, auf denen zügig unzählige Hafenarbeiter die Ladungen löschten und mit mechanischen oder je nach Reichtum des Besitzers mit magischen Levitationskränen auf Kutschen, Skiffs oder in die Lagerhallen verluden, regte sich der menschliche Abschaum der Innenstadt. Normalerweise war die verruchte Ringstadt, eine Art bewohnter Festungsgraben mit gut 500 Metern Breite der Sammelpunkt für den Unrat der Gesellschaft oder zumindest für die, die es sich nicht leisten konnten, in der Innenstadt zu leben. Obdachlose, Aussätzige, Illegale, Huren und Drogenabhängige hausten in den verkommen Bruchbuden am zwischen den zwei wulstigen Stadtmauern und waren normalerweise im Zentrum tabu. Doch da der Fluss auch durch die Ringstadt fließt, war es nur eine Frage der Zeit, wann sich die ersten Baracken unterhalb der Kais ansammelten. Hier lebten nun jene, die nicht genug Geld hatten, um sich eine richtige Bleibe in Parath zu kaufen und als Lohnsklaven in den gewaltigen Manufakturkomplexen wie zum Beispiel der unheimlichen "Flammenden Kathedrale von Argone" für ein paar Carrys zu zu schuften. Da für die meisten der Hafenratten, wie sie von den Hafenarbeitern und den anderen Bewohnern von Parath genannt wurden, Hygiene ein Fremdwort war, entsorgten sie alles dort, wo sie auch ihre Essen her bekamen: Im Fluss. Es gab zwar immer wieder beschwerden beim Stadtrat, dass die Hafenratten alles mit ihrem Gestank verpesten würden, doch reagierte der Rat nicht besonders darauf. Stattdessen machte man sich mehr Sorge darüber, ob die Flussanwohner nicht irgendwelche Seuchen und Krankheiten in die Innenstadt schleppen würden, weswegen immer wieder Impftruppen der Heilergilde in Seuchengewändern ins Hafenbecken geschickt wurden, um mit kostenlosen Medikamenten gegen mögliche Seuche vorzugehen. Dieses umsichtige Vorgehen des Rates sorgte wieder für Empörung bei einigen Stadtbewohnern, die sich benachteiligt fühlten, weil die Hafenratten kostenlose Medikamente bekamen, während diejenigen, die eifrig und fleißig Geld verdienten, die teuren Mittel und Tinkturen kaufen mussten. Und so ging es nun schon seit einiger Zeit hin und her, aber eine richtige Lösung des Problems gab es noch nicht.
Am Hafen angekommen ruhte sich Keris kurz aus und beobachtete die Lastkräne bei ihrer Arbeit und schaute zu, wie große Skiffs am Lufthafen andockten und dort ihre Waren ent- oder beluden. Irgendwann würde er auch mal gerne mit so einem Skiff fliegen, die Welt wie ein Vogel oder ein Drache aus der Luft erforschen. Frei und ungebunden. Aber ein Skiffflug war teuer und da er noch kein Geld hatte, sondern Meister Jarres noch Geld für die Ausbildung bezahlen musste, war dies noch ein unerfüllter Traum. Deswegen machte er sich nun wieder auf und folgte der stinkenden Hafenstraße gen Osten, bis er endlich die Nordausläufer der Schlotstadt erreicht. Hier stießen drei Viertel von Parath aufeinander: Schlotstadt, Girlathes, das Viertel der Gnome und Thurant, das Zwergenviertel. Dementsprechend war hier die Anzahl von gnomischen und zwergischen Bewohnern entsprechend größer als in der restlichen Stadt. Das Girlathes und Thurant sich direkt neben der Schlotstadt ist kein Wunder, sondern genaue Stadtplanung, denn schließlich sind Zwerge exzellente Schmiede und Gnome Spezialisten in der Feinmechanik.
Keris hatte sein Ziel fast erreicht. Er überquerte noch rasch die Straße, passierte einige kleine Werkstätten und Lagergebäude und kam schließlich an Meister Jarres Werkstatt an. Der Meister erwartete ihn schon. Eigentlich war Keris relativ pünktlich, doch Meister Jarres neigte dazu, seine Zöglinge immer etwas härter zu behandeln, als es nötig wäre. Immerhin ist das Leben an sich eine harte Angelegenheit und man sollte darauf gut vorbereitet werden. Ansonsten war Jarres Bael mit seinen gut 60 Jahren ein angenehmer Zeitgenosse, der zwar gerne mal laut schreit, doch es immer seht gut damit meint. So schrie er erstmal mal Keris zusammen, warum er nicht einmal in seinem Leben pünktlicher zur Arbeit erscheinen konnte und teilte ihn erstmal zum Schmiedeputzen ein. Erst nach dem Mittagsessen begann er damit, Keris zu unterrichten und in die Kunst des magischen Schmiedens und der gnostischen Technomantie einzuweisen. Der Junge lauschte dabei sehr gespannt den Worten des Meisters, machte sich Notizen und versuchte sodann gleich das Gelernte richtig in die Tat umzusetzen. Meister Jarres beobachtete ihn dabei äußerst kritisch, musste aber zugeben, dass er sich nicht schlecht anstellte und das einige seiner ehemaligen Schüler sich dümmer angestellt hätten.
Als dann die Glockentürme die 18. Stunde anschlugen, war der Arbeitstag für Keris zu Ende. Rasch putzte er noch seine Werkbank und seine Apparaturen, verabschiedete sich höflich beim Meister und bedankte sich bei ihm für seine kostbare Zeit und für das Wissen, das er heute erlangt hatte und verließ dann die Werkstatt. Wieder führte sein Weg am Hafen vorbei, die Hauptstraße entlang hin zum großen Hauptmarkt. Dort kaufte er sich nun für ein paar Carrys eine Kleinigkeit zu essen und marschierte mampfend und kauend zu Tante Sionnas Herberge, wo er dann gegen die 20. Stunde müde und erschöpft ankam. Sionna hatte schon eine Kanne mit Tee aufgesetzt, an dem sich Keris eifrig bediente. Zu Glück war es kein bitterer Zikatee, sondern ein Aufguss aus getrockneten Früchten und Wiesenkräutern, wie er es von zu Hause kannte. Schließlich läuteten die Glocken die 21. Stunde und Keris sagte Sionna gute Nacht, denn es wurde langsam Zeit für ihn, sich schlafen zu legen, wenn er am nächsten Tag wieder fit sein wollte.
EIN TAG IM LEBEN:
MARAN KINKITO;
ADLERELF,
1234 JAHRE ALT,
SCHÜLER DER ADLERELFISCHEN ZAUBERAKADEMIE
Der Tag beginnt. Maran weiss, dass heute in der Akademie ein Test geschrieben wird. Ein kurzer Test über einfache Haushaltszauber, sowie en paar Aufgaben zu Haushaltsgeistern. Er ist müde, kann sich kaum bewegen, will schlafen. Das Moosbett ist so weich…
Doch er spürte schon den Schlag auf dem Kopf…
„ Aua!“
Es waren die Gibris…
Sie hören wohl nie auf, einen zu ärgern, sie tun es jeden Tag! Er steht nun doch auf, geht zum Kleiderschrank, zieht sich um und geht aus dem Jungenschlafsaal 3. Die anderen sind schon aufgestanden.
Das Essen ist schon zu riechen. Gulu-Fleisch mit einer Art Krautsalat, die er nicht kannte.
In der Frühstückshalle werden schon die Vorübungen gemacht. Vorübungen für den Tag. Nach der Regel müssen alle Schüler erst ein mal zum Wachwerden irgendetwas arbeiten, und erst danach gibt es das Frühstück.
Die Flugübungen, die Maran absolvierte, waren gut. Aber es war anstrengend.
In der Halle wurde es plötzlich ganz hell. Das Frühstück begann, und auch die Adler bekamen ihr Futter in kleinen Futterkrügen. Die Halle wurde nun viel lauter und fröhlicher.
In der ersten Unterrichtsstunde kam erst einmal Kämpfen dran. Eine schwierige Stunde, die sich in der Kampf- Arena abspielte. Hier waren viele Waffen. Heute sollten sie einfach frei kämpfen und die Waffen ausprobieren. Zauber waren verbboten.
Die Unterrichtsstunden waren grade deshalb schwer, weil sie dauernd von nervigen Wesen begleitet wurden. Es war schwierig…
In der Mitte des Tages gab es im Gemeinschaftsraum, wo die vielen Kerzen aufgestellt waren, erst mal eine Ritualstunde. Wie jeden Tag. Sie sind schmerzhaft. Sagt man zuminmdest.
Doch das ist eine Lüge. Sie trugen leise die Kerzen zur Statue von Clarr, jeder Schüler eine. Dann sangen sie ein Loblied. Glück für alle! Es ist uns beschehrt worden!
Das Essen kam.
Der Tag zog sich dahin. Mit Ritualen und Arbeiten. Die Tests mussten überstanden werden. Es war Stress. Doch ohne der Schule würde nichts für ihn so sein, wie er es wollte. Er wollte Magier sein. Und Clarr würde ihm helfen.
ERLÄUTERUNGEN:
GIBRIS:
Gibris sind kleine Wichtel mit silbriger Hautfarbe. Sie ärgern gern andere Leute, doch haben auch die Absicht, Elfen mit ihrer Waffe zu helfen: Schallwellen.
GULUFLEISCH:
Fleisch eines schweineähnlichen Tieres mit einem Horn zur Verteidigung.
NevLou's Exil hat mich dazu inspiriert, wieder an meinem postapokalyptischen Kontinent Gok weiterzubasteln - natürlich klappt das alles nie so wie man sich das denkt - hier etwas, was mir in die Hände fiel:
Das hier ist die kurze Geschichte von Mikis Tajd. Es ist eigentlich mehr seine Lebensgeschichte als eine Alltagsbeschreibung...
Mikis Tajd
Seit gut 19 Jahren streunt Mikis durch die Straßen Talvarins, immer auf der Suche nach einem annehmbaren Plätzchen für die Nacht.
Er ist ein Experte darin geworden, bei unfreundlichstem Wetter draußen zu überleben, und empfindet es inzwischen nicht mehr als schwer, für sich zu sorgen.
Inzwischen nimmt er hin und wieder andere Obdachlose unter seine Fittiche, und hilft ihnen im lebensfeindlichen Talvarin zu überleben.
Einst war Mikis ein angesehener Rechtsanwalt, mit einer Eigentumswohnung im besten Viertel Talvarins, einer vierköpfigen Familie, einem Hund, und einem Jahresgehalt von 500.000 Luj. Doch dann kam der Tag, an dem seine Frau und Kinder von Sha Nagjenern entführt wurden. (Sie zählten zu den ersten Opfern, damals hatten die Sha Nagjener ihre Tötungsmaschinerie noch nicht vollständig und allübergreifend zum laufen gebracht**)
Mikis stellte Himmel, Hölle und sein Leben auf den Kopf, um sie wieder zu finden, doch als es ihm nach Monaten endlich gelang, waren diese armen Kreaturen nicht mehr lebensfähig. Die Sha Nagjener hatten an ihnen ihre grausamen Experimente durchgeführt. Danach ist kaum ein Lebewesen noch zum selbständigen atmen fähig.
Mikis tat sein Bestes, um die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen, denn er glaubte bedingungslos an die Gerechtigkeit, und dass sie jedem vor einem ordentlichen Gericht wiederfahren würde. Aber er täuschte sich.
Es war weniger als leicht für die Cull (die niederträchtigen Sha Nagjener, die mit Außerirdischen des Planeten Kryson im Bunde waren, und furchtbare biologische und atomare Experimente durchführten) unbeschadet aus dem Prozess zu kommen, denn Mikis konnte letztenendes doch nicht beweisen, dass sie an der üblen Vernichtung seiner Familie beteiligt gewesen waren.
Sie sorgten mit ein paar guten Anwälten dafür, dass Mikis alles verlor, was er noch hatte. Sein Geld, seinen Ruf, seine Arbeit als Anwalt bei Tal & Maraes, sein Ansehen - alles. Freunde wurden bestochen.
Mikis war ganz allein. Er wurde obdachlos, und lernte eine harte Lektion. Es war ihm schier unbegreiflich, das Menschen käuflich waren. Ausgerecht jene Menschen, in die er sein Vertrauen gelegt hatte. Seine Freunde, seine Verwandten, seine Arbeitgeber... und vor allem das hohe Gericht von Talvarin. Das Gesetz war gekauft worden - eine Einsicht, die Mikis bis in seine Grundfesten erschütterte.
Mikis verlor seinen Glauben. War er zuvor noch wie ein braver Bürger jeden ersten Tag ins Schöpferhaus gegangen, so war er jetzt völlig davon überzeugt, dass die Gnade Sýls ihn verlassen hatte.
Für Mikis gab es kaum etwas schmerzenderes, als seinen Glauben an das Gute zu verlieren. Aber nichts fand er, was seinen Glauben aufrecht gehalten hätte.
**zur Erklärung: Was die Sha Nagjener GENAU getrieben haben, hab ich noch nicht so ganz herausgefunden. Mikis ist zumindest kurze Zeit später mit einem der ersten Raumschiffe aus Vorya verschwunden. Das war dann die Zeit, als die meisten sich auf in andere Galaxien machten.
Tavalil, Mädchen im Lande Ajurach, Kanturia
Der Tempelgong weckte Tavalil kurz vor Sonnenaufgang. Sie war erst am Vortag Abends mit einer Gruppe weiterer Mädchen in diesem Tempel angekommen, doch das frühe Aufstehen fiel ihr leicht, denn es gab etwas, worauf sie sich freuen konnte: Wasser. Dieser Tempel lag direkt am Bahs, dem größten Fluß im Süden. Hier gab es Wasser im Überfluss.
Mehr noch: Tavalil wusste von früheren Besuchen hier, dass es an dieser Stelle keine gefährlichen Tiere im Fluss gab.
Voll Vorfreude schritt Tavalil hinunter in den Speisesaal. Am liebsten wäre sie gerannt und gesprungen, doch das war im Tempel verboten. Erst auf dem Gang begegneten ihr weitere Mädchen, denn dies war eine weitere Besonderheit dieses Tempels: Es gab viele Kammern, gerade groß genug, dass eine Person darin schlafen konnte. Nicht wie bei den meisten Tempeln im Inland, wo alle Mädchen in einem Saal schlafen mussten, und nur die Priester und Priesterinnen eigene Räume hatten.
Vor dem Vorhang zu ihrer Kammer sah Tavalil Ashara. Mit ihr war sie schon oft im gleichen Tempel gewesen. Manchmal auch in der gleichen Gruppe weitergereist. Die beiden Mädchen verbeugten sich voreinander und sprachen die traditionelle Grußformel. Erst draussen, am Fluß würden sie sich begrüßen, wie es Mädchen ihres Alters angemessen war. Nun schritten sie nebeneinander her, den Blick auf den Boden ein paar schritt vor ihnen gerichtet, und erzählten sich in gedämpften Tonfall, wo sie im letzten Jahr gewesen waren. Es fiel Tavalil nicht leicht, die Maske der Ruhe aufrechtzuerhalten, doch die Prügel, die sie bereits bezogen hatte, wegen Respektlosigkeit vor dem Heiligtum, reichten ihr für den Rest ihres Lebens.
Im Speisesaal angekommen schritten die Beiden mit gesenktem Kopf vorbei an den Plätzen der Priesterinnen in den hinteren Bereich für die Mädchen. Besonders viele waren noch nicht da. Eine Achtjährige stand staunend vor einer Amphore, die randvoll mit Wasser gefüllt war, und aus der sich jede nehmen durfte, so viel sie nur wollte. Etwas weiter saßen einige Mädchen, die Tavalil und Ashara bereits kannten auf Matten am Boden. Sie nahmen sich irdene Schalen, füllten diese mit den vorbereiteten Lebensmitteln, nahmen sich jede einen Krug Wasser und setzten sich zu den Anderen. Dort wurden sie förmlich begrüßt. Auch der Speisesaal befand sich innerhalb des Heiligtums. Es gab viel zu erzählen, doch keine von ihnen wagte es, dabei laut zu werden. Nur, als sich der Saal bereits gefüllt hate gerieten etwas entfernt zwei jüngere Mädchen in Streit. Als eine aufschrie, weil die Andere sie an den Haaren zog wurden alle zwei hinaus gebracht. Tavalil sah ihnen mitleidig hinterher. Sie wusste nur zu gut, was diese nun erwartete.
Nach dem Morgenmahl ging es zunächst zur Andacht. Die Mädchen hatten im Gebetssaal einen speziell abgetrennten Bereich. Nicht nur die Tempelbewohnerinnen waren hier, auch eine große Anzahl Nomaden hatte sich eingefunden. Während des Gottesdienstes warf Tavalil immer wieder verstohlene Blicke hinüber zu den Burschen der Nomaden. Ihr entging nicht, dass auch diese immer wieder wenig andächtig zu ihnen herüber sahen. Sie beneidete diese, dass ihr Geist so viel stärker war, als der der Mädchen, doch sofort schämte sie sich für diesen Gedanken. Es gehörte sich nicht, an dem Wirken der Götter zu zweifeln, schon gar nicht in der Gebetshalle. Tavalil war dankbar, dass die Isiaharapriesterinnen es auf sich nahmen, sie vor dem unheilvollen Wirken von Magie und Dämonen zu schützen, dem sie sonst unweigerlich ausgesetzt wäre. Für den Rest der Andacht richtete Tavalil ihre ungeteilte Aufmerksamkeit nach vorne auf die heiligen Worte vom Altar. Noch ein Jahr, Tavalil rechnete fest damit, höchstens zwei, dann würde entschieden werden, ob ihr Geist bereits genug gefestigt war für ein Leben außerhalb der Ordensmauern, oder ob sie geeignet war, als Priesterin im Tempel zu bleiben. Jedenfalls würde sie dann auf der anderen Seite dieses Gitters sitzen.
Nach dem Gottesdienst ging es endlich zum Fluss. Alle Enge und Beklemmung fiel draußen von ihnen ab. Unter Aufsicht von ein paar Novizinen warfen sie ohne Scheu ihr Gewand ab und schmissen sich laut quietschend in die Fluten. Endlich konnte sich Tavalil Ashara und den Anderen in die Arme werfen, und offen ihre Freude zeigen, sie wieder zu sehen. Gemeinsam lachten sie über einige Mädchen, die scheu am Ufer standen, weil sie sich bisher nicht hatten vorstellen können, dass so viel Wasser überhaupt existierte. Diejenigen im Fluss forderten sie auf, zu ihnen zu kommen und spritzten sie nass. Anderenorts wäre dies in sich ein schweres Vergehen, aber hier, wo so viel davon einfach ungenutzt vorbeifloss diente es einfach nur dem Vergnügen. Mutter Oberin war großzügig gewesen und gönnte ihnen eine volle Stunde, bevor die Arbeit begann.
Der Grund, warum so viele Mädchen zu dieser Jahreszeit an den Fluß gebracht wurden: Die Kamele haarten sich. Die Wolle musste gewaschen werden. Überall sonst im Land war Wasser viel zu wertvoll, es für diesen Zweck zu verschwenden. Nur hier am Bahs gab es reichlich. Hier wurde die Kamelwolle gewaschen, nach Güte sortiert und gesponnen. Am Ufer waren großflächig Tücher aufgespannt, als Schutz gegen die sengende Sonne des Tages.
Zu Mittag gab es eine weitere Mahlzeit und Andacht. Danach setzten sich die Mädchen nicht ans Ufer, um dort zu arbeiten, sondern in den Fluß. Ansonsten wäre ihnen die Hitze zu unerträglich zum arbeiten geworden, selbst im Schatten der aufgespannten Tücher. Noch einen Vorteil hatte die Arbeit hier: Sie fand außerhalb des Tempels statt, niemand musste sich aus Respekt zurückhalten. So wurden lauthals Erlebnisse ausgetauscht, gekichert oder auch laut gelacht, Oder über den einen oder anderen feschen Nomaden oder Priester getuschelt. Priester waren selten für einige Tage oder Wochen zu Gast in Isiaharatempeln, doch kamen ihnen die Mädchen viel näher, als den Nomaden. So gab es von ihnen auch mehr zu berichten, als nur Äußerlichkeiten.
Der Tag verging und ständig kamen Nomaden und brachten Bündel ihrer Wolle. Für die nächsten Wochen würde keines der Mädchen zu einem anderen Tempel geschickt werden, weil es hier mehr als genug Arbeit gab.
Am Abend wurden sie in Gruppen aufgeteilt, um gemeinsam mit einer Priesterin in den heiligen Schriften zu lesen, und das gelesene verstehen zu lernen. Nach einer weiteren Andacht, einem Abendmahl, wurden die Tempelpforten geschlossen und Ruhe war verordnet. Was bis dahin nicht gesagt war, musste bis zum nächsten Tag warten. Tavalil begab sich in den Lesesaal, um von den Helden der Götter zu lesen. Besonders der starke Hachatha hatte es ihr angetan, und sie wusste, dass es hier Sagen über ihn gab, die sie noch nicht kannte. Doch bald schon übermannte sie Müdigkeit, das Lesen wurde zu anstrengend und sie zog sich zurück in ihre Kammer.
Eine gute Geschichte.
Deine Kombination des Lebens der Priesterinnen und Nomaden wirkt nicht nur stimmig, sondern ausserdem sehr lebensecht, falls es so etwas in einer erdachten Welt gibt.
Zuerst dachte ich sogar, der Text ist auf Swyrtr bezogen, dann habe ich meinen Irrtum erkannt.
Wenn du so weiterbastelst, wird Kanturia sehr glaubhaft, trotz aller angeblichen Klischees.
Die Fragen -- wie immer:
- ist nur die Gegend um das Kloster sehr gefährlich oder ist ganz Ajurach von den Angriffen wilder Tiere betroffen?
- wieviele Mädchen werden im Kloster aufgezogen aus welchen Verhältnissen kommen sie und wie werden sie erwählt?
- ist der Beruf der Priesterin etwas für "schwache Frauen"? Das Zitat, das mich darauf gebracht hat:
QuoteNoch ein Jahr, Tavalil rechnete fest damit, höchstens zwei, dann würde entschieden werden, ob ihr Geist bereits genug gefestigt war für ein Leben außerhalb der Ordensmauern, oder ob sie geeignet war, als Priesterin im Tempel zu bleiben.
Für etwas geeignet zu sein ist normalerweise eine positive Sache, warum ist dann der Geist ungefestigt?
QuoteOriginal von Merlin
Eine gute Geschichte.
Danke.
Quote- ist nur die Gegend um das Kloster sehr gefährlich oder ist ganz Ajurach von den Angriffen wilder Tiere betroffen?
Das ist ganz ähnlich der Erde. Geringfügig riskanter, immer dann, wenn so ein Held auftaucht. Für die muss es ja was zu tun geben.
Im konkreten Fall handelt es sich um einen weitgehend wilden Fluß durch südliche Lande. Ich würde auf der Erde auch nicht überall einfach so in den Nil, Amazonas, oder ähnliche Gewässer springen.
Quote- wieviele Mädchen werden im Kloster aufgezogen aus welchen Verhältnissen kommen sie und wie werden sie erwählt?
Zum Zeitpunkt der Geschichte sind viele Mädchen im dortigen Tempel *g*. Sie kommen aus allen verhältnissen, und sie werden ausgewählt, indem sie in Ajurach geboren werden.
Nur selten gibt es dort Mädchen, die außerhalb des Klosters aufwachsen. Solche bilden später die unterste soziale Schicht. Das gilt auch für Ausländerinnen.
Quote- ist der Beruf der Priesterin etwas für "schwache Frauen"? Das Zitat, das mich darauf gebracht hat:
Für etwas geeignet zu sein ist normalerweise eine positive Sache, warum ist dann der Geist ungefestigt?
Religion. *g* Das muss nicht logisch sein. Den Mädchen wird von Geburt an eingetrichtert, dass draussen üble Magie, böse Dämonen und andere Gefahren für den Geist der ungeschützten Mädchen lauern. Gelegenheit nach Indizien für das Gegenteil zu suchen, wird ihnen keine gegeben. Zu ihrem eigenen Schutz, wie sie immer wieder beteuert bekommen.
Die Entscheidung, ob sie Priesterin wird, wird nach anderen, ihr unbekannten Gesichtspunkten getroffen: Entscheidend ist, ob gerade eine erwachsene Arbeitskraft gebraucht wird. Oder andererseits Geld, Mädchen/Frauen, die nach draussen gehen, werden nämlich dorthin verkauft. Lebenslang indoktriniert lassen sie sich das willig gefallen.
So, das waren wieder mehr Details, als eigentlich in diesen Geschichtenthread gehören, aber ich konnte mich einfach nicht zurückhalten.
Auf Wunsch des Benutzers wurde sein Profil und ein Großteil seiner Beiträge aufgrund der DSGVO gelöscht.
Sollte dieser Thread unlesbar geworden sein, weil wir die Beiträge mit diesem Hinweis überschrieben haben, melde ihn bitte, damit wir ihn ggf. löschen können.
Die Geschichte ist alltäglich, dafür interessant.
Der Bürgermeister scheint sehr verständnisvoll zu sein, doch wieso müssen die Türen nachts geschlossen bleiben? Die Sicherheit der Bürger scheint dem Kaiser gleichgültig zu sein.
Und wer sind die Ostlinge? Sind sie wie die Ostlinge Tolkiens? Wenn dem so ist, wie schaut es dann mit deinen Orks aus?
QuoteOriginal von Merlin
Die Geschichte ist alltäglich, dafür interessant.
Korrektur: Alltäglich, und deshalb interessant.
QuoteUnd wer sind die Ostlinge? Sind sie wie die Ostlinge Tolkiens? Wenn dem so ist, wie schaut es dann mit deinen Orks aus?
Darf ich mal interpretieren? Die Orks waren ein wildes Volk, dass der jetzige Kaiser unterwarf, und knechtete. Nur durch ihre kriegerische Hilfe kam der Tyrann in einem vorangegangenen Bürgerkrieg an die Macht.
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