Hallo,
Heute beschäftigt sich das Tutorial mit sagenhaften Begebenheiten.
Sagen, Mythen und Legenden liefern oft die Vorlage für Sci-Fi, Horror und Fantasy. In der Science Fiction sind sie meist nur eine lose Vorlage, um Raumschiffe und außerirdische Tiere zu benennen. In der Fantasy und im Horror haben die benannten Wesen und Gegenstände mehr Eigenschaften des Mythos (oft weil gesagt wird, jeder Mythos hat "einen wahren Kern"), aber es gibt trotzdem Raum für künstlerische Freiheiten.
>HADD
>Erklärungen
Wer an ein Leben nach dem Tod glaubt, braucht ein Modell: Wiedergeburten, Anderswelten, Seelen oder der Eingang in das Göttliche. Diesen Modellen entwachsen dann neue Ideen.
Wenn wir nach dem Sterben weiterleben, könnten Opfer von Gewaltverbrechen zornig oder neidisch auf die Lebenden sein. Wenn es Himmel und Hölle als metaphysische Orte gibt, enthält das Jenseits womöglich Länder und Kontinente wie die Erde. Vielleicht werden manche Geister nicht ins Jenseits eingelassen...
Für Erklärungen zu Naturgeistern gilt dasselbe. Wenn ein Bergmann an eine beseelte Umwelt glaubt, kann er das Klopfen im Schacht einem Bergmandln zuschreiben. Oder das Echo im Gebirge ist ein Zwerg, der zurückruft. Wie die meisten Menschen wird der Bergmann davon ausgehen, dass Geister Menschen ähneln. Das ist aus mehreren Gründen praktisch. Zum einen kann man sich so in dieses Wesen hineinversetzen und versuchen, Macht über das Naturphänomen zu erlangen. Wenn das Klopfen im Berg ein Bergmandln war, dann kann man ihn vielleicht gnädig stimmen, wie einen Menschen.
Ein menschenähnlicher Geist macht weniger Erklärungsaufwand. Er ist glaubwürdiger, weil nicht "die Grundgesetze der Physik mitsamt dem Rad" neu erfunden werden muss. Die Geschichte lässt sich leichter verbreiten. Jeder Mensch kann sich in diese Geschichte hineinversetzen.
Geister sind demnach wie Menschen. Sie repräsentieren/verkörpern oder sie bewohnen/beschützen oder beherrschen/umsorgen. Vielleicht sind sie Verursacher. Es gibt in der griechischen Mythologie zum Beispiel die Anemoi und Harpyien: beides Verkörperungen der Winde. Aber die Anemoi sind eher Verursacher und Herrscher der Windrichtungen und die Harpyien personifizieren einzelne Sturmwinde. In anderen Kulturkreisen gibt es andere Ursachen für den Wind...und somit haben Geister dort andere Rollen ... oder fehlen völlig.
Jetzt kommen die Zweifler. Jede Idee hat ihre Zweifler. Die drei häufigsten Zweifel, deren Einfluss ich in Sagen, Märchen, Mythen und Folklore entdecken konnte, lauten:
Ich nehme aber keine Magie wahr!
Wie soll "Magie" denn herkommen?
Wieso sind unsere Rituale eigentlich nutzlos?
Bei den ersten beiden Fragen kann "Magie" durch "dieser Geist" oder "diese Unterwelt" oder "Götter" oder sonstwas ersetzt werden.
Ich lenke vorbeugend ein: die folgenden Erklärungen sind meistens keine Ausreden verschlagener/verzweifelter Priester, die das Volk belügen. Eine Menge Tierarten benutzen Überlebensstrategien...und wir glauben an Stockinsekten, Schnabeltiere, Vögel, Dinosaurier und Tiefseefische, selbst wenn wir vielleicht weder ein Tiefseeaquarium noch Jurassic Park einen Besuch abgestattet haben.
Magische und übernatürliche Phänomene gelten als
- schwer zu bemerken
- schwer zu erreichen (Bergsteigen um den Yeti zu finden, mentales Training für das "erreichen" magischer Fähigkeiten oder das "sprechen" mit Geistern, von dem Erreichen des Heimatplaneten der Aliens ganz zu schweigen)
- sporadisch auftauchend
- inzwischen (von der Erde oder aus dieser Region) verschwunden sind
Aber selten alles gleichzeitig.
Von manchen Totengeistern könnte ein Medium (und dessen Kundschaft) oder ein animistisches Volk etwa sagen, dass das Erreichen einer Kommunikation "schwer zu erreichen" ist, da etwa das Sprechen mit den Toten ein Training in die medialen oder schamanistischen Künste erfordert.
UFOs, die sporadisch auftauchen und schwer zu erreichen sind (da es, laut Volksmund, Fahrzeuge von fernen Planeten sind), werden auch "schwer zu erreichen" sein, ebenso wie der Yeti, der nur mit exzellenten Bergsteige-Kenntnissen besucht werden kann und sich vor den Sherpas offenbar mehr oder minder erfolgreich versteckt.
Atlantis wiederum ist im Meer verschwunden, dasselbe Meer über das laut einigen deutschen Sagen die Zwerge und das kleine Volk ihre Heimat verliessen.
Hogwarts ist vor einer unerwünschten Entdeckung durch Muggel mit diversen Maßnahmen geschützt.
Insgesamt wird Magie und Co. also nachgesagt, nicht so leicht wahrnehmbar zu sein.
Es gibt mehrere Dutzend Untervarianten davon ...und dieses Tutorial geht in späteren Beiträgen auf viele davon ein. Ja, die Geschichte kann trotzdem wahr sein. Man hat nur dieses Element hervorgehoben, um die Zweifler aufzuklären/besänftigen etc.
Der Ursprung magischer Phänomene wird nicht anders erklärt als der Ursprung nichtmagischer Phänomene. Die Ursprungsmythen berichten von der Neu-Entstehung oder Veränderung gewisser Dinge. Ob das erklärt, weshalb vulkanische Böden fruchtbar sind, warum es ein Leben nach dem Tod gibt oder wieso Menschen von Kobolden verschieden sind macht hier keinen Unterschied -- es ist einzig feststellbar, dass z.B. die Vorstellung, dass Kobolde einst Menschen waren, die durch einen göttlichen Eingriff für die Vergehen ihrer Mutter bestraft wurden (was in mehreren slawischen Mythen erzählt wird) eindeutig keine Geschichte ist, die die Kobolde von selbst fabrizieren würden (vielleicht wurde ihnen ein menschlicher Mythos aufgezwungen und sie nehmen sich nun selbst als degenerierte Menschen wahr).
Es gibt auch noch die Möglichkeit, dass Tiere/Pflanzen Metamorphose betreiben. An eine "Ur-entstehung" von manchen Tieren wurde übrigens in Europa zeitweise geglaubt. Mäuse entstanden demnach aus Laken und Maden entstanden aus Speck... eine kühne Beobachtungsgabe hatten diese Europäer.
In japanischen Sagen gibt es ausserdem noch die Vorstellung der Bildung einer Entität durch Ansammlung von Leid. Goryou etwa sind japanische "Rachegeister", die nicht aus der Seele eines Verstorbenen bestehen, sondern aus Rachegefühlen, die sich an einem Ort gesammelt haben. Gashadokuro hingegen sind "Hungergeister", die aus der Ansammlung des Hungers Hungernder entstehen. Aber auch die Ansammlung von "Alter" verleiht laut Volksglaube 100 Jahre alt gewordenen Haushaltsgegenständen und Tieren eine Persönlichkeit. Bei Andrzej Zapkowski sammelt sich der Schweiß der Bauern an heißen Sommertagen --und bildet feenartige Wesen. Diese Idee hat der Autor möglicherweise aus polnischen Sagen entlehnt, jedenfalls habe ich Hinweise auf so einen Volksglauben auch außerhalb seiner Bücher gefunden.
Anders als bei den Ursprungsmythen ist bei solchen Erklärungsmodellen möglich, dass es "noch heute passiert" oder "solche Wesen noch heute entstehen".
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Nächstes Mal beantworte ich die Frage "Wieso sind die Rituale nutzlos?" und gehe darauf ein, wie man besonders hartnäckigen Zweiflern die Wahrheit zeigt. Jungen Frauen und christlichen Missionaren zum Beispiel. Ja, wir werden es ihnen zeigen...oder doch nicht?
Fragen kommen mir sehr gelegen. Berichtigungen meiner verschrobenen Ansichten darüber, was "Wissenschaft" ist, auch. Ich werde mich hier nicht auf lange Diskussionen einlassen.
Nein, der Thread dient nicht dazu, den Wahrheitsgehalt von Gott, Geistern und Außerirdischen zu diskutieren. Ich kenne die Fragebögen, ihr habt sie ziemlich unterschiedlich beantwortet. Diese Glaubensvielfalt ist spitze und könnt alle die reine Wahrheit glauben, nur bitte nicht in diesem Thread.
Abschliessend möchte ich darauf hinweisen, dass ich seit drei Jahren in diesem Forum bin...aber seit sieben Jahren die Informationen recherchiere, die diesem Tutorial zugrunde liegen. Und das ich nicht viel Fachliteratur zu dem Thema kenne oder lese. Ich habe mir diesen Kram selbst erarbeitet und erhebe weder Anspruch auf Korrektheit noch auf Vollständigkeit.
Grübelt. Fragt. Hinterfragt. Berichtigt! Hoffentlich könnt ihr diesen Krempel am Ende auch nutzen.