Merlin macht Magie

  • Hallo,


    Heute beschäftigt sich das Tutorial mit sagenhaften Begebenheiten.
    Sagen, Mythen und Legenden liefern oft die Vorlage für Sci-Fi, Horror und Fantasy. In der Science Fiction sind sie meist nur eine lose Vorlage, um Raumschiffe und außerirdische Tiere zu benennen. In der Fantasy und im Horror haben die benannten Wesen und Gegenstände mehr Eigenschaften des Mythos (oft weil gesagt wird, jeder Mythos hat "einen wahren Kern"), aber es gibt trotzdem Raum für künstlerische Freiheiten.





    >HADD
    >Erklärungen


    Wer an ein Leben nach dem Tod glaubt, braucht ein Modell: Wiedergeburten, Anderswelten, Seelen oder der Eingang in das Göttliche. Diesen Modellen entwachsen dann neue Ideen.
    Wenn wir nach dem Sterben weiterleben, könnten Opfer von Gewaltverbrechen zornig oder neidisch auf die Lebenden sein. Wenn es Himmel und Hölle als metaphysische Orte gibt, enthält das Jenseits womöglich Länder und Kontinente wie die Erde. Vielleicht werden manche Geister nicht ins Jenseits eingelassen...


    Für Erklärungen zu Naturgeistern gilt dasselbe. Wenn ein Bergmann an eine beseelte Umwelt glaubt, kann er das Klopfen im Schacht einem Bergmandln zuschreiben. Oder das Echo im Gebirge ist ein Zwerg, der zurückruft. Wie die meisten Menschen wird der Bergmann davon ausgehen, dass Geister Menschen ähneln. Das ist aus mehreren Gründen praktisch. Zum einen kann man sich so in dieses Wesen hineinversetzen und versuchen, Macht über das Naturphänomen zu erlangen. Wenn das Klopfen im Berg ein Bergmandln war, dann kann man ihn vielleicht gnädig stimmen, wie einen Menschen.
    Ein menschenähnlicher Geist macht weniger Erklärungsaufwand. Er ist glaubwürdiger, weil nicht "die Grundgesetze der Physik mitsamt dem Rad" neu erfunden werden muss. Die Geschichte lässt sich leichter verbreiten. Jeder Mensch kann sich in diese Geschichte hineinversetzen.


    Geister sind demnach wie Menschen. Sie repräsentieren/verkörpern oder sie bewohnen/beschützen oder beherrschen/umsorgen. Vielleicht sind sie Verursacher. Es gibt in der griechischen Mythologie zum Beispiel die Anemoi und Harpyien: beides Verkörperungen der Winde. Aber die Anemoi sind eher Verursacher und Herrscher der Windrichtungen und die Harpyien personifizieren einzelne Sturmwinde. In anderen Kulturkreisen gibt es andere Ursachen für den Wind...und somit haben Geister dort andere Rollen ... oder fehlen völlig.


    Jetzt kommen die Zweifler. Jede Idee hat ihre Zweifler. Die drei häufigsten Zweifel, deren Einfluss ich in Sagen, Märchen, Mythen und Folklore entdecken konnte, lauten:


    Ich nehme aber keine Magie wahr!
    Wie soll "Magie" denn herkommen?
    Wieso sind unsere Rituale eigentlich nutzlos?


    Bei den ersten beiden Fragen kann "Magie" durch "dieser Geist" oder "diese Unterwelt" oder "Götter" oder sonstwas ersetzt werden.
    Ich lenke vorbeugend ein: die folgenden Erklärungen sind meistens keine Ausreden verschlagener/verzweifelter Priester, die das Volk belügen. Eine Menge Tierarten benutzen Überlebensstrategien...und wir glauben an Stockinsekten, Schnabeltiere, Vögel, Dinosaurier und Tiefseefische, selbst wenn wir vielleicht weder ein Tiefseeaquarium noch Jurassic Park einen Besuch abgestattet haben.


    Magische und übernatürliche Phänomene gelten als

    • schwer zu bemerken
    • schwer zu erreichen (Bergsteigen um den Yeti zu finden, mentales Training für das "erreichen" magischer Fähigkeiten oder das "sprechen" mit Geistern, von dem Erreichen des Heimatplaneten der Aliens ganz zu schweigen)
    • sporadisch auftauchend
    • inzwischen (von der Erde oder aus dieser Region) verschwunden sind


    Aber selten alles gleichzeitig.
    Von manchen Totengeistern könnte ein Medium (und dessen Kundschaft) oder ein animistisches Volk etwa sagen, dass das Erreichen einer Kommunikation "schwer zu erreichen" ist, da etwa das Sprechen mit den Toten ein Training in die medialen oder schamanistischen Künste erfordert.
    UFOs, die sporadisch auftauchen und schwer zu erreichen sind (da es, laut Volksmund, Fahrzeuge von fernen Planeten sind), werden auch "schwer zu erreichen" sein, ebenso wie der Yeti, der nur mit exzellenten Bergsteige-Kenntnissen besucht werden kann und sich vor den Sherpas offenbar mehr oder minder erfolgreich versteckt.
    Atlantis wiederum ist im Meer verschwunden, dasselbe Meer über das laut einigen deutschen Sagen die Zwerge und das kleine Volk ihre Heimat verliessen.
    Hogwarts ist vor einer unerwünschten Entdeckung durch Muggel mit diversen Maßnahmen geschützt.


    Insgesamt wird Magie und Co. also nachgesagt, nicht so leicht wahrnehmbar zu sein.


    Es gibt mehrere Dutzend Untervarianten davon ...und dieses Tutorial geht in späteren Beiträgen auf viele davon ein. Ja, die Geschichte kann trotzdem wahr sein. Man hat nur dieses Element hervorgehoben, um die Zweifler aufzuklären/besänftigen etc.


    Der Ursprung magischer Phänomene wird nicht anders erklärt als der Ursprung nichtmagischer Phänomene. Die Ursprungsmythen berichten von der Neu-Entstehung oder Veränderung gewisser Dinge. Ob das erklärt, weshalb vulkanische Böden fruchtbar sind, warum es ein Leben nach dem Tod gibt oder wieso Menschen von Kobolden verschieden sind macht hier keinen Unterschied -- es ist einzig feststellbar, dass z.B. die Vorstellung, dass Kobolde einst Menschen waren, die durch einen göttlichen Eingriff für die Vergehen ihrer Mutter bestraft wurden (was in mehreren slawischen Mythen erzählt wird) eindeutig keine Geschichte ist, die die Kobolde von selbst fabrizieren würden (vielleicht wurde ihnen ein menschlicher Mythos aufgezwungen und sie nehmen sich nun selbst als degenerierte Menschen wahr).

    Es gibt auch noch die Möglichkeit, dass Tiere/Pflanzen Metamorphose betreiben. An eine "Ur-entstehung" von manchen Tieren wurde übrigens in Europa zeitweise geglaubt. Mäuse entstanden demnach aus Laken und Maden entstanden aus Speck... eine kühne Beobachtungsgabe hatten diese Europäer. :thumbup:


    In japanischen Sagen gibt es ausserdem noch die Vorstellung der Bildung einer Entität durch Ansammlung von Leid. Goryou etwa sind japanische "Rachegeister", die nicht aus der Seele eines Verstorbenen bestehen, sondern aus Rachegefühlen, die sich an einem Ort gesammelt haben. Gashadokuro hingegen sind "Hungergeister", die aus der Ansammlung des Hungers Hungernder entstehen. ;) Aber auch die Ansammlung von "Alter" verleiht laut Volksglaube 100 Jahre alt gewordenen Haushaltsgegenständen und Tieren eine Persönlichkeit. Bei Andrzej Zapkowski sammelt sich der Schweiß der Bauern an heißen Sommertagen --und bildet feenartige Wesen. Diese Idee hat der Autor möglicherweise aus polnischen Sagen entlehnt, jedenfalls habe ich Hinweise auf so einen Volksglauben auch außerhalb seiner Bücher gefunden.


    Anders als bei den Ursprungsmythen ist bei solchen Erklärungsmodellen möglich, dass es "noch heute passiert" oder "solche Wesen noch heute entstehen".


    ---------------------------------------------------------------------------------------


    Nächstes Mal beantworte ich die Frage "Wieso sind die Rituale nutzlos?" und gehe darauf ein, wie man besonders hartnäckigen Zweiflern die Wahrheit zeigt. Jungen Frauen und christlichen Missionaren zum Beispiel. 8) Ja, wir werden es ihnen zeigen...oder doch nicht?


    Fragen kommen mir sehr gelegen. Berichtigungen meiner verschrobenen Ansichten darüber, was "Wissenschaft" ist, auch. Ich werde mich hier nicht auf lange Diskussionen einlassen.
    Nein, der Thread dient nicht dazu, den Wahrheitsgehalt von Gott, Geistern und Außerirdischen zu diskutieren. Ich kenne die Fragebögen, ihr habt sie ziemlich unterschiedlich beantwortet. Diese Glaubensvielfalt ist spitze und könnt alle die reine Wahrheit glauben, nur bitte nicht in diesem Thread. ;)
    Abschliessend möchte ich darauf hinweisen, dass ich seit drei Jahren in diesem Forum bin...aber seit sieben Jahren die Informationen recherchiere, die diesem Tutorial zugrunde liegen. Und das ich nicht viel Fachliteratur zu dem Thema kenne oder lese. Ich habe mir diesen Kram selbst erarbeitet und erhebe weder Anspruch auf Korrektheit noch auf Vollständigkeit.


    Grübelt. Fragt. Hinterfragt. Berichtigt! Hoffentlich könnt ihr diesen Krempel am Ende auch nutzen. :knuddel:

  • Wieso sind unsere Rituale eigentlich nutzlos?


    Mit Ritualen sind jetzt religiöse Verhaltensweisen gemeint, bei denen schlimme Ereignisse verhindert oder abgewendet werden sollen. Es gibt eine Reihe von Gründen, wegen denen solche Rituale scheitern.
    1. Wir sind dafür nicht richtig ausgebildet. Holt einen Magier, einen Schamanen oder einen Priester, dessen Aufgabe es ist, Rituale durchzuführen! Irgendeinen Experten.
    2. Die Rituale verhindern nur den Schabernack der Geister. Sie verhindern nicht das Ungleichgewicht in der Welt, hervorgerufen durch weitere Sünden.
    3. Wenn du unvorsichtig bist, bist du ein leichtes Ziel für die Wirren des Lebens und Angriffe aus der Geisterwelt. Man sollte Schicksal und Götter nicht herausfordern.
    4. Das Ritual wurde falsch durchgeführt. Es klappt nur unter komplizierten Bedingungen.
    4.1 Es klappt nur an besonderen Tagen/zu bestimmten Zeiten bzw. zwischen besonderen Zeiten
    4.2 Tierbestandteile spielen eine Rolle. Am besten vom noch lebenden Tier oder von einem besonders schwer erreichendem Organ/Tier.*
    5. Das Ritual war nicht stark genug, das Opfer war nicht groß genug. Wir müssen das nochmal probieren.



    *z.B. Schwarzes Schwein, Bienenstock des Jahres (am Kopf eines Pferdes festgebunden, dass für die Wassergeister im gefrorenen Wasser mit Steinen versenkt wird)


    Je mehr die Zweifler ihre Fragen stellen, desto häufiger und extremer treten diese Merkmale auf. Beispielsweise wurden vor mehreren Jahrhunderten so genannte "Grimoires" verkauft, von denen das Prominenteste wohl der "Lesser Key of Solomon" ist. Dieses Werk war im Grunde eine Anleitung zum Beschwören von Engeln und Dämonen. Die Anleitungen waren unglaublich komplex...aus diesem Grund wird es nur wenigen Menschen (wenn überhaupt ;) ) gelungen sein, mithilfe des Lesser Key ihre Ziele zu erreichen. Die Grimoires wurden in diesen Jahren zunehmend komplexer mit ihren Anleitungen. Die Bücher fanden reissenden Absatz: Was so kompliziert schien, musste doch auch wirksam sein!


    Diese zunehmende Komplexität in Beschreibungen ist auch bei "Wo soll Magie denn herkommen?" und "Ich nehme aber keine Magie wahr!" zu beobachten.
    Das Alter, das ein Tier oder Objekt in Japan ansammeln muss, um zum Geist zu werden, beträgt 100 Jahre. Kaum ein Mensch kann also den Vorgang beobachten und Galapagos-Schildkröten sind in Japan nicht heimisch (aber falls dieses magische Gesetz nur innerhalb Japans gilt... ist die Theorie zwar wieder komplexer geworden, aber das magische Gesetz muss nicht in die Tonne getreten werden. Oder vielleicht sind nur japanische Tiere für dieses Gesetz anfällig bzw. müssen die Tiere auch 100 Jahre in Japan verbringen? Das ist wahrscheinlicher, denn sonst könnte man ja intelligente Galapagos-Schildkröten in japanischen Zoos finden...)


    Unter den Zweiflern gibt es aber womöglich besonders hartnäckige. Wenn ein kongolesischer Jäger zum Beispiel in der Dorfrunde von den Biloko erzählt, könnte ihm unerwartet Glaubens-Widerstand entgegengebracht werden. Zum einen von jungen Frauen. Denn der Jäger erzählt, dass nur Jäger wie er die Kniffe kennen, um einen Eloko zu vertreiben. Junge Frauen sollten nicht den Wald betreten, dass sei gefährlich: Biloko essen nämlich Menschenfleisch.
    Aber die jungen Frauen halten den Jäger für einen miesen Sexisten, der die althergebrachte Ordnung durch Ammenmärchen zementieren will. Wie soll unser armer Mann ihnen erklären, dass die Ordnung der Dinge einen verdammt guten Grund hat? Er hat schliesslich keine Video-kamera, um einen Youtube-Beweisfilm zu drehen. Also erzählt der Jäger eine Geschichte, die er mal irgendwo aufgeschnappt hat. Eine Art urbane Legende, aber sie macht recht viel Sinn, wenn man bedenkt, wie gefährlich es im Wald auch ohne einen einzigen Eloko ist.
    Diese Geschichte ist Einschüchterung.
    Klar, der Jäger mag recht haben. Vielleicht essen Biloko bevorzugt das Fleisch junger Frauen. Und vielleicht ist daraus das Stammesgebot geworden, den Wald nicht zu verlassen. Womöglich ist das sogar Tabu...aber immerhin kein Redetabu. Die jungen Frauen zweifeln nämlich gerade die Geschichte vom bösen Eloko an.
    Aber die Geschichte erzählt er zur Abschreckung und Bedrohung. Einige Elemente hat er sich vielleicht ausgedacht--- zum Beispiel, dass Biloko ein Glöckchen um den Hals tragen, wodurch man auf sie aufmerksam wird. Aber das ist letztlich in modernen Horror-Streifen auch nicht anders. "Einszweidrei, Freddy kommt vorbei." Eine Warnung, die derart kryptisch ist, dass die Situation unheimlich wird. Dieses Element finden wir bei französischen Wasserleichen, die ihren Mord höflich ankündigen. Wir finden es beim Barstukken, einem belgisch-niederländischen Gestaltwandler, der Glöckchen an seinem Hut trägt. Wir finden es bei den britischen Elfenhunden, den Cusith, welche zwar vollkommen geräuschlos jagen (Ich nehme aber keine Cusith war!) aber dreimal Bellen, was in der ganzen Gegend hörbar ist: so kann der kluge Bauer seine Frau zuhause in Sicherheit einsperren.
    Die Bedrohung funktioniert wie ein Beweis. Und nicht nur bei jungen Frauen. Ebenso häufig wie Frauen tauchen Priester auf, die an etwas zweifeln.


    Um das mit den Priestern ordentlich zu erklären, hier noch mal ein bisschen Kontext.
    Beispielsweise ist Europa im Frühmittelalter großflächig missioniert worden, wobei unter anderem lokale Feste als christlich deklariert wurden. Aber die Missionare hatten noch ein paar andere Ideen. Zum Beispiel:


    a) Euch erwartet das Ende der Welt!
    b) Eure Jenseitsvorstellungen und euer Geisterglaube sind nicht ganz richtig. Es gibt ein polares Jenseits und die Geister gehören einer von zwei verfeindeten Fraktionen an.
    c) Eure Elfen, Vampire und Zwerge unterliegen unserer neuen Religion. Weihwasser, Kreuze, der Glockenklang unserer Kirche, das Vollführen unserer kurzen Gebete beseitigen sie (entschuldigt die Blasphemie. Das Vaterunser ist "ein schnelles Gebet für zwischendurch"--- beim Geisterbeseitigen wegen seiner Kürze sehr effizient.).
    --------------
    Idee (a) hatte wahrscheinlich Einfluss auf das Island von Snorri Sturlson, der den Weltenbrand Ragnarök beschrieb.
    Idee (b) sorgte möglicherweise dafür, dass aus den Geister-Liebhabern und verführerischen Naturgeistern Sukkubi und Inkubi wurden. Ich kann nur spekulieren, aber auch die Familiare der Hexen scheinen mit der Idee der Totems verwandt zu sein. Das ist aber keine Gewissheit. Sowohl die Sukkubi als auch Familiare sind Ideengebilde, die ganz ohne Vorbild entstehen konnten. Zum Beispiel könnten Familiare eine Antwort auf "Ich nehme aber keinen Dämon wahr!" sein. Die Gestalt einer Katze wäre ein wunderbares und kaum vermutetes Versteck für den Helfer einer Hexe. Und im Zuge des Hexenwahns konnte man auch Menschen verdächtigen, die gern mit Tieren sprachen, brauchte also nicht einmal ein Haustier, ein Frosch oder Igel war schon ausreichend genug.
    Idee (c) kommt in verschiedenen Abstufungen vor. Mal kann ein Geist mit dem Zeichen der Kreuzes vertrieben werden, mal braucht man ein echtes Kreuz zusätzlich. Manchmal muss man Methoden kombinieren, um dem Geist Herr zu werden. Diese Mittel wirken auch verschieden stark. Einige Geister verschwinden kurzfristig, andere belästigen einen nie wieder. Wiederum andere sterben. Manche Geistwesen können nur nicht schädigen, wenn man sich auf diese Weise schützt.


    Im Norden Europas, wo die Missionare spärlicher gesäht waren, waren die Männer Gottes vermutlich eher in einer Zweifler-rolle. Sie schafften zwar im Laufe der Jahrhunderte den größten Teil des bis dahin vorherrschenden Glaubens ab, aber es sind viele heidnische Kulte belegt, die in Schweden, Norwegen und Island den Einflüssen des Christentums standhielten.
    Ein Hinweis darauf sind Kirchengrimme, Fabelwesen ohne (mir bekanntes) Äquivalent im Rest Europas. Kirchengrimme unterscheiden sich von anderen Geisterwesen dadurch, dass sie in Kirchen Unzucht und Schabernack treiben, als nackt/wild und pelzig beschrieben werden...und in Gotteshäusern sogar Nester bauen. Der Glaube an das Christentum war also schwach, ob man das im metaphysischen Sinn oder im sozial-religiösen Sinn verstehen will. Die Kirche hatte nicht genügend Einfluss, um Kirchengrimme (oder den Glauben an sie) auszutreiben.


    -----------


    Nun also zurück zu Zweiflern im Allgemeinen. Wie schon erklärt wurde, diese Leute haben einfach nicht genug Respekt vor den Dingen da draussen. Darum erzählen wir diese Geschichte. Sie soll unterhalten, aber auch bilden. Wir reden hier nicht von wissenschaftlichen Gesellschaften und deshalb überschneiden sich diese beiden Zwecke. Und wenn es aus moderner Perspektive als "falsche Bildung" erscheint, dann ist das egal. Man hat in dieser Gesellschaft keine besseren Ressourcen zur Verfügung oder nicht das richtige Bewusstsein, um sie zu nutzen.


    Die Geschichte nenne ich "Die Mär vom ungläubigen (Priester, Mädchen)". Sie kann ganz harmlos sein...ein Priester zweifelt an den Worten der heiligen Schrift, das Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen habe. Daraufhin schickt Gott ihn Jahrhunderte in die Zukunft, als ziemlich krassen Gottesbeweis. Das ist eine Volkssage hier aus Deutschland.
    In Polen (das Wort bedeutet letztlich "Feld") gab es den Glauben an "Feldbewohner", Polevoi. Diese Feldgeister, die sowohl männlich als auch weiblich sind, erwürgen alle Frauen, die ihr Feld betreten, ohne Fragen zu traditionellen Feldbaumethoden beantworten zu können. Rätsel der Sphinx meets Darth Vader. Ich persönlich sehe hinter dieser Erzählung die Sorge alter Menschen um traditionelle Feldbaumethoden. Die Geschichte ist in meinen Augen nichts anderes als ein Mittel zur Manipulation junger Frauen. Ich möchte anmerken, dass dieser Geisterglaube inzwischen in Polen genauso (wenig) vorhanden ist, wie der Trollglaube in Schweden oder der Glaube an Schrate in Deutschland. Die Moderne hat den verzweifelten Versuchen der Märchenerzähler, ihre Vorstellungen von der Welt am Leben zu erhalten, ein Ende gemacht. Oder habt ihr schon von einem Poleviki (Sing. von Polevoi) gehört? Auch wenn die Feldbewohner früher der Schrecken der ländlichen Bevölkerung waren, heute bekommen sie höchstens eine Rolle in Horror-Streifen. Dabei waren sie nicht immer Massenmörder. Sie waren Feldgeister, denen man opferte, um die Ernte zu vergrößern. Klar, sie hatten auch weitere interessante Eigenschaften. Aber die Polevoi wurden erst dann gefährliche äh, "Agrarian Myths" ;) , nachdem die Industrialisierung einsetzte und neue Feldbaumethoden einführte. Das gefiel den Polevoi nicht und machte sie aggressiv und gefährlich. Oder den alten Bauern und Bäuerinnen, die anfingen, Gruselgeschichten zu erzählen, um die aufmüpfige Jugend mit ihren neuen Techniken ein bisschen auszubremsen.


    Wir sehen also den Einfluss großer Veränderungen auf den Glauben haben können. Industrialisierung und Missionierung bringen völlig neue Facetten eines Glaubens zum Vorschein.


    Ein anderer cleverer Trick ist es, eine Geschichte mit Zuckerbrot statt Peitsche zu wählen. Also Geister mit einem Lohn zu versehen.
    Drachen und Leprechane hüten Schätze.
    Flaschengeister, Sternschnuppen und der Weihnachtsmann erfüllen Wünsche.
    Biloko kennen die geheimen Orte, wo sich Wild am besten jagen lässt.
    Dobby der Hauself übernimmt schwierige Arbeiten im Haushalt---alle Heinzelmännchen tun das.
    Fänkenmännlein hüteten die Medizin gegen die Pest.
    Yoda hat das Wissen, wie man ein Jedimeister wird.


    Moment, warum Yoda und Dobby als Beispiele anbringen? Weil "suspension of disbelief" Werke wie den Herrn der Ringe, Harry Potter, Star Wars, World of Warcraft und Twilight zu milliardenfach nachgeäfften Erfolgen gemacht hat. Egal, ob erfunden oder echt, Menschen finden Geschichten an etwas, dass sie nicht nachprüfen können dann interessant, wenn es ihnen einen Lohn in Aussicht stellt. Ja, das Computerspiel Diablo hat das sehr wörtlich genommen. ;D
    Und die Plagiate der bekannten Werke sind nur deshalb Plagiate, weil ihre Schöpfer glauben/wissen, dass dieses "Erfolgsrezept" sich lohnt. Zuckerbrot ist also sehr wirksam, egal ob es um das erzeugen einer "Suchtspirale" geht oder nur um die Glaubwürdigkeit einer Geschichte.



    Das Wort "Zweifler" bezeichnet übrigens keinen bestimmten Typ Mensch. Ich hätte vielleicht lieber von "Zweifeln" schreiben sollen, um Missverständnisse zu vermeiden. Beispielsweise äußerten manche Europäer, Afrikaner und Indonesier durchaus Zweifel an Exorzisten und so genannten Hexenfindern, ohne grundsätzlich die Verfolgung von Hexen zu verdammen. Beispielsweise sind Hexenfinder bei den derzeitigen Verfolgungen in Südostasien oft wandernde Experten, die ihr Geld mit der Jagd auf Schwarzmagier verdienen. Solche Schwarzmagier sollen zum Beispiel mithilfe eines bösen Geistes Krankheiten auslösen. Um den Hexer ausfindig zu machen, wird der Hexenfinder den bösen Geist befragen. Aber wie die meisten klugen Menschen wissen, kann eine bösartige Person lügen. Infolgedessen werden nur selten Leute der Hexerei verurteilt, die jeder kennt und schätzt.
    Exorzisten wiederum sind anfällig dafür, besessen zu sein und somit den Geist nicht auszutreiben. Und beide Gruppen müssen sich in Acht vor Anschuldigungen nehmen, sie seien Hochstapler.


    --------------------------------------------------------------------


    Hoffentlich ist dieses Tutorial euch nützlich.
    Mir ist bewusst, dass es nicht wie ein Tutorial wirkt... keine Anleitung bisher. Dieses Tutorial soll euch zum Basteln und Kombinieren anregen, statt den einen Weg zu weisen. Jeder bastelt anders ... und diese Anleitung will das berücksichtigen. :)
    Fragen? Vorschläge? Ergänzungen? Feedback ist hier gern gesehen.

  • Ich finde das Thema auch interessant, aber dein Tutorial liest sich zuweilen etwas schwierig.
    Manchmal machst du so Gedankensprünge, die ich nicht nachvollziehen kann, weil ich in der Thematik nicht drin bin.
    Bei deinem letzten Post ist mir beim Beispiel der Missionierung zum Beispiel nicht klar, wer da jetzt an was zweifelt und wer wen mit seinen Argumenten/Geistergeschichten/was auch immer überzeugen will.

    "Die Leichen der Euren werden genügen diese Ebene in Calislad, die Knochenebene, zu verwandeln. Ich sage euch noch einmal: geht!, hier und zwischen diesen Bäumen wartet nur der Tod auf euch.“

  • Kontakt zwischen verschiedengläubigen Menschen führt über kurz oder lang zu Verständigung. Dabei kommt es zum Austausch von Beobachtungen, Ansichten und Gewissheiten.
    Wen Fremde in ein Dorf kommen, sind sie anders erzogen worden. Missionare und "Entdecker" kommen selten aus dem Nachbarsdorf, sondern teilweise aus anderen Klimazonen am anderen Ende des Planeten. Diese Landschaften und Umweltbedingungen sorgen dafür, dass Menschen andere Dinge lernen und ihren Kindern andere Dinge beibringen. Nicht jede dieser weitergegebenen Erfahrungen ist objektiv-- es gibt Vorurteile und Irrtümer, aber wertneutral kann gesagt werden, dass Menschen aus verschiedenen Gegenden die Dinge einfach anders wahrnehmen. Schon das ist ein Grund, weshalb außerhalb von Griechenland andere Sturmgeister verehrt und gefürchtet wurden.
    Also haben beide Gesprächspartner ihre Meinungsverschiedenheiten und fangen mit großer Wahrscheinlichkeit beide zu zweifeln an. Ob mehr am eigenen Glauben oder am fremden, sei dahin gestellt. Aber in der Regel wird nicht das gesamte Gebilde aus Annahmen zu Fall gebracht, sondern man diskutiert und kritisiert nur den konkreten Bestandteil des Glaubens, der gerade in Zweifel gezogen wird. Manchmal ist das Kernbestandteil der örtlichen Überzeugungen... und dann ist der Konflikt weitaus heftiger und es bleibt womöglich nicht bei Worten und Geschichten. Schliesslich ist der Disput ein gegenseitiger Angriff auf einen Teil des Lebens, den man für "Wissen" und nicht "Glauben" hält.


    Die Missionierung Nordeuropas ist ein anschaulicher Einzelfall, weil Missionsarbeit das Ausräumen von Zweifeln in einer ausgewählten Volksgruppe zum Ziel hat. Es ist der Beruf der Missionierenden. Kirchengrimmen konnte man von kirchlicher Seite nichts entgegensetzen.
    Das mag uneindeutig bis esoterisch klingen...wie viele Sätze in diesem Tutorial. Es gibt gute Gründe für diese Wortwahl, nicht nur der Respekt vor Andersgläubigen.


    Wir sind ein Weltenbastler-forum. Die "Menschen" könnten durch Gläubige anderer Spezies ersetzt werden. Ein erstaunlicher Anteil der Bastler in diesemund diesem Thread vertritt außerdem die Ansicht, dass die Mythen ihrer Völker "in Wirklichkeit größtenteils wahr" sind. Aberglauben und Volksglauben steht bei vielen Bastlern weit unten auf der To-Do-Liste. Klar, wir denken darüber nach und haben das ein oder andere. Aber wenn wir uns nicht erst um das kümmern, was real kreucht und fleucht, werden wir nicht vorankommen und uns womöglich schlimm verheddern. Also baue ich dieses Tutorial nicht nur für Aberglauben-Bastler, sondern auch für Fabelwesen-die-echt-sind-Bastler, Traumwelt-Bastler, Neue-Völker-Bastler und eine Menge Menge andere Leute. Ja, die schönen Sachen für die größere Zielgruppe kommen alle noch. Ich werde aber auch immer auf Realismus eingehen und zeigen, warum ein gewisse Überzeugungen sich verbreiten und erhalten/oder nicht.
    Zum anderen -- und das ist nicht esoterisch gemeint -- verschwimmen oft die Grenzen zwischen "Realität" und "Mythos", weil alle menschlichen Realitäten konstruiert sind. Aus wissenschaftlicher Sichtweise gibt es zwar Gebirgsketten, die durch kontinente Auffaltung entstehen: aber einzelne "Berge" gibt es nicht. Trotzdem wird der Begriff verwendet, weil die Verwendung praktischen Nutzen hat. Und wem das nicht konkret genug ist, darf sich in den kommenden Wochen auf eindeutige Fallbeispiele im Rahmen von Märchen, Geistern und Monstern freuen. :)


    Weihwasser und Gottesdienste konnten die Kirchengrimme nicht behindern. Die Unantastbarkeit der Kirche war geschädigt...andererseits musste jemand die Kirchen gegangen sein, um das Treiben der Kirchengrimme für möglich zu halten. Beide Parteien (Kirche und Einheimische) änderten ihre Ansichten, um der neuen Zeit gerecht zu werden. Die Geschichte von den Kirchengrimmen veranschaulicht eine Episode im Aufeinandertreffen von Christentum und Nordischem Volksglauben.
    Wie hoch der Wahrheitsgehalt der Geschichten ist? Das lässt sich nur durch andere Funde belegen-- ein weiterer Grund für mich, vage zu bleiben. Immer wieder tauchen erstaunliche Funde ans Licht der Öffentlichkeit. Rattenkönige sind für Weltenbastler gerade deswegen so interessant, weil sie ein Rätsel darstellen, bei denen man sich selbst eine attraktive Erklärung heraussuchen kann. Ich werde mich davor hüten, euch hier "die Wahrheit" verkaufen zu wollen. Dies ist eine Arbeitsgrundlage für alle. Je mehr Auswahl an Ideen ihr habt, desto unterschiedlicher werden die Welten derjenigen, die sich von dieser Anleitung inspirieren lassen. Vielfalt ist neben Vorbildung die Hauptzutat, die interessante Welten und Weltentexte hervorruft.


    Yelaja
    Sollten Textstellen noch immer nicht klar genug sein, nehme ich das Problem gerne unter die Lupe.
    Falls ich mit diesem Beitrag noch mehr Verwirrung geschaffen habe, tut mir das Leid. Da über die Jahre Berge an Material entstanden sind, ist es schwer, all das Material sorgfältig aufzudröseln und in mundgerechten Stücken zu servieren. Viel kleinere Texte hätten zwar mehr logische Struktur, wären aber kaum verständlicher. Ich befürchte, dass kleinere Beiträge entweder nicht genug Informationen liefern oder zusammenhanglos erscheinen würden. Ich kann gerne in Zukunft versuchen, kleinere Texte zu posten. Vermutlich passiert das aber von allein, weil dann ein Fundament entstanden ist, um Tipps zu geben.


    "In der Thematik nicht drin" zu sein ist nicht verwunderlich. Die "Thematik" des Threads sind meine Recherchen zu diversen Themen, die im weitesten Sinn mit Fantasy und Magie zu tun haben. Ich habe nur Primärquellen untersucht, keine Fachliteratur, die die Primärquellen bereits seziert und vorverdaut hat. Darum ist wirkt der Thread auch wie eine neu bezogene Wohnung, in der die Kisten unsortiert in alle Ecken gestopft wurden.
    Womöglich haben Fachleute mir die Arbeit schon längst abgenommen...aber sie sind mit ihren Ergebnissen nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gekommen. Ich habe eine Menge Literatur zum Thema angesammelt ... nicht nur obskuren Krempel, den man in verstaubten englischen Buchläden findet, sondern auch populärwissenschaftliche Wiedergaben. Meinen Quellen solltet ihr also (genau wie ich) aus gutem Grund kein Stück über den Weg zu trauen. Stattdessen bekommt ihr hier die Auswertung einer jahrelang betriebenen Analyse hunderter Quellen.
    Also: falls Fragen/Unklarheiten bestehen- ich stehe zur Verfügung. Ich übernehme zwar die Verantwortung für meine Informationen in diesem Thread, aber es gibt keine Gewähr auf deren Richtigkeit. Die Schlüsse, die ich ziehe, sind keine endgültigen und können ohne weiteres erweitert und ergänzt werden. Hoffentlich erweitert dieses Tutorial trotzdem euren Wissenschatz. :)

  • Kirchengrimm? Nie gehört. *googel* Huch, dein Tutorial ist schon auf der zweiten Suchseite ;D
    Erzähl mal die Geschichte von den Kirchengrimmen!


    Bis jetzt ist das Tutorial recht interessant, aber es ist relativ schwer, herauszufinden, um was es dir eigentlich geht. Ein Großteil des bisher beschriebenen beschäftigt sich mit Religionen und Aberglauben, so dass ich den Thread eher so nennen würde als über "Magie", denn dieses Wort drückt für mich eher was anderes aus. Aber das ist jetzt natürlich nur meine obskure Einzelmeinung...
    Was ich meine, ist vielleicht hier ersichtlich, da sind die Fragestellungen andere.


    Aber nichtsdestotrotz ist es ja auch interessant, über Missionierung zu lesen, und ich bin gespannt, was noch so kommt. :)

  • Ich kenne den Kirchengrimm und auch den Poleviki - dazu habe ich erstmal eine Frage: daß der Singular Poleviki ist und der Plural Polevoi, ist sicher? Du hast dann nicht zufällig auch den korrekten Singular von Domovoi für mich?


    In unserer Gegend gibts übrigens Geschichten über die Mittagsfrau, die verhält sich grob ähnlich wie der Poleviki, aber das nur am Rande.


    Ich find sehr interessant zu lesen, und auch gar nicht unübersichtlich. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Teil.

    Ist doch nur meine Meinung. Ich find ja auch die Drachenlanze blöd, und Millionen Leute lieben die Bücher trotzdem.

  • Ich hab den Thread verfolgt. Ich finde ihn wirklich gut gemacht.
    Ich frage mich allerdings, was das alles jetzt mit Magie zu tun hat. Bisher hat mir das nämlich in der Richtung überhaupt nicht weiter geholfen, stattdessen habe ich einen vollkommen neuen Blick auf Religionen, Missionsarbeit und dergleichen. Aber das ist nicht schlimm. Zu viele Informationen kann ich ja nicht aufsaugen, irgendwann ist der Beutel voll ;D
    Ich sage einfach: Bitte weitermachen, es ist wahnsinnig interessant, was du einem hier zum Lesen gibst :)

    Dieses Zitat braucht in meine Welt noch einen Platz: Spuck mir in die Suppe und ich schlage dir den Kopf ab


    In Ermangelung an geschlechtlichen Optionen, zogen meine Eltern mich als Jungen auf :lol:

  • Danke Silph. Du hast wahrscheinlich geahnt, dass ich bei den Namen einige grobe Fehler gemacht habe. Zur Korrektur:


    Polevik (Polnisch, Singular)
    Poleviki (Polnisch, Plural)
    Polevoi (Russisch, Singular, derselbe Feldgeist)


    Domovoi (Russisch, Singular)
    Domovye/Domoviye (Russisch, Plural)


    Ich spreche kein Wort Russisch oder Polnisch, aber es scheint eine grammatische Regel vorzuliegen. Die polnischen Banniki (Bannik, Geist der Bäder) und der russische Wodanoi (Wodyanye, Wassergeist) stimmen mir zu.
    Bei den Singular/Plural-Formen Eloko/Biloko bin ich mir allerdings sicher---bei mir so fremden Sprachen prüfe ich zum Glück instinktiv nach, bei slawischen Sprachen leider nicht so. :-[


    Die Mittagsfrau, die du ansprichst, ist ebenfalls slawischen Ursprungs. Sie habe ich sogar im Thread erwähnt: indirekt als "weiblichen" Polevik. Die akkurate polnische Bezeichnung lautet allerdings Poludnica (mit durchgestrichenem "L").


    Hallo Jundurg,
    Wenn ich Zeit und Muße finde, gibt es vielleicht ein Paar Erzählungen zu lesen. Zur Zeit habe ich aber eher den Drang, euch von den Dingen zu erzählen, die ihr nicht oder nicht einfach in Büchern finden könnt.
    Aber ich kann dir gerne über ein interessantes Phänomen im Zusammenhang mit solchen Geschichten berichten. Mündliche Geschichten, wie jene über Kirchengrimme, sind nicht kanonisch. Einfacher formuliert: keine der Geschichten hat die Wahrheit gepachtet, jede dieser Geschichten klingt anders und die Details werden überall ein bisschen anders wiedergegeben. Es gibt nie "die Kirchengrimm-Geschichte", wenn es eine Erzählung ist. Sogar die Hauptfigur kann eine andere sein. Aus einem entsetzten Kaplan wird dann eine nicht minder entsetzte Bauersfrau. ;D


    Einen passenden Namen für das Tutorial zu finden, war nicht leicht. Aber der Name passt, auch wenn es noch nicht so scheint.
    In nächster Zeit kommen Artikel über Mittel und Zwecke der Magie sowie "fortgeschrittene Themen" hinzu. Mit "fortgeschritten" ist gemeint, dass diese Themen schwierig umzusetzen sind. Das erste fortgeschrittene Thema zeigt beispielsweise eine anspruchsvolle Methode, um die Glaubwürdigkeit von Gesellschaften in einer Fantasy-welt zu erhöhen, in der es zumindest keinen Mangel an Magie gibt. Diese Kniffe sind für mich schwer zu vermitteln...bis dahin könnten Wochen vergehen.


    Danke für das Lob, Assantora. Der Thread betritt ja gerade das Kinderplanschbecken. Mich verblüfft, wie viele von euch Magie klar von Glaube trennen. Schliesslich rede ich schon die ganze Zeit von Kirchengrimmen, Biloko, Poleviki, Drachen und anderen magischen Wesen. Nur weil ich mir die menschlichen Magier aufhebe, fehlt dem Thread ja nicht die Magie. ;)


    Wenn euch Fragen zur Magie einfallen, die mir entgehen, helfe ich gerne.
    Hoffentlich werdet ihr auch in Zukunft kritische Punkte anzeigen, wie Silph das getan hat. :)

  • Mir kam das mit den Namen ein bißchen seltsam vor, aber als "falsch" hätte ich das jetzt nicht erkannt. Ich spreche nämlich auch wieder Polnisch noch Russisch, und bin darum immer auf der Suche nach den wirklich korrekten Formen der Namen - da gibts ja in der Literatur immer die krudesten Varianten, die sich dann meistens auch noch komplett widersprechen.


    Dank Vinni habe ich da schon viel evaluieren können, aber neuen Informationen bin ich da immer hinterher.


    Auf jeden Fall vielen Dank, jetzt deckt es sich mit dem, was ich auch kenne, da bin ich beruhigt. :D


    Vielen Dank für den polnischen Namen der Mittagsfrau, den hatte ich noch nicht. Kommt gleich in meine Sammlung. :)

    Ist doch nur meine Meinung. Ich find ja auch die Drachenlanze blöd, und Millionen Leute lieben die Bücher trotzdem.

  • Oha, was sammelst du denn?
    Ich habe nämlich im Laufe der Jahre Namenslisten von Fabelwesen und mythischen Wesen angelegt-- inzwischen gibt es nur noch eine ausgedruckte Fassung davon und vielleicht noch eine Datenleiche irgendwo. Irgend etwas ist verlockend daran, diese Geschöpfe zu sammeln. Mir fällt erst jetzt auf, dass ich einen digitalen oder abstrakten Sammlertrieb hatte. :)
    Im Moment ist die Sammlerleidenschaft einem Ordnungsbedürfnis gewichen. Die Kategorien, die ich in den ersten zwei Beiträgen hier angelegt habe, lassen sich nämlich weiter unterteilen. Davon wird bestimmt bald mehr zu hören sein. Aber ich will niemanden mit den Informationen überschütten, auch wenn sie sich langsam hier türmen. :o


    Also, erzähl. Was ist diese Sammlung? :D

  • Ich dachte auch zuerst: "Moment mal, vom Titel her hätte ich etwas anderes erwartet." Aber es liest sich echt gut und behält den Wissensdurst (jedenfalls bei mir) bei. Fein!

  • @Merlin
    Magische Kreaturen. Oder genauer, Feenwesen oder wie auch immer man das so nennen will. Nicht so wissenschaftlich wie du, mehr so nebenbei als Hobby. "Verwandtschaftsbeziehungen" suchen und ein bißchen zusammenfassen... Ich schick dir eine PN, immerhin ist das dein Thread hier ;)

    Ist doch nur meine Meinung. Ich find ja auch die Drachenlanze blöd, und Millionen Leute lieben die Bücher trotzdem.

  • Ich kann Russisch immerhin noch lesen und notfalls auch mit der Russischen Wikipedia was anfangen ;D


    Ich finde das Thema jedenfalls höchst spannend - und ich bin für meinen Teil auch ein Mythenbastler und Mythensammler. Ich benutze da auch gern den Ausdruck "real existierende Mythen", weil es die Dinge in den Mythen ja meistens nicht gibt, die Mythen selber aber schon. Genau wie real existierende Fabelwesen im Unterschied zu kryptozoologischen Wesen. Aber das nur am Rande...


    Ich bin jedenfalls gespannt, was das hier noch wird. Bisher kann ich nur hie und da zustimmend nicken, die Systematisierung und Zusammenhänge erschließen sich mir aber noch nicht wirklich...


    Ach ja, und die Mittagsfrau... man muß nicht zwangsläufig bis Polen. Auch die Sorben kennen die Mittagsfrau und bei ihnen ist sie sowohl strafend als auch belohnend, je nachdem, ob es eine fleißige Magd/ein fleißiger Knecht war, die sich mit ihrer Arbeit auskennen oder ein Faulpelz. Ich hab das einerseits immer als Motivationsmotiv gesehen, brav und fleißig zu arbeiten, sich nicht herumzutreiben und Unfug zu machen. Der mahnende Zeigefinger der Älteren sozusagen. Und andererseits Erklärung seltsamer Phänomene in flirrender Mittagshitze, die schon mal einen Bauern bei der Feldarbeit die Sinne verwirrt oder von den Füßen reißt. Sozusagen Erklärungsmythos und Drohung/Ansporn in einem.

  • Wer Welten erdenkt, weiss: Man hat völlige Entscheidungsfreiheit über den Vorgang.
    Nehmen wir zum Beispiel die Vogelscheuche als Vorlage:
    Sind lebende Vogelscheuchen ein Aberglaube? Steckt dahinter ein Poltergeist? Oder sind Vogelscheuchen von Magiern belebt worden, um Vögel besser zu scheuchen?
    Es gibt viel mehr Lösungen als diese drei. Jedem fallen bestimmt auf Anhieb zwanzig andere spaßige Varianten für Vogelscheuchen ein. Mindestens. ;)


    Dass Weltenbastler aber nicht alles erdenken und erfinden, klar. Solange wir nicht Götter sind, lässt sich daran nichts ändern. Aber als Menschen haben wir noch eine Behinderung. "Berufskrankheit" bzw. "Prägung" trifft es ziemlich gut.
    Übrigens: Wenn euch nichts geprägt hätte, wärt ihr Wolfskinder (oder besagte Götter :hail: ).


    Manchen erzähle ich damit nichts Neues, aber dieses Wissen ist die Grundlage für das, was jetzt kommt. Berufskrankheiten kommen aus allen Lebensbereichen, in denen ihr steht. Nerdtum ist auch ein "Lebensbereich", aber als Weltenbastler versuchen viele von uns, die Konventionen der Fantasy und Science-Fiction zu brechen, gewissermaßen die Traditionen der Nerds. Auch das Land in dem wir leben und selbst der Planet: erstaunliche Gedankenfallen.


    Nehmen wir an, eure Welt hat andere Reittiere: Rennenten, Riesenkatzen, gigantische Spinnen oder Kodlus.
    Nehmen wir an, ihr bastelt auf derselben Welt Geisterwesen. Sie sollen sehr mysteriös sein, euer Weltentext deutet an, dass sie eventuell nur Aberglaube sind.
    Preisfrage: Wieso solltet ihr Geisterpferde nicht einführen?


    Es ist eine Fantasywelt. Wenn ihr Kelpies als reale Kreatur etabliert, ist das in Ordnung. Eure Zentauren können äußerst echt sein. Vielleicht wirken Geisterrennenten oder Geisterkodlus auf euch unfreiwillig blöd. Sie wären aber als Aberglaube mehr als wahrscheinlich. Die Leute reiten auf den "normalen" Rennenten, sie kennen diese Tiere ihr Leben lang. Die Stallmägde und -knechte sind bei der Geburt von Baby-kodlus dabei. Die Reiter kennen ihre Riesenspinne, mit all ihren Macken. Bei einem Aberglauben ist es also eindeutig: wenn die Leute keine Pferde kennen, können sie nicht Schauergeschichten vom kopflosen Pferdereiter Dullahan erzählen.
    Aber was, wenn es wahr ist? Wenn der Pegasus durch die Lüfte schwebte, wenn Einhörner im Wald hausen und Tikbalang das Nachbardorf auslöschten?
    Dann beschreibt ihr es trotzdem nicht mit dem Wort "Pferd". Macht das Wort "Pferd" zu eurem Tabu, wenn die Bewohner unmöglich Pferde kennen können. Welche Tiere kennen die Dörfler, die dem Mysterium gleichen? Ziegen? Rentiere? Gämsen? Giraffen? Kopf ist eine Mischung aus Schlange und Bär? Oder einfach ein vierbeiniger Körper mit Haaren am Hals und einem länglichen Gesicht? Ein eigenes Wort nur für die mythische Kreatur, die evtl. nicht mythisch ist? Diese Möglichkeiten schliessen sich nicht aus, man kann mehrere nehmen, um die Beschreibungen der Dörfler plastischer werden zu lassen.


    Wenn Menschen ihre Umwelt beschreiben, unterliegen sie ihren Berufskrankheiten genau wie wir unseren. Es zeigen sich andere Symptome, weil es -- im wahrsten Sinne der Wortes -- eine andere Lebenswelt ist, die zu anderen Berufskrankheiten führt.
    Das gilt auch innerhalb eurer Welt. Insulaner ohne Wissen über "Festland" haben vielleicht ihr Jenseits auf einer Insel --- so wie Buitani, das Inseljenseits, an das die Menschen Naurus glaubten. Geteilte Gesellschaften, deren Unterschied zwischen arm und reich groß ist haben vielleicht ein gespaltenes Jenseits --- so wie, äh, Buitani, das Allzweckjenseits, an das in Nauru geglaubt wird.


    Und dieselbe Vielfalt gibt es bei Vogelscheuchen. In den USA gibt es neben den klassischen Vogelscheuchen auch Krähen, die man kopfüber an den Pfahl hängt. Die Klapotetzen der Steiermark ähneln eher Windmühlen als Vogelscheuchen.
    Warum sollten Hochelben keine Vogelscheuchen haben? Und warum sollten diese Vogelscheuchen nicht radikal anders sein als die menschlichen? Zwerge müssen vielleicht unter Tage etwas verscheuchen. Wie stellen sie das an? Nehmen Tiermenschen einfach ihren Moschus? Und wie sieht eine nixische Fischscheuche aus? Wie sieht überhaupt nixische Agrarwirtschaft aus? Haben die Scheuchen nötig?


    Wenn ihr also euren Göttern Köpfe oder Leiber von Tieren verpasst, denkt vorher an die Tiere, die die Menschen dort kennen. Vielleicht hat man erst vor kurzem Nashörner eingeführt und diese spielen keine mythische Rolle. Oder ihr überlegt euch umgekehrt eine Heraldik für die Region...und der Gebrauch von Delfinen ist so exzessiv wie in Europa der Gebrauch von Löwen--- weil die exotischen Delfine mit Mut und Stärke in Verbindung gebracht werden. Hin und wieder werden sie auch fiktive Kreaturen einbringen: Drachen zum Beispiel. Als Zeichen einer Allianz werden gerne verschiedene Tierteile vermischt: wenn eine Gruppe den Hahn auf der Flagge hat und die andere eine Schlange, dann bekommt man vielleicht irgendwann den römischen Abrasax oder den chinesischen Long. Das ist übrigens keine Gewissheit; es könnte allerdings so funktionieren, auch wenn solche Flaggen-"fusionen" 100% nicht Ursprung aller Chimären sind.


    Eure Tiergeister sind in den meisten Fällen körperlich wie die Nutztiere, Haustiere, Waldtiere und Reittiere der Region, in der die Menschen leben ...oder aus der sie ursprünglich stammen. Es gibt in Patagonien keine Wasserschlangen, aber die örtliche Mythologie ist voll von ihnen. Das deutet nicht auf Wasserschlangen in den sehen hin, sondern darauf, dass die Einheimischen weiter nördlich ihre Wurzeln haben -- im Amazonasbecken vielleicht, wo es immerhin reichlich Wasserschlangen gibt (für diese Theorie gibt es auch viele andere Indizien, aus politischen Gründen ist sie aber den Einheimischen unangenehm).


    Es freut mich, wenn euch dieses Tutorial bisher gefallen hat. Solltet ihr Fragen haben, stellt sie.

  • So, nun hab ich mir das Ganze auch mal verinnerlicht. Muss schon sagen: Starkes Stück Arbeit! :thumbup:
    Allerdings sind die Gedankengänge wirklich etwas sprunghaft, weshalb ich mir wahrscheinlich alles nocheinmal durchlesen muss. Aber da stecken einige interessante Punkte drinnen, mit denen man sich einige feine Erklärungen für Fabelwesen zusammenreimen könnte.
    Nur so als Idee fürs FJT: Das Ganze wäre ja auch mal einen feine Basis für einen Workshop.
    Und: Wenn du deine Datenfragmente über die Fabelwesen wieder mal findest, würde ich auch gerne mal einen Blick drüber werfen. Mir scheint, dass du einige Viechereien mehr auf Lager hast als ich. *auchdigitalensammeltriebhabe*

  • Herzlichen Dank. :)
    Selbst nach viel Vorbereitung bleiben in diesen Texten Fehler -- siehe PolevoiPoleviki.
    Falls also Ungereimtheiten auffallen, bin ich um jeden Rat dankbar.


    Als Workshop war das Ganze schon beim WBT 2010 gedacht. ;)
    Allerdings habe ich dann festgestellt, dass ich noch nie in einem Workshop war. :-[ Wenn Bedarf besteht: die Materialien nehme ich sowieso mit.


    Obwohl ich schon als Jugendlicher Feen und Fabelwesen gesammelt und sortiert habe, war meine Motivation eine andere.
    Zuerst wollte ich die Wahrheit. Das führte dazu, dass ich mich mit Kryptozoologie beschäftigte und lernte, die Spreu der Wahrscheinlichkeit von ihrem Weizen zu trennen. Es machte mich aber auch unglücklich, weil ich so viele Fabelwesen enttarnt und unecht glaubte, dass mein Leben seine Magie verlor.
    Also vergaß ich eine Weile dieses Ziel und widmete mich ausschließlich dem Sammeln von fantastischen Wesen. Die Listen kann ich beim FJT mitbringen, ich bin unsicher, ob in digitaler Form Überbleibsel existieren.
    Dann wollte ich wieder die Wahrheit haben und versuchte, sie zu gruppieren. Aber diese Taxonomie-versuche waren widersinnig. Manche Bücher beschrieben in einem Absatz Trolle als Gnome, im anderen waren Trolle Elfen und zwei weiteren Absätzen wurden Gnome und Elfen als die Unterart der jeweils anderen beschrieben.


    Mittlerweile lehne ich monothetische Einordnungsversuche ab. Soll heißen, ich ziehe möglichst alle Eigenschaften eines Fabelwesens in Betracht: Aussehen, evtl. Kleidung, Gebärden, Rolle in der Geschichte, Sprache (wenn vorhanden), Absichten usw.
    Wie Vinni anhand des Beispiels der Mittagsfrau gezeigt hat, wird ein Fabelwesen erst dann für die Menschen wichtig, wenn es mehrere Elemente vereint.




    Wie ich die Sprunghaftigkeit der Texte verbessern kann, weiss ich nicht. Ich denke übrigens so. Soll heißen: ich verständige mich so, ich weiss nicht, wie man sich anders ausdrücken könnte.
    Ist das so eine Art Sortier-Problem? Fehlen irgendwo die Übergänge? Wenn ja, wie sollte so ein Übergang aussehen?
    Helft mir bitte, egal wie off-topic euch das erscheint. :) Sonst wird es auch schwer, euch die Zusammenhänge zu erklären.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!