Wieder eine neue, kleine Welt aus der Kategorie "Brainfart". Wie ich schon im Lebenswert geschrieben habe, kam mir die Idee dazu beim LIMBO spielen. Aber lest einfach selbst:
Remembrance
Das Erwachen
Deine Augen, sie brennen. Als ob Terpentin seine Linsen benetzen würde. Du erinnerst ich an das Licht. An dieses kalte, fahle Licht. Es flackerte. Und nun?
Nur teeriges Schwarz und milchiges Weiß. Es sickert durch deine Lider in deine Pupillen ein. Und reizt deine Sinne.
Wie ein optische Kratzen mit einer Schere über eine Schiefertafel.
Du hebst deine Hand. Willst mit ihr deine Auge vor dem seltsam grellen, nasskalten Licht schützen. Doch du siehst nur dürre Finger. Stricknadeln aus Knochen.
Dein Aufschrei des Entsetzens geht unter in einem erstickenden Husten. Deine Lunge fühlt sich verklebt an. Wie wenn gifte, klebrige Fragmente aus der Luft deine Atemwege verklebt hätten. Ein schwarz, schmieriger Auswurf aus deinem lippenlosen Mund. Dann erfolgt der Schrei.
Gellend, kraftlos, kalt und klirrend!
Dein neuer, nackter Leib erwacht und du erhebst dich aus dem klammen Gras. Du siehst an dir herunter. Einer schwarzen Leiche gleich. Ausgedörrt, verkümmert, mumienhaft.
Die Angst der Ahnungslosigkeit steigt in dir hoch.
Was ist geschehen?
Wo bin ich?
Wer bin ich?
Du wirst panisch.
Drehst dich umher.
Blickst dich um.
Versuchst dich zu orientieren.
Aber du erkennst nur einen Wald. Einen Wald im Nebel. Titanische Bäume, deren Wipfel in der bleichen Finsternis verschwunden sind, umgeben dich. Und trauerndes Geäst.
Diese Äste.
Sie sind wie verdrehte Spinnenbeine. Ganz dürr und gebrechlich bewegen sie sich im herbstlichen Wind. Und
der Nebel. Dieser dicke, milchige Nebel. Es schmeckt kalt, wie der Tod. Schlierenhaft hängt er zwischen den
schiefen Gewächsen und Gewirren. Wie das klebrige Netz einer riesenhaften Spinne.
Und da sind die Stimmen. Dünne, feine Stimmen.
Der feuchte Wind trägt sie zu dir wie fallende Blätter im Vergehen.
Du erkennst schemenhafte Siloetten, die ungelenk und befremdlich zu dir hin gewackelt kommen. Sie wirken grotesk, menschliche, aber doch fremd. Ihre Körper, so dünn und zerbrechlich. Der Kopf groß und ihre Augen werden von dunklen Brillen geschützt. Sie stecken in seltsamen Gewändern, die aus Stofffetzen, Gummireifen und Blech bestehen und sie tragen Schwerter aus riesigen Scheren und Lanzen aus Stricknadeln mit sich. Einer von ihnen hält eine Art Laterne in seinen spinnenartigen Händen. Sie kommen immer näher zu dir hin.
Deine Angst.
Sie kriecht.
Immer weiter, immer tiefer in die hoch!
Dein Herz!
Dein Herz rast wie eine hektisches Metronom. Und - Ist es überhaupt ein Herz?
Oder eine Taschenuhr?
Oder ein Wecker?
Tick?
Tack?
Die Drei stehen plötzlich vor dir! Dein Schr...
"Warte!" spricht der Laternenträger mit kratziger Stimme. "Warte! Nicht schreien! Da lockt sie an. Folge uns, wenn du leben willst..."
Ein Rascheln im Nebel...
...
..
.
Da durchbricht ein kreischender Schatten die milchige Substanz. Eine Kreatur aus Katzenknochen, Metallplatten, Glasspittern, Scheren und Nadelkissen bestückt. Mit einem maschinellen Geräusch, wie eine Kreissäge, springt das bizarre Monstrum die Gruppe an und stößt seine bohrkopfartigen Zähne in das Fleisch des einen kindlichen Kriegers.
"Rasch! Komm!" brüllt der Laternenträger dich an. "Los! Komm mit!" Und er packt dich und zerrt dich hinfort. In
das schützende Unterholz des schwarzen Forstes.
...
..
.
Welt im Nebel
Es gibt einen Ort, jenseits von alldem, was unsere Vorstellung kennt. Einen Ort, der auf keiner Karte verzeichnet ist und niemand weiß, wie man dorthin gelangt. Nicht einmal jene, die hier ankamen, können sagen, wie sie an diesen Ort kamen. Plötzlich waren sie hier. Im Nebel. Sie erkannten Veränderungen in ihrer Wahrnehmung. An ihrem Körper. Aber das Wie und das Warum bleibt im Geheimen verborgen. Sie sind hier. Im Nebel. Und dieser Moment, dieser Erkenntnis ist es, die sie schnell akzeptieren müssen.
Die Welt, in der sie erwachen, liegt im Nebel. Er hüllt alles ein, in ein weißes, ätherisches Leichentuch. Und er ist erfüllt von Stimmen. Sie flüstern. Sie jammern und heulen. Sie kommandieren und verführen. Ein Wispern wie im Hauch.
Im Nebel erheben sich immer wieder schwarze Monomente, welche eine Art Landschaft bilden, die einer verdrehten, bizarren Erinnerung gleicht. Als ob man das Wissen der Menschheit genommen, zerschlagen und durcheinander geschüttelt hätte, türmen sich hier und da gelegentlich Müllberge auf. Verkommene Fabriken, geisterhafte Häuserschemen, gähnende Abgründe, endlose Moore und zyklopische Wälder bestimmen zudem das
Antlitz der namenlosen Lande. Zwischen dieser Mühlhalde der Zivilisation und den Schlachtfeldern grotesken
Grauens, bewegen sich jene seelenlosen Geschöpfe, welche aus dem Nebel geboren werden und die wie Raubtiere immer auf der Jagd sind nach jenen, welche an diesem Ort erwachen.
Die Stadt
Es gibt einen Ort in dieser bedrückenden Depression, welcher etwas Hoffnung ausstrahlt. Dieser Ort ist nur als "Die Stadt" bekannt, eine krude Ansammlung aus Schrott, Müll und anderen Materialen, welche in wirren und windenden Formen zu Häusern, Mauern, Brücken und Stegen zusammen gesetzt ist und wie ein gewaltiger Ameisenhaufen emporragt. Hinter Bollwerken aus Stacheldraht, Fallen, Schleudern und Stromkabeln (über-)leben die Erwachten. Es wirkt, als ob man versucht habe, sich an etwas zu erinnern, was einst war und dieses wieder zu errichten. So wird alles aus dem Umland zusammen getragen und in die Eingeweiden der Stadt gesteckt, um sich zu schützen und um so etwas wie eine Art Leben haben zu können.
Im Zentrum der Stadt befindet sich das "Mnemische Archiv" oder einfach nur "Das Archiv". In tausenden Büchern, Schriftrollen und auf Tafeln aus Stein, Holz und Metall ist hier all das Wissen hinterlegt, welches die Erwachten noch in sich trugen, als sie hier her kamen und alles, was sie noch hier erlernt haben. Alles, an was sie sich erinnen können, alles, was sie wissen, müssen sie hier her bringen und archiveren lassen. Denn dieses Wissen ist es, welche sie vor dem Vergehen schützt.
Der Hüter über das Wissen ist St. Darwin. Er sitzt schon seit unendlichen Zeiten auf einem Thron im Zentrum des Archivs. Sein Haupt ist unter einem Metalleimer versteckt, in den Dutzende von Schläuche laufen, welche ihn mit den Archivaren verbinden, die ihm das gesamte Wissen des Mnemischen Archivs vortragen. Es heißt, dass er alles weiß. Dass jeder Eintrag des Archivs in seinem Gehirn gespeichert wurde. Ist ein Erwachter auf der Suche nach Wissen, welches im Archiv abgelegt wurde, so muss er zu St. Darwin und der ihn dann mit seinem Wissen füttert und ihn so vor dem Vergessen schützt.
Die Stadt gleicht einer Festung. Niemand kommt hinein, der den Weg nicht kennt und Angreifer wie die grauenerregenden Maschinenbestien des Nebels und seine Dämonen müssten erst an der Verteidigungslinie aus Minenfeldern, Stacheldraht, Abwehrwaffen und letztendlich auch an den Stadtwachen vorbei kommen. Diese sind Erwachte mit krude, rostigen Rüstungen und Waffen aus Nadeln, Nägeln, Sägen oder Scheren sowie Bögen und Harpunen aus Sicherheits- und Stricknadeln. Dabei sind die erwachten Krieger sehr erfinderisch und basteln aus allem, was die Sammler finden, ihre Ausrüstung. Die Wälle der Stadt sind immer bewacht und die Seher, Erwachte mit besonders scharfen Augen, welche oft mechanischen Ferngläsern gleichen, behalten das geisterhafte Schlachtfeld, welches die Stadt umgibt, im Auge.
Die Stadt und die Erwachten benötigen Wissen. Und jedes Fragment, welches in der Außenwelt, die vom Nebel verhangen ist, kann Wissen enthalten. So reisen immer einige, mutige Erwachte in die Außenwelt, um diese zu Erkunden, neue Erwachte zu suchen und Fragmente zu sammeln, um durch dieses am Leben zu bleiben.
Die Sammler sind besondere Erwachte, die sich durch ihren Willen, die Gesellschaft am Leben zu erhalten, stark herauskristallisiert haben und auch ihr Vergessen in Kauf nehmen, um den Bestand der Stadt zu sichern.
Ausgerüstet mit dem Besten, was man aus der Unrat der Erinnerungen zu bieten hat, machen sie sich in kleinen Gruppen auf in die Nebellande und nur zu oft kommt eine Gruppe nicht mehr zurück.
Die Erwachten
Was ist ein Erwachter? Wer sind sie? Und woher kamen sie? Diese Fragen zu beantworten scheinen für sie unmöglich, denn ihre Erinnerungen an die Zeit vor den Nebellanden ist nur sehr bruchstückhaft und wage. Sie wissen, dass sie einst Menschen waren. Menschen mit Fähigkeiten, Eigenschaften, Freunden, Verwandten, Sorgen und Leid. Doch davon ist nur noch ein Teil vorhanden. Bruchstückhafte Splitter ihres einstigen Selbst. Und ihre Erscheinung entspricht in etwa diesem geistigen Zustand. Ihre Körper sind kaum noch menschlich. Eher mumienhafte, schwarze Erscheinungen mit knochigen Leibern und aufgedunsenen Köpfen. Wie die comichafte Karikatur eines Kindes. Ihre Glieder sind spindeldürr, überlang und knochenhaft und ihre Finger erinnern mehr an verkohlte Stricknadeln als an Fleisch und Knochen.
Um ihre verkümmerte Nacktheit, ihre abschreckende Leichengestalt zu verhüllen, wickeln sie sich in Kleider aus Stofffetzen, Gummi, Latex und was sie sonst noch so auf den Müllhalden der Nebellande finden.
Die Erwachten benötigen keine Nahrung und kein Wasser. Gelegentlich etwas Schlaf. Mehr nicht.
Sie würden auch nichts zu Essen finden, außer dürrem Herbstlaub, nassem Gras oder stinkendem Aas. Und Wasser? Nur das Brackwasser aus den Sümpfen, welches nicht von einem Ölteppich überzogen ist, wäre eventuell verwertbar.
Was sie am Leben hält, ist Hoffnung. Hoffnung und jeder Fetzen Erinnerung, den sie besitzen. Der sie vor dem Vergessen und dem Vergehen im Nebel schützt.
Wird ein Erwachter verletzt, blutet er nicht. Die Wunde ist eher ein klaffender Spalt in dem kohleartigen, ledernen Fleisch. Verlorene Glieder ersetzen sie durch künstliche Maschinen, die sie aus Metall, Plastik und Holzresten fertigen. Gerade viele der Sucher, welche verletzt und verstümmelt aus den Nebellanden zurückkamen, weißen viele solche Verletzungen auf und man erkennt diese Veteranen an ihren vielen, künstlichen Ersatzteilen.
Der Nebel
Der Nebel ist, war und wird immer sein. Dort, wo nicht genug Essenz vorhanden ist, herrscht er mit seinen kalten, unwirklichen Armen. Er umschlingt alles, hält es fest und gefangen. Wer ihm zu lange ausgesetzt ist, beginnt zu vergessen und löst sich letztendlich vollkommen auf und wird ein Teil von ihm. Es ist seine Aufgabe, seine Bestimmung. Und um dies zu erfüllen nutzt er die Angst und die Begierden der Erwachten aus. Er formt ihre tiefsten Schrecken, erschafft das pure Grauen oder die süßeste Versuchung, welche sie nur kaum widerstehen können. Diese Dämonen in all ihren unterschiedlichen Gestalten lauern den Erwachten auf, verführen oder töten sie und zerren sie so ins Vergessen hinab. Nur vor der Stadt hält er inne. Immer wieder versuchen die Hirngespinnste, die er erschaffen hat, in die Stadt einzudringen, ihre Bollwerke zu vernichten und alle Erwachten in seinen Bann zu ziehen, doch ist es ihm bis jetzt nicht gelungen. Die Erwachten glauben, dass St. Darwin und das Mnemische Archiv dafür verantwortlich ist, dass der Nebel die Stadt bis jetzt nicht zerstören konnte. Und so füttern sie St. Darwin mit noch mehr wissen, welches sie in die Archive hinabtragen und die Wächter und Seher wehren die Schrecken des Nebels ab, die an den Mauern und Wällen schaben, nagen und kratzen.
Ende Teil 1