Eine Welt ohne Leid?

  • Könnt ihr euch vorstellen, eine Welt zu basteln, in der es kein Leid und keine Grausamkeit gibt? Keine Krankheit, keinen Schmerz, keinen Hunger, keinen Hass, keine Ungerechtigkeit, keinen Verlust, keinen Tod?


    Habt ihr sowas schonmal probiert oder kennt ihr derartige Welten?


    Und wenn nein, warum nicht?



    Vielleicht zählen der „Himmel“ und das „Paradies“ zu diesen Welten. Oder das Schlaraffenland. Aber ich frage mich, was für Geschichten man darin erzählen könnte und ob die ohne all das noch interessant und spannend wären.


    Beim Gedanken an die genannten Welten habe ich das Gefühl, dass Weltenbastler früher eher das Bedürfnis hatten, „gute“ Welten zu erschaffen, während heute eher Konflikte und Grausamkeiten vorherrschen. Hm. Andererseits hat man sich zusammen mit dem Paradies als Balance ja auch die Hölle ausgedacht.

  • Die Wederwelt von mir ist ganz klar eine solche Welt. Ich blende alle negativen Konsequenzen, die etwas haben könnte, einfach über kindliche Naivität aus. Musste für den Bau dieser Autobahn ein Haus abgerissen werden? Interessiert mich nicht. Wo bekommen die fleischfressenden Tiere ihr Futter her? Muss ich nicht wissen. Ich konzentriere mich nur auf die Ästhetik und vielleicht die ein oder andere heitere Kurzgeschichte mit superseichtem Plot. Das ist vermutlich nur für einen ganz kleinen Teil der Leute spannend, aber diese Welt ist auch genau dafür da, mich glücklich zu machen.


    Das ist also der Ansatz, Leid durch kindliche Naivität auzublenden. Dann gibt es diie Möglichkeit der "ernsthaften" Utopie (WeepingElfs Globaler Frühling fällt mir hier ein), wo realitätsnahe Lösung für exisiterende Probleme gezeigt werden. Narrativ ist der Weg dorthin vermutlich spannender als das Beschreiben des Zustands selbst.


    Ein anderer Ansatz, der mir noch einfällt, ist eine sehr abstrakte Welt, wo menschliche Gefühle keine wirkliche Rolle spielen. Das Rhingon vor dem Eintreffen der Menschen könnte in diese Kategorie fallen. Aber selbst hier habe ich positive und negative Gefühle als mögliche Eigenschaften von Dingen definiert und wenn ich hier Narrative baue, werden sie wohl auch dadurch getrieben werden.

    Und manchmal, manchmal, reimt sich irgendwas auf "od"


    Unterschätzen Sie niemals das dramaturgische Potential eines Kopfbahnhofes!

  • Ich denke, man könnte so eine Welt sicherlich basteln, aber eher um des Bastelns als Selbstzweck, denn wirklich interessante Geschichten stelle ich mir in einer Welt ohne jegliches Leid schwierig vor. Das wäre dann eher eine Form des theoretischen, experimentellen Bastelns.
    Ein Setting ohne "schweres" Leid könnte ich mir dagegen durchaus vorstellen, wenn es eben trotzdem noch kleinere Konflikte gibt.


    Den Gedanken, positive Science Fictionwelten zu basteln, wo zwar nicht alles perfekt ist, aber vieles besser und wo manche unserer Probleme konstruktiv gelöst werden konnten, finde ich auch sehr gut und würde mir allgemein mehr positivere Zukunftsvisionen anstelle der viele Dystopien wünschen, die es so gibt.


    Allgemein darf man bei dieser Art des Bastelns aber auch nicht vergessen, dass Meinungen unterschiedlich sind und des einen Utopie durchaus des anderen Dystopie sein kann.

  • Ich versuche momentan, von den düsteren Seiten des Bastelns wegzukommen. Ein Vorbild ist für mich Star Trek; das zeichnet eine deutlich angenehmere Zukunftsgesellschaft, in der viele Probleme gelöst sind, ist aber niemals perfekt, und schafft es sogar, neue Probleme aufzuwerfen. (Star Trek kann eins natürlich viel kritischer betrachten, etwa die extrem hierarchische militärische Struktur der Star Fleet. Aber ich denke, es überwiegt eine positive Stimmung.)


    Könnt ihr euch vorstellen, eine Welt zu basteln, in der es kein Leid und keine Grausamkeit gibt? Keine Krankheit, keinen Schmerz, keinen Hunger, keinen Hass, keine Ungerechtigkeit, keinen Verlust, keinen Tod?

    Hm, alle zusammen genommen sind diese Punkte schon etwas viel. Aber für einen Zeichentrickfilm für Kinder würde das alles voll passen. Der Fokus kann ja auf Situationskomik, Wortspielen, albernen Ideen liegen. Und ich denke, es spricht prinzipiell nichts dagegen, das selbe mit einer erwachseneren Sicht zu machen.


    Ich glaube, dass das Ausmaß an Brutalität, das für einen "spannenden Plot" benötigt wird, im Allgemeinen absurd überschätzt wird. Es gibt zwar einige sehr brutale Settings, die ich mag, aber ich denke, Spannung nur dadurch zu erzeugen, dass Protas durch Höllenqualen gehen und alle paar Seiten einen neuen Schicksalsschlag erleiden, ist kein Zeichen für Qualität, ich kann auch mal einen zwischenpersönlichen Konflikt spannend finden, bei dem es um nicht viel geht. Wenn es einfühlsam gemacht ist.

  • Tatsächlich war diese umfassende Auflistung beabsichtigt - eben damit man sich nicht von der einen Gewalt in die andere flüchtet. :D


    Aber ja, an Zeichentrickfilme für Kinder oder etwas in der Art dachte ich auch. Märchen eher nicht so, zumindest keine klassischen, da die ja auch oft ziemlich brutal sein können. Mal gucken. Vielleicht probier ich sowas irgendwann mal. Ich kann mir auch vorstellen, dass eine Weltdarstellung, in der diese Dinge bloß aufgrund des Erzählfokus nicht vorkommen, durchaus auch funktionieren kann und dazu gezählt werden könnte. Also so wie Alpha es auch macht.

  • Bei Zeichentrickserien für Kinder ist teilweise erstaunlich viel Gewalt drin, das Paradebeispiel ist da Tom&Jerry, aber beispielsweise etwas wie Peppa Wutz ist doch ziemlich leidfrei - da gibt's ein paar Streitereien, Auto/Dach/Fenster/etc. geht mal kaputt und das ein oder andere Kind wird mal krank, aber nix Schlimmeres. Nimue guckt grad die Folge, wo der Grossteil des Dramas draus besteht, dass Papa Wutz nicht auf Anhieb den richtigen Knopf fürs Autoverdeck findet. :weissnicht:

    Man kann gar nicht so rundum stromlinienförmig sein, dass es nicht irgendeine Pappnase gibt, die irgendetwas auszusetzen hat.
    - Armin Maiwald

  • Hm, gute Frage. Ein "Zweck" meiner Welten ist ja unter anderem, in einem für uns "echten Menschen" ungefährlichen Setting - weil es ja eine Fantasiewelt ist - Probleme der echten Welt darzustellen und theoretisch durchzukauen. Deshalb gibt es dort Dinge wie Sklaverei, Rassismus, Sexismus, grausame Kriege, religiöse Selbstkasteiung, Gewaltherrschaft... und so weiter. Diese Welt ist also insgesamt sehr ungastlich, und bietet mir so die Gelegenheit, Geschichten über Themen zu erzählen, die mir persönlich wichtig sind.


    ...aber sie besteht natürlich nicht nur daraus. An der Oberfläche ist sie irgendwie (für mich) sehr schön und interessant. Es ist ähnlich wie in meinem echten Leben, es ist nicht besonders schön gewesen, aber die Kunst und die Schönheiten dieser echten Welt haben mir irgendwie immer das Dasein etwas angenehmer gemacht.


    Aber um auf Palaststern zurückzukommen - dieser recht blumige Name ist glaube ich ein gutes Beispiel für das was ich meine - an der Oberfläche unheimlich schön, aber im Detail und in der Praxis ist die Welt dann irgendwie schmerzhaft.
    Es gibt unter den Zauberern z.B. das "Paradiesproblem". Wenn es jede vorstellbare Anderwelt gibt, dann muss es auch ein Paradies geben, in dem just in diesem Moment ein Engel ein Portal hierher öffnet, wo ich gerade diesen Text schreibe, und mich in sein Paradies einlädt. (wenn ich jetzt ein Zauberer in Palaststern wäre). Da das aber nicht passiert, gibt es nicht alle vorstellbaren Anderwelten. Hoffentlich gibt es trotzdem eine Art Paradies-Anderwelt, aber sie wurde bislang nicht entdeckt (es würde auch leider die Grundidee kaputtmachen, also wird es wohl dabei bleiben)

  • Ich habe zwar durchaus hin und wieder das Bedürfnis nach Harmonie und ausbleiben von Leid, aber dann bastel ich mir ne kleine Ecke in der Welt, dafür muss ich nicht alles rausschmeißen was unangenehm ist. Aber ich fänd es als konzeptionelle Herausforderung interessant.
    Grundsätzlich ist es aber auch so, dass ich selbst die Brutalität brauche und aktiv basteln möchte, dem entsprechend wäre solch eine utopische Welt nicht so interessant und würde mir wohl nur bedingt Freude bereiten. Im Gegenteil: ich versuche eigentlich immer mutiger zu werden grausam zu basteln und dabei wholesome, niedliche und spaßige Basteleien nicht zu vergessen.
    Vollkommen abgesehen davon habe ich ja sogar schon eine Welt der Alpha-Kategorie 3, also ohne fühlende Wesen, gebastelt. Die Minimalwelt ., die so klein ist, dass ich sie selbst vergesse. ^^

  • Interessantes, spannendes, aber sehr schweres Thema.


    Ich hatte mal vor 10 Jahren eine Welt begonnen, die als Traumwelt eines Mädchens angelegt war, die in dieser Welt Abenteuer mit ihren lebendigen Plüschtieren erlebt hatte. Wenn man aber mal die Maske des Ganzen durchschaut hatte, stellte es sich heraus, dass diese Traumwelt eine Flucht aus der einer grausamen Realität war.
    Und ich fürchte, wenn ich mich an den Versuch einer "perfekten Welt" heranwagen würde, dass es entweder wieder in die gleiche Richtung pendelt (Traumwelt zur Traumaverarbeitung) oder es wäre mir einfach zu langweilig.


    Aber, wie schon gesagt, spannendes Thema.

  • Ja, das mit der Fluchtwelt denke ich mir auch. Entweder es ist die Fluchtwelt eines Charakters oder eine Fluchtwelt für einen selbst. Aber warum eigentlich nicht ... vielleicht fange ich doch mal eine neue Welt an.
    Ich grüble aber noch, ob das wirklich was komplett eigenes sein muss oder etwas abgekapseltes, was in eine meiner Welten reinpasst. Aber eigentlich passt das nicht.

  • Eine Welt ohne Leid wäre für mich auch eine Welt ohne Freud'. Was gäbe es darüber zu berichten?
    Die Utopien, die ich kenne, haben sich immer als Dystopien entpuppt.


    Beim Weltenbasteln bin ich meiner Erinnerung nach nie über den Bereich des Statischen hinaus gekommen: Planet, Rassen (darf man das R-Wort noch verwenden?), Siedlungsgebiet. Aber aufeinander losgelassen habe ich die Natur, Gesellschaften oder Individuen noch nicht. Kann gut sein, dass ich in meiner Freizeit eher Ruhe von der Außenwelt (die Welt außerhalb meines Zimmers) suche. Zudem, wenn ich etwas für eine Welt definiere, was es in unserer nicht gibt, habe ich keinen Schimmer, wie ich damit umgehen soll (can't relate to it?). Beim Schreiben (über Menschen) ist es anders. Da scheine ich vorzugsweise grausames Zeugs euphemistisch aufzuarbeiten.


    Bezogen auf Menschen und ähnliches, bei denen Individualität angenommen wird, dürfte es immer jemanden geben, der gegensätzliche oder zumindest andere Interessen hat. Und dann ist da immer noch die Gesellschaft mit ihrem individuellem Streben nach Gemeinwohl: Geburten als Bedrohung der Gesellschaft (Geburten verboten, 1972) oder der Tod als Lösung von gesellschaftlichen Problemen (Soylent Green, 1973).


    Ein Dorf von Quadropoden, aus dem sich zweimal im Jahr ein vier-, sechs, oder achtbeiniges Individum wahllos einen Bewohner als Nahrung holt, ist vielleicht ein grausames Szenario. Aber wenn die Dorfgemeinschaft einmal im Jahr das jüngste oder schwächste Mitglied gezielt opfert, macht das die Gemeinschaft stärker und jenes Individum lebt daraufhin vielleicht den Jagtinstikt lieber wo anders aus. Aber ja, in einer aufklärerische SciFi-Welt braucht es keine ritualisierten Menschenopfer, außer für eine Raumschiffgeschichte mit "unterenwickelten Zivilisationen".


    Aber mal angenommen, es gibt nicht (mehr) Krieg, Krankheit, Schmerz, Hunger, Hass. Dann wäre da immer noch die Springflut, mit der sich die Natur "gestohlenes" Land zurückholt. Auch das könnte man vielleicht wegbasteln. Aber ohne Plattentektonik, Tsunamis und Vulkanismus gäbe es kein Leben Leid und Freud' auf dem Land. Zumindest nicht in meinem Universum.

  • Könnt ihr euch vorstellen, eine Welt zu basteln, in der es kein Leid und keine Grausamkeit gibt? Keine Krankheit, keinen Schmerz, keinen Hunger, keinen Hass, keine Ungerechtigkeit, keinen Verlust, keinen Tod?


    Habt ihr sowas schonmal probiert oder kennt ihr derartige Welten?

    Kamatron passt in dieses Schema.


    Zum Thema Tod: Kamatronier "sterben" körperlich. Die Seele ist aber unsterblich und fährt nach dem Austritt in einen neuen Körper bzw. in eine physische Gestalt - sie reinkarniert stetig. In Kamatron existiert kein Begriff für "Krankheit" - die Kamatronier leben in Einklang, weshalb ihre Körper keinerlei Symptome ausbilden, falls doch, werden diese nicht als Krankheit sondern als Botschaft verstanden.

  • Eine Welt ohne Leid wäre vermutlich tatsächlich auch eine Welt ohne Freude. Man weiß doch nur, dass es einem gut geht, wenn man weiß, wie es ist, wenn's einem nicht gut geht.
    Bedeutet auch; damals haben sich Menschen Welten erschaffen, die das haben, was sie selbst gerne hätten: satt zu essen, kein Tod, keine Krankheit, keine Knecht- und keine Feindschaft. Aber eben immer auch sehr spezifisch (Mehr als Völlerei geht im Schlaraffenland halt nicht ...) oder erst im Jenseits als Belohnung dafür, das man sich durch das Leben in der eigenen, realen Welt quält und dort gehorsam ist. Und natürlich immer mit dem drohenden Gegenentwurf der Hölle.
    Der buddhistische Entwurf kompletter Nichtexistenz ohne Leid stelle ich mir persönlich auch eher als Hölle vor.


    Was mir auffällt, ist ein Trend zu fiesen und/oder zynischen Settings in Roman, Film und Fernsehen sowie Computerspielen. Früher war (zumindest gefühlt) mehr Lametta und mehr Eskapismus.

    La locura nunca tuvo maestro / Para los que vamos a bogar sin rumbo perpetuo.
    La muerte será un adorno / Que pondré al regalo de mi vida.
    (Heroes del Silencio: Avalancha)

  • Diese EInstellung "Ohne Schlechtes kann es nix Gutes geben" nervt mich irgendwie. Wenn ich mir heute abend etwas Gutes zu essen mache, ist das was Gutes, wofür es keine schlechte Vorbedingung geben muss, sondern höchstens eine neutrale (Ich esse etwas, was ich werde besonders mag, noch nicht mag). Und ich freue mich tagtäglich über Dinge, bei denen die Abwesenheit dieser Freude kein Leid bedeuten würde. Ob das narrativ besonders spannend ist, sei dahingestellt, aber ich finde es doch ein wenig zynisch davon auszugehen, das eine Welt ohne die Darstellung der negativen Konsequenzen von irgendetwas nicht vollständig wäre.

    Und manchmal, manchmal, reimt sich irgendwas auf "od"


    Unterschätzen Sie niemals das dramaturgische Potential eines Kopfbahnhofes!

  • Ohne Licht kein Schatten, aber Licht kann ohne Schatten sein. Naja, ich bin kein Physiker, vielleicht lehne ich mich da zu weit aus dem Fenster.


    Essen ist vielleicht das bessere Stichwort. Ich kann leckeres süßes essen, ich kann etwas essen, das scharf ist, aber nicht so scharf, dass es brennt. Oder etwas Salziges, das nicht salzig von Tränen sein muss, sondern nach Meer schmecken kann.


    Wenn ich mir so eine Utopie schaffe und davon rede, dass es da keinen Tod geben soll, dürfte es wohl auch keine Möbel aus Holz geben. Müsste es auch nicht, aber ich weiß nicht ob ich ganz so weit gehen wollen würde.

  • Diese EInstellung "Ohne Schlechtes kann es nix Gutes geben" nervt mich irgendwie. Wenn ich mir heute abend etwas Gutes zu essen mache, ist das was Gutes, wofür es keine schlechte Vorbedingung geben muss, sondern höchstens eine neutrale (Ich esse etwas, was ich werde besonders mag, noch nicht mag). Und ich freue mich tagtäglich über Dinge, bei denen die Abwesenheit dieser Freude kein Leid bedeuten würde. Ob das narrativ besonders spannend ist, sei dahingestellt, aber ich finde es doch ein wenig zynisch davon auszugehen, das eine Welt ohne die Darstellung der negativen Konsequenzen von irgendetwas nicht vollständig wäre.

    Okay, das kratzt dann schon sehr an Kognitionspsychologie, Hermeneutik und Philosophie und weiß der Kuckuck was noch. Was ich der meinte ist: Die Kategorie "gut" beinhaltet zwingend, dass es auch Abstufungen davon gibt (In deinem Beispiel: Gut ist besser als neutral, wobei neutral "schlechter, aber nicht schlimm" bedeutet ...). Eine Welt ganz ohne Leid dürfte nicht einmal eine Vorstellung davon und einen Begriff dafür haben. Diese Welt wäre aber statisch, denn damit nichts gewertet werden kann, darf auch nichts geschehen und vorzugsweise auch gar nichts, oder doch zumindest kein Bewusstsein, existieren.


    Ein für zehn Sekunden nicht auffindbares Lieblingsspielzeug beschert einem Kind für zehn Sekunden Leid. Das war jetzt aus anderer Perspektive nichts Schlimmes, schnell vorbei und zurückblickend ist es sogar für den selben Menschen kein wirkliches Leid gewesen - aber in diesen zehn Sekunden und für das Kind war das Leid absolut real.


    Der nächste Punkt ist der freie Wille. Dieser führt zum Wollen und nicht haben können, nicht wissen können bzw. nicht erreichen können. Es kann nicht jeder alles haben, wissen und können. Mit der daraus resultierenden Unzufriedenheit kann man natürlich gelassen umgehen, aber sie ist trotzdem da.
    (Womöglich gibt es einen Zustand, in dem das alles nicht gilt, aber den können wir als Menschen ungefähr so gut beschreiben wie eine gerade Kurve.)


    Kurz, es spricht nichts gegen Welten, in denen alle Bewohner grundsätzlich zufrieden und positiv an alle Dinge herangehen, aus keiner Kategorie von "nicht so gut" ein Drama machen und sich selbst und Anderen etwas gönnen, weil für alle genug da ist. Diese Welt ist jedoch meines Erachtens nicht ohne Leid, sondern hat dieses lediglich gebändigt und pflegt mit dem Rest einen denkbar harmonischen und abgeklärten Umgang.

    La locura nunca tuvo maestro / Para los que vamos a bogar sin rumbo perpetuo.
    La muerte será un adorno / Que pondré al regalo de mi vida.
    (Heroes del Silencio: Avalancha)

  • Ich muss mich übrigens berichtigen: In Palaststern gibt es das "Gottkontinuum", das Reich hinter dem Glitzernen Tor, das sich in der Sonne befindet, also da wo die "edlen Götter" herkommen. Theoretisch wäre das wohl eine Art Paradies, aber Sterbliche ertragen es nicht, dort zu sein, und lösen sich auf. Aber es ist wohl kein schlechter Tod, wenn ich so darüber nachdenke.

  • Wenn man diese Entscheidung bewusst treffen könnte und dort hingehen könnte, wenn man keinen Bock mehr hat ... why not. :)


    Deine "Palaststern"-Welt assoziiere ich irgendwie unbewusst immer mit dem Bild eines Palastes, auf dessen Spitze ein Stern ist. Und unter dieser unschuldig schön glänzenden Spitze wie ein Eisberg der Palast, und unter diesem Palast das, was von den Bewohnern des Palastes regiert wird ... vielleicht denke ich da zu düster? ;)


    Ich dreh und wende den Gedanken immer noch, irgendwie will ich für mich mal so eine Utopie schaffen. Mal schauen was da keimt.

  • So ganz rational betrachtet müsste doch eine Welt ohne Leiden und Tod bedeuten, dass es keine Lebewesen gibt, die etwas derartiges zu empfinden imstande sind.
    Ansonsten müssten alle Lebewesen absolut und ausnahmslos unzerstörbar und perfekt sein. Schon bei der Geburt dürfte es so etwas wie Verletzlichkeit nicht geben. Alles ist aus unvergänglichen Materialien erschaffen, nicht einmal radioaktiver Zerfall dürfte existieren, damit alles ewig seine Form behalten kann.
    Damit es irgendwie erklärbar bleibt, kann es sich also nur um die oben erwähnte Welt ohne Lebewesen mit Empfindungen handeln oder aber um eine,
    in der übernatürliche Mechanismen alles abfedern/rückgängig machen, was irgendwie zu Leid und Tod führen könnte. Das wird direkt philosophisch, denn wenn diese übernatürlichen Mechanismen nicht selbstständig tätig sind, sondern von handelnden Lebewesen ausgehen, so ist eine Kenntnis des Schlechten notwendig.
    Es liegt also schon eine gewisse Wahrheit darin, dass man das Gute und das Schlechte kennen muss. Ansonsten kann es nur exakt neutrale Zustände geben. Jede Abweichung, ob nach gut oder schlecht, führt zu einer Interpretation durch das Subjekt.
    Irgendwie muss ich dabei an den Sündenfall in der Bibel denken. Insofern wäre die Zeit am Anfang weder gut noch schlecht, sondern neutral. Durch das Essen der Früchte vom Baum der Erkenntnis erlangen Adam und Eva erst die Fähigkeit, gut und schlecht zu unterscheiden. Vorher haben sie einfach nur existiert.

  • Hm, das erinnert mich an ein Gespräch, das ich mit einer Krankenhausbekanntschaft geführt habe. Wir hatten beide die Erfahrung gemacht, für eine ganz kurze Zeit obdachlos zu sein, und er sagte "man merkt erst dann, was man verloren hat", und das ist auch meine Meinung. Ich glaube, es gibt gute Dinge, die uns widerfahren, die objektiv gesehen gut sind - wir erkennen sie nur nicht als gut. Es ist trotzdem gut, dass es so ist, und nicht anders, denn das wäre furchtbar - und erst dann würden wir wissen, dass es dann furchtbar wäre.


    Ein bisschen so, wie bei Adam und Eva, die völlig umsorgt waren, mit einem Haufen Obstbäume um sie herum, von denen sie essen konnten (minus einen), bis es hieß "im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen".

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